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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Die Ausbildung für das Lehramt an den höhern Schulen

Achtel der alljährlich vorzubereitenden Kandidaten aufnehmen, sieben Achtel
müssen sich mit der unzureichenden Einrichtung des Probejahres begnügen. In
weitern Kreisen hat man über die Thätigkeit dieser elf Seminare keine Kunde.
Für die Wissenschaft der Pädagogik haben sie bisher nichts Nennenswertes
geleistet.

Der zweite Weg liegt in dem sogenannten Probejahr. Sein Zweck ist,
für die große Masse der Kandidaten, die nicht in die pädagogischen Seminare
ausgenommen werden können, mindestens ein Jahr lang Gelegenheit zur prak¬
tischen Unterrichtsübung zu geben. Daß auf diesem Wege eine gründliche,
zweckentsprechende pädagogische Ausbildung uicht erreicht worden ist, wird in
der Denkschrift mehrfach klar und unzweideutig hervorgehoben. Es werden die
hauptsächlichsten Klagen über diese Einrichtung angeführt seit der Zirkularver¬
fügung des Ministers von Altenstein aus dem Jahre 1837, einer Verfügung,
die noch heute von größtem Interesse ist. Es heißt z. B. darin: "Die ver¬
kehrte Methode, in welcher die Lehrgegenstände nicht selten noch behandelt
werden, ist die wunde Stelle der Gymnasien. Während im Elementarschul¬
wesen ein Stand von Lehrern herangebildet worden ist, die wegen ihrer päda¬
gogischen Gewandtheit und ihres Geschickes, große Massen zu beleben, in ihrem
Kreise sich als Meister zeigen, beachten die jüngern Gymnasiallehrer das
Studium der Pädagogik nicht und vernachlässigen die schwere Kunst des Unter¬
richtens. Gerade den wichtigsten Teil ihres Berufes, die ihnen anvertrauten
Lehrfächer und Klassen in der rechten Methode zu behandeln, lassen sie sich
nicht gebührend angelegen sein u. s. w." Bei dieser klaren Einsicht in die vor¬
handenen Mängel griff man leider zu einem ganz unzureichenden Mittel, dem
Probejahr. Dieses wurde als Retter aus der Not angesehen; auf dieses setzte
nur alle Hoffnung. Aber die Hoffnung schlug gänzlich fehl; die Übelstünde
des Probejahres wurden Jahre hindurch fortempfunden, von Zeit zu Zeit
wagten sich auch einzelne schüchterne Versuche hervor, die Einrichtung zu ver¬
bessern, aber energisch wurde die Frage erst in unsern Tagen angefaßt. 184ö
hatte die Landesschnlkvnferenz unter dem Minister von Ladenburg die Erfolg¬
losigkeit des Probejahres ausgesprochen; 1889 wurden die Beratungen über
^ne geeignetere Vorbildung zum Lehramt an höhern Schulen in der vor¬
liegenden Denkschrift zum Abschluß gebracht.

Nachdem der geschichtliche Teil beendet ist, bewegt sich die Denkschrift von
Seite 7 bis 3 in kritischen Bahnen. Mit diesem Abschnitte können wir uns
nicht befreunden; es scheint, daß eine gewisse Voreingenommenheit für die Vor¬
zuge der pädagogischen Gymnasialseminare es zu keiner rechten Würdigung der
pädagogischen Universitätsseminare hat kommen lassen. Denn um diese beiden
Formen handelt eS sich zunächst. Sie im Geiste einer besonnenen, objektiv ge¬
haltenen Prüfung gegen einander abzuwägen, dürfte vor allem geboten er¬
scheinen, wenn man sich nicht der Gefahr aussetzen will, die pädagogische


Grenzboten I 1890 46
Die Ausbildung für das Lehramt an den höhern Schulen

Achtel der alljährlich vorzubereitenden Kandidaten aufnehmen, sieben Achtel
müssen sich mit der unzureichenden Einrichtung des Probejahres begnügen. In
weitern Kreisen hat man über die Thätigkeit dieser elf Seminare keine Kunde.
Für die Wissenschaft der Pädagogik haben sie bisher nichts Nennenswertes
geleistet.

Der zweite Weg liegt in dem sogenannten Probejahr. Sein Zweck ist,
für die große Masse der Kandidaten, die nicht in die pädagogischen Seminare
ausgenommen werden können, mindestens ein Jahr lang Gelegenheit zur prak¬
tischen Unterrichtsübung zu geben. Daß auf diesem Wege eine gründliche,
zweckentsprechende pädagogische Ausbildung uicht erreicht worden ist, wird in
der Denkschrift mehrfach klar und unzweideutig hervorgehoben. Es werden die
hauptsächlichsten Klagen über diese Einrichtung angeführt seit der Zirkularver¬
fügung des Ministers von Altenstein aus dem Jahre 1837, einer Verfügung,
die noch heute von größtem Interesse ist. Es heißt z. B. darin: „Die ver¬
kehrte Methode, in welcher die Lehrgegenstände nicht selten noch behandelt
werden, ist die wunde Stelle der Gymnasien. Während im Elementarschul¬
wesen ein Stand von Lehrern herangebildet worden ist, die wegen ihrer päda¬
gogischen Gewandtheit und ihres Geschickes, große Massen zu beleben, in ihrem
Kreise sich als Meister zeigen, beachten die jüngern Gymnasiallehrer das
Studium der Pädagogik nicht und vernachlässigen die schwere Kunst des Unter¬
richtens. Gerade den wichtigsten Teil ihres Berufes, die ihnen anvertrauten
Lehrfächer und Klassen in der rechten Methode zu behandeln, lassen sie sich
nicht gebührend angelegen sein u. s. w." Bei dieser klaren Einsicht in die vor¬
handenen Mängel griff man leider zu einem ganz unzureichenden Mittel, dem
Probejahr. Dieses wurde als Retter aus der Not angesehen; auf dieses setzte
nur alle Hoffnung. Aber die Hoffnung schlug gänzlich fehl; die Übelstünde
des Probejahres wurden Jahre hindurch fortempfunden, von Zeit zu Zeit
wagten sich auch einzelne schüchterne Versuche hervor, die Einrichtung zu ver¬
bessern, aber energisch wurde die Frage erst in unsern Tagen angefaßt. 184ö
hatte die Landesschnlkvnferenz unter dem Minister von Ladenburg die Erfolg¬
losigkeit des Probejahres ausgesprochen; 1889 wurden die Beratungen über
^ne geeignetere Vorbildung zum Lehramt an höhern Schulen in der vor¬
liegenden Denkschrift zum Abschluß gebracht.

Nachdem der geschichtliche Teil beendet ist, bewegt sich die Denkschrift von
Seite 7 bis 3 in kritischen Bahnen. Mit diesem Abschnitte können wir uns
nicht befreunden; es scheint, daß eine gewisse Voreingenommenheit für die Vor¬
zuge der pädagogischen Gymnasialseminare es zu keiner rechten Würdigung der
pädagogischen Universitätsseminare hat kommen lassen. Denn um diese beiden
Formen handelt eS sich zunächst. Sie im Geiste einer besonnenen, objektiv ge¬
haltenen Prüfung gegen einander abzuwägen, dürfte vor allem geboten er¬
scheinen, wenn man sich nicht der Gefahr aussetzen will, die pädagogische


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[0369] Die Ausbildung für das Lehramt an den höhern Schulen Achtel der alljährlich vorzubereitenden Kandidaten aufnehmen, sieben Achtel müssen sich mit der unzureichenden Einrichtung des Probejahres begnügen. In weitern Kreisen hat man über die Thätigkeit dieser elf Seminare keine Kunde. Für die Wissenschaft der Pädagogik haben sie bisher nichts Nennenswertes geleistet. Der zweite Weg liegt in dem sogenannten Probejahr. Sein Zweck ist, für die große Masse der Kandidaten, die nicht in die pädagogischen Seminare ausgenommen werden können, mindestens ein Jahr lang Gelegenheit zur prak¬ tischen Unterrichtsübung zu geben. Daß auf diesem Wege eine gründliche, zweckentsprechende pädagogische Ausbildung uicht erreicht worden ist, wird in der Denkschrift mehrfach klar und unzweideutig hervorgehoben. Es werden die hauptsächlichsten Klagen über diese Einrichtung angeführt seit der Zirkularver¬ fügung des Ministers von Altenstein aus dem Jahre 1837, einer Verfügung, die noch heute von größtem Interesse ist. Es heißt z. B. darin: „Die ver¬ kehrte Methode, in welcher die Lehrgegenstände nicht selten noch behandelt werden, ist die wunde Stelle der Gymnasien. Während im Elementarschul¬ wesen ein Stand von Lehrern herangebildet worden ist, die wegen ihrer päda¬ gogischen Gewandtheit und ihres Geschickes, große Massen zu beleben, in ihrem Kreise sich als Meister zeigen, beachten die jüngern Gymnasiallehrer das Studium der Pädagogik nicht und vernachlässigen die schwere Kunst des Unter¬ richtens. Gerade den wichtigsten Teil ihres Berufes, die ihnen anvertrauten Lehrfächer und Klassen in der rechten Methode zu behandeln, lassen sie sich nicht gebührend angelegen sein u. s. w." Bei dieser klaren Einsicht in die vor¬ handenen Mängel griff man leider zu einem ganz unzureichenden Mittel, dem Probejahr. Dieses wurde als Retter aus der Not angesehen; auf dieses setzte nur alle Hoffnung. Aber die Hoffnung schlug gänzlich fehl; die Übelstünde des Probejahres wurden Jahre hindurch fortempfunden, von Zeit zu Zeit wagten sich auch einzelne schüchterne Versuche hervor, die Einrichtung zu ver¬ bessern, aber energisch wurde die Frage erst in unsern Tagen angefaßt. 184ö hatte die Landesschnlkvnferenz unter dem Minister von Ladenburg die Erfolg¬ losigkeit des Probejahres ausgesprochen; 1889 wurden die Beratungen über ^ne geeignetere Vorbildung zum Lehramt an höhern Schulen in der vor¬ liegenden Denkschrift zum Abschluß gebracht. Nachdem der geschichtliche Teil beendet ist, bewegt sich die Denkschrift von Seite 7 bis 3 in kritischen Bahnen. Mit diesem Abschnitte können wir uns nicht befreunden; es scheint, daß eine gewisse Voreingenommenheit für die Vor¬ zuge der pädagogischen Gymnasialseminare es zu keiner rechten Würdigung der pädagogischen Universitätsseminare hat kommen lassen. Denn um diese beiden Formen handelt eS sich zunächst. Sie im Geiste einer besonnenen, objektiv ge¬ haltenen Prüfung gegen einander abzuwägen, dürfte vor allem geboten er¬ scheinen, wenn man sich nicht der Gefahr aussetzen will, die pädagogische Grenzboten I 1890 46

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/369>, abgerufen am 23.07.2024.