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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Stoffels Flugschrift

und eins aus der Mitte der jetzt regierende" Partei. Nach den" PiMw wäre
der vielgenannte Bnron Haußmann ungefähr derselben Ansicht wie stosset.
Nur hätte er offen ausgesprochen, was dieser nur zwischen den Zeilen lesen
läßt. Er hält eine Verständigung mit Deutschland gegenwärtig gleichfalls für
aussichtslos, weil eine festgegründete, von bestimmten politischen Grundsätzen
geleitete Monarchie wie die deutsche kein Bündnis mit einer parlamentarischen
Republik einzugehen vermöge, deren Politik sich mit jedem Kalnnetswechsel
andre. Aber er sieht bereits de" Tag der Versöhnung komme" -- leider
werde er ihn nicht erlebe" -- den Tag, wo Frankreich und Deutschland ihre
Feindseligkeiten vergessen würden, nachdem sie zu der Erkenntnis gekomme"
sei" würden, daß die zwischen ihnen von der Natur selbst gegebne Grenze --
der Rhein sei. Da haben wirs! Warum, wenn man einmal seine Wünsche
auszusprechen hat, bescheiden sein? Also nicht bloß die Reichslande, die
der ehemalige Günstling Napoleons des Dritten wie jeder richtige Franz¬
mann auf seines Herzens Grnnde als Wunsch hegt, sondern de" Rhein
bis zu seiner Mündung! In der That, der gute Baron wird die Erfül¬
lung seines Begehrens schwerlich erleben. Das große Mundstück der oppor¬
tunistischen Republikaner aber, die Köpndlicins I'rW^uso, stimmt mit stosset
insofern überein, als ihr der Götzendienst, der jetzt in Frankreich mit den
Moskowitern getrieben wird, patriotische Beklemmungen erregt. Gab er sich doch
erst kürzlich im Nizzaer Theater bei Aufführung des Singspiels "Das Leben
für den Zaren" in einer besonders für Republikaner sehr unwürdigen, ja ekel¬
haften Weise kund. Das Blatt meint, die Interessengemeinschaft Rußlands
und Frankreichs sei zwar ein Hauptfaktor der europäischen Politik, aber Völker
könnten ebenso wenig wie Einzelne eines gewissen Stolzes entbehren, und wenn
Leute sich mit Inbrunst dem Russen an den Hals würfen, so fehle es ihnen
"" Selbstgefühl und Takt. Die einzig wahre Politik laute: recht viele Lebel¬
gewehre, und recht viele unerschrockene Soldaten, das Übrige mache sich
vo" selber.

Was aber sagt der verstündige Teil der russischen Presse zu der
Stvffelschen Flugschrift? Ju der Se. Petersburger Zeitung lesen wir u. a.
folgendes: "Unsre Gallomanen können daraus lernen, daß alle die scheinbar
glühenden Sympathien der Franzosen nur den Zweck verfolgen, uns zu be¬
wegen, für sie Elsaß-Lothringen aus denn Feuer der deutscheu Magazingewehre
herauszuholen. Im Grnnde sind wir doch die Barbaren, die Kosaken, die
Gefahr für die Gesittung, gegen die sich Europa vernünftigerweise zu einem
großen Bunde zusammenschließen sollte, um sie nach Asien zurückzuwerfen,
^d wenn wir de" Franzosen den Gefälle" thäte", und es uns wirklich ge¬
länge, mit unserm Gut und Blut Elsaß-Lothri"ge" für sie zurückzukaufen, so
würde nachher die eigentliche und wirkliche Anschauung über Nußland, die
Ich! durch politische Selbstsucht verhüllt ist, z" Tage treten, und der Erfolg


Stoffels Flugschrift

und eins aus der Mitte der jetzt regierende» Partei. Nach den» PiMw wäre
der vielgenannte Bnron Haußmann ungefähr derselben Ansicht wie stosset.
Nur hätte er offen ausgesprochen, was dieser nur zwischen den Zeilen lesen
läßt. Er hält eine Verständigung mit Deutschland gegenwärtig gleichfalls für
aussichtslos, weil eine festgegründete, von bestimmten politischen Grundsätzen
geleitete Monarchie wie die deutsche kein Bündnis mit einer parlamentarischen
Republik einzugehen vermöge, deren Politik sich mit jedem Kalnnetswechsel
andre. Aber er sieht bereits de» Tag der Versöhnung komme» — leider
werde er ihn nicht erlebe» — den Tag, wo Frankreich und Deutschland ihre
Feindseligkeiten vergessen würden, nachdem sie zu der Erkenntnis gekomme»
sei» würden, daß die zwischen ihnen von der Natur selbst gegebne Grenze —
der Rhein sei. Da haben wirs! Warum, wenn man einmal seine Wünsche
auszusprechen hat, bescheiden sein? Also nicht bloß die Reichslande, die
der ehemalige Günstling Napoleons des Dritten wie jeder richtige Franz¬
mann auf seines Herzens Grnnde als Wunsch hegt, sondern de» Rhein
bis zu seiner Mündung! In der That, der gute Baron wird die Erfül¬
lung seines Begehrens schwerlich erleben. Das große Mundstück der oppor¬
tunistischen Republikaner aber, die Köpndlicins I'rW^uso, stimmt mit stosset
insofern überein, als ihr der Götzendienst, der jetzt in Frankreich mit den
Moskowitern getrieben wird, patriotische Beklemmungen erregt. Gab er sich doch
erst kürzlich im Nizzaer Theater bei Aufführung des Singspiels „Das Leben
für den Zaren" in einer besonders für Republikaner sehr unwürdigen, ja ekel¬
haften Weise kund. Das Blatt meint, die Interessengemeinschaft Rußlands
und Frankreichs sei zwar ein Hauptfaktor der europäischen Politik, aber Völker
könnten ebenso wenig wie Einzelne eines gewissen Stolzes entbehren, und wenn
Leute sich mit Inbrunst dem Russen an den Hals würfen, so fehle es ihnen
"» Selbstgefühl und Takt. Die einzig wahre Politik laute: recht viele Lebel¬
gewehre, und recht viele unerschrockene Soldaten, das Übrige mache sich
vo» selber.

Was aber sagt der verstündige Teil der russischen Presse zu der
Stvffelschen Flugschrift? Ju der Se. Petersburger Zeitung lesen wir u. a.
folgendes: „Unsre Gallomanen können daraus lernen, daß alle die scheinbar
glühenden Sympathien der Franzosen nur den Zweck verfolgen, uns zu be¬
wegen, für sie Elsaß-Lothringen aus denn Feuer der deutscheu Magazingewehre
herauszuholen. Im Grnnde sind wir doch die Barbaren, die Kosaken, die
Gefahr für die Gesittung, gegen die sich Europa vernünftigerweise zu einem
großen Bunde zusammenschließen sollte, um sie nach Asien zurückzuwerfen,
^d wenn wir de» Franzosen den Gefälle» thäte», und es uns wirklich ge¬
länge, mit unserm Gut und Blut Elsaß-Lothri»ge» für sie zurückzukaufen, so
würde nachher die eigentliche und wirkliche Anschauung über Nußland, die
Ich! durch politische Selbstsucht verhüllt ist, z» Tage treten, und der Erfolg


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[0359] Stoffels Flugschrift und eins aus der Mitte der jetzt regierende» Partei. Nach den» PiMw wäre der vielgenannte Bnron Haußmann ungefähr derselben Ansicht wie stosset. Nur hätte er offen ausgesprochen, was dieser nur zwischen den Zeilen lesen läßt. Er hält eine Verständigung mit Deutschland gegenwärtig gleichfalls für aussichtslos, weil eine festgegründete, von bestimmten politischen Grundsätzen geleitete Monarchie wie die deutsche kein Bündnis mit einer parlamentarischen Republik einzugehen vermöge, deren Politik sich mit jedem Kalnnetswechsel andre. Aber er sieht bereits de» Tag der Versöhnung komme» — leider werde er ihn nicht erlebe» — den Tag, wo Frankreich und Deutschland ihre Feindseligkeiten vergessen würden, nachdem sie zu der Erkenntnis gekomme» sei» würden, daß die zwischen ihnen von der Natur selbst gegebne Grenze — der Rhein sei. Da haben wirs! Warum, wenn man einmal seine Wünsche auszusprechen hat, bescheiden sein? Also nicht bloß die Reichslande, die der ehemalige Günstling Napoleons des Dritten wie jeder richtige Franz¬ mann auf seines Herzens Grnnde als Wunsch hegt, sondern de» Rhein bis zu seiner Mündung! In der That, der gute Baron wird die Erfül¬ lung seines Begehrens schwerlich erleben. Das große Mundstück der oppor¬ tunistischen Republikaner aber, die Köpndlicins I'rW^uso, stimmt mit stosset insofern überein, als ihr der Götzendienst, der jetzt in Frankreich mit den Moskowitern getrieben wird, patriotische Beklemmungen erregt. Gab er sich doch erst kürzlich im Nizzaer Theater bei Aufführung des Singspiels „Das Leben für den Zaren" in einer besonders für Republikaner sehr unwürdigen, ja ekel¬ haften Weise kund. Das Blatt meint, die Interessengemeinschaft Rußlands und Frankreichs sei zwar ein Hauptfaktor der europäischen Politik, aber Völker könnten ebenso wenig wie Einzelne eines gewissen Stolzes entbehren, und wenn Leute sich mit Inbrunst dem Russen an den Hals würfen, so fehle es ihnen "» Selbstgefühl und Takt. Die einzig wahre Politik laute: recht viele Lebel¬ gewehre, und recht viele unerschrockene Soldaten, das Übrige mache sich vo» selber. Was aber sagt der verstündige Teil der russischen Presse zu der Stvffelschen Flugschrift? Ju der Se. Petersburger Zeitung lesen wir u. a. folgendes: „Unsre Gallomanen können daraus lernen, daß alle die scheinbar glühenden Sympathien der Franzosen nur den Zweck verfolgen, uns zu be¬ wegen, für sie Elsaß-Lothringen aus denn Feuer der deutscheu Magazingewehre herauszuholen. Im Grnnde sind wir doch die Barbaren, die Kosaken, die Gefahr für die Gesittung, gegen die sich Europa vernünftigerweise zu einem großen Bunde zusammenschließen sollte, um sie nach Asien zurückzuwerfen, ^d wenn wir de» Franzosen den Gefälle» thäte», und es uns wirklich ge¬ länge, mit unserm Gut und Blut Elsaß-Lothri»ge» für sie zurückzukaufen, so würde nachher die eigentliche und wirkliche Anschauung über Nußland, die Ich! durch politische Selbstsucht verhüllt ist, z» Tage treten, und der Erfolg

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/359>, abgerufen am 23.07.2024.