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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Neue Briefe von Goethes Mutter

Sohn oder an Christianer um Übersendung neuer guter Bücher oder des
Merkur und des Ianus. Die Überfülle von Zitaten und Gleichnissen ans
Shakespeare und aus zeitgenössischen Dichtern zeigen anch, daß Fran Rat mit
dem Herzen und dem Verstände, und nicht bloß mit den Augen und zum Zeit¬
vertreibe las.

Doch wurde über alledem anch die Wirtschaft nicht vernachlässigt. Wie
eifrig Frau Aja ihre Haushalt- und Rechmmgsbücher führte, beweisen die drei
erhaltenen starken Quartanten. Die Erledigung der Korrespondenz, die von ihr
trotz aller Seufzer über die Mühseligkeit des Schreibens und die schlechten
Federn (!) in großem Umfange betrieben wurde, hin und wieder auch die
Pflege der Musik ^ ,,die Edle Musica geht bey nur eifriger wie jemahls --
der Marsch aus dem Tittus hat mir wegen der vermaledeiten Sprünge viel
noth gemacht!!!" -- füllte die Vormittagsstunden ans. Der Nachmittag war
dem Verkehr und deu Besuchen gewidmet, bis die Stunde des Theaters schlug,
für das Frau Rat, wie diese Briefe ebenso wie die an Großmann wieder be¬
zeugen, eine wahre Leidenschaft hegte. Ließ auch "der Gehalt in ihrem Busen"
Frau Aja selbst in einsamen Stunden "vergnügt wie eine Göttin" sein, lebhafter
Verkehr, Befriedigung ihrer vielen geistigen Interessen war ihr doch Lebens¬
bedürfnis. Und dieser lebendige, bewegliche Geist tritt uns in ihren Briefen
nicht minder in der Lebhaftigkeit und Frische der Darstellung wie in der Eigen¬
art der Ausdrucks Blatt für Blatt vor Augen. Frau Rat weiß uoch nichts
von der unheilvollen Scheidung der Sprache in eine sprech- und eine
Schreibsprache. Die ärgste Feindin des papiernen Stils, schreibt sie nicht
nnr die Lante, wie sie sie hört, sie geht sogar mit Vorliebe, mitten
in der Erzählung in die direkte Rede über: "Merck erzählte, daß
von Kalb und von Seckendorf wieder dir wären. . . . Ich habe gar keine
Nachrichten von Weimar, Sie wißen Herr Merck, daß die Leute dort, so oft
nicht schreiben -- Wenn Sie aber was wißen so sagen sich -- Der Dveter
ist doch nicht kranck -- Nein sagte Er davon weiß ich nichts... . Nun
stelle dir vor wie mir zu muthe war." "Den 3. Jenner kommt Abens um
7 Uhr Frau Elise Bethmann im Nachthabit, außer Odem zu mir gereut --
Räthin! liebe Räthin! Ich muß Sie doch von der großen Gefahr benach¬
richtigen. Ich bliebe gantz gelaßen." "Ein junger Mensch 16 Jahre alt
Conrad Wenner hat einen nnwiderstehligen Trib Schauspieler zu werden --
alle Vorstellungen dagegen helfen nichts -- ich werde ein schlechter Kauf¬
mann -- aber ein großer Schauspieler das fühle ich -- nnn haben die Eltern
nachgeben -- nun ist die Frage.." Ihr Gespräch mit der Hofrätin Mohn,
der zweiten Tochter der Frau La Roche, giebt sie sogar in dramatischer Form
wieder: "Ich will die Geschichte dialogisiren es klingt beßer als das ewige
sagte ich, sagte Sie. Frau Aja -- Eh Eh die Mama reißt doch auch immer
or Lande herum ich habe gehört sie will auch nach Weimar -- Mohn in --


Neue Briefe von Goethes Mutter

Sohn oder an Christianer um Übersendung neuer guter Bücher oder des
Merkur und des Ianus. Die Überfülle von Zitaten und Gleichnissen ans
Shakespeare und aus zeitgenössischen Dichtern zeigen anch, daß Fran Rat mit
dem Herzen und dem Verstände, und nicht bloß mit den Augen und zum Zeit¬
vertreibe las.

Doch wurde über alledem anch die Wirtschaft nicht vernachlässigt. Wie
eifrig Frau Aja ihre Haushalt- und Rechmmgsbücher führte, beweisen die drei
erhaltenen starken Quartanten. Die Erledigung der Korrespondenz, die von ihr
trotz aller Seufzer über die Mühseligkeit des Schreibens und die schlechten
Federn (!) in großem Umfange betrieben wurde, hin und wieder auch die
Pflege der Musik ^ ,,die Edle Musica geht bey nur eifriger wie jemahls —
der Marsch aus dem Tittus hat mir wegen der vermaledeiten Sprünge viel
noth gemacht!!!" — füllte die Vormittagsstunden ans. Der Nachmittag war
dem Verkehr und deu Besuchen gewidmet, bis die Stunde des Theaters schlug,
für das Frau Rat, wie diese Briefe ebenso wie die an Großmann wieder be¬
zeugen, eine wahre Leidenschaft hegte. Ließ auch „der Gehalt in ihrem Busen"
Frau Aja selbst in einsamen Stunden „vergnügt wie eine Göttin" sein, lebhafter
Verkehr, Befriedigung ihrer vielen geistigen Interessen war ihr doch Lebens¬
bedürfnis. Und dieser lebendige, bewegliche Geist tritt uns in ihren Briefen
nicht minder in der Lebhaftigkeit und Frische der Darstellung wie in der Eigen¬
art der Ausdrucks Blatt für Blatt vor Augen. Frau Rat weiß uoch nichts
von der unheilvollen Scheidung der Sprache in eine sprech- und eine
Schreibsprache. Die ärgste Feindin des papiernen Stils, schreibt sie nicht
nnr die Lante, wie sie sie hört, sie geht sogar mit Vorliebe, mitten
in der Erzählung in die direkte Rede über: „Merck erzählte, daß
von Kalb und von Seckendorf wieder dir wären. . . . Ich habe gar keine
Nachrichten von Weimar, Sie wißen Herr Merck, daß die Leute dort, so oft
nicht schreiben — Wenn Sie aber was wißen so sagen sich — Der Dveter
ist doch nicht kranck — Nein sagte Er davon weiß ich nichts... . Nun
stelle dir vor wie mir zu muthe war." „Den 3. Jenner kommt Abens um
7 Uhr Frau Elise Bethmann im Nachthabit, außer Odem zu mir gereut —
Räthin! liebe Räthin! Ich muß Sie doch von der großen Gefahr benach¬
richtigen. Ich bliebe gantz gelaßen." „Ein junger Mensch 16 Jahre alt
Conrad Wenner hat einen nnwiderstehligen Trib Schauspieler zu werden —
alle Vorstellungen dagegen helfen nichts — ich werde ein schlechter Kauf¬
mann — aber ein großer Schauspieler das fühle ich — nnn haben die Eltern
nachgeben — nun ist die Frage.." Ihr Gespräch mit der Hofrätin Mohn,
der zweiten Tochter der Frau La Roche, giebt sie sogar in dramatischer Form
wieder: „Ich will die Geschichte dialogisiren es klingt beßer als das ewige
sagte ich, sagte Sie. Frau Aja — Eh Eh die Mama reißt doch auch immer
or Lande herum ich habe gehört sie will auch nach Weimar — Mohn in —


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[0045] Neue Briefe von Goethes Mutter Sohn oder an Christianer um Übersendung neuer guter Bücher oder des Merkur und des Ianus. Die Überfülle von Zitaten und Gleichnissen ans Shakespeare und aus zeitgenössischen Dichtern zeigen anch, daß Fran Rat mit dem Herzen und dem Verstände, und nicht bloß mit den Augen und zum Zeit¬ vertreibe las. Doch wurde über alledem anch die Wirtschaft nicht vernachlässigt. Wie eifrig Frau Aja ihre Haushalt- und Rechmmgsbücher führte, beweisen die drei erhaltenen starken Quartanten. Die Erledigung der Korrespondenz, die von ihr trotz aller Seufzer über die Mühseligkeit des Schreibens und die schlechten Federn (!) in großem Umfange betrieben wurde, hin und wieder auch die Pflege der Musik ^ ,,die Edle Musica geht bey nur eifriger wie jemahls — der Marsch aus dem Tittus hat mir wegen der vermaledeiten Sprünge viel noth gemacht!!!" — füllte die Vormittagsstunden ans. Der Nachmittag war dem Verkehr und deu Besuchen gewidmet, bis die Stunde des Theaters schlug, für das Frau Rat, wie diese Briefe ebenso wie die an Großmann wieder be¬ zeugen, eine wahre Leidenschaft hegte. Ließ auch „der Gehalt in ihrem Busen" Frau Aja selbst in einsamen Stunden „vergnügt wie eine Göttin" sein, lebhafter Verkehr, Befriedigung ihrer vielen geistigen Interessen war ihr doch Lebens¬ bedürfnis. Und dieser lebendige, bewegliche Geist tritt uns in ihren Briefen nicht minder in der Lebhaftigkeit und Frische der Darstellung wie in der Eigen¬ art der Ausdrucks Blatt für Blatt vor Augen. Frau Rat weiß uoch nichts von der unheilvollen Scheidung der Sprache in eine sprech- und eine Schreibsprache. Die ärgste Feindin des papiernen Stils, schreibt sie nicht nnr die Lante, wie sie sie hört, sie geht sogar mit Vorliebe, mitten in der Erzählung in die direkte Rede über: „Merck erzählte, daß von Kalb und von Seckendorf wieder dir wären. . . . Ich habe gar keine Nachrichten von Weimar, Sie wißen Herr Merck, daß die Leute dort, so oft nicht schreiben — Wenn Sie aber was wißen so sagen sich — Der Dveter ist doch nicht kranck — Nein sagte Er davon weiß ich nichts... . Nun stelle dir vor wie mir zu muthe war." „Den 3. Jenner kommt Abens um 7 Uhr Frau Elise Bethmann im Nachthabit, außer Odem zu mir gereut — Räthin! liebe Räthin! Ich muß Sie doch von der großen Gefahr benach¬ richtigen. Ich bliebe gantz gelaßen." „Ein junger Mensch 16 Jahre alt Conrad Wenner hat einen nnwiderstehligen Trib Schauspieler zu werden — alle Vorstellungen dagegen helfen nichts — ich werde ein schlechter Kauf¬ mann — aber ein großer Schauspieler das fühle ich — nnn haben die Eltern nachgeben — nun ist die Frage.." Ihr Gespräch mit der Hofrätin Mohn, der zweiten Tochter der Frau La Roche, giebt sie sogar in dramatischer Form wieder: „Ich will die Geschichte dialogisiren es klingt beßer als das ewige sagte ich, sagte Sie. Frau Aja — Eh Eh die Mama reißt doch auch immer or Lande herum ich habe gehört sie will auch nach Weimar — Mohn in —

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/45>, abgerufen am 23.07.2024.