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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Humor und Komik in der griechischen Kunst

aus der Familie und von der Straße, ans der Werkstatt und vom Turnplatz.
Da läßt sich auf einem Vasengemälde eine junge Dame Maß zu ein paar
Schuhen nehmen; sie hat sich auf den Schustertisch gestellt und giebt mit aus¬
gestreckter Hand eine Weisung, vermutlich die Schuhe hübsch elegant und klein
zu machen, und der ehrbare Meister unterhandelt lebhaft mit der Schönen über
diese wichtige Frage. In einer Terrakottngruppe sehen wir den Pädagogen, einen
dicken, behäbigen Alten, halb Sokrntes und halb Silen, mit seinen beiden Zög¬
lingen; den einen, einen Übelthäter oder verstockten Faulpelz, hat er am Ohr gepackt
und zupft ihn tüchtig, dabei mit sichtlichem Behagen über seine Machtbefugnis,
während der gemißhandelte Knabe brüllt; vor ihm aber steht, züchtig in seinen
langen Mantel gehüllt, der brave Schüler mit über und über strahlendem
Gesicht, als freue er sich seines guten moralischen Wandels. Auf einem hercu-
lanischen Wandgemälde, wo ans öffentlichem Markte Schule gehalten wird,
geht die Züchtigung gar vor aller Augen vor sich, indem der Delinquent, der
verzweifelt schreit, übergelegt und mit Ruten gestrichen wird.

Bei den Darstellungen aus dem Leben der herangewachsenen männlichen
Jugend fehlt es selbstverständlich nicht an Szenen sehr derben Humors, deren
Beschreibung sich vielfach der Mitteilung entzieht; aber neben solchen geradezu
anstößigen Darstellungen, die ebenso die Vasengemälde wie die pompejanischen
Wandmalereien (zumal der Lupanarien) bieten und die in der Regel nur vbscöu,
aber gar nicht komisch sind, finden wir auch harmlosere Situationen, wie sie
sich bei lustige" Gelagen und deren Folgen leicht von selbst ergeben. Zwar
wird der moderne Beschauer vielfach bei diesen Darstellungen jene Feinheit der
Einzelbehandlung vermissen, die wir von der modernen Genremalerei her ge¬
wöhnt sind; allein>das liegt doch nur daran, daß es fast alles nur Erzeugnisse
des Kunstgewerbes sind, die uns vorliegen, und die Bildchen aus dem Leben,
die einst Pauson oder Peiraikos oder andre namhafte Genremaler des Alter¬
tums malten, haben jenen Vorzug sicherlich auch nicht entbehrt.

Schließlich noch ein paar Worte über ein besondres Gebiet des Komischen
in der Kunst: die Karrikatur. Auch das Zerrbild, das ernste Vorgänge in
possenhafter Weise vorführt oder parodirt, menschliche Figuren nnter Bei¬
behaltung ihrer wesentlichsten charakteristischen Züge in lächerlicher Verunstal¬
tung wiedergiebt, ist in den alten Kunstwerken ziemlich reich vertreten. Schon
ein alter Künstler des sechsten Jahrhunderts v. Chr., namens Vupalos, hatte
es schwer büßen müssen, daß er seinem übermütigen Witz zu sehr die Zügel
schießen ließ und den Dichter Hipponax., der verwachsen war, als Karrikatur
darstellte: der ergrimmte Dichter verfolgte den Meister mit seineu boshaftesten
Jamben, und dieser soll sich, wie man erzählte, schließlich aus Verzweiflung
darüber sogar das Leben genommen haben. Antiphilos, ein Zeitgenosse des
Apelles, karrikirte einen gewissen Gryllvs als Ferkel, nnter Anspielung auf
seinen Namen, der das Ferkel bedeutet, und davon bekam eine ganze Gattung


Humor und Komik in der griechischen Kunst

aus der Familie und von der Straße, ans der Werkstatt und vom Turnplatz.
Da läßt sich auf einem Vasengemälde eine junge Dame Maß zu ein paar
Schuhen nehmen; sie hat sich auf den Schustertisch gestellt und giebt mit aus¬
gestreckter Hand eine Weisung, vermutlich die Schuhe hübsch elegant und klein
zu machen, und der ehrbare Meister unterhandelt lebhaft mit der Schönen über
diese wichtige Frage. In einer Terrakottngruppe sehen wir den Pädagogen, einen
dicken, behäbigen Alten, halb Sokrntes und halb Silen, mit seinen beiden Zög¬
lingen; den einen, einen Übelthäter oder verstockten Faulpelz, hat er am Ohr gepackt
und zupft ihn tüchtig, dabei mit sichtlichem Behagen über seine Machtbefugnis,
während der gemißhandelte Knabe brüllt; vor ihm aber steht, züchtig in seinen
langen Mantel gehüllt, der brave Schüler mit über und über strahlendem
Gesicht, als freue er sich seines guten moralischen Wandels. Auf einem hercu-
lanischen Wandgemälde, wo ans öffentlichem Markte Schule gehalten wird,
geht die Züchtigung gar vor aller Augen vor sich, indem der Delinquent, der
verzweifelt schreit, übergelegt und mit Ruten gestrichen wird.

Bei den Darstellungen aus dem Leben der herangewachsenen männlichen
Jugend fehlt es selbstverständlich nicht an Szenen sehr derben Humors, deren
Beschreibung sich vielfach der Mitteilung entzieht; aber neben solchen geradezu
anstößigen Darstellungen, die ebenso die Vasengemälde wie die pompejanischen
Wandmalereien (zumal der Lupanarien) bieten und die in der Regel nur vbscöu,
aber gar nicht komisch sind, finden wir auch harmlosere Situationen, wie sie
sich bei lustige» Gelagen und deren Folgen leicht von selbst ergeben. Zwar
wird der moderne Beschauer vielfach bei diesen Darstellungen jene Feinheit der
Einzelbehandlung vermissen, die wir von der modernen Genremalerei her ge¬
wöhnt sind; allein>das liegt doch nur daran, daß es fast alles nur Erzeugnisse
des Kunstgewerbes sind, die uns vorliegen, und die Bildchen aus dem Leben,
die einst Pauson oder Peiraikos oder andre namhafte Genremaler des Alter¬
tums malten, haben jenen Vorzug sicherlich auch nicht entbehrt.

Schließlich noch ein paar Worte über ein besondres Gebiet des Komischen
in der Kunst: die Karrikatur. Auch das Zerrbild, das ernste Vorgänge in
possenhafter Weise vorführt oder parodirt, menschliche Figuren nnter Bei¬
behaltung ihrer wesentlichsten charakteristischen Züge in lächerlicher Verunstal¬
tung wiedergiebt, ist in den alten Kunstwerken ziemlich reich vertreten. Schon
ein alter Künstler des sechsten Jahrhunderts v. Chr., namens Vupalos, hatte
es schwer büßen müssen, daß er seinem übermütigen Witz zu sehr die Zügel
schießen ließ und den Dichter Hipponax., der verwachsen war, als Karrikatur
darstellte: der ergrimmte Dichter verfolgte den Meister mit seineu boshaftesten
Jamben, und dieser soll sich, wie man erzählte, schließlich aus Verzweiflung
darüber sogar das Leben genommen haben. Antiphilos, ein Zeitgenosse des
Apelles, karrikirte einen gewissen Gryllvs als Ferkel, nnter Anspielung auf
seinen Namen, der das Ferkel bedeutet, und davon bekam eine ganze Gattung


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[0380] Humor und Komik in der griechischen Kunst aus der Familie und von der Straße, ans der Werkstatt und vom Turnplatz. Da läßt sich auf einem Vasengemälde eine junge Dame Maß zu ein paar Schuhen nehmen; sie hat sich auf den Schustertisch gestellt und giebt mit aus¬ gestreckter Hand eine Weisung, vermutlich die Schuhe hübsch elegant und klein zu machen, und der ehrbare Meister unterhandelt lebhaft mit der Schönen über diese wichtige Frage. In einer Terrakottngruppe sehen wir den Pädagogen, einen dicken, behäbigen Alten, halb Sokrntes und halb Silen, mit seinen beiden Zög¬ lingen; den einen, einen Übelthäter oder verstockten Faulpelz, hat er am Ohr gepackt und zupft ihn tüchtig, dabei mit sichtlichem Behagen über seine Machtbefugnis, während der gemißhandelte Knabe brüllt; vor ihm aber steht, züchtig in seinen langen Mantel gehüllt, der brave Schüler mit über und über strahlendem Gesicht, als freue er sich seines guten moralischen Wandels. Auf einem hercu- lanischen Wandgemälde, wo ans öffentlichem Markte Schule gehalten wird, geht die Züchtigung gar vor aller Augen vor sich, indem der Delinquent, der verzweifelt schreit, übergelegt und mit Ruten gestrichen wird. Bei den Darstellungen aus dem Leben der herangewachsenen männlichen Jugend fehlt es selbstverständlich nicht an Szenen sehr derben Humors, deren Beschreibung sich vielfach der Mitteilung entzieht; aber neben solchen geradezu anstößigen Darstellungen, die ebenso die Vasengemälde wie die pompejanischen Wandmalereien (zumal der Lupanarien) bieten und die in der Regel nur vbscöu, aber gar nicht komisch sind, finden wir auch harmlosere Situationen, wie sie sich bei lustige» Gelagen und deren Folgen leicht von selbst ergeben. Zwar wird der moderne Beschauer vielfach bei diesen Darstellungen jene Feinheit der Einzelbehandlung vermissen, die wir von der modernen Genremalerei her ge¬ wöhnt sind; allein>das liegt doch nur daran, daß es fast alles nur Erzeugnisse des Kunstgewerbes sind, die uns vorliegen, und die Bildchen aus dem Leben, die einst Pauson oder Peiraikos oder andre namhafte Genremaler des Alter¬ tums malten, haben jenen Vorzug sicherlich auch nicht entbehrt. Schließlich noch ein paar Worte über ein besondres Gebiet des Komischen in der Kunst: die Karrikatur. Auch das Zerrbild, das ernste Vorgänge in possenhafter Weise vorführt oder parodirt, menschliche Figuren nnter Bei¬ behaltung ihrer wesentlichsten charakteristischen Züge in lächerlicher Verunstal¬ tung wiedergiebt, ist in den alten Kunstwerken ziemlich reich vertreten. Schon ein alter Künstler des sechsten Jahrhunderts v. Chr., namens Vupalos, hatte es schwer büßen müssen, daß er seinem übermütigen Witz zu sehr die Zügel schießen ließ und den Dichter Hipponax., der verwachsen war, als Karrikatur darstellte: der ergrimmte Dichter verfolgte den Meister mit seineu boshaftesten Jamben, und dieser soll sich, wie man erzählte, schließlich aus Verzweiflung darüber sogar das Leben genommen haben. Antiphilos, ein Zeitgenosse des Apelles, karrikirte einen gewissen Gryllvs als Ferkel, nnter Anspielung auf seinen Namen, der das Ferkel bedeutet, und davon bekam eine ganze Gattung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/380>, abgerufen am 23.07.2024.