Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Ausbildung für das Lehramt an den höhern Schulen

Bildung der Lehrer für höhere Schulen in eine einseitige Richtung hinein¬
zutreiben.

Sehen wir uns die Kritik, die die Denkschrift an der Einrichtung der
pädagogischen Universitätsseminare übt, etwas unser an.

Da heißt es zunächst, daß die zur Begründung dieser Einrichtung vielfach
angeführte Analogie der Seminare für Volksschullehrer oder gar der medi¬
zinischen Kliniken abzuweisen sei. Dagegen sagen wir, die Analogie mit den
Volksschullehrerseminaren ist ganz zutreffend. Der Unterschied liegt nnr in
dem Umfang des Wissens, betrifft also nur den Grad, nicht die Sache an sich.
Bei allen Lehrern, sie mögen unterrichten, an welchen Schulen sie wollen,
kommt es auf zwei Punkte um: 1. auf Aneignung eines bestimmten Wissens
in den einzelnen Fachwissenschaften, 2. auf die Aneignung der didaktischen
Lehren über die naturgemäße Vermittlung des Wissens an das heranwachsende
Geschlecht zur Herbeiführung einer harmonisch-geschlossenen Bildung. Daher
hat jeder Lehrer zwei Kurse in seiner Ausbildung durchzumachen: 1. den
rein fachwissenschaftlichen und 2. den pädagogisch-didaktischen. In den Vvlks-
schullehrerseminaren sind beide Kurse bekanntlich mit einander verquickt, aber
keineswegs zum Vorteil der Auszubildenden. Denn keiner der beiden Kurse kann
bei dieser unnatürlichen Ehe zu seinem, vollen Rechte kommen. Die Bildung der
Volksschullehrer bleibt deshalb nach der fachwissenschaftlichen sowie nach der
pädagogischen Seite eine halbe, und diese Halbheit wird anch den Angehörigen
dieses Standes häufig genug vorgehalten. Die Lehrer an den höhern Schulen
besitzen auch hierin einen großen Vorzug. Sie können ruhig zuerst ihr fach¬
wissenschaftliches Studium zu einem gewissen Abschluß bringen; dann sollen
sie die methodische Bearbeitung der Lehrstoffe in einem pädagogischen Seminar
kennen lernen.

Was die Analogie mit den medizinischen Kliniken betrifft, so liegt die
Sache hier so. Für die Pädagogik soll der Satz: Der Universität die Theorie,
der spätern Thätigkeit die Praxis -- das allein Richtige enthalten. Warum
dehnt man aber dann diesen Grundsatz nicht auch auf das Gebiet der Medizin
aus? Fürchtet man vielleicht, daß die auf die Theorie folgende Praxis zu viel
Opfer fordern würde? Wäre es nicht konsequent und billig zugleich, auch
da zu verkünden: Der Universität die Theorie, dem Leben die Praxis?

Sonderbar, wenn es sich nur die Gesundheit des lieben Leibes handelt,
hört sogleich alle Konsequenz auf. Da heißt es sofort: Wie kann man
so gewissenlos sein und die jungen Ärzte auf der Universität nur mit theo¬
retischer Bildung ausstatten wollen! Die Übertragung der Theorie auf Einzel-
fälle in der Praxis will doch gelernt, will erfahren, will geübt sein, ehe man
das Menschenwohl dein prcittizirendeu Jünger anvertrauen kann. Aber auf
dem Gebiete der Pädagogik? O, da liegt die Sache ganz anders. Da handelt
sichs ja bloß um die Gesundheit der Seele; da stirbt mau ja nicht gleich, wenn


Die Ausbildung für das Lehramt an den höhern Schulen

Bildung der Lehrer für höhere Schulen in eine einseitige Richtung hinein¬
zutreiben.

Sehen wir uns die Kritik, die die Denkschrift an der Einrichtung der
pädagogischen Universitätsseminare übt, etwas unser an.

Da heißt es zunächst, daß die zur Begründung dieser Einrichtung vielfach
angeführte Analogie der Seminare für Volksschullehrer oder gar der medi¬
zinischen Kliniken abzuweisen sei. Dagegen sagen wir, die Analogie mit den
Volksschullehrerseminaren ist ganz zutreffend. Der Unterschied liegt nnr in
dem Umfang des Wissens, betrifft also nur den Grad, nicht die Sache an sich.
Bei allen Lehrern, sie mögen unterrichten, an welchen Schulen sie wollen,
kommt es auf zwei Punkte um: 1. auf Aneignung eines bestimmten Wissens
in den einzelnen Fachwissenschaften, 2. auf die Aneignung der didaktischen
Lehren über die naturgemäße Vermittlung des Wissens an das heranwachsende
Geschlecht zur Herbeiführung einer harmonisch-geschlossenen Bildung. Daher
hat jeder Lehrer zwei Kurse in seiner Ausbildung durchzumachen: 1. den
rein fachwissenschaftlichen und 2. den pädagogisch-didaktischen. In den Vvlks-
schullehrerseminaren sind beide Kurse bekanntlich mit einander verquickt, aber
keineswegs zum Vorteil der Auszubildenden. Denn keiner der beiden Kurse kann
bei dieser unnatürlichen Ehe zu seinem, vollen Rechte kommen. Die Bildung der
Volksschullehrer bleibt deshalb nach der fachwissenschaftlichen sowie nach der
pädagogischen Seite eine halbe, und diese Halbheit wird anch den Angehörigen
dieses Standes häufig genug vorgehalten. Die Lehrer an den höhern Schulen
besitzen auch hierin einen großen Vorzug. Sie können ruhig zuerst ihr fach¬
wissenschaftliches Studium zu einem gewissen Abschluß bringen; dann sollen
sie die methodische Bearbeitung der Lehrstoffe in einem pädagogischen Seminar
kennen lernen.

Was die Analogie mit den medizinischen Kliniken betrifft, so liegt die
Sache hier so. Für die Pädagogik soll der Satz: Der Universität die Theorie,
der spätern Thätigkeit die Praxis — das allein Richtige enthalten. Warum
dehnt man aber dann diesen Grundsatz nicht auch auf das Gebiet der Medizin
aus? Fürchtet man vielleicht, daß die auf die Theorie folgende Praxis zu viel
Opfer fordern würde? Wäre es nicht konsequent und billig zugleich, auch
da zu verkünden: Der Universität die Theorie, dem Leben die Praxis?

Sonderbar, wenn es sich nur die Gesundheit des lieben Leibes handelt,
hört sogleich alle Konsequenz auf. Da heißt es sofort: Wie kann man
so gewissenlos sein und die jungen Ärzte auf der Universität nur mit theo¬
retischer Bildung ausstatten wollen! Die Übertragung der Theorie auf Einzel-
fälle in der Praxis will doch gelernt, will erfahren, will geübt sein, ehe man
das Menschenwohl dein prcittizirendeu Jünger anvertrauen kann. Aber auf
dem Gebiete der Pädagogik? O, da liegt die Sache ganz anders. Da handelt
sichs ja bloß um die Gesundheit der Seele; da stirbt mau ja nicht gleich, wenn


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0370" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/207015"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Ausbildung für das Lehramt an den höhern Schulen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_968" prev="#ID_967"> Bildung der Lehrer für höhere Schulen in eine einseitige Richtung hinein¬<lb/>
zutreiben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_969"> Sehen wir uns die Kritik, die die Denkschrift an der Einrichtung der<lb/>
pädagogischen Universitätsseminare übt, etwas unser an.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_970"> Da heißt es zunächst, daß die zur Begründung dieser Einrichtung vielfach<lb/>
angeführte Analogie der Seminare für Volksschullehrer oder gar der medi¬<lb/>
zinischen Kliniken abzuweisen sei. Dagegen sagen wir, die Analogie mit den<lb/>
Volksschullehrerseminaren ist ganz zutreffend. Der Unterschied liegt nnr in<lb/>
dem Umfang des Wissens, betrifft also nur den Grad, nicht die Sache an sich.<lb/>
Bei allen Lehrern, sie mögen unterrichten, an welchen Schulen sie wollen,<lb/>
kommt es auf zwei Punkte um: 1. auf Aneignung eines bestimmten Wissens<lb/>
in den einzelnen Fachwissenschaften, 2. auf die Aneignung der didaktischen<lb/>
Lehren über die naturgemäße Vermittlung des Wissens an das heranwachsende<lb/>
Geschlecht zur Herbeiführung einer harmonisch-geschlossenen Bildung. Daher<lb/>
hat jeder Lehrer zwei Kurse in seiner Ausbildung durchzumachen: 1. den<lb/>
rein fachwissenschaftlichen und 2. den pädagogisch-didaktischen. In den Vvlks-<lb/>
schullehrerseminaren sind beide Kurse bekanntlich mit einander verquickt, aber<lb/>
keineswegs zum Vorteil der Auszubildenden. Denn keiner der beiden Kurse kann<lb/>
bei dieser unnatürlichen Ehe zu seinem, vollen Rechte kommen. Die Bildung der<lb/>
Volksschullehrer bleibt deshalb nach der fachwissenschaftlichen sowie nach der<lb/>
pädagogischen Seite eine halbe, und diese Halbheit wird anch den Angehörigen<lb/>
dieses Standes häufig genug vorgehalten. Die Lehrer an den höhern Schulen<lb/>
besitzen auch hierin einen großen Vorzug. Sie können ruhig zuerst ihr fach¬<lb/>
wissenschaftliches Studium zu einem gewissen Abschluß bringen; dann sollen<lb/>
sie die methodische Bearbeitung der Lehrstoffe in einem pädagogischen Seminar<lb/>
kennen lernen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_971"> Was die Analogie mit den medizinischen Kliniken betrifft, so liegt die<lb/>
Sache hier so. Für die Pädagogik soll der Satz: Der Universität die Theorie,<lb/>
der spätern Thätigkeit die Praxis &#x2014; das allein Richtige enthalten. Warum<lb/>
dehnt man aber dann diesen Grundsatz nicht auch auf das Gebiet der Medizin<lb/>
aus? Fürchtet man vielleicht, daß die auf die Theorie folgende Praxis zu viel<lb/>
Opfer fordern würde? Wäre es nicht konsequent und billig zugleich, auch<lb/>
da zu verkünden: Der Universität die Theorie, dem Leben die Praxis?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_972" next="#ID_973"> Sonderbar, wenn es sich nur die Gesundheit des lieben Leibes handelt,<lb/>
hört sogleich alle Konsequenz auf. Da heißt es sofort: Wie kann man<lb/>
so gewissenlos sein und die jungen Ärzte auf der Universität nur mit theo¬<lb/>
retischer Bildung ausstatten wollen! Die Übertragung der Theorie auf Einzel-<lb/>
fälle in der Praxis will doch gelernt, will erfahren, will geübt sein, ehe man<lb/>
das Menschenwohl dein prcittizirendeu Jünger anvertrauen kann. Aber auf<lb/>
dem Gebiete der Pädagogik? O, da liegt die Sache ganz anders. Da handelt<lb/>
sichs ja bloß um die Gesundheit der Seele; da stirbt mau ja nicht gleich, wenn</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0370] Die Ausbildung für das Lehramt an den höhern Schulen Bildung der Lehrer für höhere Schulen in eine einseitige Richtung hinein¬ zutreiben. Sehen wir uns die Kritik, die die Denkschrift an der Einrichtung der pädagogischen Universitätsseminare übt, etwas unser an. Da heißt es zunächst, daß die zur Begründung dieser Einrichtung vielfach angeführte Analogie der Seminare für Volksschullehrer oder gar der medi¬ zinischen Kliniken abzuweisen sei. Dagegen sagen wir, die Analogie mit den Volksschullehrerseminaren ist ganz zutreffend. Der Unterschied liegt nnr in dem Umfang des Wissens, betrifft also nur den Grad, nicht die Sache an sich. Bei allen Lehrern, sie mögen unterrichten, an welchen Schulen sie wollen, kommt es auf zwei Punkte um: 1. auf Aneignung eines bestimmten Wissens in den einzelnen Fachwissenschaften, 2. auf die Aneignung der didaktischen Lehren über die naturgemäße Vermittlung des Wissens an das heranwachsende Geschlecht zur Herbeiführung einer harmonisch-geschlossenen Bildung. Daher hat jeder Lehrer zwei Kurse in seiner Ausbildung durchzumachen: 1. den rein fachwissenschaftlichen und 2. den pädagogisch-didaktischen. In den Vvlks- schullehrerseminaren sind beide Kurse bekanntlich mit einander verquickt, aber keineswegs zum Vorteil der Auszubildenden. Denn keiner der beiden Kurse kann bei dieser unnatürlichen Ehe zu seinem, vollen Rechte kommen. Die Bildung der Volksschullehrer bleibt deshalb nach der fachwissenschaftlichen sowie nach der pädagogischen Seite eine halbe, und diese Halbheit wird anch den Angehörigen dieses Standes häufig genug vorgehalten. Die Lehrer an den höhern Schulen besitzen auch hierin einen großen Vorzug. Sie können ruhig zuerst ihr fach¬ wissenschaftliches Studium zu einem gewissen Abschluß bringen; dann sollen sie die methodische Bearbeitung der Lehrstoffe in einem pädagogischen Seminar kennen lernen. Was die Analogie mit den medizinischen Kliniken betrifft, so liegt die Sache hier so. Für die Pädagogik soll der Satz: Der Universität die Theorie, der spätern Thätigkeit die Praxis — das allein Richtige enthalten. Warum dehnt man aber dann diesen Grundsatz nicht auch auf das Gebiet der Medizin aus? Fürchtet man vielleicht, daß die auf die Theorie folgende Praxis zu viel Opfer fordern würde? Wäre es nicht konsequent und billig zugleich, auch da zu verkünden: Der Universität die Theorie, dem Leben die Praxis? Sonderbar, wenn es sich nur die Gesundheit des lieben Leibes handelt, hört sogleich alle Konsequenz auf. Da heißt es sofort: Wie kann man so gewissenlos sein und die jungen Ärzte auf der Universität nur mit theo¬ retischer Bildung ausstatten wollen! Die Übertragung der Theorie auf Einzel- fälle in der Praxis will doch gelernt, will erfahren, will geübt sein, ehe man das Menschenwohl dein prcittizirendeu Jünger anvertrauen kann. Aber auf dem Gebiete der Pädagogik? O, da liegt die Sache ganz anders. Da handelt sichs ja bloß um die Gesundheit der Seele; da stirbt mau ja nicht gleich, wenn

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/370
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/370>, abgerufen am 23.07.2024.