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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Das Wetterrätsel

derselben ist nichts Bestimmtes zu sagen, Um Ende spricht der Volksmund
mit seinen alten Wetterregeln immer noch die zutreffendste Wahrheit ans. Was
aber längere Perioden betrifft, zum Beispiel die Erfahrung, daß ans eine Reihe
strenger Winter eine Reihe milder Winter folgt, so fragt es sich, ob es sich
hierbei um Perioden von bestimmt abgegrenzter Länge handelt, und es ist völlig
ungewiß, ob man diese Perioden zu irgend welchen andern periodischen Er¬
scheinungen, dem Auftreten der Sonnenflecken oder den magnetischen Schwankungen
in Beziehung setzen darf. neuerdings ist Fuld mit seiner Erdbebentheorie
hervorgetreten und hat nachzuweisen gesucht, daß die Anziehung des Mondes
und der Sonne Flutwellen nicht allein des Wassers, sondern auch der Luft
und des flüssigen Erdinnern hervorrufe und daß hierdurch Erschiitternngeu
der Erdrinde sowie atmosphärische Hochfluten, die Stürme, Gewitter und
Niederschläge zur Folge hätte", bewirkt würden. Da sich nun diejenigen Tage,
wo die Anziehungskraft von Sonne und Mond den höchsten Grad erreicht,
berechnen lassen, so hat Falb kritische Tage vorausbestimmt. Aber diese kritischen
Tage gelten für die ganze Erde, und Falb selbst ist weit davon entfernt, seine
Tage zu einer Wettervoraussage zu benutzen, sofern es sich um das Wetter
einer besondern Gegend handelt. Wenn seine Nachfolger ins einzelne gehende
Wettervoraussagen aufgestellt haben, so sind sie durch den Erfolg mit Glanz
widerlegt worden. Im übrigen beschränkt sich die Wettervoraussage darauf,
das bereits eingetretene Wetter festzustellen, und da man den weitern Verlauf
wir einiger Wahrscheinlichkeit vorausbestimmen kann, Voraussagen zu geben,
die für die nächsten vierundzwanzig oder achtundvierzig Stunden gelten.

Dies ist der gegenwärtige Stand der Wettervoraussage, so weit sind wir
gekommen. Das will sagen: nicht sehr weit. Herr Guido Lamprecht verwahrt
sich nun dagegen, daß Wetterkunde und Wettervoraussage dasselbe seien; er
"nimt für die Wetterkunde das Recht in Anspruch, Forschungen anzustellen
und Gesetze zu finden, die für die besondre Wettervoraussage nichts leisten,
aber er ist keineswegs ein Feind der Prognose und sucht vielmehr neue Wege
?>u einer sichern Prognose zu finden.

Hierbei greift er um dreißig Jahre zurück und knüpft an Grundsätze an,
^ von F. Neumann im Jahre 1858 aufgestellt worden sind. Das soll ihm
an sich nicht verübelt werden. Es ist ja möglich, daß unsre gegenwärtige
Witterungsknnde auf falschem Wege ist; es ist auch ganz richtig, ein Stück Weges
öurückzugehen, wenn man glaubt, sich verlaufen zu haben. Nur ist es dann
freilich doppelt nötig, den neuen Weg richtig einzuschlagen. F. Nettmann fordert,
"daß die Lufterscheinungen aus ihrem Kausalnexus vornusbestimmt werden.
Man kann entweder aus dem Eintritte des einen Meteors auf das Eintreten
andern schließen, und damit hat man noch gar wenig erreicht, oder man
wuß aus den Schwankungen, welchen die einzelnen Erscheinungen unterworfen
Und, ein gewisses Gesetz nbstrahiren; dieser letztere Weg, nur durch mathematische


Das Wetterrätsel

derselben ist nichts Bestimmtes zu sagen, Um Ende spricht der Volksmund
mit seinen alten Wetterregeln immer noch die zutreffendste Wahrheit ans. Was
aber längere Perioden betrifft, zum Beispiel die Erfahrung, daß ans eine Reihe
strenger Winter eine Reihe milder Winter folgt, so fragt es sich, ob es sich
hierbei um Perioden von bestimmt abgegrenzter Länge handelt, und es ist völlig
ungewiß, ob man diese Perioden zu irgend welchen andern periodischen Er¬
scheinungen, dem Auftreten der Sonnenflecken oder den magnetischen Schwankungen
in Beziehung setzen darf. neuerdings ist Fuld mit seiner Erdbebentheorie
hervorgetreten und hat nachzuweisen gesucht, daß die Anziehung des Mondes
und der Sonne Flutwellen nicht allein des Wassers, sondern auch der Luft
und des flüssigen Erdinnern hervorrufe und daß hierdurch Erschiitternngeu
der Erdrinde sowie atmosphärische Hochfluten, die Stürme, Gewitter und
Niederschläge zur Folge hätte», bewirkt würden. Da sich nun diejenigen Tage,
wo die Anziehungskraft von Sonne und Mond den höchsten Grad erreicht,
berechnen lassen, so hat Falb kritische Tage vorausbestimmt. Aber diese kritischen
Tage gelten für die ganze Erde, und Falb selbst ist weit davon entfernt, seine
Tage zu einer Wettervoraussage zu benutzen, sofern es sich um das Wetter
einer besondern Gegend handelt. Wenn seine Nachfolger ins einzelne gehende
Wettervoraussagen aufgestellt haben, so sind sie durch den Erfolg mit Glanz
widerlegt worden. Im übrigen beschränkt sich die Wettervoraussage darauf,
das bereits eingetretene Wetter festzustellen, und da man den weitern Verlauf
wir einiger Wahrscheinlichkeit vorausbestimmen kann, Voraussagen zu geben,
die für die nächsten vierundzwanzig oder achtundvierzig Stunden gelten.

Dies ist der gegenwärtige Stand der Wettervoraussage, so weit sind wir
gekommen. Das will sagen: nicht sehr weit. Herr Guido Lamprecht verwahrt
sich nun dagegen, daß Wetterkunde und Wettervoraussage dasselbe seien; er
»nimt für die Wetterkunde das Recht in Anspruch, Forschungen anzustellen
und Gesetze zu finden, die für die besondre Wettervoraussage nichts leisten,
aber er ist keineswegs ein Feind der Prognose und sucht vielmehr neue Wege
?>u einer sichern Prognose zu finden.

Hierbei greift er um dreißig Jahre zurück und knüpft an Grundsätze an,
^ von F. Neumann im Jahre 1858 aufgestellt worden sind. Das soll ihm
an sich nicht verübelt werden. Es ist ja möglich, daß unsre gegenwärtige
Witterungsknnde auf falschem Wege ist; es ist auch ganz richtig, ein Stück Weges
öurückzugehen, wenn man glaubt, sich verlaufen zu haben. Nur ist es dann
freilich doppelt nötig, den neuen Weg richtig einzuschlagen. F. Nettmann fordert,
"daß die Lufterscheinungen aus ihrem Kausalnexus vornusbestimmt werden.
Man kann entweder aus dem Eintritte des einen Meteors auf das Eintreten
andern schließen, und damit hat man noch gar wenig erreicht, oder man
wuß aus den Schwankungen, welchen die einzelnen Erscheinungen unterworfen
Und, ein gewisses Gesetz nbstrahiren; dieser letztere Weg, nur durch mathematische


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[0383] Das Wetterrätsel derselben ist nichts Bestimmtes zu sagen, Um Ende spricht der Volksmund mit seinen alten Wetterregeln immer noch die zutreffendste Wahrheit ans. Was aber längere Perioden betrifft, zum Beispiel die Erfahrung, daß ans eine Reihe strenger Winter eine Reihe milder Winter folgt, so fragt es sich, ob es sich hierbei um Perioden von bestimmt abgegrenzter Länge handelt, und es ist völlig ungewiß, ob man diese Perioden zu irgend welchen andern periodischen Er¬ scheinungen, dem Auftreten der Sonnenflecken oder den magnetischen Schwankungen in Beziehung setzen darf. neuerdings ist Fuld mit seiner Erdbebentheorie hervorgetreten und hat nachzuweisen gesucht, daß die Anziehung des Mondes und der Sonne Flutwellen nicht allein des Wassers, sondern auch der Luft und des flüssigen Erdinnern hervorrufe und daß hierdurch Erschiitternngeu der Erdrinde sowie atmosphärische Hochfluten, die Stürme, Gewitter und Niederschläge zur Folge hätte», bewirkt würden. Da sich nun diejenigen Tage, wo die Anziehungskraft von Sonne und Mond den höchsten Grad erreicht, berechnen lassen, so hat Falb kritische Tage vorausbestimmt. Aber diese kritischen Tage gelten für die ganze Erde, und Falb selbst ist weit davon entfernt, seine Tage zu einer Wettervoraussage zu benutzen, sofern es sich um das Wetter einer besondern Gegend handelt. Wenn seine Nachfolger ins einzelne gehende Wettervoraussagen aufgestellt haben, so sind sie durch den Erfolg mit Glanz widerlegt worden. Im übrigen beschränkt sich die Wettervoraussage darauf, das bereits eingetretene Wetter festzustellen, und da man den weitern Verlauf wir einiger Wahrscheinlichkeit vorausbestimmen kann, Voraussagen zu geben, die für die nächsten vierundzwanzig oder achtundvierzig Stunden gelten. Dies ist der gegenwärtige Stand der Wettervoraussage, so weit sind wir gekommen. Das will sagen: nicht sehr weit. Herr Guido Lamprecht verwahrt sich nun dagegen, daß Wetterkunde und Wettervoraussage dasselbe seien; er »nimt für die Wetterkunde das Recht in Anspruch, Forschungen anzustellen und Gesetze zu finden, die für die besondre Wettervoraussage nichts leisten, aber er ist keineswegs ein Feind der Prognose und sucht vielmehr neue Wege ?>u einer sichern Prognose zu finden. Hierbei greift er um dreißig Jahre zurück und knüpft an Grundsätze an, ^ von F. Neumann im Jahre 1858 aufgestellt worden sind. Das soll ihm an sich nicht verübelt werden. Es ist ja möglich, daß unsre gegenwärtige Witterungsknnde auf falschem Wege ist; es ist auch ganz richtig, ein Stück Weges öurückzugehen, wenn man glaubt, sich verlaufen zu haben. Nur ist es dann freilich doppelt nötig, den neuen Weg richtig einzuschlagen. F. Nettmann fordert, "daß die Lufterscheinungen aus ihrem Kausalnexus vornusbestimmt werden. Man kann entweder aus dem Eintritte des einen Meteors auf das Eintreten andern schließen, und damit hat man noch gar wenig erreicht, oder man wuß aus den Schwankungen, welchen die einzelnen Erscheinungen unterworfen Und, ein gewisses Gesetz nbstrahiren; dieser letztere Weg, nur durch mathematische

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/383>, abgerufen am 25.08.2024.