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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Lin Vriginal aus den Befreiungskriegen

schreibt: "Liebster Werner! Ich zahle, so lang ich geld habe, gewis gerne, aber
die hauts über die ohren kann ich mir doch nicht ziechen lassen -- hier beigehend
der Martl meines lindes und dabei die Berechnung -- wäre es nicht möglich,
das Sie befehlen, damit ein obermeister die Sache untersucht und mir sagt,
wieviel ich bezahlen solle." Die beiden Obermeister prüften darauf die Rechnung,
kamen aber leider auch zu keinem andern Ergebnis.

Gross erzählt in seinen "Erinnerungen" mehrere Beispiele von kurzer und sehr
eigentümlicher Justiz Prendels. Ein paar polnische Juden hatten von russischen
Soldaten gestohlene Sachen gekauft. Er ließ sie auf dem Markte auf einem
Tische ausstellen und mit den gestohlenen Sachen behängen. Auch eine lieder¬
liche Dirne, die mehrere Nächte lang auf der russischen Hauptwache (in einem
Gewölbe des Rathauses) zugebracht hatte, ließ er, mit einem Papierkleide und
einem Papierdüte in den französischen Landesfarben angethan, öffentlich zur
Schau stellen. In der Ostermesse 1814 ließ er eine Anzahl Meßdiebe, wieder
mit Papiermützen geschmückt, von Kosaken durch die Stadt führen und dann
auf dem Noßplatze vor dem Mtol as ?rü8Sö mit Karbatschen durchprügeln.

Trotz oder vielleicht gerade wegen seines scharfen Durchgreifens, vor allem
aber natürlich wegen seines originellen Wesens war Prendel in der Bürger¬
schaft außerordentlich beliebt. Man wußte eben, daß alles, was er anordnete,
gut gemeint war, ja es ist nicht unwahrscheinlich, daß manche seiner Anord-
nungen erst von andrer Seite veranlaßt worden sind. Denn er verkehrte viel
in den vornehmen Kreisen der Stadt, war überall ein gern gesehener Gast und
sah auch seinerseits des Abends in seiner Häuslichkeit gern eine Anzahl ihm
näherstehender Bürger zu einer Spielpartie bei sich. Als er 1819 Leipzig und
Deutschland für immer verließ, veranstalteten ihm seine Leipziger Freunde ein
Abschiedsmahl, dessen Tafellied (nach der Melodie: Frisch auf, Kameraden,
aufs Pferd) sich erhalten hat. Da wird in der lustigsten Weise an eine Reihe
seiner Bekanntmachungen erinnert, und auch die Geschichte von dem Schneider,
über deren Ausgang die Akten schweigen, erzählt uns das Tafellied:


Ein Schneiderlein hatt' ihn einst böse gemacht
Und sollte den Fehler verbüßen;
Da kam sein lieb Weibchen noch spät in der Nacht,
Manch Thränchen sah von ihr man fließen.
Dies machte den Helden wie Butter so weich,
Er rieb sich die Stirn und verzieh ihm sogleich.
Weib, sprach er, sei ruhig, ich schaffe dir Rat,
Dein Tröster wird frei, bleibt am Leben,
Doch mußt du den ersten, der jetzt sich dir naht.
Umarmen, ein Küßchen ihm geben.
Ja, sprach sie errötend, ich thu's um den Preis --
Der Schneider kam selbst auf Freund Prendels Geheiß.

Lin Vriginal aus den Befreiungskriegen

schreibt: „Liebster Werner! Ich zahle, so lang ich geld habe, gewis gerne, aber
die hauts über die ohren kann ich mir doch nicht ziechen lassen — hier beigehend
der Martl meines lindes und dabei die Berechnung — wäre es nicht möglich,
das Sie befehlen, damit ein obermeister die Sache untersucht und mir sagt,
wieviel ich bezahlen solle." Die beiden Obermeister prüften darauf die Rechnung,
kamen aber leider auch zu keinem andern Ergebnis.

Gross erzählt in seinen „Erinnerungen" mehrere Beispiele von kurzer und sehr
eigentümlicher Justiz Prendels. Ein paar polnische Juden hatten von russischen
Soldaten gestohlene Sachen gekauft. Er ließ sie auf dem Markte auf einem
Tische ausstellen und mit den gestohlenen Sachen behängen. Auch eine lieder¬
liche Dirne, die mehrere Nächte lang auf der russischen Hauptwache (in einem
Gewölbe des Rathauses) zugebracht hatte, ließ er, mit einem Papierkleide und
einem Papierdüte in den französischen Landesfarben angethan, öffentlich zur
Schau stellen. In der Ostermesse 1814 ließ er eine Anzahl Meßdiebe, wieder
mit Papiermützen geschmückt, von Kosaken durch die Stadt führen und dann
auf dem Noßplatze vor dem Mtol as ?rü8Sö mit Karbatschen durchprügeln.

Trotz oder vielleicht gerade wegen seines scharfen Durchgreifens, vor allem
aber natürlich wegen seines originellen Wesens war Prendel in der Bürger¬
schaft außerordentlich beliebt. Man wußte eben, daß alles, was er anordnete,
gut gemeint war, ja es ist nicht unwahrscheinlich, daß manche seiner Anord-
nungen erst von andrer Seite veranlaßt worden sind. Denn er verkehrte viel
in den vornehmen Kreisen der Stadt, war überall ein gern gesehener Gast und
sah auch seinerseits des Abends in seiner Häuslichkeit gern eine Anzahl ihm
näherstehender Bürger zu einer Spielpartie bei sich. Als er 1819 Leipzig und
Deutschland für immer verließ, veranstalteten ihm seine Leipziger Freunde ein
Abschiedsmahl, dessen Tafellied (nach der Melodie: Frisch auf, Kameraden,
aufs Pferd) sich erhalten hat. Da wird in der lustigsten Weise an eine Reihe
seiner Bekanntmachungen erinnert, und auch die Geschichte von dem Schneider,
über deren Ausgang die Akten schweigen, erzählt uns das Tafellied:


Ein Schneiderlein hatt' ihn einst böse gemacht
Und sollte den Fehler verbüßen;
Da kam sein lieb Weibchen noch spät in der Nacht,
Manch Thränchen sah von ihr man fließen.
Dies machte den Helden wie Butter so weich,
Er rieb sich die Stirn und verzieh ihm sogleich.
Weib, sprach er, sei ruhig, ich schaffe dir Rat,
Dein Tröster wird frei, bleibt am Leben,
Doch mußt du den ersten, der jetzt sich dir naht.
Umarmen, ein Küßchen ihm geben.
Ja, sprach sie errötend, ich thu's um den Preis —
Der Schneider kam selbst auf Freund Prendels Geheiß.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/516>, abgerufen am 23.07.2024.