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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Die Socialdemokratie auf dem Tande und die evangelische Kirche

thatkräftigen, so sind sie bald wieder in Ordnung. Wird der Sozialismus in
den Städten in strammer Zucht gehalten, verlaufen die ersten sozialistischen
Putsche, die wir sicher bekommen werden, ergebnislos, so lassen sie es. Mittel,
sie wieder zu bessern und endlich zu guten Staatsbürgern zu machen, ließen
sich viele angeben. Ich nenne einige.

1. Mai? hat den Arbeiter zur Versicherung gezwungen. Das ist gut.
Man gehe auf diesem Wege weiter. Stadt- und Landgemeinden seufzen unter
einer riesig anwachsenden Armeulast. Alle Fonds, die eine fromme Vorzeit
zum Besten der Armen vermacht hat, reichen nicht mehr aus. Man räume
den Stadt- und Gemeinderäteu das Recht ein, einen Mann, der ein motorischer
Verschwender ist und später mit den Seinigen der Gemeinde zur Last falle"
wird, schon in jungen Jahren zu einer weitern Versicherung zu zwingen, in¬
dem ihm ein Teil des Lohnes abgezogen und kapitalisirt wird, damit die
Gemeinde nachher von diesem Kapitale die Unterstützung seiner Angehörigen
bestreiten kann. Ein solches Gesetz würde zur sittlichen Erziehung des armen
Volkes wesentlich beitrage:,.

2. Man mache endlich einmal die Wünsche des Vereins gegen Trunksucht
zum Gesetz und beschränke die Zahl der Kneipe". Man scheue sich nicht, das
Gesetz auf die sogenannten höhern Stände anzuwenden. Diese mögen dem
Volk ein gutes Beispiel geben.

3. Mau stärke die Verantwortlichkeit und Besngiüs der Ortspolizei und
weise derartige Übertretungen nicht mehr an die Gerichte.

4. Man beseitige die Bnrgermeisterwahl auf dem Lande, die unsre Dörfer
so fürchterlich entsittlicht hat. Man kann die Wahl dem Kreisansschuß über¬
tragen, der ja anch aus der Wahl des Volkes hervorgegangen ist, da bleibt
die wüste Wühlerei aus den Gemeinden weg.

5. Man stärke die Befugnis der Lehrer und Schulvorstände gegen Kinder
und Eltern. Man erschrecke nicht und sehe es nicht als "mittelalterliche Bar¬
barei" an, wenn ein künftiger deutscher Reichsbürger, der auch ein künftiger
Sozialdemokrat sein kaun, die Zuchtrute zu schmecken bekommt. Es ist eine
Grausamkeit gegen den Lehrer, die Anforderungen zu steigern und ihm doch
die Zuchtmittel zu nehmen. Man gebe dem Lehrer anch weitgehende Straf¬
befugnis gegen die Besucher der Fortbildungsschule.

et. Man stärke die Stellung des evangelischen Pfarrers. Die evangelische
Kirche allein ist es, nicht der Einfluß der Gutsherren und Landräte, die bisher
ein weiteres Umsichgreifen der Sozinldemotratie auf dem Lande verhindert hatte.
Man kann es überall verfolgen, wo die evangelische Kirche ihren Einfluß ver¬
liert und zu eiuer Schatteneinrichtung herabsinkt, da kommt mit der Zeit,
nachdem allerlei Zwischenstufen durchgemacht worden sind, bei den Armen die
Sozialdemokratie. Die weiß die Leute wieder zusammenzufassen, die bringt ein
neues Evangelium und einen neuen Heiland.


Die Socialdemokratie auf dem Tande und die evangelische Kirche

thatkräftigen, so sind sie bald wieder in Ordnung. Wird der Sozialismus in
den Städten in strammer Zucht gehalten, verlaufen die ersten sozialistischen
Putsche, die wir sicher bekommen werden, ergebnislos, so lassen sie es. Mittel,
sie wieder zu bessern und endlich zu guten Staatsbürgern zu machen, ließen
sich viele angeben. Ich nenne einige.

1. Mai? hat den Arbeiter zur Versicherung gezwungen. Das ist gut.
Man gehe auf diesem Wege weiter. Stadt- und Landgemeinden seufzen unter
einer riesig anwachsenden Armeulast. Alle Fonds, die eine fromme Vorzeit
zum Besten der Armen vermacht hat, reichen nicht mehr aus. Man räume
den Stadt- und Gemeinderäteu das Recht ein, einen Mann, der ein motorischer
Verschwender ist und später mit den Seinigen der Gemeinde zur Last falle«
wird, schon in jungen Jahren zu einer weitern Versicherung zu zwingen, in¬
dem ihm ein Teil des Lohnes abgezogen und kapitalisirt wird, damit die
Gemeinde nachher von diesem Kapitale die Unterstützung seiner Angehörigen
bestreiten kann. Ein solches Gesetz würde zur sittlichen Erziehung des armen
Volkes wesentlich beitrage:,.

2. Man mache endlich einmal die Wünsche des Vereins gegen Trunksucht
zum Gesetz und beschränke die Zahl der Kneipe». Man scheue sich nicht, das
Gesetz auf die sogenannten höhern Stände anzuwenden. Diese mögen dem
Volk ein gutes Beispiel geben.

3. Mau stärke die Verantwortlichkeit und Besngiüs der Ortspolizei und
weise derartige Übertretungen nicht mehr an die Gerichte.

4. Man beseitige die Bnrgermeisterwahl auf dem Lande, die unsre Dörfer
so fürchterlich entsittlicht hat. Man kann die Wahl dem Kreisansschuß über¬
tragen, der ja anch aus der Wahl des Volkes hervorgegangen ist, da bleibt
die wüste Wühlerei aus den Gemeinden weg.

5. Man stärke die Befugnis der Lehrer und Schulvorstände gegen Kinder
und Eltern. Man erschrecke nicht und sehe es nicht als „mittelalterliche Bar¬
barei" an, wenn ein künftiger deutscher Reichsbürger, der auch ein künftiger
Sozialdemokrat sein kaun, die Zuchtrute zu schmecken bekommt. Es ist eine
Grausamkeit gegen den Lehrer, die Anforderungen zu steigern und ihm doch
die Zuchtmittel zu nehmen. Man gebe dem Lehrer anch weitgehende Straf¬
befugnis gegen die Besucher der Fortbildungsschule.

et. Man stärke die Stellung des evangelischen Pfarrers. Die evangelische
Kirche allein ist es, nicht der Einfluß der Gutsherren und Landräte, die bisher
ein weiteres Umsichgreifen der Sozinldemotratie auf dem Lande verhindert hatte.
Man kann es überall verfolgen, wo die evangelische Kirche ihren Einfluß ver¬
liert und zu eiuer Schatteneinrichtung herabsinkt, da kommt mit der Zeit,
nachdem allerlei Zwischenstufen durchgemacht worden sind, bei den Armen die
Sozialdemokratie. Die weiß die Leute wieder zusammenzufassen, die bringt ein
neues Evangelium und einen neuen Heiland.


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[0452] Die Socialdemokratie auf dem Tande und die evangelische Kirche thatkräftigen, so sind sie bald wieder in Ordnung. Wird der Sozialismus in den Städten in strammer Zucht gehalten, verlaufen die ersten sozialistischen Putsche, die wir sicher bekommen werden, ergebnislos, so lassen sie es. Mittel, sie wieder zu bessern und endlich zu guten Staatsbürgern zu machen, ließen sich viele angeben. Ich nenne einige. 1. Mai? hat den Arbeiter zur Versicherung gezwungen. Das ist gut. Man gehe auf diesem Wege weiter. Stadt- und Landgemeinden seufzen unter einer riesig anwachsenden Armeulast. Alle Fonds, die eine fromme Vorzeit zum Besten der Armen vermacht hat, reichen nicht mehr aus. Man räume den Stadt- und Gemeinderäteu das Recht ein, einen Mann, der ein motorischer Verschwender ist und später mit den Seinigen der Gemeinde zur Last falle« wird, schon in jungen Jahren zu einer weitern Versicherung zu zwingen, in¬ dem ihm ein Teil des Lohnes abgezogen und kapitalisirt wird, damit die Gemeinde nachher von diesem Kapitale die Unterstützung seiner Angehörigen bestreiten kann. Ein solches Gesetz würde zur sittlichen Erziehung des armen Volkes wesentlich beitrage:,. 2. Man mache endlich einmal die Wünsche des Vereins gegen Trunksucht zum Gesetz und beschränke die Zahl der Kneipe». Man scheue sich nicht, das Gesetz auf die sogenannten höhern Stände anzuwenden. Diese mögen dem Volk ein gutes Beispiel geben. 3. Mau stärke die Verantwortlichkeit und Besngiüs der Ortspolizei und weise derartige Übertretungen nicht mehr an die Gerichte. 4. Man beseitige die Bnrgermeisterwahl auf dem Lande, die unsre Dörfer so fürchterlich entsittlicht hat. Man kann die Wahl dem Kreisansschuß über¬ tragen, der ja anch aus der Wahl des Volkes hervorgegangen ist, da bleibt die wüste Wühlerei aus den Gemeinden weg. 5. Man stärke die Befugnis der Lehrer und Schulvorstände gegen Kinder und Eltern. Man erschrecke nicht und sehe es nicht als „mittelalterliche Bar¬ barei" an, wenn ein künftiger deutscher Reichsbürger, der auch ein künftiger Sozialdemokrat sein kaun, die Zuchtrute zu schmecken bekommt. Es ist eine Grausamkeit gegen den Lehrer, die Anforderungen zu steigern und ihm doch die Zuchtmittel zu nehmen. Man gebe dem Lehrer anch weitgehende Straf¬ befugnis gegen die Besucher der Fortbildungsschule. et. Man stärke die Stellung des evangelischen Pfarrers. Die evangelische Kirche allein ist es, nicht der Einfluß der Gutsherren und Landräte, die bisher ein weiteres Umsichgreifen der Sozinldemotratie auf dem Lande verhindert hatte. Man kann es überall verfolgen, wo die evangelische Kirche ihren Einfluß ver¬ liert und zu eiuer Schatteneinrichtung herabsinkt, da kommt mit der Zeit, nachdem allerlei Zwischenstufen durchgemacht worden sind, bei den Armen die Sozialdemokratie. Die weiß die Leute wieder zusammenzufassen, die bringt ein neues Evangelium und einen neuen Heiland.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/452>, abgerufen am 23.07.2024.