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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Allerhand Sprachdummheiten

der Krankenkassenbeiträge n, s. w. Einen Brief fing man früher ein: Auf
Dein Schreiben vom 17. teile ich Dir mit; jetzt: Antwortlich Deines
Schreibens. Früher hieß es: im Namen des Königs, aus Mangel
an genügendem Angebot, jetzt: namens des Königs, mangels genügenden
Angebotes; für den häßlichen Gleichklang, der durch die gehäuften Schluß-s
entsteht, haben die Menschen kein Ohr. Früher verstand es jedermann,
wenn man sagte: nach Paragraph 5, nach den Bestimmungen der Bau¬
ordnung; jetzt heißt es: gemäß oder in Gemäßheit von (!) Paragraph 5,
inhaltlich der Bestimmungen der Bauordnung. Früher erschien eine Festschrift
zum Geburtstage, beim Jubiläum eines Gelehrten, jetzt nur noch anläßlich
des Geburtstages oder gelegentlich des Jubiläums. Beim Auftreten der
Influenza hat sich gezeigt -- in den über den Entwurf gepflogenen Verhand¬
lungen wurde bemerkt -- versteht das niemand mehr? Offenbar nicht, denn
jetzt heißt es: gelegentlich des Auftretens der Influenza -- gelegentlich
der über den Entwurf gepflogenen Verhandlungen. Früher sagte man: mit
der heutigen Versammlung sind in diesem Jahre zehn Versammlungen gewesen,
ohne die heutige neun, und man wurde verstanden; jetzt heißt es: ein¬
schließlich der heutigen Versammlung, ausschließlich der heutigen Ver¬
sammlung. Endlich: mit Zuhilfenahme von, auf Grund von, unter
Zugrundelegung von, was sind diese Wendungen anders, als breitspurige
Umschreibungen einfacher Präpositionen, deren Kraft und Wirkung man nicht
mehr fühlt oder nicht mehr fühlen will?

Der größte Greuel aber auf dem ganzen Gebiete unsers heutigen Prä-
positivncngebranches, richtiger Mißbrauches, ist das Wort seitens. Es ist
zunächst schon eine schauderbare Bildung. In den vierziger und fünfziger Jahren
schrieben die Beamten und Zeitungsschreiber beim passiven Verbum mit Vorliebe
von Seiten statt des einfachen von: von Seiten der Pvlizeidirektion statt von
der Polizeidirektion. Das war natürlich unnötiger Schwulst, aber es war doch
wenigstens richtig; ja man konnte sich sogar über den alten guten Dativ
freuen, den sich heute niemand mehr zu bilden getraut. Mit der Zeit wurde
aber doch selbst den Kanzlei- und Zeitnngsmenschen dieses ewige von Seiten
zu viel. Statt nun das einzig vernünftige zu thun und wieder zu dem ein¬
fachen von zurückzukehren, ließ man das von weg und und sagte nur noch
selten. Aber das dauerte auch nur kurze Zeit. Kaum war diese Neubildung
fertig, so wurde sie einer abermaligen Umbildung unterzogen, man hing in
der gedankenlosesten Weise, verführt durch Genetive wie behufs, betreffs
(denn zwecks und namens gab es damals noch nicht), ein gänzlich unorga¬
nisches s an den alten Dativ, und so entstand denn dieses Jammerbild einer
Präposition, das heute die Hanptpräpositivn, das Leib- und Lieblingswort
der gesamten deutschen Zeitungssprache ist. So wie man eine Zeitung in die
Hand nimmt: das erste Wort, das einem in die Augen fällt, ist seitens.


Grenzboten 1 1890 41
Allerhand Sprachdummheiten

der Krankenkassenbeiträge n, s. w. Einen Brief fing man früher ein: Auf
Dein Schreiben vom 17. teile ich Dir mit; jetzt: Antwortlich Deines
Schreibens. Früher hieß es: im Namen des Königs, aus Mangel
an genügendem Angebot, jetzt: namens des Königs, mangels genügenden
Angebotes; für den häßlichen Gleichklang, der durch die gehäuften Schluß-s
entsteht, haben die Menschen kein Ohr. Früher verstand es jedermann,
wenn man sagte: nach Paragraph 5, nach den Bestimmungen der Bau¬
ordnung; jetzt heißt es: gemäß oder in Gemäßheit von (!) Paragraph 5,
inhaltlich der Bestimmungen der Bauordnung. Früher erschien eine Festschrift
zum Geburtstage, beim Jubiläum eines Gelehrten, jetzt nur noch anläßlich
des Geburtstages oder gelegentlich des Jubiläums. Beim Auftreten der
Influenza hat sich gezeigt — in den über den Entwurf gepflogenen Verhand¬
lungen wurde bemerkt — versteht das niemand mehr? Offenbar nicht, denn
jetzt heißt es: gelegentlich des Auftretens der Influenza — gelegentlich
der über den Entwurf gepflogenen Verhandlungen. Früher sagte man: mit
der heutigen Versammlung sind in diesem Jahre zehn Versammlungen gewesen,
ohne die heutige neun, und man wurde verstanden; jetzt heißt es: ein¬
schließlich der heutigen Versammlung, ausschließlich der heutigen Ver¬
sammlung. Endlich: mit Zuhilfenahme von, auf Grund von, unter
Zugrundelegung von, was sind diese Wendungen anders, als breitspurige
Umschreibungen einfacher Präpositionen, deren Kraft und Wirkung man nicht
mehr fühlt oder nicht mehr fühlen will?

Der größte Greuel aber auf dem ganzen Gebiete unsers heutigen Prä-
positivncngebranches, richtiger Mißbrauches, ist das Wort seitens. Es ist
zunächst schon eine schauderbare Bildung. In den vierziger und fünfziger Jahren
schrieben die Beamten und Zeitungsschreiber beim passiven Verbum mit Vorliebe
von Seiten statt des einfachen von: von Seiten der Pvlizeidirektion statt von
der Polizeidirektion. Das war natürlich unnötiger Schwulst, aber es war doch
wenigstens richtig; ja man konnte sich sogar über den alten guten Dativ
freuen, den sich heute niemand mehr zu bilden getraut. Mit der Zeit wurde
aber doch selbst den Kanzlei- und Zeitnngsmenschen dieses ewige von Seiten
zu viel. Statt nun das einzig vernünftige zu thun und wieder zu dem ein¬
fachen von zurückzukehren, ließ man das von weg und und sagte nur noch
selten. Aber das dauerte auch nur kurze Zeit. Kaum war diese Neubildung
fertig, so wurde sie einer abermaligen Umbildung unterzogen, man hing in
der gedankenlosesten Weise, verführt durch Genetive wie behufs, betreffs
(denn zwecks und namens gab es damals noch nicht), ein gänzlich unorga¬
nisches s an den alten Dativ, und so entstand denn dieses Jammerbild einer
Präposition, das heute die Hanptpräpositivn, das Leib- und Lieblingswort
der gesamten deutschen Zeitungssprache ist. So wie man eine Zeitung in die
Hand nimmt: das erste Wort, das einem in die Augen fällt, ist seitens.


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[0329] Allerhand Sprachdummheiten der Krankenkassenbeiträge n, s. w. Einen Brief fing man früher ein: Auf Dein Schreiben vom 17. teile ich Dir mit; jetzt: Antwortlich Deines Schreibens. Früher hieß es: im Namen des Königs, aus Mangel an genügendem Angebot, jetzt: namens des Königs, mangels genügenden Angebotes; für den häßlichen Gleichklang, der durch die gehäuften Schluß-s entsteht, haben die Menschen kein Ohr. Früher verstand es jedermann, wenn man sagte: nach Paragraph 5, nach den Bestimmungen der Bau¬ ordnung; jetzt heißt es: gemäß oder in Gemäßheit von (!) Paragraph 5, inhaltlich der Bestimmungen der Bauordnung. Früher erschien eine Festschrift zum Geburtstage, beim Jubiläum eines Gelehrten, jetzt nur noch anläßlich des Geburtstages oder gelegentlich des Jubiläums. Beim Auftreten der Influenza hat sich gezeigt — in den über den Entwurf gepflogenen Verhand¬ lungen wurde bemerkt — versteht das niemand mehr? Offenbar nicht, denn jetzt heißt es: gelegentlich des Auftretens der Influenza — gelegentlich der über den Entwurf gepflogenen Verhandlungen. Früher sagte man: mit der heutigen Versammlung sind in diesem Jahre zehn Versammlungen gewesen, ohne die heutige neun, und man wurde verstanden; jetzt heißt es: ein¬ schließlich der heutigen Versammlung, ausschließlich der heutigen Ver¬ sammlung. Endlich: mit Zuhilfenahme von, auf Grund von, unter Zugrundelegung von, was sind diese Wendungen anders, als breitspurige Umschreibungen einfacher Präpositionen, deren Kraft und Wirkung man nicht mehr fühlt oder nicht mehr fühlen will? Der größte Greuel aber auf dem ganzen Gebiete unsers heutigen Prä- positivncngebranches, richtiger Mißbrauches, ist das Wort seitens. Es ist zunächst schon eine schauderbare Bildung. In den vierziger und fünfziger Jahren schrieben die Beamten und Zeitungsschreiber beim passiven Verbum mit Vorliebe von Seiten statt des einfachen von: von Seiten der Pvlizeidirektion statt von der Polizeidirektion. Das war natürlich unnötiger Schwulst, aber es war doch wenigstens richtig; ja man konnte sich sogar über den alten guten Dativ freuen, den sich heute niemand mehr zu bilden getraut. Mit der Zeit wurde aber doch selbst den Kanzlei- und Zeitnngsmenschen dieses ewige von Seiten zu viel. Statt nun das einzig vernünftige zu thun und wieder zu dem ein¬ fachen von zurückzukehren, ließ man das von weg und und sagte nur noch selten. Aber das dauerte auch nur kurze Zeit. Kaum war diese Neubildung fertig, so wurde sie einer abermaligen Umbildung unterzogen, man hing in der gedankenlosesten Weise, verführt durch Genetive wie behufs, betreffs (denn zwecks und namens gab es damals noch nicht), ein gänzlich unorga¬ nisches s an den alten Dativ, und so entstand denn dieses Jammerbild einer Präposition, das heute die Hanptpräpositivn, das Leib- und Lieblingswort der gesamten deutschen Zeitungssprache ist. So wie man eine Zeitung in die Hand nimmt: das erste Wort, das einem in die Augen fällt, ist seitens. Grenzboten 1 1890 41

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/329>, abgerufen am 23.07.2024.