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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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feindlichen Mächten, die es jederzeit mit sechs Millionen Soldaten über¬
schwemmen könnten, in einem Zustand äußerster Gefahr.

Der Verfasser verführt bei dieser Betrachtung offenbar nicht so logisch,
als er verfahren sollte, wenn er die Lage des deutschen Reiches im Vergleiche
mit der Frankreichs als die bedenklichere ansieht, um ihm die Zurückgabe der
eroberten Ostprovinzen als keinen zu hohen Preis für Frankreichs Freundschaft
darstellen zu können. Er vergißt, daß er soeben darauf hingewiesen hat, daß
Paris viel näher an der Grenze liegt als Berlin und nach Verlust einer
einzigen Schlacht den Feind vor sich zu erwarten hat. Er rechnet nicht mit
den dritthalb Millionen deutschen Soldaten, die den sechs Millionen Franzosen
und Russen gegenüberstehen würden, und die mindestens ebenso tüchtig von
Natur, ebenso gut bewaffnet und geübt sind als diese, aber weit bessere Offiziere
haben und rascher mvbilisirt und auf den Kriegsschauplatz gebracht werden
können. Er thut endlich, als ob es keinen Dreibund gäbe, in dein Österreich-
Uugaru und Italien ebenfalls einige Millionen Soldaten in die Wagschale
werfen würden, und dem sich die Pforte und England mit seiner Kriegsflotte
unter Umständen anschließen könnten und wahrscheinlich anschließen müßten.
Er sieht uns alleinstchen zwischen zwei gewaltigen Großmächten, gleichsam
zwischen den weit aufgerissenen Kinnladen eines Rachens, und bittet uns, an¬
gesichts dieser heillosen Lage doch ja in uns zu gehen, das kleine Opfer, mit
dem sie allein zu beschwören ist, zu bringen und unsre Reichslande wieder in
französische Departements verwandeln zu lassen. Wir antworten darauf: Die
Deutschen lassen sich nicht bange machen, sie fürchten als ein Volk ohne Über¬
mut Gott, sonst aber im Bewußtsein ihrer eignen Kraft und der ihrer getreuem
Verbündeten niemand.

stosset bildet sich nnn allerdings nicht ein, daß die Männer, die Deutschland
zu seiner jetzigem Gestalt und Bedeutung erhoben haben, i" das uns angesvnnene
Opfer willigen werden, doch hofft er, daß die, die nach ihnen kommen, sich
dazu bereit erklären können. Aber er scheint nicht zu erwarten, daß Frankreich
jemals eine andre Entschädigung gewähren werde, als die eines Bündnisses,
dessen Frucht dem gesamten Europa zu gute kommen würde. Gewiß, der
springende Puukt in seiner Flugschrift ist die Anklage Rußlands als des Erb¬
feindes der Gesittung und der modernen Bildung; aber er gesteht offen ein,
daß Frankreich, so lange die dermalige Lage der Verhältnisse dauert, mit allen
Gegnern Deutschlands und namentlich mit Rußland die besten Beziehungen
unterhalten müsse, mit Nußland nicht aus instinktmäßiger Sympathie mit den
Slawen, wie viele Franzosen entweder in grober Unwissenheit oder als Opfer
augenblicklicher modischer Verblendung sagen, sondern auf Grund des natür¬
lichen Gefühls, das die Feinde einnnddesselben Volkes zu einander führt und mit
einander Front zu machen nötigt. Es ist klar, der Baron ist kein Bewunderer
des Moskowitertnms, aber er beißt bis ans weiteres in einen sauern Apfel.


feindlichen Mächten, die es jederzeit mit sechs Millionen Soldaten über¬
schwemmen könnten, in einem Zustand äußerster Gefahr.

Der Verfasser verführt bei dieser Betrachtung offenbar nicht so logisch,
als er verfahren sollte, wenn er die Lage des deutschen Reiches im Vergleiche
mit der Frankreichs als die bedenklichere ansieht, um ihm die Zurückgabe der
eroberten Ostprovinzen als keinen zu hohen Preis für Frankreichs Freundschaft
darstellen zu können. Er vergißt, daß er soeben darauf hingewiesen hat, daß
Paris viel näher an der Grenze liegt als Berlin und nach Verlust einer
einzigen Schlacht den Feind vor sich zu erwarten hat. Er rechnet nicht mit
den dritthalb Millionen deutschen Soldaten, die den sechs Millionen Franzosen
und Russen gegenüberstehen würden, und die mindestens ebenso tüchtig von
Natur, ebenso gut bewaffnet und geübt sind als diese, aber weit bessere Offiziere
haben und rascher mvbilisirt und auf den Kriegsschauplatz gebracht werden
können. Er thut endlich, als ob es keinen Dreibund gäbe, in dein Österreich-
Uugaru und Italien ebenfalls einige Millionen Soldaten in die Wagschale
werfen würden, und dem sich die Pforte und England mit seiner Kriegsflotte
unter Umständen anschließen könnten und wahrscheinlich anschließen müßten.
Er sieht uns alleinstchen zwischen zwei gewaltigen Großmächten, gleichsam
zwischen den weit aufgerissenen Kinnladen eines Rachens, und bittet uns, an¬
gesichts dieser heillosen Lage doch ja in uns zu gehen, das kleine Opfer, mit
dem sie allein zu beschwören ist, zu bringen und unsre Reichslande wieder in
französische Departements verwandeln zu lassen. Wir antworten darauf: Die
Deutschen lassen sich nicht bange machen, sie fürchten als ein Volk ohne Über¬
mut Gott, sonst aber im Bewußtsein ihrer eignen Kraft und der ihrer getreuem
Verbündeten niemand.

stosset bildet sich nnn allerdings nicht ein, daß die Männer, die Deutschland
zu seiner jetzigem Gestalt und Bedeutung erhoben haben, i» das uns angesvnnene
Opfer willigen werden, doch hofft er, daß die, die nach ihnen kommen, sich
dazu bereit erklären können. Aber er scheint nicht zu erwarten, daß Frankreich
jemals eine andre Entschädigung gewähren werde, als die eines Bündnisses,
dessen Frucht dem gesamten Europa zu gute kommen würde. Gewiß, der
springende Puukt in seiner Flugschrift ist die Anklage Rußlands als des Erb¬
feindes der Gesittung und der modernen Bildung; aber er gesteht offen ein,
daß Frankreich, so lange die dermalige Lage der Verhältnisse dauert, mit allen
Gegnern Deutschlands und namentlich mit Rußland die besten Beziehungen
unterhalten müsse, mit Nußland nicht aus instinktmäßiger Sympathie mit den
Slawen, wie viele Franzosen entweder in grober Unwissenheit oder als Opfer
augenblicklicher modischer Verblendung sagen, sondern auf Grund des natür¬
lichen Gefühls, das die Feinde einnnddesselben Volkes zu einander führt und mit
einander Front zu machen nötigt. Es ist klar, der Baron ist kein Bewunderer
des Moskowitertnms, aber er beißt bis ans weiteres in einen sauern Apfel.


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[0355] feindlichen Mächten, die es jederzeit mit sechs Millionen Soldaten über¬ schwemmen könnten, in einem Zustand äußerster Gefahr. Der Verfasser verführt bei dieser Betrachtung offenbar nicht so logisch, als er verfahren sollte, wenn er die Lage des deutschen Reiches im Vergleiche mit der Frankreichs als die bedenklichere ansieht, um ihm die Zurückgabe der eroberten Ostprovinzen als keinen zu hohen Preis für Frankreichs Freundschaft darstellen zu können. Er vergißt, daß er soeben darauf hingewiesen hat, daß Paris viel näher an der Grenze liegt als Berlin und nach Verlust einer einzigen Schlacht den Feind vor sich zu erwarten hat. Er rechnet nicht mit den dritthalb Millionen deutschen Soldaten, die den sechs Millionen Franzosen und Russen gegenüberstehen würden, und die mindestens ebenso tüchtig von Natur, ebenso gut bewaffnet und geübt sind als diese, aber weit bessere Offiziere haben und rascher mvbilisirt und auf den Kriegsschauplatz gebracht werden können. Er thut endlich, als ob es keinen Dreibund gäbe, in dein Österreich- Uugaru und Italien ebenfalls einige Millionen Soldaten in die Wagschale werfen würden, und dem sich die Pforte und England mit seiner Kriegsflotte unter Umständen anschließen könnten und wahrscheinlich anschließen müßten. Er sieht uns alleinstchen zwischen zwei gewaltigen Großmächten, gleichsam zwischen den weit aufgerissenen Kinnladen eines Rachens, und bittet uns, an¬ gesichts dieser heillosen Lage doch ja in uns zu gehen, das kleine Opfer, mit dem sie allein zu beschwören ist, zu bringen und unsre Reichslande wieder in französische Departements verwandeln zu lassen. Wir antworten darauf: Die Deutschen lassen sich nicht bange machen, sie fürchten als ein Volk ohne Über¬ mut Gott, sonst aber im Bewußtsein ihrer eignen Kraft und der ihrer getreuem Verbündeten niemand. stosset bildet sich nnn allerdings nicht ein, daß die Männer, die Deutschland zu seiner jetzigem Gestalt und Bedeutung erhoben haben, i» das uns angesvnnene Opfer willigen werden, doch hofft er, daß die, die nach ihnen kommen, sich dazu bereit erklären können. Aber er scheint nicht zu erwarten, daß Frankreich jemals eine andre Entschädigung gewähren werde, als die eines Bündnisses, dessen Frucht dem gesamten Europa zu gute kommen würde. Gewiß, der springende Puukt in seiner Flugschrift ist die Anklage Rußlands als des Erb¬ feindes der Gesittung und der modernen Bildung; aber er gesteht offen ein, daß Frankreich, so lange die dermalige Lage der Verhältnisse dauert, mit allen Gegnern Deutschlands und namentlich mit Rußland die besten Beziehungen unterhalten müsse, mit Nußland nicht aus instinktmäßiger Sympathie mit den Slawen, wie viele Franzosen entweder in grober Unwissenheit oder als Opfer augenblicklicher modischer Verblendung sagen, sondern auf Grund des natür¬ lichen Gefühls, das die Feinde einnnddesselben Volkes zu einander führt und mit einander Front zu machen nötigt. Es ist klar, der Baron ist kein Bewunderer des Moskowitertnms, aber er beißt bis ans weiteres in einen sauern Apfel.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/355>, abgerufen am 23.07.2024.