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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Allerlzmid Sprachdiunncheiten

Werden. Dann wird Mignons Lied anfangen: Kennst dn das Land, in
welchem die Citronen blühn? und endigen: Nach dort, nach dort möcht
ich mit dir, v mein Geliebter, ziehn!

Eine fürchterliche Abgeschmacktheit, ans die leider nicht bloß Zeitungs¬
schreiber, sondern auch Leute, denen man in Sprachdingen ein bischen Geschmack
zutrauen sollte, ganz versessen sind, ist die Unsitte, hinter einen Personennamen
den Wohnort der Person mit Bindestrichen anzuhängen, statt ihn in anstän¬
diger Weise dnrch die Präposition mit dem Personennamen zu verbinden. Den
Anfang haben wohl Schulze-Delitzsch und Braun-Wiesbaden gemacht.
Das waren nun ihrer Zeit gefeierte Parlnmentsgrößen, und wer möchte das
nicht gern auch sein! Wenn sich im Sommer Gevatter Schneider und Hand¬
schuhmacher zu den üblichen Wanderversammlungen aufmachen und dort schöne
Reden halten, dann wollen sie natürlich auch die Parlamentarier spielen und
im Zeitungsbericht mit so einem schönen zusammengesetzten Namen erscheinen,
da wollen sie nicht bloß Müller und Meder heißen, sondern Herr Müller-
Numpelskirchen und Herr Meyer-Cunnewalde -- das klingt so aristo¬
kratisch, als könnte es im freiherrlichen Taschenbuche stehn, man hats ja auch
den geographischem Adel genannt. Nicht genug wundern kann man sich, wie
Lehrer, deutsche Lehrer, eine solche Abgeschmacktheit mitmachen können! Aber
gerade wenn über Leserversammlungen berichtet wird, wo man doch zehn
gegen eins wetten kann, daß die Berichte nicht von gewerbsmäßigen Bericht¬
erstattern, sondern von Lehrern selbst geschrieben sind, die an den "stattge¬
habten" und "stattgefundnen" Versammlungen teilgenommen haben, kann man
stets lesen, wie Herr Fiedler-Rossen und Herr Schlenker-Meerane und
Herr Ulbricht-Käme nz ihre pädagogische Weisheit ausgekramt haben. Die
Herren kommen sich offenbar noch einmal so wichtig vor, wenn sich sich mit so
einem Doppelnamen in der Zeitung gedruckt sehen.

Auch in den Zeitbestimmungen wimmelt es von LüderliclMten und
Dummheiten. Ein Ausdruck wie: vom bis 18. Oktober soll dabei noch
gar nicht einmal angefochten werden, wiewohl, wer sorgfältig schreiben will,
hinter bis die Präposition lieber nicht wegläßt, sondern schreibt: bis zum
18. Oktober. Denn bis ist zwar selbst eine Präposition, es ist aber mich eine Kon¬
junktion, es ist ein merkwürdiges Mittelding zwischen beiden, vor Ortsbestimmungen
verlangt es geradezu noch ein an, auf, in, zu. Man sagt wohl: bis morgen,
bis Montag, bis Ostern, aber man kann nicht sagen: bis Thüre. Eine
ganz entschiedn? Nachlässigkeit aber ist es, zu schreiben: Kulturbildcr aus dem
fünfzehnten bis achtzehnten Jahrhundert. Da hört man erst den Singular
dem, und dann kommen vier Jahrhunderte hinterher! Man kann den Fehler
täglich lesen, aber er wird dadurch nicht besser; wer sorgfältig schreiben null,
muß schreiben: aus der Zeit vom fünfzehnten bis zum achtzehnten Jahr¬
hundert. Es ist das etwas umständlich, aber das hilft nichts. Für geistreich


Allerlzmid Sprachdiunncheiten

Werden. Dann wird Mignons Lied anfangen: Kennst dn das Land, in
welchem die Citronen blühn? und endigen: Nach dort, nach dort möcht
ich mit dir, v mein Geliebter, ziehn!

Eine fürchterliche Abgeschmacktheit, ans die leider nicht bloß Zeitungs¬
schreiber, sondern auch Leute, denen man in Sprachdingen ein bischen Geschmack
zutrauen sollte, ganz versessen sind, ist die Unsitte, hinter einen Personennamen
den Wohnort der Person mit Bindestrichen anzuhängen, statt ihn in anstän¬
diger Weise dnrch die Präposition mit dem Personennamen zu verbinden. Den
Anfang haben wohl Schulze-Delitzsch und Braun-Wiesbaden gemacht.
Das waren nun ihrer Zeit gefeierte Parlnmentsgrößen, und wer möchte das
nicht gern auch sein! Wenn sich im Sommer Gevatter Schneider und Hand¬
schuhmacher zu den üblichen Wanderversammlungen aufmachen und dort schöne
Reden halten, dann wollen sie natürlich auch die Parlamentarier spielen und
im Zeitungsbericht mit so einem schönen zusammengesetzten Namen erscheinen,
da wollen sie nicht bloß Müller und Meder heißen, sondern Herr Müller-
Numpelskirchen und Herr Meyer-Cunnewalde — das klingt so aristo¬
kratisch, als könnte es im freiherrlichen Taschenbuche stehn, man hats ja auch
den geographischem Adel genannt. Nicht genug wundern kann man sich, wie
Lehrer, deutsche Lehrer, eine solche Abgeschmacktheit mitmachen können! Aber
gerade wenn über Leserversammlungen berichtet wird, wo man doch zehn
gegen eins wetten kann, daß die Berichte nicht von gewerbsmäßigen Bericht¬
erstattern, sondern von Lehrern selbst geschrieben sind, die an den „stattge¬
habten" und „stattgefundnen" Versammlungen teilgenommen haben, kann man
stets lesen, wie Herr Fiedler-Rossen und Herr Schlenker-Meerane und
Herr Ulbricht-Käme nz ihre pädagogische Weisheit ausgekramt haben. Die
Herren kommen sich offenbar noch einmal so wichtig vor, wenn sich sich mit so
einem Doppelnamen in der Zeitung gedruckt sehen.

Auch in den Zeitbestimmungen wimmelt es von LüderliclMten und
Dummheiten. Ein Ausdruck wie: vom bis 18. Oktober soll dabei noch
gar nicht einmal angefochten werden, wiewohl, wer sorgfältig schreiben will,
hinter bis die Präposition lieber nicht wegläßt, sondern schreibt: bis zum
18. Oktober. Denn bis ist zwar selbst eine Präposition, es ist aber mich eine Kon¬
junktion, es ist ein merkwürdiges Mittelding zwischen beiden, vor Ortsbestimmungen
verlangt es geradezu noch ein an, auf, in, zu. Man sagt wohl: bis morgen,
bis Montag, bis Ostern, aber man kann nicht sagen: bis Thüre. Eine
ganz entschiedn? Nachlässigkeit aber ist es, zu schreiben: Kulturbildcr aus dem
fünfzehnten bis achtzehnten Jahrhundert. Da hört man erst den Singular
dem, und dann kommen vier Jahrhunderte hinterher! Man kann den Fehler
täglich lesen, aber er wird dadurch nicht besser; wer sorgfältig schreiben null,
muß schreiben: aus der Zeit vom fünfzehnten bis zum achtzehnten Jahr¬
hundert. Es ist das etwas umständlich, aber das hilft nichts. Für geistreich


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[0422] Allerlzmid Sprachdiunncheiten Werden. Dann wird Mignons Lied anfangen: Kennst dn das Land, in welchem die Citronen blühn? und endigen: Nach dort, nach dort möcht ich mit dir, v mein Geliebter, ziehn! Eine fürchterliche Abgeschmacktheit, ans die leider nicht bloß Zeitungs¬ schreiber, sondern auch Leute, denen man in Sprachdingen ein bischen Geschmack zutrauen sollte, ganz versessen sind, ist die Unsitte, hinter einen Personennamen den Wohnort der Person mit Bindestrichen anzuhängen, statt ihn in anstän¬ diger Weise dnrch die Präposition mit dem Personennamen zu verbinden. Den Anfang haben wohl Schulze-Delitzsch und Braun-Wiesbaden gemacht. Das waren nun ihrer Zeit gefeierte Parlnmentsgrößen, und wer möchte das nicht gern auch sein! Wenn sich im Sommer Gevatter Schneider und Hand¬ schuhmacher zu den üblichen Wanderversammlungen aufmachen und dort schöne Reden halten, dann wollen sie natürlich auch die Parlamentarier spielen und im Zeitungsbericht mit so einem schönen zusammengesetzten Namen erscheinen, da wollen sie nicht bloß Müller und Meder heißen, sondern Herr Müller- Numpelskirchen und Herr Meyer-Cunnewalde — das klingt so aristo¬ kratisch, als könnte es im freiherrlichen Taschenbuche stehn, man hats ja auch den geographischem Adel genannt. Nicht genug wundern kann man sich, wie Lehrer, deutsche Lehrer, eine solche Abgeschmacktheit mitmachen können! Aber gerade wenn über Leserversammlungen berichtet wird, wo man doch zehn gegen eins wetten kann, daß die Berichte nicht von gewerbsmäßigen Bericht¬ erstattern, sondern von Lehrern selbst geschrieben sind, die an den „stattge¬ habten" und „stattgefundnen" Versammlungen teilgenommen haben, kann man stets lesen, wie Herr Fiedler-Rossen und Herr Schlenker-Meerane und Herr Ulbricht-Käme nz ihre pädagogische Weisheit ausgekramt haben. Die Herren kommen sich offenbar noch einmal so wichtig vor, wenn sich sich mit so einem Doppelnamen in der Zeitung gedruckt sehen. Auch in den Zeitbestimmungen wimmelt es von LüderliclMten und Dummheiten. Ein Ausdruck wie: vom bis 18. Oktober soll dabei noch gar nicht einmal angefochten werden, wiewohl, wer sorgfältig schreiben will, hinter bis die Präposition lieber nicht wegläßt, sondern schreibt: bis zum 18. Oktober. Denn bis ist zwar selbst eine Präposition, es ist aber mich eine Kon¬ junktion, es ist ein merkwürdiges Mittelding zwischen beiden, vor Ortsbestimmungen verlangt es geradezu noch ein an, auf, in, zu. Man sagt wohl: bis morgen, bis Montag, bis Ostern, aber man kann nicht sagen: bis Thüre. Eine ganz entschiedn? Nachlässigkeit aber ist es, zu schreiben: Kulturbildcr aus dem fünfzehnten bis achtzehnten Jahrhundert. Da hört man erst den Singular dem, und dann kommen vier Jahrhunderte hinterher! Man kann den Fehler täglich lesen, aber er wird dadurch nicht besser; wer sorgfältig schreiben null, muß schreiben: aus der Zeit vom fünfzehnten bis zum achtzehnten Jahr¬ hundert. Es ist das etwas umständlich, aber das hilft nichts. Für geistreich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/422>, abgerufen am 25.08.2024.