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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Iveiteres M>- Lharakwrisii? der Deutschfreisiinügen

Dabei macht man eine seltsame Erfahrung: diese dentschfreisinnigen Herren
erheben nie ihre Stimme gegen die Gebrechen, an denen die Arbeiterwelt krankt.
Wer Gelegenheit hat, sich in einem Jndnstriebezirke umzusetzen, wo die Geschäfte
gut gehen und die Arbeiter sich gut stehen, wo der fleißige und geschickte
Arbeiter Löhne erhält, die ein reichliches Auskommen ermögliche"" und darum
die Unzufriedenheit bannen sollten, der macht die traurige Wahrnehmung, daß
gerade die am besten bezahlten Leute ihre Arbeitgeber wie "Ausbeuter" be¬
trachten, immer höhere Ansprüche stellen und immer kostspieligere Vergnügungen
suchen. Es haben viele wohlwollende Fabrikherren Speiseanstalten errichten
lassen, wo eine kräftige und reichliche Speise zu 20 Pfennige," und darunter
geboten wird. Anstatt diese zu benutzen, geht ein großer Teil der Arbeiter in
die nächste Kneipe oder zur" herumziehende," Eßwarenhändler, "in" Nahrung
von sehr fragwürdiger Qualität zu kaufen. Am Lohntage vollends sinden sich,
schon ehe es in die Kneipen geht, Händler und Hausirer aller Art gleich in
nächster Nähe der Fabrik ein, die die Groschen aus den Taschen locken. Gegen
all diesen Unfug erhebt sich nie eine deutschfreisinnige Stimme, wohl aber
wird fortgewühlt gegen Kranken- und Unfall-, gegen Invaliden- und Alters-
versorgnngsgesetz. Was die Regierung auch thu," "mag, es wird einer hämischen
Kritik unterworfen, der auch die Kartellparteien, die mit der Negierung so
ersprießlich zusammengearbeitet haben, unterliegen. So äußert sich bei diesen
Politischen Gauklern der Respekt vor der Volksstimme, die doch diese Majorität
geschaffen hat. Das Volk taugt nur etwas, wenn es detttschfreisinilig stimmt.
Es ist unglaublich, mit welcher Leichtfertigkeit die Agitation selbst von denen
unter den Freisinnigen betrieben wird, die als vorzugsweise gemäßigt gelten.
So richtet sich Professor Hänel mit seiner Rede von" 2. Februar auf dein
neulich abgehaltenen Schleswig-holsieinischen freisinnigen Parteitag zu Neumünster
"gegen das rapide Anwachsen der Ausgaben für das Heer," (Kieler Zeitung
dom 3. Februar) und bringt prophezeiend die alte Phrase vor: das jetzige
^ilitärshstem werde das wirtschaftliche und geistige Mark des Volkes anfressen
u">d verderben. Um nur etwas zu thun, da doch auch der Freisinn die Nach-
^willigung für das Heer mitznbewilligen sich in der Notwendigkeit befunden
habe (die Herren hätten freilich ohne dieses "sich der Notwendigkeit fügen"
^ohl abgewirtschaftet gehabt), kommt nun der geistreiche Staatsmann auf die
^kannte Verkürzung der Dienstzeit und auf die "regelmäßige budgetmäßige
Bewilligung der festzustellenden Präsenzstärke." Und das spricht er in dem¬
selben Augenblick ans, wo der Oberst stosset, dieser nüchternste aller Franzosen,
^le Herausgabe von Metz und Strnßburg fordert, der ehemalige Seineprüfett
Hausmann den Rhein als Grenze zwischen Deutschland und Frankreich ver¬
engt und die französische Tricolore in Mainz und Koblenz, in Aachen und
^r"er aufpflanzen will! Weiß dem" der freisinnige Abgeordnete nicht, oder will
^ nicht wissen, was doch auch der offizielle Wiirteinbergische Staatsanzeiger


Iveiteres M>- Lharakwrisii? der Deutschfreisiinügen

Dabei macht man eine seltsame Erfahrung: diese dentschfreisinnigen Herren
erheben nie ihre Stimme gegen die Gebrechen, an denen die Arbeiterwelt krankt.
Wer Gelegenheit hat, sich in einem Jndnstriebezirke umzusetzen, wo die Geschäfte
gut gehen und die Arbeiter sich gut stehen, wo der fleißige und geschickte
Arbeiter Löhne erhält, die ein reichliches Auskommen ermögliche»» und darum
die Unzufriedenheit bannen sollten, der macht die traurige Wahrnehmung, daß
gerade die am besten bezahlten Leute ihre Arbeitgeber wie „Ausbeuter" be¬
trachten, immer höhere Ansprüche stellen und immer kostspieligere Vergnügungen
suchen. Es haben viele wohlwollende Fabrikherren Speiseanstalten errichten
lassen, wo eine kräftige und reichliche Speise zu 20 Pfennige,» und darunter
geboten wird. Anstatt diese zu benutzen, geht ein großer Teil der Arbeiter in
die nächste Kneipe oder zur» herumziehende,» Eßwarenhändler, »in» Nahrung
von sehr fragwürdiger Qualität zu kaufen. Am Lohntage vollends sinden sich,
schon ehe es in die Kneipen geht, Händler und Hausirer aller Art gleich in
nächster Nähe der Fabrik ein, die die Groschen aus den Taschen locken. Gegen
all diesen Unfug erhebt sich nie eine deutschfreisinnige Stimme, wohl aber
wird fortgewühlt gegen Kranken- und Unfall-, gegen Invaliden- und Alters-
versorgnngsgesetz. Was die Regierung auch thu,» »mag, es wird einer hämischen
Kritik unterworfen, der auch die Kartellparteien, die mit der Negierung so
ersprießlich zusammengearbeitet haben, unterliegen. So äußert sich bei diesen
Politischen Gauklern der Respekt vor der Volksstimme, die doch diese Majorität
geschaffen hat. Das Volk taugt nur etwas, wenn es detttschfreisinilig stimmt.
Es ist unglaublich, mit welcher Leichtfertigkeit die Agitation selbst von denen
unter den Freisinnigen betrieben wird, die als vorzugsweise gemäßigt gelten.
So richtet sich Professor Hänel mit seiner Rede von» 2. Februar auf dein
neulich abgehaltenen Schleswig-holsieinischen freisinnigen Parteitag zu Neumünster
"gegen das rapide Anwachsen der Ausgaben für das Heer," (Kieler Zeitung
dom 3. Februar) und bringt prophezeiend die alte Phrase vor: das jetzige
^ilitärshstem werde das wirtschaftliche und geistige Mark des Volkes anfressen
u»>d verderben. Um nur etwas zu thun, da doch auch der Freisinn die Nach-
^willigung für das Heer mitznbewilligen sich in der Notwendigkeit befunden
habe (die Herren hätten freilich ohne dieses „sich der Notwendigkeit fügen"
^ohl abgewirtschaftet gehabt), kommt nun der geistreiche Staatsmann auf die
^kannte Verkürzung der Dienstzeit und auf die „regelmäßige budgetmäßige
Bewilligung der festzustellenden Präsenzstärke." Und das spricht er in dem¬
selben Augenblick ans, wo der Oberst stosset, dieser nüchternste aller Franzosen,
^le Herausgabe von Metz und Strnßburg fordert, der ehemalige Seineprüfett
Hausmann den Rhein als Grenze zwischen Deutschland und Frankreich ver¬
engt und die französische Tricolore in Mainz und Koblenz, in Aachen und
^r»er aufpflanzen will! Weiß dem» der freisinnige Abgeordnete nicht, oder will
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[0391] Iveiteres M>- Lharakwrisii? der Deutschfreisiinügen Dabei macht man eine seltsame Erfahrung: diese dentschfreisinnigen Herren erheben nie ihre Stimme gegen die Gebrechen, an denen die Arbeiterwelt krankt. Wer Gelegenheit hat, sich in einem Jndnstriebezirke umzusetzen, wo die Geschäfte gut gehen und die Arbeiter sich gut stehen, wo der fleißige und geschickte Arbeiter Löhne erhält, die ein reichliches Auskommen ermögliche»» und darum die Unzufriedenheit bannen sollten, der macht die traurige Wahrnehmung, daß gerade die am besten bezahlten Leute ihre Arbeitgeber wie „Ausbeuter" be¬ trachten, immer höhere Ansprüche stellen und immer kostspieligere Vergnügungen suchen. Es haben viele wohlwollende Fabrikherren Speiseanstalten errichten lassen, wo eine kräftige und reichliche Speise zu 20 Pfennige,» und darunter geboten wird. Anstatt diese zu benutzen, geht ein großer Teil der Arbeiter in die nächste Kneipe oder zur» herumziehende,» Eßwarenhändler, »in» Nahrung von sehr fragwürdiger Qualität zu kaufen. Am Lohntage vollends sinden sich, schon ehe es in die Kneipen geht, Händler und Hausirer aller Art gleich in nächster Nähe der Fabrik ein, die die Groschen aus den Taschen locken. Gegen all diesen Unfug erhebt sich nie eine deutschfreisinnige Stimme, wohl aber wird fortgewühlt gegen Kranken- und Unfall-, gegen Invaliden- und Alters- versorgnngsgesetz. Was die Regierung auch thu,» »mag, es wird einer hämischen Kritik unterworfen, der auch die Kartellparteien, die mit der Negierung so ersprießlich zusammengearbeitet haben, unterliegen. So äußert sich bei diesen Politischen Gauklern der Respekt vor der Volksstimme, die doch diese Majorität geschaffen hat. Das Volk taugt nur etwas, wenn es detttschfreisinilig stimmt. Es ist unglaublich, mit welcher Leichtfertigkeit die Agitation selbst von denen unter den Freisinnigen betrieben wird, die als vorzugsweise gemäßigt gelten. So richtet sich Professor Hänel mit seiner Rede von» 2. Februar auf dein neulich abgehaltenen Schleswig-holsieinischen freisinnigen Parteitag zu Neumünster "gegen das rapide Anwachsen der Ausgaben für das Heer," (Kieler Zeitung dom 3. Februar) und bringt prophezeiend die alte Phrase vor: das jetzige ^ilitärshstem werde das wirtschaftliche und geistige Mark des Volkes anfressen u»>d verderben. Um nur etwas zu thun, da doch auch der Freisinn die Nach- ^willigung für das Heer mitznbewilligen sich in der Notwendigkeit befunden habe (die Herren hätten freilich ohne dieses „sich der Notwendigkeit fügen" ^ohl abgewirtschaftet gehabt), kommt nun der geistreiche Staatsmann auf die ^kannte Verkürzung der Dienstzeit und auf die „regelmäßige budgetmäßige Bewilligung der festzustellenden Präsenzstärke." Und das spricht er in dem¬ selben Augenblick ans, wo der Oberst stosset, dieser nüchternste aller Franzosen, ^le Herausgabe von Metz und Strnßburg fordert, der ehemalige Seineprüfett Hausmann den Rhein als Grenze zwischen Deutschland und Frankreich ver¬ engt und die französische Tricolore in Mainz und Koblenz, in Aachen und ^r»er aufpflanzen will! Weiß dem» der freisinnige Abgeordnete nicht, oder will ^ nicht wissen, was doch auch der offizielle Wiirteinbergische Staatsanzeiger

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/391>, abgerufen am 23.07.2024.