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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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gefördert wurden, und die aufblühende romanische Wissenschaft hat sich
großenteils ans die gefeierten Namen der Renaissance beschränkt. Die Zahl
der deutschen Dante- und Ariostnbersetzungen, der Abhandlungen und Kommen¬
tare dazu hat sich zwar unablässig gemehrt, auch einzelne Novellisten und
Kvmvdiendichter des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts haben sich leb¬
hafter Teilnahme erfreut. Doch über das Ende des sechzehnten Jahrhunderts,
die Periode Tassos hinaus, erstreckte sich diese Teilnahme kaum. Die ganze
spätere Entwicklung der italienischen Dichtung galt als Verfall, und von der
Erhebung seit Parmi und Alfieri nahmen Wohl einzelne Litteraturfreunde
Notiz, aber sie kam nicht zu dem Ansehen eines Gegenstandes wissenschaftlicher
Untersuchung und Erörterung. Die gelehrte Beschäftigung mit Dante trug
karge Frucht für eine lebendige Teilnahme an der neuern italienischen Dichtung.
Die wenigen Übersetzer und ihre Verleger erfuhren es zu ihrem Schaden, daß
keine neuere Litteratur ein so geringes Publikum unter uns hat als die
italienische. Die Novellen Vergas und La Fnriuas haben hieran nichts ge¬
ändert, und der uneriniidliche Vertreter italienischer Poesie, Paul Hesse, sagt
selbst über den Erfolg seiner Übersetzung des Leopardi, daß er geneigt sei, "die
gute Aufnahme nicht so sehr auf seine dichterische Anziehungskraft zu schieben,
als ans die pessimistische Grundstimmung seiner Weltanschauung, die einer
Krankheit der Zeit willkommene Nahrung bot. Daß der Dichter der Weltver¬
achtung zufällig ein Italiener war, kam für die meisten seiner Bewunderer
gewiß zu allerletzt in Betracht."

Auch in dein Vorwort zu einer neuen, sehr wertvollen Sammlung poetischer
Übersetzungen und litterarhistorischer Einleitungen: Italienische Dichter seit
der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts") wiederholt Heyse die Klage,
daß der Erfolg seiner unablässigen Bemühungen, die gebildeten Kreise in Deutsch¬
land für die Litteratur unsrer politischen Bundesgenosse" zu gewinnen, hinter
den bescheidensten Erwartungen zurückgeblieben sei. "Woher diese tiefe Gleich-
giltigkeit gegen die Dichtung eines Volkes, dessen Land immer noch das Ziel
unsrer Sehnsucht ist, dessen Sitte und Zustände novellistisch geschildert zu
sehen wir nicht müde werden, dessen Sprache unbestritten als die melodischste
von ganz Europa gilt? Es ist wahr, daß das heutige Italien an großen
Talenten, an Schriftstellern ersten Ranges arm ist, daß seine Theater fast aus¬
schließlich unter dem Einflusse der französischen Bühne stehen, der französische
Roman der neuesten Schule es den wenigen Erzählern aus erster Hand schwer
macht, emporzukommen, und daß es nicht geringer Vertrautheit mit der Sprache
bedarf, um deu eigenartigen Reiz Cardueeischer Lyrik ganz zu genießen. Das
alles würde mir erklären, warum bisher eine im eigentlichsten Sinne vvlks-



Italienische Dichter seit der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts.
Uderschmigen mit Studien von Paul Heyse. Drei Bände. Berlin, Wilhelm Hertz, 1889.

gefördert wurden, und die aufblühende romanische Wissenschaft hat sich
großenteils ans die gefeierten Namen der Renaissance beschränkt. Die Zahl
der deutschen Dante- und Ariostnbersetzungen, der Abhandlungen und Kommen¬
tare dazu hat sich zwar unablässig gemehrt, auch einzelne Novellisten und
Kvmvdiendichter des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts haben sich leb¬
hafter Teilnahme erfreut. Doch über das Ende des sechzehnten Jahrhunderts,
die Periode Tassos hinaus, erstreckte sich diese Teilnahme kaum. Die ganze
spätere Entwicklung der italienischen Dichtung galt als Verfall, und von der
Erhebung seit Parmi und Alfieri nahmen Wohl einzelne Litteraturfreunde
Notiz, aber sie kam nicht zu dem Ansehen eines Gegenstandes wissenschaftlicher
Untersuchung und Erörterung. Die gelehrte Beschäftigung mit Dante trug
karge Frucht für eine lebendige Teilnahme an der neuern italienischen Dichtung.
Die wenigen Übersetzer und ihre Verleger erfuhren es zu ihrem Schaden, daß
keine neuere Litteratur ein so geringes Publikum unter uns hat als die
italienische. Die Novellen Vergas und La Fnriuas haben hieran nichts ge¬
ändert, und der uneriniidliche Vertreter italienischer Poesie, Paul Hesse, sagt
selbst über den Erfolg seiner Übersetzung des Leopardi, daß er geneigt sei, „die
gute Aufnahme nicht so sehr auf seine dichterische Anziehungskraft zu schieben,
als ans die pessimistische Grundstimmung seiner Weltanschauung, die einer
Krankheit der Zeit willkommene Nahrung bot. Daß der Dichter der Weltver¬
achtung zufällig ein Italiener war, kam für die meisten seiner Bewunderer
gewiß zu allerletzt in Betracht."

Auch in dein Vorwort zu einer neuen, sehr wertvollen Sammlung poetischer
Übersetzungen und litterarhistorischer Einleitungen: Italienische Dichter seit
der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts") wiederholt Heyse die Klage,
daß der Erfolg seiner unablässigen Bemühungen, die gebildeten Kreise in Deutsch¬
land für die Litteratur unsrer politischen Bundesgenosse» zu gewinnen, hinter
den bescheidensten Erwartungen zurückgeblieben sei. „Woher diese tiefe Gleich-
giltigkeit gegen die Dichtung eines Volkes, dessen Land immer noch das Ziel
unsrer Sehnsucht ist, dessen Sitte und Zustände novellistisch geschildert zu
sehen wir nicht müde werden, dessen Sprache unbestritten als die melodischste
von ganz Europa gilt? Es ist wahr, daß das heutige Italien an großen
Talenten, an Schriftstellern ersten Ranges arm ist, daß seine Theater fast aus¬
schließlich unter dem Einflusse der französischen Bühne stehen, der französische
Roman der neuesten Schule es den wenigen Erzählern aus erster Hand schwer
macht, emporzukommen, und daß es nicht geringer Vertrautheit mit der Sprache
bedarf, um deu eigenartigen Reiz Cardueeischer Lyrik ganz zu genießen. Das
alles würde mir erklären, warum bisher eine im eigentlichsten Sinne vvlks-



Italienische Dichter seit der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts.
Uderschmigen mit Studien von Paul Heyse. Drei Bände. Berlin, Wilhelm Hertz, 1889.
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[0333] gefördert wurden, und die aufblühende romanische Wissenschaft hat sich großenteils ans die gefeierten Namen der Renaissance beschränkt. Die Zahl der deutschen Dante- und Ariostnbersetzungen, der Abhandlungen und Kommen¬ tare dazu hat sich zwar unablässig gemehrt, auch einzelne Novellisten und Kvmvdiendichter des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts haben sich leb¬ hafter Teilnahme erfreut. Doch über das Ende des sechzehnten Jahrhunderts, die Periode Tassos hinaus, erstreckte sich diese Teilnahme kaum. Die ganze spätere Entwicklung der italienischen Dichtung galt als Verfall, und von der Erhebung seit Parmi und Alfieri nahmen Wohl einzelne Litteraturfreunde Notiz, aber sie kam nicht zu dem Ansehen eines Gegenstandes wissenschaftlicher Untersuchung und Erörterung. Die gelehrte Beschäftigung mit Dante trug karge Frucht für eine lebendige Teilnahme an der neuern italienischen Dichtung. Die wenigen Übersetzer und ihre Verleger erfuhren es zu ihrem Schaden, daß keine neuere Litteratur ein so geringes Publikum unter uns hat als die italienische. Die Novellen Vergas und La Fnriuas haben hieran nichts ge¬ ändert, und der uneriniidliche Vertreter italienischer Poesie, Paul Hesse, sagt selbst über den Erfolg seiner Übersetzung des Leopardi, daß er geneigt sei, „die gute Aufnahme nicht so sehr auf seine dichterische Anziehungskraft zu schieben, als ans die pessimistische Grundstimmung seiner Weltanschauung, die einer Krankheit der Zeit willkommene Nahrung bot. Daß der Dichter der Weltver¬ achtung zufällig ein Italiener war, kam für die meisten seiner Bewunderer gewiß zu allerletzt in Betracht." Auch in dein Vorwort zu einer neuen, sehr wertvollen Sammlung poetischer Übersetzungen und litterarhistorischer Einleitungen: Italienische Dichter seit der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts") wiederholt Heyse die Klage, daß der Erfolg seiner unablässigen Bemühungen, die gebildeten Kreise in Deutsch¬ land für die Litteratur unsrer politischen Bundesgenosse» zu gewinnen, hinter den bescheidensten Erwartungen zurückgeblieben sei. „Woher diese tiefe Gleich- giltigkeit gegen die Dichtung eines Volkes, dessen Land immer noch das Ziel unsrer Sehnsucht ist, dessen Sitte und Zustände novellistisch geschildert zu sehen wir nicht müde werden, dessen Sprache unbestritten als die melodischste von ganz Europa gilt? Es ist wahr, daß das heutige Italien an großen Talenten, an Schriftstellern ersten Ranges arm ist, daß seine Theater fast aus¬ schließlich unter dem Einflusse der französischen Bühne stehen, der französische Roman der neuesten Schule es den wenigen Erzählern aus erster Hand schwer macht, emporzukommen, und daß es nicht geringer Vertrautheit mit der Sprache bedarf, um deu eigenartigen Reiz Cardueeischer Lyrik ganz zu genießen. Das alles würde mir erklären, warum bisher eine im eigentlichsten Sinne vvlks- Italienische Dichter seit der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts. Uderschmigen mit Studien von Paul Heyse. Drei Bände. Berlin, Wilhelm Hertz, 1889.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/333>, abgerufen am 23.07.2024.