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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Zur Reform der Militärstrafprozeszorduung

der Zivilgerichte üblich, daß in einigermaßen wichtige" Sachen der höchste
Staatsanwaltsbeamte, auch wenn er der Verhandlung nicht beigewohnt hat,
darüber entscheidet, ob ein Rechtsmittel einzulegen ist oder nicht. Ordnet er an,
daß kein Rechtsmittel einzulegen ist, so thut er im Grunde doch dasselbe, wie
der Gerichtsherr bei der Bestätigung, d. h. er genehmigt das Urteil.

Die Einführung eines Rechtsmittels, als welches wir nur die Berufung
gegen alle Urteile erster Instanz empfehlen, wird dem Gerichtsherrn ein will-
kommnes Mittel sein, sowohl in juristisch als in thatsächlich zweifelhaften Fällen
die Verantwortlichkeit einer endgiltigen Entscheidung durch Bestätigung des
Urteils von sich abzuwälzen und die Sache durch Einlegung der Berufung oder,
was dasselbe ist, durch Versagung der Bestätigung zur nochmaligen gründ¬
lichen Verhandlung vor einer höhern Instanz zu bringen. Daß dem Ange¬
klagten die Berufung ebenfalls zuzugestehen und die Bestätigung des Urteils
Vonseiten des Gerichtsherrn nach Einlegung der Berufung Vonseiten des An¬
geklagten unzulässig ist, dürfte selbstverständlich sein. Doch würde wohl die
militärische Disziplin erfordern, daß dem Angeklagten die Möglichkeit genommen
wird, bei klarer Sachlage, also z. B. wenn er ganz oder im wesentlichen ge¬
ständig oder durch bestimmte Aussagen völlig, einwandfreier Zeugen überführt
ist, durch Anfechtung der thatsächlichen Feststellung in frivoler Weise den
Bernfungsapparat in Bewegung zu setzen und die Strafvollstreckung hinaus-
zuschieben. In derartigen Fällen müßte der Gerichtsherr das Recht haben,
die Berufung durch einfache Verfügung zurückzuweisen.

Die Frage, ob als weiteres Rechtsmittel die Revision und zur Entscheidung
derselben ein selbständiger und unabhängiger Gerichtshof einzuführen sei, er¬
ledigt sich durch die Erwägung, daß damit dem König eine Autorität, der er
sich in Bezug auf die Strafrechtspflege im Heere zu fügen hätte, übergeordnet
würde. Sie ist daher aus den früher angeführten Gründen entschieden zu ver-
neinen. Das Rechtsleben schafft nun einmal Fragen von einer derartigen
Zweifelhaftigkeit, daß sich verschiedene Ansichten dnrch annähernd gleich stich¬
haltige Gründe verteidigen lassen, und die höchsten Gerichtshöfe mit sich selbst
und unter einander in Widerspruch geraten. In solchen Fällen darf dem
obersten Kriegsherrn das Recht der Entscheidung nicht entzogen werden. Wir
glauben daher, daß an der jetzigen Stellung des preußischen Generalnnditvriats
als nur beratender, nicht entscheidender Behörde nicht gerüttelt werden dürfe.
Doch würde es sich vielleicht empfehlen, damit auch in höchster Instanz eine
Verbindung der Rechtsprechung des Heeres mit der der Zivilgerichte herge¬
stellt würde, in das Generalauditvriat zur Mitberatnng periodisch und ab¬
wechselnd Mitglieder des höchstem Zivilgcrichtshvfes zu entsenden.

Um die Zahl der Militärgerichte und damit die Zahl der rechtskundigen
Auditeure nicht zu sehr zu häufen, dürfte es sich empfehlen, nnr die höhern
Tnippenkvmmandcnre, also, abgesehen von den Kommandanten, nur die Korps-


Zur Reform der Militärstrafprozeszorduung

der Zivilgerichte üblich, daß in einigermaßen wichtige» Sachen der höchste
Staatsanwaltsbeamte, auch wenn er der Verhandlung nicht beigewohnt hat,
darüber entscheidet, ob ein Rechtsmittel einzulegen ist oder nicht. Ordnet er an,
daß kein Rechtsmittel einzulegen ist, so thut er im Grunde doch dasselbe, wie
der Gerichtsherr bei der Bestätigung, d. h. er genehmigt das Urteil.

Die Einführung eines Rechtsmittels, als welches wir nur die Berufung
gegen alle Urteile erster Instanz empfehlen, wird dem Gerichtsherrn ein will-
kommnes Mittel sein, sowohl in juristisch als in thatsächlich zweifelhaften Fällen
die Verantwortlichkeit einer endgiltigen Entscheidung durch Bestätigung des
Urteils von sich abzuwälzen und die Sache durch Einlegung der Berufung oder,
was dasselbe ist, durch Versagung der Bestätigung zur nochmaligen gründ¬
lichen Verhandlung vor einer höhern Instanz zu bringen. Daß dem Ange¬
klagten die Berufung ebenfalls zuzugestehen und die Bestätigung des Urteils
Vonseiten des Gerichtsherrn nach Einlegung der Berufung Vonseiten des An¬
geklagten unzulässig ist, dürfte selbstverständlich sein. Doch würde wohl die
militärische Disziplin erfordern, daß dem Angeklagten die Möglichkeit genommen
wird, bei klarer Sachlage, also z. B. wenn er ganz oder im wesentlichen ge¬
ständig oder durch bestimmte Aussagen völlig, einwandfreier Zeugen überführt
ist, durch Anfechtung der thatsächlichen Feststellung in frivoler Weise den
Bernfungsapparat in Bewegung zu setzen und die Strafvollstreckung hinaus-
zuschieben. In derartigen Fällen müßte der Gerichtsherr das Recht haben,
die Berufung durch einfache Verfügung zurückzuweisen.

Die Frage, ob als weiteres Rechtsmittel die Revision und zur Entscheidung
derselben ein selbständiger und unabhängiger Gerichtshof einzuführen sei, er¬
ledigt sich durch die Erwägung, daß damit dem König eine Autorität, der er
sich in Bezug auf die Strafrechtspflege im Heere zu fügen hätte, übergeordnet
würde. Sie ist daher aus den früher angeführten Gründen entschieden zu ver-
neinen. Das Rechtsleben schafft nun einmal Fragen von einer derartigen
Zweifelhaftigkeit, daß sich verschiedene Ansichten dnrch annähernd gleich stich¬
haltige Gründe verteidigen lassen, und die höchsten Gerichtshöfe mit sich selbst
und unter einander in Widerspruch geraten. In solchen Fällen darf dem
obersten Kriegsherrn das Recht der Entscheidung nicht entzogen werden. Wir
glauben daher, daß an der jetzigen Stellung des preußischen Generalnnditvriats
als nur beratender, nicht entscheidender Behörde nicht gerüttelt werden dürfe.
Doch würde es sich vielleicht empfehlen, damit auch in höchster Instanz eine
Verbindung der Rechtsprechung des Heeres mit der der Zivilgerichte herge¬
stellt würde, in das Generalauditvriat zur Mitberatnng periodisch und ab¬
wechselnd Mitglieder des höchstem Zivilgcrichtshvfes zu entsenden.

Um die Zahl der Militärgerichte und damit die Zahl der rechtskundigen
Auditeure nicht zu sehr zu häufen, dürfte es sich empfehlen, nnr die höhern
Tnippenkvmmandcnre, also, abgesehen von den Kommandanten, nur die Korps-


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[0364] Zur Reform der Militärstrafprozeszorduung der Zivilgerichte üblich, daß in einigermaßen wichtige» Sachen der höchste Staatsanwaltsbeamte, auch wenn er der Verhandlung nicht beigewohnt hat, darüber entscheidet, ob ein Rechtsmittel einzulegen ist oder nicht. Ordnet er an, daß kein Rechtsmittel einzulegen ist, so thut er im Grunde doch dasselbe, wie der Gerichtsherr bei der Bestätigung, d. h. er genehmigt das Urteil. Die Einführung eines Rechtsmittels, als welches wir nur die Berufung gegen alle Urteile erster Instanz empfehlen, wird dem Gerichtsherrn ein will- kommnes Mittel sein, sowohl in juristisch als in thatsächlich zweifelhaften Fällen die Verantwortlichkeit einer endgiltigen Entscheidung durch Bestätigung des Urteils von sich abzuwälzen und die Sache durch Einlegung der Berufung oder, was dasselbe ist, durch Versagung der Bestätigung zur nochmaligen gründ¬ lichen Verhandlung vor einer höhern Instanz zu bringen. Daß dem Ange¬ klagten die Berufung ebenfalls zuzugestehen und die Bestätigung des Urteils Vonseiten des Gerichtsherrn nach Einlegung der Berufung Vonseiten des An¬ geklagten unzulässig ist, dürfte selbstverständlich sein. Doch würde wohl die militärische Disziplin erfordern, daß dem Angeklagten die Möglichkeit genommen wird, bei klarer Sachlage, also z. B. wenn er ganz oder im wesentlichen ge¬ ständig oder durch bestimmte Aussagen völlig, einwandfreier Zeugen überführt ist, durch Anfechtung der thatsächlichen Feststellung in frivoler Weise den Bernfungsapparat in Bewegung zu setzen und die Strafvollstreckung hinaus- zuschieben. In derartigen Fällen müßte der Gerichtsherr das Recht haben, die Berufung durch einfache Verfügung zurückzuweisen. Die Frage, ob als weiteres Rechtsmittel die Revision und zur Entscheidung derselben ein selbständiger und unabhängiger Gerichtshof einzuführen sei, er¬ ledigt sich durch die Erwägung, daß damit dem König eine Autorität, der er sich in Bezug auf die Strafrechtspflege im Heere zu fügen hätte, übergeordnet würde. Sie ist daher aus den früher angeführten Gründen entschieden zu ver- neinen. Das Rechtsleben schafft nun einmal Fragen von einer derartigen Zweifelhaftigkeit, daß sich verschiedene Ansichten dnrch annähernd gleich stich¬ haltige Gründe verteidigen lassen, und die höchsten Gerichtshöfe mit sich selbst und unter einander in Widerspruch geraten. In solchen Fällen darf dem obersten Kriegsherrn das Recht der Entscheidung nicht entzogen werden. Wir glauben daher, daß an der jetzigen Stellung des preußischen Generalnnditvriats als nur beratender, nicht entscheidender Behörde nicht gerüttelt werden dürfe. Doch würde es sich vielleicht empfehlen, damit auch in höchster Instanz eine Verbindung der Rechtsprechung des Heeres mit der der Zivilgerichte herge¬ stellt würde, in das Generalauditvriat zur Mitberatnng periodisch und ab¬ wechselnd Mitglieder des höchstem Zivilgcrichtshvfes zu entsenden. Um die Zahl der Militärgerichte und damit die Zahl der rechtskundigen Auditeure nicht zu sehr zu häufen, dürfte es sich empfehlen, nnr die höhern Tnippenkvmmandcnre, also, abgesehen von den Kommandanten, nur die Korps-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/364>, abgerufen am 23.07.2024.