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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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erzeugnifse, Cerealien, Kartoffeln, Lei", Hanf, sowie der Hühner, Eier, dergestalt,
daß den Bauern die Früchte besondern Fleißes oder die Ergebnisse besondrer
Amelivrationen oder Verwendung von Dünger u. s. w, verbleiben, o) Prozen¬
tuale Abgabe: die Hälfte der Cocon- und Weinernte, et) Persönliche Dienst¬
leistungen: eine Anzahl Arbeitstage für einen vereinbarten müßigen Tagelohn,
0,40 bis 1 Lire, dessen Höhe also nicht für sich allem beurteilt werden darf (wie
es die Zeitungen gethan haben), sondern nnr in Verbindung mit den übrigen
Leistungen; eine Anzahl Gratisfuhren und eine andre Anzahl Fuhren gegen be¬
stimmtes Entgelt. Über die materielle Abwicklung der Vertragspflichten wird
Buch geführt.

Diese Art von Vertrag wird von mancher Seite ein veraltetes Überbleibsel
aus frühern Jahrhunderten der Hörigkeit genannt. Er ist auch für vie heutigen
Zeitläufe und sozialen Anschauungen als allzu verwickelt zu betrachten, und in
der That enthält er allzuviel Anlaß zu Reibungen. Wenn man aber bedenkt,
daß die einzelnen Festsetzungen auf alljährlich zu erneuernder freier Übereinkunft
beider Teile beruhen, so sollte man am Ende annehmen, daß die getroffenen
Abmachungen den Interessen beider Teile entsprächen. Die Grundstücke ganz
für eigne Rechnung, das heißt nur gegen Geldpacht zu bewirtschaften, fehlt
es deu Bauern an Kapital. Ihre Betriebsmittel pflegen im Viehstände und
in den Ackergeräten angelegt zu sein, ein Notpfennig Pflegt in der nächsten
Sparkasse zu liegen. Wenn die Pachtbancrn anfangen, sich gegen die Verträge
aufzulehnen, so richtet sich das mich weniger gegen die Natur der einzelnen
Bestimmungen, als vielmehr gegen die Höhe der einzelnen Leistungen; es handelt
sich also nnr um einen Streit über den Anteil, den einerseits das Kapital,
anderseits die Arbeit an dein gemeinschaftliche" Erwerbe haben soll.

Diese Streitfrage hätte mich Ablauf der abgeschlossenen Jahresverträge
geschlichtet werden müssen, sei es durch gütliche Übereinkunft nach dem Gesetze
Kön Angebot und Nachfrage, sei es selbst durch das Druckmittel eines allgemeinen
Pächteransstaudes. Anstatt dessen durchbrachen die Pächter die abgeschlossenen
Verträge mitten in der Giltigkeits- und Nbwickluugszeit und verlangten, unter
der Drohung, die ihnen von den Besitzern auf Grund der Verträge anvertraute
Eveonernte, in der in jenen Gegenden besonders hohe Summen angelegt zu
!ein Pflegen,") dem Verderben preiszugeben, einen Nachlaß ihrer Verbindlich¬
keiten.

Bei diesem Erpressungsversuche blieb es aber nicht. Die Pachtbauern rotteten
sich zusammen und machten mit den Hunderten, ja Tausenden der gleichzeitig
streikenden Seidenspinner und Seidenspinnerinnen (ihren Angehörigen) gemein¬
schaftliche Sache; sie durchzogen lärmend die Straßen, kochten auf öffentlichen



Die Gutsbesitzer kaufen die teuern Raupeneier und vertrauen die ausgekrochenen jungen
Raupen den Bauern zur weitem Pflege an.
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erzeugnifse, Cerealien, Kartoffeln, Lei», Hanf, sowie der Hühner, Eier, dergestalt,
daß den Bauern die Früchte besondern Fleißes oder die Ergebnisse besondrer
Amelivrationen oder Verwendung von Dünger u. s. w, verbleiben, o) Prozen¬
tuale Abgabe: die Hälfte der Cocon- und Weinernte, et) Persönliche Dienst¬
leistungen: eine Anzahl Arbeitstage für einen vereinbarten müßigen Tagelohn,
0,40 bis 1 Lire, dessen Höhe also nicht für sich allem beurteilt werden darf (wie
es die Zeitungen gethan haben), sondern nnr in Verbindung mit den übrigen
Leistungen; eine Anzahl Gratisfuhren und eine andre Anzahl Fuhren gegen be¬
stimmtes Entgelt. Über die materielle Abwicklung der Vertragspflichten wird
Buch geführt.

Diese Art von Vertrag wird von mancher Seite ein veraltetes Überbleibsel
aus frühern Jahrhunderten der Hörigkeit genannt. Er ist auch für vie heutigen
Zeitläufe und sozialen Anschauungen als allzu verwickelt zu betrachten, und in
der That enthält er allzuviel Anlaß zu Reibungen. Wenn man aber bedenkt,
daß die einzelnen Festsetzungen auf alljährlich zu erneuernder freier Übereinkunft
beider Teile beruhen, so sollte man am Ende annehmen, daß die getroffenen
Abmachungen den Interessen beider Teile entsprächen. Die Grundstücke ganz
für eigne Rechnung, das heißt nur gegen Geldpacht zu bewirtschaften, fehlt
es deu Bauern an Kapital. Ihre Betriebsmittel pflegen im Viehstände und
in den Ackergeräten angelegt zu sein, ein Notpfennig Pflegt in der nächsten
Sparkasse zu liegen. Wenn die Pachtbancrn anfangen, sich gegen die Verträge
aufzulehnen, so richtet sich das mich weniger gegen die Natur der einzelnen
Bestimmungen, als vielmehr gegen die Höhe der einzelnen Leistungen; es handelt
sich also nnr um einen Streit über den Anteil, den einerseits das Kapital,
anderseits die Arbeit an dein gemeinschaftliche» Erwerbe haben soll.

Diese Streitfrage hätte mich Ablauf der abgeschlossenen Jahresverträge
geschlichtet werden müssen, sei es durch gütliche Übereinkunft nach dem Gesetze
Kön Angebot und Nachfrage, sei es selbst durch das Druckmittel eines allgemeinen
Pächteransstaudes. Anstatt dessen durchbrachen die Pächter die abgeschlossenen
Verträge mitten in der Giltigkeits- und Nbwickluugszeit und verlangten, unter
der Drohung, die ihnen von den Besitzern auf Grund der Verträge anvertraute
Eveonernte, in der in jenen Gegenden besonders hohe Summen angelegt zu
!ein Pflegen,") dem Verderben preiszugeben, einen Nachlaß ihrer Verbindlich¬
keiten.

Bei diesem Erpressungsversuche blieb es aber nicht. Die Pachtbauern rotteten
sich zusammen und machten mit den Hunderten, ja Tausenden der gleichzeitig
streikenden Seidenspinner und Seidenspinnerinnen (ihren Angehörigen) gemein¬
schaftliche Sache; sie durchzogen lärmend die Straßen, kochten auf öffentlichen



Die Gutsbesitzer kaufen die teuern Raupeneier und vertrauen die ausgekrochenen jungen
Raupen den Bauern zur weitem Pflege an.
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[0361] erzeugnifse, Cerealien, Kartoffeln, Lei», Hanf, sowie der Hühner, Eier, dergestalt, daß den Bauern die Früchte besondern Fleißes oder die Ergebnisse besondrer Amelivrationen oder Verwendung von Dünger u. s. w, verbleiben, o) Prozen¬ tuale Abgabe: die Hälfte der Cocon- und Weinernte, et) Persönliche Dienst¬ leistungen: eine Anzahl Arbeitstage für einen vereinbarten müßigen Tagelohn, 0,40 bis 1 Lire, dessen Höhe also nicht für sich allem beurteilt werden darf (wie es die Zeitungen gethan haben), sondern nnr in Verbindung mit den übrigen Leistungen; eine Anzahl Gratisfuhren und eine andre Anzahl Fuhren gegen be¬ stimmtes Entgelt. Über die materielle Abwicklung der Vertragspflichten wird Buch geführt. Diese Art von Vertrag wird von mancher Seite ein veraltetes Überbleibsel aus frühern Jahrhunderten der Hörigkeit genannt. Er ist auch für vie heutigen Zeitläufe und sozialen Anschauungen als allzu verwickelt zu betrachten, und in der That enthält er allzuviel Anlaß zu Reibungen. Wenn man aber bedenkt, daß die einzelnen Festsetzungen auf alljährlich zu erneuernder freier Übereinkunft beider Teile beruhen, so sollte man am Ende annehmen, daß die getroffenen Abmachungen den Interessen beider Teile entsprächen. Die Grundstücke ganz für eigne Rechnung, das heißt nur gegen Geldpacht zu bewirtschaften, fehlt es deu Bauern an Kapital. Ihre Betriebsmittel pflegen im Viehstände und in den Ackergeräten angelegt zu sein, ein Notpfennig Pflegt in der nächsten Sparkasse zu liegen. Wenn die Pachtbancrn anfangen, sich gegen die Verträge aufzulehnen, so richtet sich das mich weniger gegen die Natur der einzelnen Bestimmungen, als vielmehr gegen die Höhe der einzelnen Leistungen; es handelt sich also nnr um einen Streit über den Anteil, den einerseits das Kapital, anderseits die Arbeit an dein gemeinschaftliche» Erwerbe haben soll. Diese Streitfrage hätte mich Ablauf der abgeschlossenen Jahresverträge geschlichtet werden müssen, sei es durch gütliche Übereinkunft nach dem Gesetze Kön Angebot und Nachfrage, sei es selbst durch das Druckmittel eines allgemeinen Pächteransstaudes. Anstatt dessen durchbrachen die Pächter die abgeschlossenen Verträge mitten in der Giltigkeits- und Nbwickluugszeit und verlangten, unter der Drohung, die ihnen von den Besitzern auf Grund der Verträge anvertraute Eveonernte, in der in jenen Gegenden besonders hohe Summen angelegt zu !ein Pflegen,") dem Verderben preiszugeben, einen Nachlaß ihrer Verbindlich¬ keiten. Bei diesem Erpressungsversuche blieb es aber nicht. Die Pachtbauern rotteten sich zusammen und machten mit den Hunderten, ja Tausenden der gleichzeitig streikenden Seidenspinner und Seidenspinnerinnen (ihren Angehörigen) gemein¬ schaftliche Sache; sie durchzogen lärmend die Straßen, kochten auf öffentlichen Die Gutsbesitzer kaufen die teuern Raupeneier und vertrauen die ausgekrochenen jungen Raupen den Bauern zur weitem Pflege an. Grenztwten I 1M0 45

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/361>, abgerufen am 23.07.2024.