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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Allerhand Sprachdummheiten

Wissen das noch! In ihrem Sprachgebrauch wenigstens, dem mündliche" wie
dem schriftlichen, wird hinein und herein, hinaus und heraus, hinan
und heran, hinauf und herauf fortwährend durch einander geworfen. Ein
klassisches Beispiel für diese Verwirrung ist die vulgäre Redensart: Er ist
reingefallen. Daß jemand in eine Grube hereingefallen sei, kann ich doch
nnr dann sagen, wenn ich selber bereits drin bin. Die aber, die mit Borliebe
diese Redensart im Munde führen, fühlen sich doch stolz als draußen stehend,
sie stehen oben am Rande der Grube und blicken schadenfroh ans das Opfer,
das unten liegt. Das Opfer ist also hineingefallen oder neingefallen.
Wer auf der Straße bleibt, kaun doch nur sagen: Geh hinan f und wirf den
Schlüssel herunter! Wer oben am Fenster steht, kann nnr fragen: Willst
du heraufkommen, oder soll ich den Schlüssel hinunterwerfen? Aber der
Volksmund, auch der der Gebildeten, drückt jetzt beides durch rauf und runter
aus; die Formen gelten offenbar für seiner als naus und nunter. Die
Leute von der Feder aber machens nicht um ein Haar besser. Nicht bloß der
Zeitungsschreiber schreibt: bis in die jüngste Zeit hinein, auch der Historiker:
auf die Sturm- und Drangzeit folgte die klassische Periode, die in unser Jahr¬
hundert hineinragt. Wir sind aber doch drin in unserm Jahrhundert! In
einen Raum oder in einen Zeitraum, worin wir uns befinden, kaun etwas
doch nur hereinragen. Etwas andres ist es, wenn von einer Erscheinung
des sechzehnten Jahrhunderts gesagt wird, sie lasse sich bis ins siebzehnte
Jahrhundert hinein verfolgen; das ist richtig, denn wir sind nicht drin im
siebzehnten Jahrhundert. Umgekehrt, wenn ein Rezensent in einer Buchanzeige
schreibt: der Leser möge mit Vertrauen an diese Schilderung herantreten, so
ist das wieder falsch, denn das Buch liegt außerhalb des Rezensenten sowohl
wie jedes andern Lesers; beide können an die Schilderung nur hinantreten.

Aber nicht nur daß hin und her fortwährend vertauscht wird, es ist
auch ein schöner Ersatz dafür erfunden worden: nämlich nach dort und
nach hier. Unsre Kaufleute schreiben nur uoch: Kommen Sie nicht in den
nächsten Wochen einmal nach hier? Wenn nicht, so komme ich vielleicht
einmal nach dort. Nun ist es ja richtig, daß diese neumodische Ortsbestimmung
nicht ohne Vorgang ist: schon früher hat man die Präposition na es mit Orts¬
adverbien verbunden, die auf die Frage Wo? antworten: nach vorn, nach
hinten, nach oben, uach unter, nach rechts, uach links (statt vor,
hinter, hinauf, hinunter, rechts, links). Bloß nach dort hatte niemand
zu bilden gewagt. Aber warum eigentlich nicht? Es ist kein vernünftiger
Grund dafür einzusehen. Offenbar aus reiner Feigheit. Freilich kann
mau sich uicht verhehlen, daß, wenn unsre Kaufleute, Juristen und Zeitungs¬
schreiber so mutig an der Bereicherung unsrer Sprache weiterarbeiten wie
in den letzten dreißig Jahren, von unsern Klassikern sich sehr bald Ueber-
setzungen aus dem neuhochdeutschen ins Nenesthöchstdeutsche nötig machen


Allerhand Sprachdummheiten

Wissen das noch! In ihrem Sprachgebrauch wenigstens, dem mündliche» wie
dem schriftlichen, wird hinein und herein, hinaus und heraus, hinan
und heran, hinauf und herauf fortwährend durch einander geworfen. Ein
klassisches Beispiel für diese Verwirrung ist die vulgäre Redensart: Er ist
reingefallen. Daß jemand in eine Grube hereingefallen sei, kann ich doch
nnr dann sagen, wenn ich selber bereits drin bin. Die aber, die mit Borliebe
diese Redensart im Munde führen, fühlen sich doch stolz als draußen stehend,
sie stehen oben am Rande der Grube und blicken schadenfroh ans das Opfer,
das unten liegt. Das Opfer ist also hineingefallen oder neingefallen.
Wer auf der Straße bleibt, kaun doch nur sagen: Geh hinan f und wirf den
Schlüssel herunter! Wer oben am Fenster steht, kann nnr fragen: Willst
du heraufkommen, oder soll ich den Schlüssel hinunterwerfen? Aber der
Volksmund, auch der der Gebildeten, drückt jetzt beides durch rauf und runter
aus; die Formen gelten offenbar für seiner als naus und nunter. Die
Leute von der Feder aber machens nicht um ein Haar besser. Nicht bloß der
Zeitungsschreiber schreibt: bis in die jüngste Zeit hinein, auch der Historiker:
auf die Sturm- und Drangzeit folgte die klassische Periode, die in unser Jahr¬
hundert hineinragt. Wir sind aber doch drin in unserm Jahrhundert! In
einen Raum oder in einen Zeitraum, worin wir uns befinden, kaun etwas
doch nur hereinragen. Etwas andres ist es, wenn von einer Erscheinung
des sechzehnten Jahrhunderts gesagt wird, sie lasse sich bis ins siebzehnte
Jahrhundert hinein verfolgen; das ist richtig, denn wir sind nicht drin im
siebzehnten Jahrhundert. Umgekehrt, wenn ein Rezensent in einer Buchanzeige
schreibt: der Leser möge mit Vertrauen an diese Schilderung herantreten, so
ist das wieder falsch, denn das Buch liegt außerhalb des Rezensenten sowohl
wie jedes andern Lesers; beide können an die Schilderung nur hinantreten.

Aber nicht nur daß hin und her fortwährend vertauscht wird, es ist
auch ein schöner Ersatz dafür erfunden worden: nämlich nach dort und
nach hier. Unsre Kaufleute schreiben nur uoch: Kommen Sie nicht in den
nächsten Wochen einmal nach hier? Wenn nicht, so komme ich vielleicht
einmal nach dort. Nun ist es ja richtig, daß diese neumodische Ortsbestimmung
nicht ohne Vorgang ist: schon früher hat man die Präposition na es mit Orts¬
adverbien verbunden, die auf die Frage Wo? antworten: nach vorn, nach
hinten, nach oben, uach unter, nach rechts, uach links (statt vor,
hinter, hinauf, hinunter, rechts, links). Bloß nach dort hatte niemand
zu bilden gewagt. Aber warum eigentlich nicht? Es ist kein vernünftiger
Grund dafür einzusehen. Offenbar aus reiner Feigheit. Freilich kann
mau sich uicht verhehlen, daß, wenn unsre Kaufleute, Juristen und Zeitungs¬
schreiber so mutig an der Bereicherung unsrer Sprache weiterarbeiten wie
in den letzten dreißig Jahren, von unsern Klassikern sich sehr bald Ueber-
setzungen aus dem neuhochdeutschen ins Nenesthöchstdeutsche nötig machen


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[0421] Allerhand Sprachdummheiten Wissen das noch! In ihrem Sprachgebrauch wenigstens, dem mündliche» wie dem schriftlichen, wird hinein und herein, hinaus und heraus, hinan und heran, hinauf und herauf fortwährend durch einander geworfen. Ein klassisches Beispiel für diese Verwirrung ist die vulgäre Redensart: Er ist reingefallen. Daß jemand in eine Grube hereingefallen sei, kann ich doch nnr dann sagen, wenn ich selber bereits drin bin. Die aber, die mit Borliebe diese Redensart im Munde führen, fühlen sich doch stolz als draußen stehend, sie stehen oben am Rande der Grube und blicken schadenfroh ans das Opfer, das unten liegt. Das Opfer ist also hineingefallen oder neingefallen. Wer auf der Straße bleibt, kaun doch nur sagen: Geh hinan f und wirf den Schlüssel herunter! Wer oben am Fenster steht, kann nnr fragen: Willst du heraufkommen, oder soll ich den Schlüssel hinunterwerfen? Aber der Volksmund, auch der der Gebildeten, drückt jetzt beides durch rauf und runter aus; die Formen gelten offenbar für seiner als naus und nunter. Die Leute von der Feder aber machens nicht um ein Haar besser. Nicht bloß der Zeitungsschreiber schreibt: bis in die jüngste Zeit hinein, auch der Historiker: auf die Sturm- und Drangzeit folgte die klassische Periode, die in unser Jahr¬ hundert hineinragt. Wir sind aber doch drin in unserm Jahrhundert! In einen Raum oder in einen Zeitraum, worin wir uns befinden, kaun etwas doch nur hereinragen. Etwas andres ist es, wenn von einer Erscheinung des sechzehnten Jahrhunderts gesagt wird, sie lasse sich bis ins siebzehnte Jahrhundert hinein verfolgen; das ist richtig, denn wir sind nicht drin im siebzehnten Jahrhundert. Umgekehrt, wenn ein Rezensent in einer Buchanzeige schreibt: der Leser möge mit Vertrauen an diese Schilderung herantreten, so ist das wieder falsch, denn das Buch liegt außerhalb des Rezensenten sowohl wie jedes andern Lesers; beide können an die Schilderung nur hinantreten. Aber nicht nur daß hin und her fortwährend vertauscht wird, es ist auch ein schöner Ersatz dafür erfunden worden: nämlich nach dort und nach hier. Unsre Kaufleute schreiben nur uoch: Kommen Sie nicht in den nächsten Wochen einmal nach hier? Wenn nicht, so komme ich vielleicht einmal nach dort. Nun ist es ja richtig, daß diese neumodische Ortsbestimmung nicht ohne Vorgang ist: schon früher hat man die Präposition na es mit Orts¬ adverbien verbunden, die auf die Frage Wo? antworten: nach vorn, nach hinten, nach oben, uach unter, nach rechts, uach links (statt vor, hinter, hinauf, hinunter, rechts, links). Bloß nach dort hatte niemand zu bilden gewagt. Aber warum eigentlich nicht? Es ist kein vernünftiger Grund dafür einzusehen. Offenbar aus reiner Feigheit. Freilich kann mau sich uicht verhehlen, daß, wenn unsre Kaufleute, Juristen und Zeitungs¬ schreiber so mutig an der Bereicherung unsrer Sprache weiterarbeiten wie in den letzten dreißig Jahren, von unsern Klassikern sich sehr bald Ueber- setzungen aus dem neuhochdeutschen ins Nenesthöchstdeutsche nötig machen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/421>, abgerufen am 23.07.2024.