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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Selbst der furchtbaren Ödipussage mit ihren erschütternden Schicksals¬
schlägen weiß die Kunst einen humoristischen Zug abzugewinnen. Wir rechnen
hierher zwar nicht jene Darstellungen, wo die Sphinx mit Satyrn oder Sileneu
gruppirt ist, denn diese gehen auf das Satyrdrnma zurück; aber das menscheu-
vernichtende Ungeheuer, das so viel Elend über das thebanische Volk gebracht
hat, wird von der Vasenmalerei auch sonst bisweilen in recht gemütlicher Weise
aufgefaßt. Da sitzt z. B. ÖdipuS behaglich auf einem Steine, ein Bein über
das andre geschlagen, und guckt die Sphinx neugierig an, während diese
nachdenklich ans ihn herniederschaut, Oder ein andermal sehen wir eine
ganze Anzahl von Jünglingen um das Untier versammelt; nachdenklich sinnen
einige über die Lösung des Rätsels nach; der eine spreizt seine Finger, als ob
er sagen wollte: Ja, das ist mir viel zu schwer! Aber ein andrer stürzt eil¬
fertig heran, und seiner lebhaften Gestikulation kann man die Worte ansehen:
Ich Habs, das ist der Mensch! Hinter ihm steht ein andrer Gefährte und
schlägt sich mit der Hand vor die Stirn, als ob er sagte: Nein, wie man nur
so dumm sein kann und das nicht raten!

Die kriegerischen Szenen der Ilias bieten für Humor und Komik selbst¬
verständlich keinen Raum. Die einzige Figur der Sage, die unter Umständen
einen etwas komischen Anstrich haben könnte, der schmähsüchtige, auch durch
sein Äußeres, wie Homer es schildert, gekennzeichnete Thersites, scheint von
der Kunst nur äußerst selten dargestellt worden zu sein: wir finden ihn nur
nuf einigen untergeordneten Bildwerken, wo von komischer Auffassung nichts
zu erkennen ist; andre, auf Thersites bezogne Darstellungen sind so zweifelhafter
Natur, daß wir hier nicht auf sie Rücksicht nehmen können. Mehr Anlaß zu
humorvoller Behandlung boten die Abenteuer des Odhsseus; eins, das Abenteuer
beim Polhphem, haben wir schon angeführt. Dieser ungeschlachte Niese ist auch
sonst Gegenstand künstlerischer Behandlung geworden. Wenn Theokrit ihn
schildert, wie er ans den Felsen an, Meere sitzend seiner Liebessehnsucht nach
der schönen Galathea herzbrechenden Ausdruck verleiht, wie er ihr seine Reich¬
tümer an Herden, Milch und Käse anpreist, seine Fertigkeit ans der Hirten¬
pfeife u. s. w., so ist dasselbe Motiv, die Liebe des häßlichen Einäugigen zu
der anmutigen, schneeweißen Nymphe, auch von der Kunst gern gewählt und
"ut Humor behandelt worden. Auf pompejanischen Wandgemälden sitzt er am
Ufer und leiht seinem Liebesgram Worte zu den Tönen einer roh aus Hirsch¬
horn gefertigten Leier, oder er übergiebt einem kleinen, auf einem Delphin
reitenden Eros, der den Liebesboten spielt, ein zärtliches Briefchen zur Be¬
sorgung an die spröde Geliebte. Unter den andern Abenteuern des Odhsseus
^ hier besonders zu nennen die Szene bei der Zauberin Kirke, wie sie seine
Gefährten in Tiere verwandelt; die Kunst stellt nämlich diese verwandelten
Gestalten nicht ganz als Tiere dar, sondern deutet ihre Verwandlung dadurch
daß sie ihnen nur den Tierkopf giebt, im übrigen aber die menschliche


Grenzboten I 1890 47

Selbst der furchtbaren Ödipussage mit ihren erschütternden Schicksals¬
schlägen weiß die Kunst einen humoristischen Zug abzugewinnen. Wir rechnen
hierher zwar nicht jene Darstellungen, wo die Sphinx mit Satyrn oder Sileneu
gruppirt ist, denn diese gehen auf das Satyrdrnma zurück; aber das menscheu-
vernichtende Ungeheuer, das so viel Elend über das thebanische Volk gebracht
hat, wird von der Vasenmalerei auch sonst bisweilen in recht gemütlicher Weise
aufgefaßt. Da sitzt z. B. ÖdipuS behaglich auf einem Steine, ein Bein über
das andre geschlagen, und guckt die Sphinx neugierig an, während diese
nachdenklich ans ihn herniederschaut, Oder ein andermal sehen wir eine
ganze Anzahl von Jünglingen um das Untier versammelt; nachdenklich sinnen
einige über die Lösung des Rätsels nach; der eine spreizt seine Finger, als ob
er sagen wollte: Ja, das ist mir viel zu schwer! Aber ein andrer stürzt eil¬
fertig heran, und seiner lebhaften Gestikulation kann man die Worte ansehen:
Ich Habs, das ist der Mensch! Hinter ihm steht ein andrer Gefährte und
schlägt sich mit der Hand vor die Stirn, als ob er sagte: Nein, wie man nur
so dumm sein kann und das nicht raten!

Die kriegerischen Szenen der Ilias bieten für Humor und Komik selbst¬
verständlich keinen Raum. Die einzige Figur der Sage, die unter Umständen
einen etwas komischen Anstrich haben könnte, der schmähsüchtige, auch durch
sein Äußeres, wie Homer es schildert, gekennzeichnete Thersites, scheint von
der Kunst nur äußerst selten dargestellt worden zu sein: wir finden ihn nur
nuf einigen untergeordneten Bildwerken, wo von komischer Auffassung nichts
zu erkennen ist; andre, auf Thersites bezogne Darstellungen sind so zweifelhafter
Natur, daß wir hier nicht auf sie Rücksicht nehmen können. Mehr Anlaß zu
humorvoller Behandlung boten die Abenteuer des Odhsseus; eins, das Abenteuer
beim Polhphem, haben wir schon angeführt. Dieser ungeschlachte Niese ist auch
sonst Gegenstand künstlerischer Behandlung geworden. Wenn Theokrit ihn
schildert, wie er ans den Felsen an, Meere sitzend seiner Liebessehnsucht nach
der schönen Galathea herzbrechenden Ausdruck verleiht, wie er ihr seine Reich¬
tümer an Herden, Milch und Käse anpreist, seine Fertigkeit ans der Hirten¬
pfeife u. s. w., so ist dasselbe Motiv, die Liebe des häßlichen Einäugigen zu
der anmutigen, schneeweißen Nymphe, auch von der Kunst gern gewählt und
"ut Humor behandelt worden. Auf pompejanischen Wandgemälden sitzt er am
Ufer und leiht seinem Liebesgram Worte zu den Tönen einer roh aus Hirsch¬
horn gefertigten Leier, oder er übergiebt einem kleinen, auf einem Delphin
reitenden Eros, der den Liebesboten spielt, ein zärtliches Briefchen zur Be¬
sorgung an die spröde Geliebte. Unter den andern Abenteuern des Odhsseus
^ hier besonders zu nennen die Szene bei der Zauberin Kirke, wie sie seine
Gefährten in Tiere verwandelt; die Kunst stellt nämlich diese verwandelten
Gestalten nicht ganz als Tiere dar, sondern deutet ihre Verwandlung dadurch
daß sie ihnen nur den Tierkopf giebt, im übrigen aber die menschliche


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[0377] Selbst der furchtbaren Ödipussage mit ihren erschütternden Schicksals¬ schlägen weiß die Kunst einen humoristischen Zug abzugewinnen. Wir rechnen hierher zwar nicht jene Darstellungen, wo die Sphinx mit Satyrn oder Sileneu gruppirt ist, denn diese gehen auf das Satyrdrnma zurück; aber das menscheu- vernichtende Ungeheuer, das so viel Elend über das thebanische Volk gebracht hat, wird von der Vasenmalerei auch sonst bisweilen in recht gemütlicher Weise aufgefaßt. Da sitzt z. B. ÖdipuS behaglich auf einem Steine, ein Bein über das andre geschlagen, und guckt die Sphinx neugierig an, während diese nachdenklich ans ihn herniederschaut, Oder ein andermal sehen wir eine ganze Anzahl von Jünglingen um das Untier versammelt; nachdenklich sinnen einige über die Lösung des Rätsels nach; der eine spreizt seine Finger, als ob er sagen wollte: Ja, das ist mir viel zu schwer! Aber ein andrer stürzt eil¬ fertig heran, und seiner lebhaften Gestikulation kann man die Worte ansehen: Ich Habs, das ist der Mensch! Hinter ihm steht ein andrer Gefährte und schlägt sich mit der Hand vor die Stirn, als ob er sagte: Nein, wie man nur so dumm sein kann und das nicht raten! Die kriegerischen Szenen der Ilias bieten für Humor und Komik selbst¬ verständlich keinen Raum. Die einzige Figur der Sage, die unter Umständen einen etwas komischen Anstrich haben könnte, der schmähsüchtige, auch durch sein Äußeres, wie Homer es schildert, gekennzeichnete Thersites, scheint von der Kunst nur äußerst selten dargestellt worden zu sein: wir finden ihn nur nuf einigen untergeordneten Bildwerken, wo von komischer Auffassung nichts zu erkennen ist; andre, auf Thersites bezogne Darstellungen sind so zweifelhafter Natur, daß wir hier nicht auf sie Rücksicht nehmen können. Mehr Anlaß zu humorvoller Behandlung boten die Abenteuer des Odhsseus; eins, das Abenteuer beim Polhphem, haben wir schon angeführt. Dieser ungeschlachte Niese ist auch sonst Gegenstand künstlerischer Behandlung geworden. Wenn Theokrit ihn schildert, wie er ans den Felsen an, Meere sitzend seiner Liebessehnsucht nach der schönen Galathea herzbrechenden Ausdruck verleiht, wie er ihr seine Reich¬ tümer an Herden, Milch und Käse anpreist, seine Fertigkeit ans der Hirten¬ pfeife u. s. w., so ist dasselbe Motiv, die Liebe des häßlichen Einäugigen zu der anmutigen, schneeweißen Nymphe, auch von der Kunst gern gewählt und "ut Humor behandelt worden. Auf pompejanischen Wandgemälden sitzt er am Ufer und leiht seinem Liebesgram Worte zu den Tönen einer roh aus Hirsch¬ horn gefertigten Leier, oder er übergiebt einem kleinen, auf einem Delphin reitenden Eros, der den Liebesboten spielt, ein zärtliches Briefchen zur Be¬ sorgung an die spröde Geliebte. Unter den andern Abenteuern des Odhsseus ^ hier besonders zu nennen die Szene bei der Zauberin Kirke, wie sie seine Gefährten in Tiere verwandelt; die Kunst stellt nämlich diese verwandelten Gestalten nicht ganz als Tiere dar, sondern deutet ihre Verwandlung dadurch daß sie ihnen nur den Tierkopf giebt, im übrigen aber die menschliche Grenzboten I 1890 47

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/377>, abgerufen am 23.07.2024.