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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Vorhang und Drama

des Schauspielers unterstützte als die Phantasie. Geist und Urteil des Spielers
glichen alle Mängel aus und machten, wie manche behaupten wollten, Schau¬
spiele ohne die äußern Zuthaten verständlicher, als sie es später mit ihnen
waren." Freilich könne" wir streng genommen nicht von Shakespeares Akt¬
einteilung sprechen, denn die zu seinen Lebzeiten gedruckte" Einzelausgaben
der Dramen kennen weder Szenen noch Akteinteilung. Erst die Folioaus¬
gabe von hat bei den meisten Stücke" eine Bezeichnung der Auszüge;
aber sie fehlt noch in Heinrich VI. (2. und Teil), in Troilus und Cressida,
in Antonius und Kleopatra, im Hamlet vom zweite" Akte an. Aber eine Art von
Zwischenakt und Pause hat er gewiß gekannt. Schon Lessing hat die bei
Shakespeare "ut andern englischen Dichtern vorkommenden zwei oder vier ge¬
reimten Zeilen mitten im ungereimten Text als ein vom Dichter gegebnes äußeres
Merkmal des Aktschlusses angesehen, "wahrscheinlich ein Zeichen für das Orchester,
nach den Instrumenten zu greifen, welches Zeichen auf diese Art weit schicklicher
aus dem Stücke selbst abgenommen wurde, als daß es die Pfeife oder der
Schlüssel giebt." Dieser Gebrauch findet sich jedoch bei Shakespeare nicht
durchweg, sodaß er ein sicheres Merkmal abgeben könnte; er fehlt z. V. im
Hamlet labgesehen vom 2. Alt), in den drei ersten Akten des König Lear, im
dritten Akt des Macbeth und des Othello. Nach der Einteilung unsrer
Drucke schließt der Akt immer bei leerer Bühne. Das Bemühen, dies zu er¬
reichen, tritt häufig in ganz äußerlichen und befremdlichen Motivirungen zu
Tage. Nicht selten schließt ein Akt, wo eine innere Notwendigkeit gar nicht
vorliegt und die Handlung fortschreitet. Das Äußerliche des Aktschlusses er¬
giebt sich auch daraus, daß in einer ganzen Anzahl von Fällen die Frage,
wo er einzutreten habe, noch immer nicht sicher beantwortet worden ist.

Die englischen Komödianten in Deutschland, die uns die erste Bekanntschaft
mit Shakespeare vermittelte", wiche" durchaus nicht von ihre" heimatlichen
Bühneneinrichtungen und Gewohnheiten ab. Auch bei ihnen blieb im Zwischenakt
die Szene offen, auch hier wurde die Pause mit Musik ausgefüllt, hin und
wieder vor dein Beginn des Aktes dessen Inhalt durch ein lebendes Bild
vorgeführt. Auch kommt bei ihnen im Zwischenspiel die lustige Person
vor, wie 15W in Münster, wo sie deutsch spricht im Zwischenakt eines in
englischer Sprache aufgeführten Dramas. "Berg!. Creizenachs "Englische Ko¬
mödianten.") Bewegliche Dekorationen sind in England erst um nnter
französischem Einfluß eingeführt worden.

Das ältere deutsche Drama kommt für unsre Frage wenig in Betracht,
da unser modernes Drama sich unabhängig von ihm unter französischem oder
englischem Einfluß gebildet hat. Bei Hnrsdörffer in den Frauenzimmergespräch¬
spielen <an mehreren Stellen des vierten, fünften und sechsten Teiles) wird,
worauf mau mich freundlich aufmerksam gemachthat" ein Vorhang erwähnt;
es wird sogar wiederholt von Musik gesprochen, die im Zwischenakt hinter


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des Schauspielers unterstützte als die Phantasie. Geist und Urteil des Spielers
glichen alle Mängel aus und machten, wie manche behaupten wollten, Schau¬
spiele ohne die äußern Zuthaten verständlicher, als sie es später mit ihnen
waren." Freilich könne» wir streng genommen nicht von Shakespeares Akt¬
einteilung sprechen, denn die zu seinen Lebzeiten gedruckte» Einzelausgaben
der Dramen kennen weder Szenen noch Akteinteilung. Erst die Folioaus¬
gabe von hat bei den meisten Stücke» eine Bezeichnung der Auszüge;
aber sie fehlt noch in Heinrich VI. (2. und Teil), in Troilus und Cressida,
in Antonius und Kleopatra, im Hamlet vom zweite» Akte an. Aber eine Art von
Zwischenakt und Pause hat er gewiß gekannt. Schon Lessing hat die bei
Shakespeare »ut andern englischen Dichtern vorkommenden zwei oder vier ge¬
reimten Zeilen mitten im ungereimten Text als ein vom Dichter gegebnes äußeres
Merkmal des Aktschlusses angesehen, „wahrscheinlich ein Zeichen für das Orchester,
nach den Instrumenten zu greifen, welches Zeichen auf diese Art weit schicklicher
aus dem Stücke selbst abgenommen wurde, als daß es die Pfeife oder der
Schlüssel giebt." Dieser Gebrauch findet sich jedoch bei Shakespeare nicht
durchweg, sodaß er ein sicheres Merkmal abgeben könnte; er fehlt z. V. im
Hamlet labgesehen vom 2. Alt), in den drei ersten Akten des König Lear, im
dritten Akt des Macbeth und des Othello. Nach der Einteilung unsrer
Drucke schließt der Akt immer bei leerer Bühne. Das Bemühen, dies zu er¬
reichen, tritt häufig in ganz äußerlichen und befremdlichen Motivirungen zu
Tage. Nicht selten schließt ein Akt, wo eine innere Notwendigkeit gar nicht
vorliegt und die Handlung fortschreitet. Das Äußerliche des Aktschlusses er¬
giebt sich auch daraus, daß in einer ganzen Anzahl von Fällen die Frage,
wo er einzutreten habe, noch immer nicht sicher beantwortet worden ist.

Die englischen Komödianten in Deutschland, die uns die erste Bekanntschaft
mit Shakespeare vermittelte», wiche» durchaus nicht von ihre» heimatlichen
Bühneneinrichtungen und Gewohnheiten ab. Auch bei ihnen blieb im Zwischenakt
die Szene offen, auch hier wurde die Pause mit Musik ausgefüllt, hin und
wieder vor dein Beginn des Aktes dessen Inhalt durch ein lebendes Bild
vorgeführt. Auch kommt bei ihnen im Zwischenspiel die lustige Person
vor, wie 15W in Münster, wo sie deutsch spricht im Zwischenakt eines in
englischer Sprache aufgeführten Dramas. «Berg!. Creizenachs „Englische Ko¬
mödianten.") Bewegliche Dekorationen sind in England erst um nnter
französischem Einfluß eingeführt worden.

Das ältere deutsche Drama kommt für unsre Frage wenig in Betracht,
da unser modernes Drama sich unabhängig von ihm unter französischem oder
englischem Einfluß gebildet hat. Bei Hnrsdörffer in den Frauenzimmergespräch¬
spielen <an mehreren Stellen des vierten, fünften und sechsten Teiles) wird,
worauf mau mich freundlich aufmerksam gemachthat" ein Vorhang erwähnt;
es wird sogar wiederholt von Musik gesprochen, die im Zwischenakt hinter


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[0470] Vorhang und Drama des Schauspielers unterstützte als die Phantasie. Geist und Urteil des Spielers glichen alle Mängel aus und machten, wie manche behaupten wollten, Schau¬ spiele ohne die äußern Zuthaten verständlicher, als sie es später mit ihnen waren." Freilich könne» wir streng genommen nicht von Shakespeares Akt¬ einteilung sprechen, denn die zu seinen Lebzeiten gedruckte» Einzelausgaben der Dramen kennen weder Szenen noch Akteinteilung. Erst die Folioaus¬ gabe von hat bei den meisten Stücke» eine Bezeichnung der Auszüge; aber sie fehlt noch in Heinrich VI. (2. und Teil), in Troilus und Cressida, in Antonius und Kleopatra, im Hamlet vom zweite» Akte an. Aber eine Art von Zwischenakt und Pause hat er gewiß gekannt. Schon Lessing hat die bei Shakespeare »ut andern englischen Dichtern vorkommenden zwei oder vier ge¬ reimten Zeilen mitten im ungereimten Text als ein vom Dichter gegebnes äußeres Merkmal des Aktschlusses angesehen, „wahrscheinlich ein Zeichen für das Orchester, nach den Instrumenten zu greifen, welches Zeichen auf diese Art weit schicklicher aus dem Stücke selbst abgenommen wurde, als daß es die Pfeife oder der Schlüssel giebt." Dieser Gebrauch findet sich jedoch bei Shakespeare nicht durchweg, sodaß er ein sicheres Merkmal abgeben könnte; er fehlt z. V. im Hamlet labgesehen vom 2. Alt), in den drei ersten Akten des König Lear, im dritten Akt des Macbeth und des Othello. Nach der Einteilung unsrer Drucke schließt der Akt immer bei leerer Bühne. Das Bemühen, dies zu er¬ reichen, tritt häufig in ganz äußerlichen und befremdlichen Motivirungen zu Tage. Nicht selten schließt ein Akt, wo eine innere Notwendigkeit gar nicht vorliegt und die Handlung fortschreitet. Das Äußerliche des Aktschlusses er¬ giebt sich auch daraus, daß in einer ganzen Anzahl von Fällen die Frage, wo er einzutreten habe, noch immer nicht sicher beantwortet worden ist. Die englischen Komödianten in Deutschland, die uns die erste Bekanntschaft mit Shakespeare vermittelte», wiche» durchaus nicht von ihre» heimatlichen Bühneneinrichtungen und Gewohnheiten ab. Auch bei ihnen blieb im Zwischenakt die Szene offen, auch hier wurde die Pause mit Musik ausgefüllt, hin und wieder vor dein Beginn des Aktes dessen Inhalt durch ein lebendes Bild vorgeführt. Auch kommt bei ihnen im Zwischenspiel die lustige Person vor, wie 15W in Münster, wo sie deutsch spricht im Zwischenakt eines in englischer Sprache aufgeführten Dramas. «Berg!. Creizenachs „Englische Ko¬ mödianten.") Bewegliche Dekorationen sind in England erst um nnter französischem Einfluß eingeführt worden. Das ältere deutsche Drama kommt für unsre Frage wenig in Betracht, da unser modernes Drama sich unabhängig von ihm unter französischem oder englischem Einfluß gebildet hat. Bei Hnrsdörffer in den Frauenzimmergespräch¬ spielen <an mehreren Stellen des vierten, fünften und sechsten Teiles) wird, worauf mau mich freundlich aufmerksam gemachthat" ein Vorhang erwähnt; es wird sogar wiederholt von Musik gesprochen, die im Zwischenakt hinter

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Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/470>, abgerufen am 23.07.2024.