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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Allerhand Sprachdninncheiten

Wie die Präposition während entstanden ist. Noch im vorigen Jahrhundert
schrieb man währendes Frühlings, währendes Krieges. Mit der Zeit
wurde dieser absolute Genetiv mißverstanden, mau glaubte uicht mehr
währendes, sondern während des zu hören, und so sprang schließlich der
Partizivialstamm von der Endung ab und wurde -- thatsächlich durch ein
Mißverständnis -- zu einer Präposition. Immerhin erhielt sich bei richtiger
Anwendung der ursprüngliche Sinn: es wird ein Vorgang verglichen mit
einem audern Vorgange, mit dem er entweder ganz oder teilweise zeitlich
zusammenfällt: er lag während des Krieges im Lazareth-- währenddes
Vortrages darf nicht geraucht werden -- während des Gewitters waren
wir unter Dach und Fach. Der Krieg, der Vortrag, daS Gewitter sind Vor¬
gänge, Ereignisse. Aber ein Tag, ein Monat, ein Jahr, ein Jahrhundert sind
bloße Zeitabschnitte oder Zeitmaße. Er lag während dreier Monate im
Lazareth -- ist Heller Unsinn. Drei Monate sind kein Ereignis, mit dein das
Liegen im Lazareth zeitlich verglichen wurde, sondern sie bedeuten einfach die
Zeitdauer; diese kann aber nur ausgedrückt werden dnrch den Akkusativ drei
Monate oder drei Monate lang. Aber kann man denn nicht sagen:
während des Tages? Gewiß, aber dann ist Tag nicht als Zeitmaß ge¬
braucht, sondern als Erscheinung der Nacht gegenübergestellt: während
des Tages scheint die Sonue. Die Sonne hat mir während eines
Tages geschienen -- das ist Unsinn; die Sonne hat während meiner
Ferien nur einen Tag geschienen -- das hat Sinn. Aber alle Roman-
schreiber und vor allem alle Nomanschreiberinnen spreizen sich jetzt mit diesem
widerwärtigen, dem französischen vLncig.ut nachgeäfften während.

Ich komme nnn zu einem Haupt- und Glanzkapitel des Tintendeutsch,
zu den Fürwörtern, und zunächst zu dem fürchterlichen, alle Begriffe über¬
steigenden Mißbrauch, der in unsrer Zeitungs- und Amtssprache und, da unser
ganzes heutiges Schriftdeutsch eben nur noch Zeitungs- und Amtssprache ist,
in unsrer Schriftsprache überhaupt mit den beiden Fürwörtern derselbe,
dieselbe, dasselbe und welcher, welche, welches getrieben wird. An
der greulichen Unnatur, Steifbeinigkeit und Langweilerei unsrer Schriftsprache
trägt dieser Mißbrauch mindestens die Hälfte aller Schuld. Wenn ihr diese
beiden Bleiklumpen wieder abgenommen werden könnten, sie würde Flügel zu
bekommen scheinen!

Über derselbe hat schon O. Schrvdter 1887 im 59. Bande der Preu¬
ßischen Jahrbücher einen sachkundigen und geistvollen Aufsatz veröffentlicht, der
dann wieder in seinem Buche "Vom papiernen Stil" (Berlin, Wnlther und
Apolcmt, 1889) abgedruckt worden ist, und worin er vor allem der Geschichte
der Sache nachgegangen ist. Ich verweise die Leser auf diese" vortrefflichen
Aufsatz und will hier uur einmal kurz den heutigen Jammerzustand zeigen.

Unter hundert Fällen, wo heute derselbe geschrieben wird, sind vielleicht


Allerhand Sprachdninncheiten

Wie die Präposition während entstanden ist. Noch im vorigen Jahrhundert
schrieb man währendes Frühlings, währendes Krieges. Mit der Zeit
wurde dieser absolute Genetiv mißverstanden, mau glaubte uicht mehr
währendes, sondern während des zu hören, und so sprang schließlich der
Partizivialstamm von der Endung ab und wurde — thatsächlich durch ein
Mißverständnis — zu einer Präposition. Immerhin erhielt sich bei richtiger
Anwendung der ursprüngliche Sinn: es wird ein Vorgang verglichen mit
einem audern Vorgange, mit dem er entweder ganz oder teilweise zeitlich
zusammenfällt: er lag während des Krieges im Lazareth— währenddes
Vortrages darf nicht geraucht werden — während des Gewitters waren
wir unter Dach und Fach. Der Krieg, der Vortrag, daS Gewitter sind Vor¬
gänge, Ereignisse. Aber ein Tag, ein Monat, ein Jahr, ein Jahrhundert sind
bloße Zeitabschnitte oder Zeitmaße. Er lag während dreier Monate im
Lazareth — ist Heller Unsinn. Drei Monate sind kein Ereignis, mit dein das
Liegen im Lazareth zeitlich verglichen wurde, sondern sie bedeuten einfach die
Zeitdauer; diese kann aber nur ausgedrückt werden dnrch den Akkusativ drei
Monate oder drei Monate lang. Aber kann man denn nicht sagen:
während des Tages? Gewiß, aber dann ist Tag nicht als Zeitmaß ge¬
braucht, sondern als Erscheinung der Nacht gegenübergestellt: während
des Tages scheint die Sonue. Die Sonne hat mir während eines
Tages geschienen — das ist Unsinn; die Sonne hat während meiner
Ferien nur einen Tag geschienen — das hat Sinn. Aber alle Roman-
schreiber und vor allem alle Nomanschreiberinnen spreizen sich jetzt mit diesem
widerwärtigen, dem französischen vLncig.ut nachgeäfften während.

Ich komme nnn zu einem Haupt- und Glanzkapitel des Tintendeutsch,
zu den Fürwörtern, und zunächst zu dem fürchterlichen, alle Begriffe über¬
steigenden Mißbrauch, der in unsrer Zeitungs- und Amtssprache und, da unser
ganzes heutiges Schriftdeutsch eben nur noch Zeitungs- und Amtssprache ist,
in unsrer Schriftsprache überhaupt mit den beiden Fürwörtern derselbe,
dieselbe, dasselbe und welcher, welche, welches getrieben wird. An
der greulichen Unnatur, Steifbeinigkeit und Langweilerei unsrer Schriftsprache
trägt dieser Mißbrauch mindestens die Hälfte aller Schuld. Wenn ihr diese
beiden Bleiklumpen wieder abgenommen werden könnten, sie würde Flügel zu
bekommen scheinen!

Über derselbe hat schon O. Schrvdter 1887 im 59. Bande der Preu¬
ßischen Jahrbücher einen sachkundigen und geistvollen Aufsatz veröffentlicht, der
dann wieder in seinem Buche „Vom papiernen Stil" (Berlin, Wnlther und
Apolcmt, 1889) abgedruckt worden ist, und worin er vor allem der Geschichte
der Sache nachgegangen ist. Ich verweise die Leser auf diese« vortrefflichen
Aufsatz und will hier uur einmal kurz den heutigen Jammerzustand zeigen.

Unter hundert Fällen, wo heute derselbe geschrieben wird, sind vielleicht


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[0424] Allerhand Sprachdninncheiten Wie die Präposition während entstanden ist. Noch im vorigen Jahrhundert schrieb man währendes Frühlings, währendes Krieges. Mit der Zeit wurde dieser absolute Genetiv mißverstanden, mau glaubte uicht mehr währendes, sondern während des zu hören, und so sprang schließlich der Partizivialstamm von der Endung ab und wurde — thatsächlich durch ein Mißverständnis — zu einer Präposition. Immerhin erhielt sich bei richtiger Anwendung der ursprüngliche Sinn: es wird ein Vorgang verglichen mit einem audern Vorgange, mit dem er entweder ganz oder teilweise zeitlich zusammenfällt: er lag während des Krieges im Lazareth— währenddes Vortrages darf nicht geraucht werden — während des Gewitters waren wir unter Dach und Fach. Der Krieg, der Vortrag, daS Gewitter sind Vor¬ gänge, Ereignisse. Aber ein Tag, ein Monat, ein Jahr, ein Jahrhundert sind bloße Zeitabschnitte oder Zeitmaße. Er lag während dreier Monate im Lazareth — ist Heller Unsinn. Drei Monate sind kein Ereignis, mit dein das Liegen im Lazareth zeitlich verglichen wurde, sondern sie bedeuten einfach die Zeitdauer; diese kann aber nur ausgedrückt werden dnrch den Akkusativ drei Monate oder drei Monate lang. Aber kann man denn nicht sagen: während des Tages? Gewiß, aber dann ist Tag nicht als Zeitmaß ge¬ braucht, sondern als Erscheinung der Nacht gegenübergestellt: während des Tages scheint die Sonue. Die Sonne hat mir während eines Tages geschienen — das ist Unsinn; die Sonne hat während meiner Ferien nur einen Tag geschienen — das hat Sinn. Aber alle Roman- schreiber und vor allem alle Nomanschreiberinnen spreizen sich jetzt mit diesem widerwärtigen, dem französischen vLncig.ut nachgeäfften während. Ich komme nnn zu einem Haupt- und Glanzkapitel des Tintendeutsch, zu den Fürwörtern, und zunächst zu dem fürchterlichen, alle Begriffe über¬ steigenden Mißbrauch, der in unsrer Zeitungs- und Amtssprache und, da unser ganzes heutiges Schriftdeutsch eben nur noch Zeitungs- und Amtssprache ist, in unsrer Schriftsprache überhaupt mit den beiden Fürwörtern derselbe, dieselbe, dasselbe und welcher, welche, welches getrieben wird. An der greulichen Unnatur, Steifbeinigkeit und Langweilerei unsrer Schriftsprache trägt dieser Mißbrauch mindestens die Hälfte aller Schuld. Wenn ihr diese beiden Bleiklumpen wieder abgenommen werden könnten, sie würde Flügel zu bekommen scheinen! Über derselbe hat schon O. Schrvdter 1887 im 59. Bande der Preu¬ ßischen Jahrbücher einen sachkundigen und geistvollen Aufsatz veröffentlicht, der dann wieder in seinem Buche „Vom papiernen Stil" (Berlin, Wnlther und Apolcmt, 1889) abgedruckt worden ist, und worin er vor allem der Geschichte der Sache nachgegangen ist. Ich verweise die Leser auf diese« vortrefflichen Aufsatz und will hier uur einmal kurz den heutigen Jammerzustand zeigen. Unter hundert Fällen, wo heute derselbe geschrieben wird, sind vielleicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/424>, abgerufen am 23.07.2024.