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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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französischen Revolution dem Adel, der katholischen Hierarchie -- Privilegien,
d. i. gemeinschädliche Macht, womit andre unterdrückt wurden, zu nehmen
und diese andern aus der Unterdrückung zu befreien.

Die heutige Form der sozialen Aufgabe hat es mit gewissen Privilegien,
Auswüchsen des Eigentums zu thun, die wir unter dein Namen Kapitalismus
zusammenfassen. Ich kann mich hier nicht ans eine erschöpfende Darlegung
des Wesens, der guten und der schlimmen Seiten des .Kapitalismus, des gegen¬
wärtigen Beherrschers der Welt, einlassen. Ich will mir an zwei Thatsachen,
also oberflächlich, zu zeigen suchen, welcher gefährliche Tyrann dieser Herrscher ist.

Die erste Thatsache betrifft eine fast unausrottbare falsche Einbildung der
Menschen. Daß im gesellschaftlichen Arbeitsprozeß der Grundsatz der Teilung
der Arbeit in unaufhörlichem Fortschreiten begriffen, daß in dem unscheinbarsten
Gegenstand unsers täglichen Gebrauchs sehr häufig Arbeit aus allen fünf
Weltteilen verkörpert ist, daß der einzelne Mensch heute nicht das erzeugt,
was er selbst gebraucht, sondern gerade das, was er nicht gebraucht, daß infolge-
dessen stets vvrgethane Arbeit -- enthalten im Material, im Werkzeug, im
Gelde u. s. w. -- allerorten und unmittelbar zur Perfügung stehen muß, daß
es die legitime Aufgabe des Kapitalismus ist, diesen Vorschuß zu leisten und
ihn in Verbindung zu bringen mit lebender Arbeit zur Herstellung neuer nütz¬
licher Werte, das alles weiß heutzutage zur Not jeder, der auch nur in die
Kinderfibeln des Freihandels geblickt hat. Aber nun schließe" die wenigsten
richtig weiter. Nun fahren die meisten fort mit der Einbildung, daß der Anteil
des einzelnen arbeitenden Menschen an dem Erzeugnis und das Erzeugnis
selbst zwei Dinge seien, die sich rein von einander trennen ließen. Gesetzt,
hier stehe ein Schuhmacher, und dn liege ein Stück Leder. Nach einer gewissen
Zeit entsteht aus der Verbindung der Arbeit des erstern mit dem Leder ein
Stiefel, und nun bilden wir uns ein, daß Nur in dem Dinge zwei rein er¬
kennbare und trennbare Dinge vor uns sehen, nämlich eine gewisse Menge
von Leder und eine gewisse Menge von Arbeit dieses einzelnen Menschen, des
Schuhmachers. Aber in dem Leder einerseits lag wieder die Arbeit des
Gerbers, des Fleischers/ der die Haut vom Tiere zog, und so ins Unendliche
fort, in der Thätigkeit des Schuhmachers wieder die Arbeit, die zur Erlernung
des Schnhmachergewerbes, zur Herstellung seines Werkzeuges und so wieder
ins Unendliche fort, erforderlich war. Je nachdem nun die im Leder enthaltene,
unendlich mannichfache Arbeit geartet war, je nachdem wird die im, Schuh¬
macher ausgedrückte unendlich mannichfache Arbeit am Stiefel geartet sein; also
ist die Arbeit des letztern keineswegs für sich erkennbar und für die Beschaffenheit
des Stiefels keineswegs allein verantwortlich. Der Gesamtarbeitsprozeß stellt
durchaus nicht eine Summe rein von einander nnterschiedner Einzelerzeugnisse,
sondern einen ununterbrochnem Stoffwechsel dar, dessen Teile untrennbar wirken
und nur in unsrer Einbildungskraft von einander getrennt werden können. Die


französischen Revolution dem Adel, der katholischen Hierarchie — Privilegien,
d. i. gemeinschädliche Macht, womit andre unterdrückt wurden, zu nehmen
und diese andern aus der Unterdrückung zu befreien.

Die heutige Form der sozialen Aufgabe hat es mit gewissen Privilegien,
Auswüchsen des Eigentums zu thun, die wir unter dein Namen Kapitalismus
zusammenfassen. Ich kann mich hier nicht ans eine erschöpfende Darlegung
des Wesens, der guten und der schlimmen Seiten des .Kapitalismus, des gegen¬
wärtigen Beherrschers der Welt, einlassen. Ich will mir an zwei Thatsachen,
also oberflächlich, zu zeigen suchen, welcher gefährliche Tyrann dieser Herrscher ist.

Die erste Thatsache betrifft eine fast unausrottbare falsche Einbildung der
Menschen. Daß im gesellschaftlichen Arbeitsprozeß der Grundsatz der Teilung
der Arbeit in unaufhörlichem Fortschreiten begriffen, daß in dem unscheinbarsten
Gegenstand unsers täglichen Gebrauchs sehr häufig Arbeit aus allen fünf
Weltteilen verkörpert ist, daß der einzelne Mensch heute nicht das erzeugt,
was er selbst gebraucht, sondern gerade das, was er nicht gebraucht, daß infolge-
dessen stets vvrgethane Arbeit — enthalten im Material, im Werkzeug, im
Gelde u. s. w. — allerorten und unmittelbar zur Perfügung stehen muß, daß
es die legitime Aufgabe des Kapitalismus ist, diesen Vorschuß zu leisten und
ihn in Verbindung zu bringen mit lebender Arbeit zur Herstellung neuer nütz¬
licher Werte, das alles weiß heutzutage zur Not jeder, der auch nur in die
Kinderfibeln des Freihandels geblickt hat. Aber nun schließe» die wenigsten
richtig weiter. Nun fahren die meisten fort mit der Einbildung, daß der Anteil
des einzelnen arbeitenden Menschen an dem Erzeugnis und das Erzeugnis
selbst zwei Dinge seien, die sich rein von einander trennen ließen. Gesetzt,
hier stehe ein Schuhmacher, und dn liege ein Stück Leder. Nach einer gewissen
Zeit entsteht aus der Verbindung der Arbeit des erstern mit dem Leder ein
Stiefel, und nun bilden wir uns ein, daß Nur in dem Dinge zwei rein er¬
kennbare und trennbare Dinge vor uns sehen, nämlich eine gewisse Menge
von Leder und eine gewisse Menge von Arbeit dieses einzelnen Menschen, des
Schuhmachers. Aber in dem Leder einerseits lag wieder die Arbeit des
Gerbers, des Fleischers/ der die Haut vom Tiere zog, und so ins Unendliche
fort, in der Thätigkeit des Schuhmachers wieder die Arbeit, die zur Erlernung
des Schnhmachergewerbes, zur Herstellung seines Werkzeuges und so wieder
ins Unendliche fort, erforderlich war. Je nachdem nun die im Leder enthaltene,
unendlich mannichfache Arbeit geartet war, je nachdem wird die im, Schuh¬
macher ausgedrückte unendlich mannichfache Arbeit am Stiefel geartet sein; also
ist die Arbeit des letztern keineswegs für sich erkennbar und für die Beschaffenheit
des Stiefels keineswegs allein verantwortlich. Der Gesamtarbeitsprozeß stellt
durchaus nicht eine Summe rein von einander nnterschiedner Einzelerzeugnisse,
sondern einen ununterbrochnem Stoffwechsel dar, dessen Teile untrennbar wirken
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[0502] französischen Revolution dem Adel, der katholischen Hierarchie — Privilegien, d. i. gemeinschädliche Macht, womit andre unterdrückt wurden, zu nehmen und diese andern aus der Unterdrückung zu befreien. Die heutige Form der sozialen Aufgabe hat es mit gewissen Privilegien, Auswüchsen des Eigentums zu thun, die wir unter dein Namen Kapitalismus zusammenfassen. Ich kann mich hier nicht ans eine erschöpfende Darlegung des Wesens, der guten und der schlimmen Seiten des .Kapitalismus, des gegen¬ wärtigen Beherrschers der Welt, einlassen. Ich will mir an zwei Thatsachen, also oberflächlich, zu zeigen suchen, welcher gefährliche Tyrann dieser Herrscher ist. Die erste Thatsache betrifft eine fast unausrottbare falsche Einbildung der Menschen. Daß im gesellschaftlichen Arbeitsprozeß der Grundsatz der Teilung der Arbeit in unaufhörlichem Fortschreiten begriffen, daß in dem unscheinbarsten Gegenstand unsers täglichen Gebrauchs sehr häufig Arbeit aus allen fünf Weltteilen verkörpert ist, daß der einzelne Mensch heute nicht das erzeugt, was er selbst gebraucht, sondern gerade das, was er nicht gebraucht, daß infolge- dessen stets vvrgethane Arbeit — enthalten im Material, im Werkzeug, im Gelde u. s. w. — allerorten und unmittelbar zur Perfügung stehen muß, daß es die legitime Aufgabe des Kapitalismus ist, diesen Vorschuß zu leisten und ihn in Verbindung zu bringen mit lebender Arbeit zur Herstellung neuer nütz¬ licher Werte, das alles weiß heutzutage zur Not jeder, der auch nur in die Kinderfibeln des Freihandels geblickt hat. Aber nun schließe» die wenigsten richtig weiter. Nun fahren die meisten fort mit der Einbildung, daß der Anteil des einzelnen arbeitenden Menschen an dem Erzeugnis und das Erzeugnis selbst zwei Dinge seien, die sich rein von einander trennen ließen. Gesetzt, hier stehe ein Schuhmacher, und dn liege ein Stück Leder. Nach einer gewissen Zeit entsteht aus der Verbindung der Arbeit des erstern mit dem Leder ein Stiefel, und nun bilden wir uns ein, daß Nur in dem Dinge zwei rein er¬ kennbare und trennbare Dinge vor uns sehen, nämlich eine gewisse Menge von Leder und eine gewisse Menge von Arbeit dieses einzelnen Menschen, des Schuhmachers. Aber in dem Leder einerseits lag wieder die Arbeit des Gerbers, des Fleischers/ der die Haut vom Tiere zog, und so ins Unendliche fort, in der Thätigkeit des Schuhmachers wieder die Arbeit, die zur Erlernung des Schnhmachergewerbes, zur Herstellung seines Werkzeuges und so wieder ins Unendliche fort, erforderlich war. Je nachdem nun die im Leder enthaltene, unendlich mannichfache Arbeit geartet war, je nachdem wird die im, Schuh¬ macher ausgedrückte unendlich mannichfache Arbeit am Stiefel geartet sein; also ist die Arbeit des letztern keineswegs für sich erkennbar und für die Beschaffenheit des Stiefels keineswegs allein verantwortlich. Der Gesamtarbeitsprozeß stellt durchaus nicht eine Summe rein von einander nnterschiedner Einzelerzeugnisse, sondern einen ununterbrochnem Stoffwechsel dar, dessen Teile untrennbar wirken und nur in unsrer Einbildungskraft von einander getrennt werden können. Die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/502>, abgerufen am 23.07.2024.