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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Allerhand Sprachdummheiten

faßbar gewesen, wie jemand in seinem Sprachgefühl so irre gehen kann. Wenn
ich an ein Wort zwei oder mehr Relativsätze anschließe, so stehen diese Sätze
doch als Bauglieder innerhalb des Satzgefüges parallel zu einander, etwa so:



Wie kann man nun auf den wunderlichen Gedanken kommen, diese beiden
parallelstehendcn Sätze verschieden anknüpfen zu wollen! Das Natürliche ist
es doch, die parallellaufenden Sätze auch gleichmäßig anzuschließen, ja es ist
das geradezu notwendig, die Abwechslung stört nur und führt irre. Wenn
ich erst der lese und im nächsten Satze welcher (oder umgekehrt), so suche
ich unwillkürlich bei dem wechselnden Pronomen auch nach dem wechselnden
Hauptwort, und sehe dann, daß ich genarrt bin. Parallele Relativsätze müssen
unbedingt mit demselben Relativpronomen beginnen, also alle mit der; das
welcher ist auch hier völlig entbehrlich.

Etwas andres ist es, wenn auf einen Relativsatz ein zweiter folgt, de-r
sich an ein in dem ersten Relativsätze stehendes Hauptwort anschließt, etwa so:



Dann wechselt die Beziehung, nud da hat es unleugbar etwas für sich,
auch das Pronomen wechseln zu lassen; die Abwechslung kann unter
Umständen sogar die richtige Auffassung erleichtern und beschleunigen; z. B.:
Claviere, die den Anforderungen entsprechen, welche in Tropengegenden
an sie gestellt werden -- nur Gesetze, die bestimmte besondre Organisationen
zum Gegenstande haben, welche nur bei der katholischen Kirche vorkommen,
machen eine Ausnahme -- die Varianten stellen die Verbesserungen
dar, die der Dichter der dritten Ausgabe seiner Gedichte zu geben beabsich¬
tigte, welche er leider nicht mehr erlebte -- Amerika zerfällt in zwei Hälften,
die nnr durch eine verhältnismäßig schwache Brücke zusammenhängen, welche
sich nicht zu einem Handelswege eignet. Empfehlenswert ist es übrigens dann,
der immer an erster, welcher an zweiter Stelle zu bringen, nicht umgekehrt! Aber
eigentlich nötig ist der Wechsel auch in solchen Fällen nicht; was in der
lebendigen Sprache nicht geschieht, ist auch auf dem Papier überflüssig.

Nun aber noch ein arger Greuel: welcher letztere oder welch letzterer!
Der erstere und der letztere -- das ist auch so eine schöne Blüte am Baum
des Papierdeutsch. Und wieder ist sie hervorgetrieben durch den verwünschten
Aberglauben, daß es unschön sei, kurz hinter einander mehreremal dasselbe
Wort zu brauchen. Man denke sich folgende Sätze: Schon in Goethe, ja
schon in dem musikliebenden Luther findet sich das unbestimmte Vorgefühl


Allerhand Sprachdummheiten

faßbar gewesen, wie jemand in seinem Sprachgefühl so irre gehen kann. Wenn
ich an ein Wort zwei oder mehr Relativsätze anschließe, so stehen diese Sätze
doch als Bauglieder innerhalb des Satzgefüges parallel zu einander, etwa so:



Wie kann man nun auf den wunderlichen Gedanken kommen, diese beiden
parallelstehendcn Sätze verschieden anknüpfen zu wollen! Das Natürliche ist
es doch, die parallellaufenden Sätze auch gleichmäßig anzuschließen, ja es ist
das geradezu notwendig, die Abwechslung stört nur und führt irre. Wenn
ich erst der lese und im nächsten Satze welcher (oder umgekehrt), so suche
ich unwillkürlich bei dem wechselnden Pronomen auch nach dem wechselnden
Hauptwort, und sehe dann, daß ich genarrt bin. Parallele Relativsätze müssen
unbedingt mit demselben Relativpronomen beginnen, also alle mit der; das
welcher ist auch hier völlig entbehrlich.

Etwas andres ist es, wenn auf einen Relativsatz ein zweiter folgt, de-r
sich an ein in dem ersten Relativsätze stehendes Hauptwort anschließt, etwa so:



Dann wechselt die Beziehung, nud da hat es unleugbar etwas für sich,
auch das Pronomen wechseln zu lassen; die Abwechslung kann unter
Umständen sogar die richtige Auffassung erleichtern und beschleunigen; z. B.:
Claviere, die den Anforderungen entsprechen, welche in Tropengegenden
an sie gestellt werden — nur Gesetze, die bestimmte besondre Organisationen
zum Gegenstande haben, welche nur bei der katholischen Kirche vorkommen,
machen eine Ausnahme — die Varianten stellen die Verbesserungen
dar, die der Dichter der dritten Ausgabe seiner Gedichte zu geben beabsich¬
tigte, welche er leider nicht mehr erlebte — Amerika zerfällt in zwei Hälften,
die nnr durch eine verhältnismäßig schwache Brücke zusammenhängen, welche
sich nicht zu einem Handelswege eignet. Empfehlenswert ist es übrigens dann,
der immer an erster, welcher an zweiter Stelle zu bringen, nicht umgekehrt! Aber
eigentlich nötig ist der Wechsel auch in solchen Fällen nicht; was in der
lebendigen Sprache nicht geschieht, ist auch auf dem Papier überflüssig.

Nun aber noch ein arger Greuel: welcher letztere oder welch letzterer!
Der erstere und der letztere — das ist auch so eine schöne Blüte am Baum
des Papierdeutsch. Und wieder ist sie hervorgetrieben durch den verwünschten
Aberglauben, daß es unschön sei, kurz hinter einander mehreremal dasselbe
Wort zu brauchen. Man denke sich folgende Sätze: Schon in Goethe, ja
schon in dem musikliebenden Luther findet sich das unbestimmte Vorgefühl


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[0524] Allerhand Sprachdummheiten faßbar gewesen, wie jemand in seinem Sprachgefühl so irre gehen kann. Wenn ich an ein Wort zwei oder mehr Relativsätze anschließe, so stehen diese Sätze doch als Bauglieder innerhalb des Satzgefüges parallel zu einander, etwa so: [Abbildung] Wie kann man nun auf den wunderlichen Gedanken kommen, diese beiden parallelstehendcn Sätze verschieden anknüpfen zu wollen! Das Natürliche ist es doch, die parallellaufenden Sätze auch gleichmäßig anzuschließen, ja es ist das geradezu notwendig, die Abwechslung stört nur und führt irre. Wenn ich erst der lese und im nächsten Satze welcher (oder umgekehrt), so suche ich unwillkürlich bei dem wechselnden Pronomen auch nach dem wechselnden Hauptwort, und sehe dann, daß ich genarrt bin. Parallele Relativsätze müssen unbedingt mit demselben Relativpronomen beginnen, also alle mit der; das welcher ist auch hier völlig entbehrlich. Etwas andres ist es, wenn auf einen Relativsatz ein zweiter folgt, de-r sich an ein in dem ersten Relativsätze stehendes Hauptwort anschließt, etwa so: [Abbildung] Dann wechselt die Beziehung, nud da hat es unleugbar etwas für sich, auch das Pronomen wechseln zu lassen; die Abwechslung kann unter Umständen sogar die richtige Auffassung erleichtern und beschleunigen; z. B.: Claviere, die den Anforderungen entsprechen, welche in Tropengegenden an sie gestellt werden — nur Gesetze, die bestimmte besondre Organisationen zum Gegenstande haben, welche nur bei der katholischen Kirche vorkommen, machen eine Ausnahme — die Varianten stellen die Verbesserungen dar, die der Dichter der dritten Ausgabe seiner Gedichte zu geben beabsich¬ tigte, welche er leider nicht mehr erlebte — Amerika zerfällt in zwei Hälften, die nnr durch eine verhältnismäßig schwache Brücke zusammenhängen, welche sich nicht zu einem Handelswege eignet. Empfehlenswert ist es übrigens dann, der immer an erster, welcher an zweiter Stelle zu bringen, nicht umgekehrt! Aber eigentlich nötig ist der Wechsel auch in solchen Fällen nicht; was in der lebendigen Sprache nicht geschieht, ist auch auf dem Papier überflüssig. Nun aber noch ein arger Greuel: welcher letztere oder welch letzterer! Der erstere und der letztere — das ist auch so eine schöne Blüte am Baum des Papierdeutsch. Und wieder ist sie hervorgetrieben durch den verwünschten Aberglauben, daß es unschön sei, kurz hinter einander mehreremal dasselbe Wort zu brauchen. Man denke sich folgende Sätze: Schon in Goethe, ja schon in dem musikliebenden Luther findet sich das unbestimmte Vorgefühl

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/524>, abgerufen am 23.07.2024.