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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Vorhang und Drama

Daß schon in der Mitte des Jahrhunderts Stimmen laut wurden, die
das Fallenlassen des Vorhangs am Schlüsse jedes Aktes verlangten -- frei¬
lich aus andern Gründen --, darauf hat mich Creizenach aufmerksam gemacht-
Er weist auf eine Stelle in Marmontels schon angeführter?"c'ticirnz ira"<,:a.i86 hin
it763), wo es heißt: "Damit der Zuschauer im Zwischenakt Ort und Zeit ver¬
gesse, die er dort zugebracht hat, wäre es zu wünschen, daß der Ort selbst der
Handlung am Ende eines jeden Aktes verschwände. Es würde daraus ein
andrer Vorteil entstehen: die Leichtigkeit, den Ort der Handlung zu verändern
und die nächste Szene (spsowols) vorzubereiten, ohne daß man das Spiel der
Maschinen und die Bewegungen der Dekorationen zu sehen brauchte. Man
thut das jedesmal dann, wenn der Apparat des Theaters es erfordert (l'apxirroil
ein tIMtre l'sxixv); aber dadurch wird der Zuschauer von der Veränderung
benachrichtigt, und das Bild, das man für ihn vorbereitet, übt nicht mehr
dieselbe Überraschung aus. Dagegen würde, wenn es gebräuchlich wäre, am
Ende jedes Aktes den Vorhang fallen zu lassen, die nächste Szene (sy<zod,g.vis)
nicht angezeigt werden," Es geht hieraus hervor, daß im Jahre 1763 in
Frankreich der Vorhang in besondern Fällen am Schluß des Aktes gefallen ist.

Wie es in dieser Beziehung mit der so ganz vou französischem Einflusse
beherrschten deutschen Bühne des vorigen Jahrhunderts stand, das nachzuweisen
schien von großer Wichtigkeit. Leider konnte die Frage: wann ist in Deutschland
zum erstenmale im Zwischenakt der Vorhang gefallen? aus der Geschichte der
wichtigsten Theater, auch durch Anfrage bei deu Kennern der Geschichte der
Rühneneinrichtuugen nicht beantwortet werdeu. Ein Zufall brachte die That¬
sache ans Licht, daß die deutsche Bühne hierin von der französischen abwich,
und daß mau bei uns schon vor dem Jahre 1766 am Schlüsse des Aktes den
Vorhang falle" ließ, In der Leipziger Stadtbibliothek befindet sich eine Über¬
setzung des schon mehrfach angeführte" Buches vou Marmontel aus dem Jahre
1766; auf dein Titelblatte steht der Name des Übersetzers mit Bleistift ge¬
schrieben: es war Schirach, Professor der Moral in Helmstedt, Dn findet
sich nun gerade zu der oben angeführten Stelle, "es sei zu wünsche", daß man
den Vorhang beim Schlüsse eines jeden Aktes fallen lasse," die Anmerkung
des Übersetzers: "ein Vorteil, den man in Deutschland schon lauge mit Ver¬
gnügen genießt." Außerdem hat der Übersetzer in den Text an deu Schluß
der oben zitirte" Stelle die Worte hinzugesetzt: "Hingegen bei uns ist es
gewöhnlich, den Vorhang bei dem Schlüsse eines jeden Auszugs niederfallen
M lassen, und das Schauspiel wird niemals vorher angekündigt." Wie viel
Jahre das "schon lauge" des Übersetzers umfaßt, wird sich wohl nicht genau
bestimmen lasse". Die Thatsache, daß in Gottscheds "Sterbenden Cato" am
Schluß des vierte" Aktes das Fallen des Vorhanges "vtwendig erscheint,
beweist zwar nicht, daß im Jahre 1730 der Vorhang im Zwischenakt immer
gefalle" sei, "nacht es aber wahrscheinlich.


Vorhang und Drama

Daß schon in der Mitte des Jahrhunderts Stimmen laut wurden, die
das Fallenlassen des Vorhangs am Schlüsse jedes Aktes verlangten — frei¬
lich aus andern Gründen —, darauf hat mich Creizenach aufmerksam gemacht-
Er weist auf eine Stelle in Marmontels schon angeführter?»c'ticirnz ira»<,:a.i86 hin
it763), wo es heißt: „Damit der Zuschauer im Zwischenakt Ort und Zeit ver¬
gesse, die er dort zugebracht hat, wäre es zu wünschen, daß der Ort selbst der
Handlung am Ende eines jeden Aktes verschwände. Es würde daraus ein
andrer Vorteil entstehen: die Leichtigkeit, den Ort der Handlung zu verändern
und die nächste Szene (spsowols) vorzubereiten, ohne daß man das Spiel der
Maschinen und die Bewegungen der Dekorationen zu sehen brauchte. Man
thut das jedesmal dann, wenn der Apparat des Theaters es erfordert (l'apxirroil
ein tIMtre l'sxixv); aber dadurch wird der Zuschauer von der Veränderung
benachrichtigt, und das Bild, das man für ihn vorbereitet, übt nicht mehr
dieselbe Überraschung aus. Dagegen würde, wenn es gebräuchlich wäre, am
Ende jedes Aktes den Vorhang fallen zu lassen, die nächste Szene (sy<zod,g.vis)
nicht angezeigt werden," Es geht hieraus hervor, daß im Jahre 1763 in
Frankreich der Vorhang in besondern Fällen am Schluß des Aktes gefallen ist.

Wie es in dieser Beziehung mit der so ganz vou französischem Einflusse
beherrschten deutschen Bühne des vorigen Jahrhunderts stand, das nachzuweisen
schien von großer Wichtigkeit. Leider konnte die Frage: wann ist in Deutschland
zum erstenmale im Zwischenakt der Vorhang gefallen? aus der Geschichte der
wichtigsten Theater, auch durch Anfrage bei deu Kennern der Geschichte der
Rühneneinrichtuugen nicht beantwortet werdeu. Ein Zufall brachte die That¬
sache ans Licht, daß die deutsche Bühne hierin von der französischen abwich,
und daß mau bei uns schon vor dem Jahre 1766 am Schlüsse des Aktes den
Vorhang falle» ließ, In der Leipziger Stadtbibliothek befindet sich eine Über¬
setzung des schon mehrfach angeführte» Buches vou Marmontel aus dem Jahre
1766; auf dein Titelblatte steht der Name des Übersetzers mit Bleistift ge¬
schrieben: es war Schirach, Professor der Moral in Helmstedt, Dn findet
sich nun gerade zu der oben angeführten Stelle, „es sei zu wünsche», daß man
den Vorhang beim Schlüsse eines jeden Aktes fallen lasse," die Anmerkung
des Übersetzers: „ein Vorteil, den man in Deutschland schon lauge mit Ver¬
gnügen genießt." Außerdem hat der Übersetzer in den Text an deu Schluß
der oben zitirte» Stelle die Worte hinzugesetzt: „Hingegen bei uns ist es
gewöhnlich, den Vorhang bei dem Schlüsse eines jeden Auszugs niederfallen
M lassen, und das Schauspiel wird niemals vorher angekündigt." Wie viel
Jahre das „schon lauge" des Übersetzers umfaßt, wird sich wohl nicht genau
bestimmen lasse». Die Thatsache, daß in Gottscheds „Sterbenden Cato" am
Schluß des vierte» Aktes das Fallen des Vorhanges »vtwendig erscheint,
beweist zwar nicht, daß im Jahre 1730 der Vorhang im Zwischenakt immer
gefalle» sei, »nacht es aber wahrscheinlich.


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[0475] Vorhang und Drama Daß schon in der Mitte des Jahrhunderts Stimmen laut wurden, die das Fallenlassen des Vorhangs am Schlüsse jedes Aktes verlangten — frei¬ lich aus andern Gründen —, darauf hat mich Creizenach aufmerksam gemacht- Er weist auf eine Stelle in Marmontels schon angeführter?»c'ticirnz ira»<,:a.i86 hin it763), wo es heißt: „Damit der Zuschauer im Zwischenakt Ort und Zeit ver¬ gesse, die er dort zugebracht hat, wäre es zu wünschen, daß der Ort selbst der Handlung am Ende eines jeden Aktes verschwände. Es würde daraus ein andrer Vorteil entstehen: die Leichtigkeit, den Ort der Handlung zu verändern und die nächste Szene (spsowols) vorzubereiten, ohne daß man das Spiel der Maschinen und die Bewegungen der Dekorationen zu sehen brauchte. Man thut das jedesmal dann, wenn der Apparat des Theaters es erfordert (l'apxirroil ein tIMtre l'sxixv); aber dadurch wird der Zuschauer von der Veränderung benachrichtigt, und das Bild, das man für ihn vorbereitet, übt nicht mehr dieselbe Überraschung aus. Dagegen würde, wenn es gebräuchlich wäre, am Ende jedes Aktes den Vorhang fallen zu lassen, die nächste Szene (sy<zod,g.vis) nicht angezeigt werden," Es geht hieraus hervor, daß im Jahre 1763 in Frankreich der Vorhang in besondern Fällen am Schluß des Aktes gefallen ist. Wie es in dieser Beziehung mit der so ganz vou französischem Einflusse beherrschten deutschen Bühne des vorigen Jahrhunderts stand, das nachzuweisen schien von großer Wichtigkeit. Leider konnte die Frage: wann ist in Deutschland zum erstenmale im Zwischenakt der Vorhang gefallen? aus der Geschichte der wichtigsten Theater, auch durch Anfrage bei deu Kennern der Geschichte der Rühneneinrichtuugen nicht beantwortet werdeu. Ein Zufall brachte die That¬ sache ans Licht, daß die deutsche Bühne hierin von der französischen abwich, und daß mau bei uns schon vor dem Jahre 1766 am Schlüsse des Aktes den Vorhang falle» ließ, In der Leipziger Stadtbibliothek befindet sich eine Über¬ setzung des schon mehrfach angeführte» Buches vou Marmontel aus dem Jahre 1766; auf dein Titelblatte steht der Name des Übersetzers mit Bleistift ge¬ schrieben: es war Schirach, Professor der Moral in Helmstedt, Dn findet sich nun gerade zu der oben angeführten Stelle, „es sei zu wünsche», daß man den Vorhang beim Schlüsse eines jeden Aktes fallen lasse," die Anmerkung des Übersetzers: „ein Vorteil, den man in Deutschland schon lauge mit Ver¬ gnügen genießt." Außerdem hat der Übersetzer in den Text an deu Schluß der oben zitirte» Stelle die Worte hinzugesetzt: „Hingegen bei uns ist es gewöhnlich, den Vorhang bei dem Schlüsse eines jeden Auszugs niederfallen M lassen, und das Schauspiel wird niemals vorher angekündigt." Wie viel Jahre das „schon lauge" des Übersetzers umfaßt, wird sich wohl nicht genau bestimmen lasse». Die Thatsache, daß in Gottscheds „Sterbenden Cato" am Schluß des vierte» Aktes das Fallen des Vorhanges »vtwendig erscheint, beweist zwar nicht, daß im Jahre 1730 der Vorhang im Zwischenakt immer gefalle» sei, »nacht es aber wahrscheinlich.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/475>, abgerufen am 25.08.2024.