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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Nach den Reichstagswcihlen

Minister dem Gemeinwesen, was trägt er zur Kapitalbildung bei? sondern die
Frage dabei ist ausschließlich: Zu welchem Preise sind diese Arbeitsarten aus
dein Markte zu haben? Der Lohnarbeiter steht einfach unter den Bedingungen
der leblosen Waren. Ich beziehe mich hier ans das berühmte sogenannte
eherne Lohngesetz des Engländer? Nienrdo, durch das trotz aller Vefehdungen
desselben durch den bewußten und unbewußte" Klassenegoismus dieses Problem
endgiltig gelöst ist, und will nur beiläufig noch bemerken, daß der scharfsinnige
Nachweis Ricardos von Lassalle und der Sozialdemokratie überall hin bekannt
gemacht und mit Recht als unerschütterliche Wahrheit gepriesen wurde, so
lange er den sozialdemokratischen Thorheiten eine feste Stütze zu bieten schien;
daß er aber selbstverständlich von diesen Leuten totgeschwiegen oder in Abrede
gestellt wird, seitdem ihnen bewiesen worden ist, daß gerade kraft des ehernen
Lohngesetzes mit der gesamten armseligen Weisheit der Sozialdemokratie, ins¬
besondre mit der Ungereimtheit der Staatsproduktion, das soziale Problem
nicht gelöst werden kann, und seitdem es ihnen im Wege steht bei der Auf¬
reizung der Massen wegen der Getreidezölle und der indirekten Steuern.

Jedenfalls gestehe ich mit Ricardo und der Wahrheit gemäß durchaus zu,
daß bei der Kapitalbildung die körperliche und geistige Lohnarbeit von einer
gewissen Linie ab gar keine Rolle spielt. Was ich als Leiter meiner Fabrik
als Gehalt empfange, oder was ich mir dafür rechnen kann, ist das, was die
hierzu erforderlichen Fähigkeiten auf dem Arbeitsmarkte kosten; was die Fabrik
oder ich als Teilbesitzer darüber hinnus verdienen, ist lediglich Produkt des
Kapitals als solchen und der gesellschaftlichen Zusammenhange. Wenn wirklich
die geistige Arbeit bezahlt würde, warum sind denn die großen Denker nicht
immer die Reichsten, warum sind sie im Gegenteil immer die Ärmsten gewesen?
Von einem gewissen Punkte ab ist die Lust und der Zeitaufwand beim Denken
für den reinen Geschäftsmann sogar höchst nachteilig. Wer über die Ursachen
und den Zusammenhang der Dinge, die ihn umgeben, grübelt oder gern hinter
Büchern sitzt, die sich uicht mit Soll und Haben befassen, der wird weit weniger
erwerben, als ein andrer, der diese Dinge einfach nimmt, wie sie ihm vor¬
kommen, und sie nur daraufhin ansieht, ob und wie sie ihm zum Gelderwerb
nützlich sein können.

Hinsichtlich des brennendsten Teiles des heutigen sozialen Problems, der
Lohnarbeit, ist also die Summe der vorgetragenen zwei Thatsachen die: weil
der staatliche Gcsnmtarbeitsprozeß ein untrennbares Ganze darstellt und der
einzelne Arbeiter dabei nicht in dem Maße gelohnt wird, wie er zum Ergebnis
desselben beiträgt, so ist der Staat dein Arbeiter weiter verpflichtet, als aus
dem heutigen unfreien, ans den bloßen Zufall des Angebotes und der Nach¬
frage gegründeten Arbeitsvertrag folgt.

Aber die Erkenntnis der Natur und der Ursachen der Krankheit ist ver¬
hältnismäßig leicht. Schwerer ist die Erkenntnis der mögliche" und wirksamen


Nach den Reichstagswcihlen

Minister dem Gemeinwesen, was trägt er zur Kapitalbildung bei? sondern die
Frage dabei ist ausschließlich: Zu welchem Preise sind diese Arbeitsarten aus
dein Markte zu haben? Der Lohnarbeiter steht einfach unter den Bedingungen
der leblosen Waren. Ich beziehe mich hier ans das berühmte sogenannte
eherne Lohngesetz des Engländer? Nienrdo, durch das trotz aller Vefehdungen
desselben durch den bewußten und unbewußte» Klassenegoismus dieses Problem
endgiltig gelöst ist, und will nur beiläufig noch bemerken, daß der scharfsinnige
Nachweis Ricardos von Lassalle und der Sozialdemokratie überall hin bekannt
gemacht und mit Recht als unerschütterliche Wahrheit gepriesen wurde, so
lange er den sozialdemokratischen Thorheiten eine feste Stütze zu bieten schien;
daß er aber selbstverständlich von diesen Leuten totgeschwiegen oder in Abrede
gestellt wird, seitdem ihnen bewiesen worden ist, daß gerade kraft des ehernen
Lohngesetzes mit der gesamten armseligen Weisheit der Sozialdemokratie, ins¬
besondre mit der Ungereimtheit der Staatsproduktion, das soziale Problem
nicht gelöst werden kann, und seitdem es ihnen im Wege steht bei der Auf¬
reizung der Massen wegen der Getreidezölle und der indirekten Steuern.

Jedenfalls gestehe ich mit Ricardo und der Wahrheit gemäß durchaus zu,
daß bei der Kapitalbildung die körperliche und geistige Lohnarbeit von einer
gewissen Linie ab gar keine Rolle spielt. Was ich als Leiter meiner Fabrik
als Gehalt empfange, oder was ich mir dafür rechnen kann, ist das, was die
hierzu erforderlichen Fähigkeiten auf dem Arbeitsmarkte kosten; was die Fabrik
oder ich als Teilbesitzer darüber hinnus verdienen, ist lediglich Produkt des
Kapitals als solchen und der gesellschaftlichen Zusammenhange. Wenn wirklich
die geistige Arbeit bezahlt würde, warum sind denn die großen Denker nicht
immer die Reichsten, warum sind sie im Gegenteil immer die Ärmsten gewesen?
Von einem gewissen Punkte ab ist die Lust und der Zeitaufwand beim Denken
für den reinen Geschäftsmann sogar höchst nachteilig. Wer über die Ursachen
und den Zusammenhang der Dinge, die ihn umgeben, grübelt oder gern hinter
Büchern sitzt, die sich uicht mit Soll und Haben befassen, der wird weit weniger
erwerben, als ein andrer, der diese Dinge einfach nimmt, wie sie ihm vor¬
kommen, und sie nur daraufhin ansieht, ob und wie sie ihm zum Gelderwerb
nützlich sein können.

Hinsichtlich des brennendsten Teiles des heutigen sozialen Problems, der
Lohnarbeit, ist also die Summe der vorgetragenen zwei Thatsachen die: weil
der staatliche Gcsnmtarbeitsprozeß ein untrennbares Ganze darstellt und der
einzelne Arbeiter dabei nicht in dem Maße gelohnt wird, wie er zum Ergebnis
desselben beiträgt, so ist der Staat dein Arbeiter weiter verpflichtet, als aus
dem heutigen unfreien, ans den bloßen Zufall des Angebotes und der Nach¬
frage gegründeten Arbeitsvertrag folgt.

Aber die Erkenntnis der Natur und der Ursachen der Krankheit ist ver¬
hältnismäßig leicht. Schwerer ist die Erkenntnis der mögliche» und wirksamen


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[0504] Nach den Reichstagswcihlen Minister dem Gemeinwesen, was trägt er zur Kapitalbildung bei? sondern die Frage dabei ist ausschließlich: Zu welchem Preise sind diese Arbeitsarten aus dein Markte zu haben? Der Lohnarbeiter steht einfach unter den Bedingungen der leblosen Waren. Ich beziehe mich hier ans das berühmte sogenannte eherne Lohngesetz des Engländer? Nienrdo, durch das trotz aller Vefehdungen desselben durch den bewußten und unbewußte» Klassenegoismus dieses Problem endgiltig gelöst ist, und will nur beiläufig noch bemerken, daß der scharfsinnige Nachweis Ricardos von Lassalle und der Sozialdemokratie überall hin bekannt gemacht und mit Recht als unerschütterliche Wahrheit gepriesen wurde, so lange er den sozialdemokratischen Thorheiten eine feste Stütze zu bieten schien; daß er aber selbstverständlich von diesen Leuten totgeschwiegen oder in Abrede gestellt wird, seitdem ihnen bewiesen worden ist, daß gerade kraft des ehernen Lohngesetzes mit der gesamten armseligen Weisheit der Sozialdemokratie, ins¬ besondre mit der Ungereimtheit der Staatsproduktion, das soziale Problem nicht gelöst werden kann, und seitdem es ihnen im Wege steht bei der Auf¬ reizung der Massen wegen der Getreidezölle und der indirekten Steuern. Jedenfalls gestehe ich mit Ricardo und der Wahrheit gemäß durchaus zu, daß bei der Kapitalbildung die körperliche und geistige Lohnarbeit von einer gewissen Linie ab gar keine Rolle spielt. Was ich als Leiter meiner Fabrik als Gehalt empfange, oder was ich mir dafür rechnen kann, ist das, was die hierzu erforderlichen Fähigkeiten auf dem Arbeitsmarkte kosten; was die Fabrik oder ich als Teilbesitzer darüber hinnus verdienen, ist lediglich Produkt des Kapitals als solchen und der gesellschaftlichen Zusammenhange. Wenn wirklich die geistige Arbeit bezahlt würde, warum sind denn die großen Denker nicht immer die Reichsten, warum sind sie im Gegenteil immer die Ärmsten gewesen? Von einem gewissen Punkte ab ist die Lust und der Zeitaufwand beim Denken für den reinen Geschäftsmann sogar höchst nachteilig. Wer über die Ursachen und den Zusammenhang der Dinge, die ihn umgeben, grübelt oder gern hinter Büchern sitzt, die sich uicht mit Soll und Haben befassen, der wird weit weniger erwerben, als ein andrer, der diese Dinge einfach nimmt, wie sie ihm vor¬ kommen, und sie nur daraufhin ansieht, ob und wie sie ihm zum Gelderwerb nützlich sein können. Hinsichtlich des brennendsten Teiles des heutigen sozialen Problems, der Lohnarbeit, ist also die Summe der vorgetragenen zwei Thatsachen die: weil der staatliche Gcsnmtarbeitsprozeß ein untrennbares Ganze darstellt und der einzelne Arbeiter dabei nicht in dem Maße gelohnt wird, wie er zum Ergebnis desselben beiträgt, so ist der Staat dein Arbeiter weiter verpflichtet, als aus dem heutigen unfreien, ans den bloßen Zufall des Angebotes und der Nach¬ frage gegründeten Arbeitsvertrag folgt. Aber die Erkenntnis der Natur und der Ursachen der Krankheit ist ver¬ hältnismäßig leicht. Schwerer ist die Erkenntnis der mögliche» und wirksamen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/504>, abgerufen am 23.07.2024.