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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Humor und 'Komik in der griechischen Uunst

bereits die homerischen Gedichte die ersten naiven Spuren davon. Wenn im
ersten Buche der Ilias der lahme Hephüstos eifrig den Mundschenk macht und
über den herumhumpelnden Stellvertreter Ganymedes die Götter alle in ihr
berühmtes unauslöschliches Gelächter ausbrechen, oder wenn Odysseus den
grimmen Polyphem, den er zu blenden gedenkt, berauscht macht und auf die
Frage des Trunkenen erwidert, er heiße Niemand, worauf der Khklvp ihm
mit gutmütigen Menschenfresserhumvr verspricht, zum Dank für die wunder¬
volle Weinesspende werde er deu Niemand zuletzt uuter allen seinen Gefährten
verzehren, so sind das Äußerungen eines solchen naive" Humors, wie ihn die
Bvlkspvesie liebt. Und erinnert es uus nicht an den großen Meister des Humors
im Tragischen, an Shakespeare, wenn im Agamemnon des Äschylvs zu Anfang der
furchtbaren Ereignisse, die sich vor uns abspielen sollen, der geschwätzige Wächter
mit seinen vulgären Redensarten auftritt, oder in der Antigone des Sophokles
der mit Bewachung der Leiche des Polyneikes beauftragte Diener in behaglicher
Breite feinen Bericht abstattet und bei seinem ersten Auftreten durch seine Furcht,
dann durch seinen Triumph über deu glücklichen Fang der Frevlerin den Hörer
vorübergehend von den ergreifenden Vorgängen der Handlung abzieht?

Diese Beispiele, die sich leicht vermehren lassen, zeigen zur Genüge, daß
der griechischen Poesie wie das komische so mich das humoristische Element
nichts weniger als fremd war; und es liegt daher an sich schon nahe, daß ein
Boll, das auf dein Gebiete der bildenden Kunst so ungemein vielseitig war,
auch sür dieses sich das Komische nicht wird haben entgehen lassen. Nur dürfen
>vir uns nicht unter den Werken der großen monumentalen Plastik danach
umsehen; denn gerade diese ist am wenigsten dafür geeignet. Komisches ver¬
langen wir nicht in Lebensgröße zu sehen; es ist daher auch -- beiläufig be¬
merkt -- durchaus verfehlt, wenn heutzutage manche Maler es lieben, genrehafte
oder kölnische Szenen in lebensgroßen, ja bisweilen in überlebensgroßen Figuren
zu malen. Wir können uns hier nicht darauf einlassen, zu untersuchen, wo
der ästhetische Grund dieser Abneigung liegt, aber unzweifelhaft ist sie vorhanden.
Nur einige vereinzelte Gebiete der antiken Monumentalslulptur, vornehmlich
die Gesellschaft des Dionysos, über die wir noch näher zu sprechen haben werden,
können hier ausgenommen werden; im allgemeinen aber ist die monumentale Plastik
nicht derBvden für das Komische oder Humoristische, sondern innerhalb der Skulptur
vielmehr das Relief und die Statuette. Beim Relief kommt selbstverständlich sehr
"ick auf die Bestimmung an; das monumentale Relief, wenn wir so sagen dürfen,
insbesondre namentlich das Tempelrelief, Metope und Fries, ist dafür am
wenigsten der Platz, obgleich die Kunst, namentlich die ältere, auch hier bisweilen
ihren urwüchsigen Humor nicht verleugnet. Denn wollten wir z. B. auch
bei der Metope von Selinus, wo Herakles die gefangnen Kerkopen, kleine
neckische Kobolde, gebunden an einem Traghvlz auf deu Schultern fortschleppt,
^'n kölnischen Eindruck der Darstellung auf die hohe Altertümlichkeit der noch


Grenzboten I 1890 43
Humor und 'Komik in der griechischen Uunst

bereits die homerischen Gedichte die ersten naiven Spuren davon. Wenn im
ersten Buche der Ilias der lahme Hephüstos eifrig den Mundschenk macht und
über den herumhumpelnden Stellvertreter Ganymedes die Götter alle in ihr
berühmtes unauslöschliches Gelächter ausbrechen, oder wenn Odysseus den
grimmen Polyphem, den er zu blenden gedenkt, berauscht macht und auf die
Frage des Trunkenen erwidert, er heiße Niemand, worauf der Khklvp ihm
mit gutmütigen Menschenfresserhumvr verspricht, zum Dank für die wunder¬
volle Weinesspende werde er deu Niemand zuletzt uuter allen seinen Gefährten
verzehren, so sind das Äußerungen eines solchen naive» Humors, wie ihn die
Bvlkspvesie liebt. Und erinnert es uus nicht an den großen Meister des Humors
im Tragischen, an Shakespeare, wenn im Agamemnon des Äschylvs zu Anfang der
furchtbaren Ereignisse, die sich vor uns abspielen sollen, der geschwätzige Wächter
mit seinen vulgären Redensarten auftritt, oder in der Antigone des Sophokles
der mit Bewachung der Leiche des Polyneikes beauftragte Diener in behaglicher
Breite feinen Bericht abstattet und bei seinem ersten Auftreten durch seine Furcht,
dann durch seinen Triumph über deu glücklichen Fang der Frevlerin den Hörer
vorübergehend von den ergreifenden Vorgängen der Handlung abzieht?

Diese Beispiele, die sich leicht vermehren lassen, zeigen zur Genüge, daß
der griechischen Poesie wie das komische so mich das humoristische Element
nichts weniger als fremd war; und es liegt daher an sich schon nahe, daß ein
Boll, das auf dein Gebiete der bildenden Kunst so ungemein vielseitig war,
auch sür dieses sich das Komische nicht wird haben entgehen lassen. Nur dürfen
>vir uns nicht unter den Werken der großen monumentalen Plastik danach
umsehen; denn gerade diese ist am wenigsten dafür geeignet. Komisches ver¬
langen wir nicht in Lebensgröße zu sehen; es ist daher auch — beiläufig be¬
merkt — durchaus verfehlt, wenn heutzutage manche Maler es lieben, genrehafte
oder kölnische Szenen in lebensgroßen, ja bisweilen in überlebensgroßen Figuren
zu malen. Wir können uns hier nicht darauf einlassen, zu untersuchen, wo
der ästhetische Grund dieser Abneigung liegt, aber unzweifelhaft ist sie vorhanden.
Nur einige vereinzelte Gebiete der antiken Monumentalslulptur, vornehmlich
die Gesellschaft des Dionysos, über die wir noch näher zu sprechen haben werden,
können hier ausgenommen werden; im allgemeinen aber ist die monumentale Plastik
nicht derBvden für das Komische oder Humoristische, sondern innerhalb der Skulptur
vielmehr das Relief und die Statuette. Beim Relief kommt selbstverständlich sehr
"ick auf die Bestimmung an; das monumentale Relief, wenn wir so sagen dürfen,
insbesondre namentlich das Tempelrelief, Metope und Fries, ist dafür am
wenigsten der Platz, obgleich die Kunst, namentlich die ältere, auch hier bisweilen
ihren urwüchsigen Humor nicht verleugnet. Denn wollten wir z. B. auch
bei der Metope von Selinus, wo Herakles die gefangnen Kerkopen, kleine
neckische Kobolde, gebunden an einem Traghvlz auf deu Schultern fortschleppt,
^'n kölnischen Eindruck der Darstellung auf die hohe Altertümlichkeit der noch


Grenzboten I 1890 43
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[0337] Humor und 'Komik in der griechischen Uunst bereits die homerischen Gedichte die ersten naiven Spuren davon. Wenn im ersten Buche der Ilias der lahme Hephüstos eifrig den Mundschenk macht und über den herumhumpelnden Stellvertreter Ganymedes die Götter alle in ihr berühmtes unauslöschliches Gelächter ausbrechen, oder wenn Odysseus den grimmen Polyphem, den er zu blenden gedenkt, berauscht macht und auf die Frage des Trunkenen erwidert, er heiße Niemand, worauf der Khklvp ihm mit gutmütigen Menschenfresserhumvr verspricht, zum Dank für die wunder¬ volle Weinesspende werde er deu Niemand zuletzt uuter allen seinen Gefährten verzehren, so sind das Äußerungen eines solchen naive» Humors, wie ihn die Bvlkspvesie liebt. Und erinnert es uus nicht an den großen Meister des Humors im Tragischen, an Shakespeare, wenn im Agamemnon des Äschylvs zu Anfang der furchtbaren Ereignisse, die sich vor uns abspielen sollen, der geschwätzige Wächter mit seinen vulgären Redensarten auftritt, oder in der Antigone des Sophokles der mit Bewachung der Leiche des Polyneikes beauftragte Diener in behaglicher Breite feinen Bericht abstattet und bei seinem ersten Auftreten durch seine Furcht, dann durch seinen Triumph über deu glücklichen Fang der Frevlerin den Hörer vorübergehend von den ergreifenden Vorgängen der Handlung abzieht? Diese Beispiele, die sich leicht vermehren lassen, zeigen zur Genüge, daß der griechischen Poesie wie das komische so mich das humoristische Element nichts weniger als fremd war; und es liegt daher an sich schon nahe, daß ein Boll, das auf dein Gebiete der bildenden Kunst so ungemein vielseitig war, auch sür dieses sich das Komische nicht wird haben entgehen lassen. Nur dürfen >vir uns nicht unter den Werken der großen monumentalen Plastik danach umsehen; denn gerade diese ist am wenigsten dafür geeignet. Komisches ver¬ langen wir nicht in Lebensgröße zu sehen; es ist daher auch — beiläufig be¬ merkt — durchaus verfehlt, wenn heutzutage manche Maler es lieben, genrehafte oder kölnische Szenen in lebensgroßen, ja bisweilen in überlebensgroßen Figuren zu malen. Wir können uns hier nicht darauf einlassen, zu untersuchen, wo der ästhetische Grund dieser Abneigung liegt, aber unzweifelhaft ist sie vorhanden. Nur einige vereinzelte Gebiete der antiken Monumentalslulptur, vornehmlich die Gesellschaft des Dionysos, über die wir noch näher zu sprechen haben werden, können hier ausgenommen werden; im allgemeinen aber ist die monumentale Plastik nicht derBvden für das Komische oder Humoristische, sondern innerhalb der Skulptur vielmehr das Relief und die Statuette. Beim Relief kommt selbstverständlich sehr "ick auf die Bestimmung an; das monumentale Relief, wenn wir so sagen dürfen, insbesondre namentlich das Tempelrelief, Metope und Fries, ist dafür am wenigsten der Platz, obgleich die Kunst, namentlich die ältere, auch hier bisweilen ihren urwüchsigen Humor nicht verleugnet. Denn wollten wir z. B. auch bei der Metope von Selinus, wo Herakles die gefangnen Kerkopen, kleine neckische Kobolde, gebunden an einem Traghvlz auf deu Schultern fortschleppt, ^'n kölnischen Eindruck der Darstellung auf die hohe Altertümlichkeit der noch Grenzboten I 1890 43

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/337>, abgerufen am 25.08.2024.