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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Stoffels Flugschrift

Der Verfasser betrachtet die höhern preußischen Militärs und vorzüglich
den Greifen Moltke als besonders verantwortlich für die Forderung der Ab¬
tretung Elsaß-Lothringens und wundert sich, daß Vismarck sich nicht mit Erfolg
dagegen erklärt habe, wobei er eine Erzählung zum Besten giebt, die, um uns
mild auszudrücken, auf ein schwaches Gedächtnis schließen läßt. Der Kanzler
soll ihm von der Mühe und Not erzählt haben, die es ihm 1866 gekostet
habe, den König Wilhelm dazu zu bewegen, mit Österreich Frieden zu schließen.
Die Preußen, so berichtet er, brannten nach dem Siege bei Sadowa darauf,
in Wien einzuziehen, als plötzlich Napoleon der Dritte seine Vermittlung anbot.
Fast allgemein war man im Hauptquartier für Ablehnung dieses Vorschlages,
selbst auf die Gefahr eines Krieges mit Frankreich hin, und daß mau dann
mit Hannover, Baiern, Württemberg und andern deutschen Staaten neue Not
zu befürchten hatte. Graf Moltke blieb eine Nacht ans und entwarf einen
Feldzugsplan, wonach von den 600000 Mann, über die man verfügte, 200000
nach dem Rheine gesandt werden und die übrigen Osterreich und den kleinern
Staaten weiter die Spitze bieten sollten. Man ging so weit, Bismarck mit
Argwohn zu begegnen, und er hörte von "Verrat" reden. Einer der heftigsten
Gegner seiner Ratschläge zum Friedensschlusse war der Kronprinz. Dieser
begegnete ihm eines Tages auf einem Gange zum Könige, wobei er ihm, indem
er sich so stellte, als stolpere er über seinen Degen, einen derben Schlag damit
um die Beine versetzte und so seinem Zorn und seiner Verachtung Luft machte.
Dann schrieb der König auf Verlangen seines Sohnes dem Grafen einen Brief,
worin er ihm mitteilte, er willige "in diesen schmachvollen Frieden," An
dieser Geschichte, die Bismarck dem Baron stosset zwei Jahre nachher erzählt
haben soll, und an die der Verfasser der Flugschrift die Frage knüpft, wie es
gekommen sei, daß der Kanzler 1871 nicht die Folgen der Abtretung vou
Elsaß-Lothringen vorausgesehen und das Verlangen darnach unterlassen habe,
ist nichts wahr, als daß Bismarck im Kriegsrate zu Nikolsburg zum Frieden
riet und dies ausführlich begründete, damit aber auf Schwierigkeiten stieß.
Als fernere Vorstellungen nichts fruchteten, ging er in seine an das Beratungs¬
zimmer stoßende Kammer und verfiel hier in feiner nervösen Aufregung in
Weinkrümpfe, worauf es drüben still wurde. Das Ende war, daß der König
sich zur Befolgung seines Rates entschloß. Was stosset von Argwohn der Militärs
berichtet, was er von dem "Verrate" faselt, der dem Ministerpräsidenten vorgeworfen
worden sei, ist Erfindung, die nur Franzosen glaubwürdig finden können, die
bei uns aber nur spöttisches Lächeln und Kopfschütteln hervorrufen kann. Und
nun gar der Degenschlag und der Brief mit dem schmählichen Friedensschlüsse!
Das sind UnWürdigkeiten und Abgeschmacktheiten, ja die ganze Stellung des
Kronprinzen zu der Frage ist falsch dargestellt. Gerade das Gegenteil ist die
Wahrheit, d. h. gerade er und nur er war es, der in Nikolsbnrg das Ver¬
langen des Ministerpräsidenten nach baldigem Friedensschlusse gegenüber der


Stoffels Flugschrift

Der Verfasser betrachtet die höhern preußischen Militärs und vorzüglich
den Greifen Moltke als besonders verantwortlich für die Forderung der Ab¬
tretung Elsaß-Lothringens und wundert sich, daß Vismarck sich nicht mit Erfolg
dagegen erklärt habe, wobei er eine Erzählung zum Besten giebt, die, um uns
mild auszudrücken, auf ein schwaches Gedächtnis schließen läßt. Der Kanzler
soll ihm von der Mühe und Not erzählt haben, die es ihm 1866 gekostet
habe, den König Wilhelm dazu zu bewegen, mit Österreich Frieden zu schließen.
Die Preußen, so berichtet er, brannten nach dem Siege bei Sadowa darauf,
in Wien einzuziehen, als plötzlich Napoleon der Dritte seine Vermittlung anbot.
Fast allgemein war man im Hauptquartier für Ablehnung dieses Vorschlages,
selbst auf die Gefahr eines Krieges mit Frankreich hin, und daß mau dann
mit Hannover, Baiern, Württemberg und andern deutschen Staaten neue Not
zu befürchten hatte. Graf Moltke blieb eine Nacht ans und entwarf einen
Feldzugsplan, wonach von den 600000 Mann, über die man verfügte, 200000
nach dem Rheine gesandt werden und die übrigen Osterreich und den kleinern
Staaten weiter die Spitze bieten sollten. Man ging so weit, Bismarck mit
Argwohn zu begegnen, und er hörte von „Verrat" reden. Einer der heftigsten
Gegner seiner Ratschläge zum Friedensschlusse war der Kronprinz. Dieser
begegnete ihm eines Tages auf einem Gange zum Könige, wobei er ihm, indem
er sich so stellte, als stolpere er über seinen Degen, einen derben Schlag damit
um die Beine versetzte und so seinem Zorn und seiner Verachtung Luft machte.
Dann schrieb der König auf Verlangen seines Sohnes dem Grafen einen Brief,
worin er ihm mitteilte, er willige „in diesen schmachvollen Frieden," An
dieser Geschichte, die Bismarck dem Baron stosset zwei Jahre nachher erzählt
haben soll, und an die der Verfasser der Flugschrift die Frage knüpft, wie es
gekommen sei, daß der Kanzler 1871 nicht die Folgen der Abtretung vou
Elsaß-Lothringen vorausgesehen und das Verlangen darnach unterlassen habe,
ist nichts wahr, als daß Bismarck im Kriegsrate zu Nikolsburg zum Frieden
riet und dies ausführlich begründete, damit aber auf Schwierigkeiten stieß.
Als fernere Vorstellungen nichts fruchteten, ging er in seine an das Beratungs¬
zimmer stoßende Kammer und verfiel hier in feiner nervösen Aufregung in
Weinkrümpfe, worauf es drüben still wurde. Das Ende war, daß der König
sich zur Befolgung seines Rates entschloß. Was stosset von Argwohn der Militärs
berichtet, was er von dem „Verrate" faselt, der dem Ministerpräsidenten vorgeworfen
worden sei, ist Erfindung, die nur Franzosen glaubwürdig finden können, die
bei uns aber nur spöttisches Lächeln und Kopfschütteln hervorrufen kann. Und
nun gar der Degenschlag und der Brief mit dem schmählichen Friedensschlüsse!
Das sind UnWürdigkeiten und Abgeschmacktheiten, ja die ganze Stellung des
Kronprinzen zu der Frage ist falsch dargestellt. Gerade das Gegenteil ist die
Wahrheit, d. h. gerade er und nur er war es, der in Nikolsbnrg das Ver¬
langen des Ministerpräsidenten nach baldigem Friedensschlusse gegenüber der


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[0356] Stoffels Flugschrift Der Verfasser betrachtet die höhern preußischen Militärs und vorzüglich den Greifen Moltke als besonders verantwortlich für die Forderung der Ab¬ tretung Elsaß-Lothringens und wundert sich, daß Vismarck sich nicht mit Erfolg dagegen erklärt habe, wobei er eine Erzählung zum Besten giebt, die, um uns mild auszudrücken, auf ein schwaches Gedächtnis schließen läßt. Der Kanzler soll ihm von der Mühe und Not erzählt haben, die es ihm 1866 gekostet habe, den König Wilhelm dazu zu bewegen, mit Österreich Frieden zu schließen. Die Preußen, so berichtet er, brannten nach dem Siege bei Sadowa darauf, in Wien einzuziehen, als plötzlich Napoleon der Dritte seine Vermittlung anbot. Fast allgemein war man im Hauptquartier für Ablehnung dieses Vorschlages, selbst auf die Gefahr eines Krieges mit Frankreich hin, und daß mau dann mit Hannover, Baiern, Württemberg und andern deutschen Staaten neue Not zu befürchten hatte. Graf Moltke blieb eine Nacht ans und entwarf einen Feldzugsplan, wonach von den 600000 Mann, über die man verfügte, 200000 nach dem Rheine gesandt werden und die übrigen Osterreich und den kleinern Staaten weiter die Spitze bieten sollten. Man ging so weit, Bismarck mit Argwohn zu begegnen, und er hörte von „Verrat" reden. Einer der heftigsten Gegner seiner Ratschläge zum Friedensschlusse war der Kronprinz. Dieser begegnete ihm eines Tages auf einem Gange zum Könige, wobei er ihm, indem er sich so stellte, als stolpere er über seinen Degen, einen derben Schlag damit um die Beine versetzte und so seinem Zorn und seiner Verachtung Luft machte. Dann schrieb der König auf Verlangen seines Sohnes dem Grafen einen Brief, worin er ihm mitteilte, er willige „in diesen schmachvollen Frieden," An dieser Geschichte, die Bismarck dem Baron stosset zwei Jahre nachher erzählt haben soll, und an die der Verfasser der Flugschrift die Frage knüpft, wie es gekommen sei, daß der Kanzler 1871 nicht die Folgen der Abtretung vou Elsaß-Lothringen vorausgesehen und das Verlangen darnach unterlassen habe, ist nichts wahr, als daß Bismarck im Kriegsrate zu Nikolsburg zum Frieden riet und dies ausführlich begründete, damit aber auf Schwierigkeiten stieß. Als fernere Vorstellungen nichts fruchteten, ging er in seine an das Beratungs¬ zimmer stoßende Kammer und verfiel hier in feiner nervösen Aufregung in Weinkrümpfe, worauf es drüben still wurde. Das Ende war, daß der König sich zur Befolgung seines Rates entschloß. Was stosset von Argwohn der Militärs berichtet, was er von dem „Verrate" faselt, der dem Ministerpräsidenten vorgeworfen worden sei, ist Erfindung, die nur Franzosen glaubwürdig finden können, die bei uns aber nur spöttisches Lächeln und Kopfschütteln hervorrufen kann. Und nun gar der Degenschlag und der Brief mit dem schmählichen Friedensschlüsse! Das sind UnWürdigkeiten und Abgeschmacktheiten, ja die ganze Stellung des Kronprinzen zu der Frage ist falsch dargestellt. Gerade das Gegenteil ist die Wahrheit, d. h. gerade er und nur er war es, der in Nikolsbnrg das Ver¬ langen des Ministerpräsidenten nach baldigem Friedensschlusse gegenüber der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/356>, abgerufen am 23.07.2024.