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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Der Zunftzwang

"ach der sie an Nichtmitglieder kein Geld verleihen solle". Daraus erkannte
man deutlich, das; sie nicht wirtschaftliche Hilfsvereine, sondern Erwerbs¬
genossenschaften, Geldinstitute sind, wie sich denn auch wirklich einige von ihnen
nach Einführung des neuen Gesetzes in Aktiengesellschaften verwandelt haben.
Von gewöhnlichen Aktiengesellschaften unterscheiden sie sich nur dadurch, daß
sie auch de" wohlhabenden! Handwerker", die sich früher auf Geldgeschäfte
nicht verstanden, Anleitung dazu gäbe" und Gelegenheit verschafften. Solche
Handwerker nun, die ohnehin in guter Lage waren, habe" den Vorteil davon
gehabt, während die ärmern, denen angeblich geholfen werden sollte, durch die
teuern Darlehne nur tiefer hineingeraten sind, wenn sie nicht den Kopf ans
der Schlinge zogen und ihre gutmütigen Burgen für sich binde" ließen.

Das Wesen der alten Innungen ist nicht i" jenen Sperr-, Zwangs- und
Monvpolmaßregeln zu suchen, die erst zur Zeit des Verfalls in Nbung kamen,
sondern in positiven Leistungen, Die Mitglieder waren einander in allen Lagen
des Lebens (Krankheit, Unglücksfälle, Wanderschaft) sowie in allen Angelegen¬
heiten des Gewerbes behilflich und standen wie ein Mann zusammen, wo eS
die Erreichung eines gemeinsamen Vorteils oder die Abwehr von Gegnern galt.
Die Zünfte solcher Gewerbe, die ein bedeutendes Betriebskapital erforderten,
nahmen geradezu die Gestalt von Produktivgenossenschaften an. Die Tuch¬
macher z. B. besorgten den Wolleinkauf im Auslande gemeinschaftlich lind legten
gemeinsame Walken, Schergaden, Lagerhäuser und Verkaufshallen an, Sie
waren Produktivgenossenschaften "icht im schlechte" kvnunnnistischen Sinne,
sondern in jenem vernünftigen Sinne, wie jeder Staat eine ist, indem die
Gemeinschaft nur das übernimmt, wofür der Einzelne zu schwach ist, in allem
übrigen aber ihren Mitgliedern freie Hand läßt.

Diesen Grundgedanken müssen die verschieden Gewerbe ergreifen, "ud
jedes einzelne muß ihn individuell ausgestalten, seiner eignen Natur und den
modernen Verhältnissen gemäß. Die Weber, die Schneider, die Kunsttischler
und die Bauhandwerker brauchen viererlei ganz verschiedne Einrichtungen; nichts
dümmer und nichts verderblicher, als alle über einen Kamm schere" wollen!
Ant Hilfe jener kleinen Maschinen, die von einem gemeinsamen Mittelpunkte
ans mit Triebkraft gespeist werden, vermochten vielleicht sogar die von der
Großindustrie bereits verschlungenen Weber sich ihre Selbständigkeit zurück¬
zuerobern, während die Maschinenbauerei und ähnliche Gewerbe selbstverständlich
nnr im großen betrieben werden können. Vier Tischlermeister, die gemein¬
schaftlich ein paar Maschinen anschaffe", den Holzeinkanf gemeinsam betreiben,
einen gemeinschaftlichen Laden mieten, einander rin der Kasse gegenseitig aus¬
helfen, einander die ans Büchern, aus Zeitschriften, auf Reisen und Nns-
stellnngen erspähten Handwcrksvorteile mitteilen, leisten mehr für die Wieder¬
geburt ihres Gewerbes, sofern es einer solchen bedarf -- denn unsre Tischlerei
kann sich auch jetzt schon sehen lassen -- als alle Neben der Handwerkertage


Der Zunftzwang

»ach der sie an Nichtmitglieder kein Geld verleihen solle». Daraus erkannte
man deutlich, das; sie nicht wirtschaftliche Hilfsvereine, sondern Erwerbs¬
genossenschaften, Geldinstitute sind, wie sich denn auch wirklich einige von ihnen
nach Einführung des neuen Gesetzes in Aktiengesellschaften verwandelt haben.
Von gewöhnlichen Aktiengesellschaften unterscheiden sie sich nur dadurch, daß
sie auch de» wohlhabenden! Handwerker», die sich früher auf Geldgeschäfte
nicht verstanden, Anleitung dazu gäbe» und Gelegenheit verschafften. Solche
Handwerker nun, die ohnehin in guter Lage waren, habe» den Vorteil davon
gehabt, während die ärmern, denen angeblich geholfen werden sollte, durch die
teuern Darlehne nur tiefer hineingeraten sind, wenn sie nicht den Kopf ans
der Schlinge zogen und ihre gutmütigen Burgen für sich binde» ließen.

Das Wesen der alten Innungen ist nicht i» jenen Sperr-, Zwangs- und
Monvpolmaßregeln zu suchen, die erst zur Zeit des Verfalls in Nbung kamen,
sondern in positiven Leistungen, Die Mitglieder waren einander in allen Lagen
des Lebens (Krankheit, Unglücksfälle, Wanderschaft) sowie in allen Angelegen¬
heiten des Gewerbes behilflich und standen wie ein Mann zusammen, wo eS
die Erreichung eines gemeinsamen Vorteils oder die Abwehr von Gegnern galt.
Die Zünfte solcher Gewerbe, die ein bedeutendes Betriebskapital erforderten,
nahmen geradezu die Gestalt von Produktivgenossenschaften an. Die Tuch¬
macher z. B. besorgten den Wolleinkauf im Auslande gemeinschaftlich lind legten
gemeinsame Walken, Schergaden, Lagerhäuser und Verkaufshallen an, Sie
waren Produktivgenossenschaften »icht im schlechte» kvnunnnistischen Sinne,
sondern in jenem vernünftigen Sinne, wie jeder Staat eine ist, indem die
Gemeinschaft nur das übernimmt, wofür der Einzelne zu schwach ist, in allem
übrigen aber ihren Mitgliedern freie Hand läßt.

Diesen Grundgedanken müssen die verschieden Gewerbe ergreifen, »ud
jedes einzelne muß ihn individuell ausgestalten, seiner eignen Natur und den
modernen Verhältnissen gemäß. Die Weber, die Schneider, die Kunsttischler
und die Bauhandwerker brauchen viererlei ganz verschiedne Einrichtungen; nichts
dümmer und nichts verderblicher, als alle über einen Kamm schere» wollen!
Ant Hilfe jener kleinen Maschinen, die von einem gemeinsamen Mittelpunkte
ans mit Triebkraft gespeist werden, vermochten vielleicht sogar die von der
Großindustrie bereits verschlungenen Weber sich ihre Selbständigkeit zurück¬
zuerobern, während die Maschinenbauerei und ähnliche Gewerbe selbstverständlich
nnr im großen betrieben werden können. Vier Tischlermeister, die gemein¬
schaftlich ein paar Maschinen anschaffe», den Holzeinkanf gemeinsam betreiben,
einen gemeinschaftlichen Laden mieten, einander rin der Kasse gegenseitig aus¬
helfen, einander die ans Büchern, aus Zeitschriften, auf Reisen und Nns-
stellnngen erspähten Handwcrksvorteile mitteilen, leisten mehr für die Wieder¬
geburt ihres Gewerbes, sofern es einer solchen bedarf — denn unsre Tischlerei
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[0458] Der Zunftzwang »ach der sie an Nichtmitglieder kein Geld verleihen solle». Daraus erkannte man deutlich, das; sie nicht wirtschaftliche Hilfsvereine, sondern Erwerbs¬ genossenschaften, Geldinstitute sind, wie sich denn auch wirklich einige von ihnen nach Einführung des neuen Gesetzes in Aktiengesellschaften verwandelt haben. Von gewöhnlichen Aktiengesellschaften unterscheiden sie sich nur dadurch, daß sie auch de» wohlhabenden! Handwerker», die sich früher auf Geldgeschäfte nicht verstanden, Anleitung dazu gäbe» und Gelegenheit verschafften. Solche Handwerker nun, die ohnehin in guter Lage waren, habe» den Vorteil davon gehabt, während die ärmern, denen angeblich geholfen werden sollte, durch die teuern Darlehne nur tiefer hineingeraten sind, wenn sie nicht den Kopf ans der Schlinge zogen und ihre gutmütigen Burgen für sich binde» ließen. Das Wesen der alten Innungen ist nicht i» jenen Sperr-, Zwangs- und Monvpolmaßregeln zu suchen, die erst zur Zeit des Verfalls in Nbung kamen, sondern in positiven Leistungen, Die Mitglieder waren einander in allen Lagen des Lebens (Krankheit, Unglücksfälle, Wanderschaft) sowie in allen Angelegen¬ heiten des Gewerbes behilflich und standen wie ein Mann zusammen, wo eS die Erreichung eines gemeinsamen Vorteils oder die Abwehr von Gegnern galt. Die Zünfte solcher Gewerbe, die ein bedeutendes Betriebskapital erforderten, nahmen geradezu die Gestalt von Produktivgenossenschaften an. Die Tuch¬ macher z. B. besorgten den Wolleinkauf im Auslande gemeinschaftlich lind legten gemeinsame Walken, Schergaden, Lagerhäuser und Verkaufshallen an, Sie waren Produktivgenossenschaften »icht im schlechte» kvnunnnistischen Sinne, sondern in jenem vernünftigen Sinne, wie jeder Staat eine ist, indem die Gemeinschaft nur das übernimmt, wofür der Einzelne zu schwach ist, in allem übrigen aber ihren Mitgliedern freie Hand läßt. Diesen Grundgedanken müssen die verschieden Gewerbe ergreifen, »ud jedes einzelne muß ihn individuell ausgestalten, seiner eignen Natur und den modernen Verhältnissen gemäß. Die Weber, die Schneider, die Kunsttischler und die Bauhandwerker brauchen viererlei ganz verschiedne Einrichtungen; nichts dümmer und nichts verderblicher, als alle über einen Kamm schere» wollen! Ant Hilfe jener kleinen Maschinen, die von einem gemeinsamen Mittelpunkte ans mit Triebkraft gespeist werden, vermochten vielleicht sogar die von der Großindustrie bereits verschlungenen Weber sich ihre Selbständigkeit zurück¬ zuerobern, während die Maschinenbauerei und ähnliche Gewerbe selbstverständlich nnr im großen betrieben werden können. Vier Tischlermeister, die gemein¬ schaftlich ein paar Maschinen anschaffe», den Holzeinkanf gemeinsam betreiben, einen gemeinschaftlichen Laden mieten, einander rin der Kasse gegenseitig aus¬ helfen, einander die ans Büchern, aus Zeitschriften, auf Reisen und Nns- stellnngen erspähten Handwcrksvorteile mitteilen, leisten mehr für die Wieder¬ geburt ihres Gewerbes, sofern es einer solchen bedarf — denn unsre Tischlerei kann sich auch jetzt schon sehen lassen — als alle Neben der Handwerkertage

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/458>, abgerufen am 23.07.2024.