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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Gin Original ans den Befreiungskriegen

Viktor Von Prendel war ein Deutscher aus Tirol. Wer sich ein
wenig auf Austrinzismen versteht, wird den Österreicher schon aus seinen
Bekanntmachungen herausgefühlt haben. Er war 1766 in Salun an der
Etsch geboren, war also, als er nach Leipzig kam, ein Mann von 47 Jahren.
Wunderdinge erzählt sein Biograph von der Kraft, Kühnheit und Gewandt¬
heit des Knaben: als Zwölfjähriger soll er ganz allein in den Bergen
einen Bären erlegt und nach Hause geschleppt haben. Um den Knaben auf
friedliche Wege zu bringen, gaben ihn die Eltern in eine Klosterschule der
Benediktiner, er sollte -- Missionär werden. Dort widmete er sich, schon um
sich möglichst seine Freiheit zu wahren, was er nur bei guten Fortschritten
konnte, mit Feuereifer seinen Aufgaben, namentlich den fremden Sprachen,
worin ihn seine ausgezeichneten Gaben, besonders sein gutes Gedächtnis,
unterstützten. Aber bald wurde ihm die Klosterzelle zu enge, und die Kloster¬
zucht erregte seinen heftigsten Widerwillen. Nach einem tollen Streiche, den
er mit einem seiner Kameraden verübt hatte, warf er mit 15 Jahren das
Klosterthor ins Schloß und den Thorschlüssel ins Wasser und lief ans und
davon. Er eilte zu Fuße nach Trient, fand dort im Hause eines verwandten
Kaufmanns Aufnahme und durch dessen Vermittlung die Verzeihung seines
Vaters und die Erlaubnis, die geistliche Laufbahn zu verlassen. Er wurde
dann nach Venedig in ein Bankgeschäft gebracht und erwarb sich dort dnrch
seine Kenntnisse, seine Klugheit, seine Pünktlichkeit und sein einnehmendes
Äußere so sehr die Liebe und das Vertrauen seines Herrn, daß dieser ihn als
Hofmeister und Gefährten seines Sohnes mehrere Jahre lang ganz Europa
bereisen ließ. Auf dieser Reise eignete er sich eine ungewöhnliche Fertigkeit
im persönlichen und schriftlichen Verkehr an, lernte Sitten und Lebensweise
aller europäischen Völker kennen und knüpfte zahlreiche Bekanntschaften und
Verbindungen an, die ihm später bei seinen militärischen und politischen Auf¬
trägen nützlich werden sollten. Nach seiner Rückkehr trat er als Teilnehmer
in das Bankgeschäft.

Aber nach kurzer Zeit lockte ihn abermals eine andre Laufbahn, und diesmal
die seines Lebens. In Frankreich hatten die Schrecken der Revolution be¬
gonnen, Europa rüstete sich, Osterreich bereitete sich zum Kriege vor. Da trat
Prendel 'als Freiwilliger bei den Tiroler Scharfschützen ein. Siebzehn Jahre
lang diente er unter Österreichs Fahnen, wurde bald Offizier und entwickelte
nun das Talent, für dessen Entfaltung die Befreiungskriege besonders günstig
waren, und das für seine weitere Laufbahn bestimmend wurde, das Talent zur
Führung von Streifkorps; er bildete sich, wie man in der damaligen Kriegs¬
sprache sagte, zu einem der kühnsten Parteigänger oder Partisanen ans. In
Deutschland haben sich bekanntlich Schill und Lützow, später Laroche, Co-
lomb u. a. als solche Parteigänger hervorgethan, unter den russischen haben
sich Tschernitscheff, Dörnberg, Tettenborn, Geismar, Orlvff u. a. einen noch


Gin Original ans den Befreiungskriegen

Viktor Von Prendel war ein Deutscher aus Tirol. Wer sich ein
wenig auf Austrinzismen versteht, wird den Österreicher schon aus seinen
Bekanntmachungen herausgefühlt haben. Er war 1766 in Salun an der
Etsch geboren, war also, als er nach Leipzig kam, ein Mann von 47 Jahren.
Wunderdinge erzählt sein Biograph von der Kraft, Kühnheit und Gewandt¬
heit des Knaben: als Zwölfjähriger soll er ganz allein in den Bergen
einen Bären erlegt und nach Hause geschleppt haben. Um den Knaben auf
friedliche Wege zu bringen, gaben ihn die Eltern in eine Klosterschule der
Benediktiner, er sollte — Missionär werden. Dort widmete er sich, schon um
sich möglichst seine Freiheit zu wahren, was er nur bei guten Fortschritten
konnte, mit Feuereifer seinen Aufgaben, namentlich den fremden Sprachen,
worin ihn seine ausgezeichneten Gaben, besonders sein gutes Gedächtnis,
unterstützten. Aber bald wurde ihm die Klosterzelle zu enge, und die Kloster¬
zucht erregte seinen heftigsten Widerwillen. Nach einem tollen Streiche, den
er mit einem seiner Kameraden verübt hatte, warf er mit 15 Jahren das
Klosterthor ins Schloß und den Thorschlüssel ins Wasser und lief ans und
davon. Er eilte zu Fuße nach Trient, fand dort im Hause eines verwandten
Kaufmanns Aufnahme und durch dessen Vermittlung die Verzeihung seines
Vaters und die Erlaubnis, die geistliche Laufbahn zu verlassen. Er wurde
dann nach Venedig in ein Bankgeschäft gebracht und erwarb sich dort dnrch
seine Kenntnisse, seine Klugheit, seine Pünktlichkeit und sein einnehmendes
Äußere so sehr die Liebe und das Vertrauen seines Herrn, daß dieser ihn als
Hofmeister und Gefährten seines Sohnes mehrere Jahre lang ganz Europa
bereisen ließ. Auf dieser Reise eignete er sich eine ungewöhnliche Fertigkeit
im persönlichen und schriftlichen Verkehr an, lernte Sitten und Lebensweise
aller europäischen Völker kennen und knüpfte zahlreiche Bekanntschaften und
Verbindungen an, die ihm später bei seinen militärischen und politischen Auf¬
trägen nützlich werden sollten. Nach seiner Rückkehr trat er als Teilnehmer
in das Bankgeschäft.

Aber nach kurzer Zeit lockte ihn abermals eine andre Laufbahn, und diesmal
die seines Lebens. In Frankreich hatten die Schrecken der Revolution be¬
gonnen, Europa rüstete sich, Osterreich bereitete sich zum Kriege vor. Da trat
Prendel 'als Freiwilliger bei den Tiroler Scharfschützen ein. Siebzehn Jahre
lang diente er unter Österreichs Fahnen, wurde bald Offizier und entwickelte
nun das Talent, für dessen Entfaltung die Befreiungskriege besonders günstig
waren, und das für seine weitere Laufbahn bestimmend wurde, das Talent zur
Führung von Streifkorps; er bildete sich, wie man in der damaligen Kriegs¬
sprache sagte, zu einem der kühnsten Parteigänger oder Partisanen ans. In
Deutschland haben sich bekanntlich Schill und Lützow, später Laroche, Co-
lomb u. a. als solche Parteigänger hervorgethan, unter den russischen haben
sich Tschernitscheff, Dörnberg, Tettenborn, Geismar, Orlvff u. a. einen noch


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[0518] Gin Original ans den Befreiungskriegen Viktor Von Prendel war ein Deutscher aus Tirol. Wer sich ein wenig auf Austrinzismen versteht, wird den Österreicher schon aus seinen Bekanntmachungen herausgefühlt haben. Er war 1766 in Salun an der Etsch geboren, war also, als er nach Leipzig kam, ein Mann von 47 Jahren. Wunderdinge erzählt sein Biograph von der Kraft, Kühnheit und Gewandt¬ heit des Knaben: als Zwölfjähriger soll er ganz allein in den Bergen einen Bären erlegt und nach Hause geschleppt haben. Um den Knaben auf friedliche Wege zu bringen, gaben ihn die Eltern in eine Klosterschule der Benediktiner, er sollte — Missionär werden. Dort widmete er sich, schon um sich möglichst seine Freiheit zu wahren, was er nur bei guten Fortschritten konnte, mit Feuereifer seinen Aufgaben, namentlich den fremden Sprachen, worin ihn seine ausgezeichneten Gaben, besonders sein gutes Gedächtnis, unterstützten. Aber bald wurde ihm die Klosterzelle zu enge, und die Kloster¬ zucht erregte seinen heftigsten Widerwillen. Nach einem tollen Streiche, den er mit einem seiner Kameraden verübt hatte, warf er mit 15 Jahren das Klosterthor ins Schloß und den Thorschlüssel ins Wasser und lief ans und davon. Er eilte zu Fuße nach Trient, fand dort im Hause eines verwandten Kaufmanns Aufnahme und durch dessen Vermittlung die Verzeihung seines Vaters und die Erlaubnis, die geistliche Laufbahn zu verlassen. Er wurde dann nach Venedig in ein Bankgeschäft gebracht und erwarb sich dort dnrch seine Kenntnisse, seine Klugheit, seine Pünktlichkeit und sein einnehmendes Äußere so sehr die Liebe und das Vertrauen seines Herrn, daß dieser ihn als Hofmeister und Gefährten seines Sohnes mehrere Jahre lang ganz Europa bereisen ließ. Auf dieser Reise eignete er sich eine ungewöhnliche Fertigkeit im persönlichen und schriftlichen Verkehr an, lernte Sitten und Lebensweise aller europäischen Völker kennen und knüpfte zahlreiche Bekanntschaften und Verbindungen an, die ihm später bei seinen militärischen und politischen Auf¬ trägen nützlich werden sollten. Nach seiner Rückkehr trat er als Teilnehmer in das Bankgeschäft. Aber nach kurzer Zeit lockte ihn abermals eine andre Laufbahn, und diesmal die seines Lebens. In Frankreich hatten die Schrecken der Revolution be¬ gonnen, Europa rüstete sich, Osterreich bereitete sich zum Kriege vor. Da trat Prendel 'als Freiwilliger bei den Tiroler Scharfschützen ein. Siebzehn Jahre lang diente er unter Österreichs Fahnen, wurde bald Offizier und entwickelte nun das Talent, für dessen Entfaltung die Befreiungskriege besonders günstig waren, und das für seine weitere Laufbahn bestimmend wurde, das Talent zur Führung von Streifkorps; er bildete sich, wie man in der damaligen Kriegs¬ sprache sagte, zu einem der kühnsten Parteigänger oder Partisanen ans. In Deutschland haben sich bekanntlich Schill und Lützow, später Laroche, Co- lomb u. a. als solche Parteigänger hervorgethan, unter den russischen haben sich Tschernitscheff, Dörnberg, Tettenborn, Geismar, Orlvff u. a. einen noch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/518>, abgerufen am 23.07.2024.