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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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weiteres zur Charakteristik der Deutschfreisimügen

glaubt Herr Hänel, daß er die Zölle und die indirekten Steuern, die vom
I . April bis zum 31. Dezember 1889 im deutschen Reiche eingenommen wurden
und die die Höhe von rund 475 Millionen Mark erreichen, durch direkte
Steuern ersetzen könne? Es ist die Frage, ob auch nur eine kleine Anzahl der
wohlsituirten Herren vom Freisinn für sich das im Ernste leisten wollen, was
sie in ihrem Manifest wieder einmal so eifrig befürworten; im Reichstag selbst
wenigstens haben sie den Antrag auf Beseitigung der Zölle und der indirekten
steilern zu stellen sich wohl gehütet. Wollen sie es nachholen und setzten sie
es durch mit ihrer progressiven Reichsstcuer, so möchte wohl gerade bei ihnen
so manches Ach und Weh kommen, zumal da es auf staatlichem Gebiete nicht
angehen würde, sich auf Privilegien wegen Steuerfreiheit zu berufen, wie das
von dem und jenem bei der Kirchensteuer geschehen ist. Wie verständige
Männer heutzutage noch "Abänderung von Zöllen und Steuern" verlangen
können, das ist doch kaum zu begreifen, wenn man erwägt, daß damit die
ganze Wirtschaftspolitik des deutschen Reiches auf den Kopf gestellt werden
würde. Unter dem Schutze dieser Zoll- lind Steuerpolitik ist unsre Industrie,
unser Gewerbe- und Verkehrsleben vom drohenden Niedergange zu ungeahnter
Höhe aufgestiegen, und mit ihnen die Arbeitslöhne, hat sich der Volkswohlstand,
wie die Sparkasseneinlagen überall beweisen, gehoben, die Landwirtschaft ist
vor dem Ruin bewahrt worden, obwohl die Getreidepreise im Jahre 1889
noch nicht so hoch waren, wie vor dem Jahre 1880, d. h. vor der Einführung
der Zölle, ein Beweis, daß das Ausland die Zölle trägt. Wenn man aber
über unsre indirekten Steuern jammert, die ans den Kopf der Bevölkerung
8 Mark 90 Pf. machen, so mag man doch den Leuten nicht verschweigen, daß
in dem schönen Frankreich diese indirekten Steuern weit über viermal mehr,
und in dem freisinnigen England weit über dreimal mehr als bei uns betragen.
Das alles -geht aber die freisinnigen Herren nichts an; sie Präsentiren ihren
Schein, und darauf steht mit großen Buchstaben: "Abänderung!" Daß unter
der jetzigen Zollpolitik das eingetroffen ist, was ihre Urheber hofften, und
nichts von dem, auch gar nichts, was die deutschfreisinnigen Herren mit ihren
sozialdemokratischen Brüdern prophezeiten, daß die Lage der gesamten Bevölke-
günstiger geworden ist, als sie je früher gewesen, daß die einzige vielbedauerte
Branntweinsteuer, die 130 Millionen (allerdings noch lange nicht so viel, als
in dem freisinnigen Amerika und England) eingebracht hat, gar nicht mehr
durch direkte Steuer zu ersetzen wäre, wenn diese nicht zu kolossaler Höhe an¬
wachsen sollte, daß selbst in Beziehung auf die Gesundheit diese Nranntwein-
steuer höchst empfehlenswert ist, da ein Drittel weniger Schnaps getrunken
wird als früher, was kümmert das alles doch die deutschfreisinnigeu Größen?
Ohne durch die Thatsachen irgendwie belehrt zu werdeu, reden sie wie alte
Weiber immer wieder dasselbe, lind wenn sie zehnmal widerlegt worden siud-
Erzielen sie doch mit ihrem Gerede eins: Unzufriedenheit.


weiteres zur Charakteristik der Deutschfreisimügen

glaubt Herr Hänel, daß er die Zölle und die indirekten Steuern, die vom
I . April bis zum 31. Dezember 1889 im deutschen Reiche eingenommen wurden
und die die Höhe von rund 475 Millionen Mark erreichen, durch direkte
Steuern ersetzen könne? Es ist die Frage, ob auch nur eine kleine Anzahl der
wohlsituirten Herren vom Freisinn für sich das im Ernste leisten wollen, was
sie in ihrem Manifest wieder einmal so eifrig befürworten; im Reichstag selbst
wenigstens haben sie den Antrag auf Beseitigung der Zölle und der indirekten
steilern zu stellen sich wohl gehütet. Wollen sie es nachholen und setzten sie
es durch mit ihrer progressiven Reichsstcuer, so möchte wohl gerade bei ihnen
so manches Ach und Weh kommen, zumal da es auf staatlichem Gebiete nicht
angehen würde, sich auf Privilegien wegen Steuerfreiheit zu berufen, wie das
von dem und jenem bei der Kirchensteuer geschehen ist. Wie verständige
Männer heutzutage noch „Abänderung von Zöllen und Steuern" verlangen
können, das ist doch kaum zu begreifen, wenn man erwägt, daß damit die
ganze Wirtschaftspolitik des deutschen Reiches auf den Kopf gestellt werden
würde. Unter dem Schutze dieser Zoll- lind Steuerpolitik ist unsre Industrie,
unser Gewerbe- und Verkehrsleben vom drohenden Niedergange zu ungeahnter
Höhe aufgestiegen, und mit ihnen die Arbeitslöhne, hat sich der Volkswohlstand,
wie die Sparkasseneinlagen überall beweisen, gehoben, die Landwirtschaft ist
vor dem Ruin bewahrt worden, obwohl die Getreidepreise im Jahre 1889
noch nicht so hoch waren, wie vor dem Jahre 1880, d. h. vor der Einführung
der Zölle, ein Beweis, daß das Ausland die Zölle trägt. Wenn man aber
über unsre indirekten Steuern jammert, die ans den Kopf der Bevölkerung
8 Mark 90 Pf. machen, so mag man doch den Leuten nicht verschweigen, daß
in dem schönen Frankreich diese indirekten Steuern weit über viermal mehr,
und in dem freisinnigen England weit über dreimal mehr als bei uns betragen.
Das alles -geht aber die freisinnigen Herren nichts an; sie Präsentiren ihren
Schein, und darauf steht mit großen Buchstaben: „Abänderung!" Daß unter
der jetzigen Zollpolitik das eingetroffen ist, was ihre Urheber hofften, und
nichts von dem, auch gar nichts, was die deutschfreisinnigen Herren mit ihren
sozialdemokratischen Brüdern prophezeiten, daß die Lage der gesamten Bevölke-
günstiger geworden ist, als sie je früher gewesen, daß die einzige vielbedauerte
Branntweinsteuer, die 130 Millionen (allerdings noch lange nicht so viel, als
in dem freisinnigen Amerika und England) eingebracht hat, gar nicht mehr
durch direkte Steuer zu ersetzen wäre, wenn diese nicht zu kolossaler Höhe an¬
wachsen sollte, daß selbst in Beziehung auf die Gesundheit diese Nranntwein-
steuer höchst empfehlenswert ist, da ein Drittel weniger Schnaps getrunken
wird als früher, was kümmert das alles doch die deutschfreisinnigeu Größen?
Ohne durch die Thatsachen irgendwie belehrt zu werdeu, reden sie wie alte
Weiber immer wieder dasselbe, lind wenn sie zehnmal widerlegt worden siud-
Erzielen sie doch mit ihrem Gerede eins: Unzufriedenheit.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/390>, abgerufen am 23.07.2024.