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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Zur Reform der Militärstrafprozeßordmmg

damit wenigstens in Friedenszeite" die Militärgerichte mit den ordentlichen
Strafgerichten und deren Rechtsanschauungen in einer gewissen Verbindung
bleiben. Je allgemeiner und ausgedehnter die gesetzliche Dienstpflicht wird,
desto inniger verwachsen die Interessen des Heeres mit denen des ganzen Volkes,
desto wttnschenswerter ist es, daß Heer und Volk mit ihren verschiednen
Lebensäußerungen, auch mit der Rechtspflege, Fühlung gewinnen.

An die Spitze der Erörterung über etwaige Änderungen in der Gliederung
des Verfahrens stellen wir die Frage, ob die jetzige Stellung des Gerichtsherr"
geändert werden darf, eine Frage, bei deren Beantwortung Wohl die Neichstags-
inehrheit vom 11. November zerfallen wird. Wie es scheint, wird die jetzige
Stellung des Gerichtsherrn vielfach nicht mit den Erfordernissen des mündlichen
Anklageverfahrens für vereinbar gehalten. Dem, gegenüber geben wir zur Erwä¬
gung, daß nach alter Überlieferung in Preußen der König als oberster Kriegsherr
bezüglich des Heeres in seinen Entschließungen nur durch die veröffentlichten
Gesetze beschränkt ist, sonst aber eine menschliche Autorität neben oder gar über
ihm für ihn nicht vorhanden ist, und daß die, die sein Vertrauen zu den höchsten
und höher" Koinmandvftellen im Heere berufen hat, abgesehen von der Verantwort¬
lichkeit vor dein Gesetz, nur ihrem König und obersten Kriegsherrn wegen ihrer
dienstlichen Entscheidungen verantwortlich sind. Wer sich anmaßt, hieran zu
rütteln, untergräbt eine der festesten Stützen unsrer bewährten Heeresverfasfnng.
Von diesem Standpunkt aus muß jeder Versuch, die Stellung des Gerichtsherrn
in dein Aiilitürstrafverfahren zu beseitige", als ein Angriff auf die militärische
Autorität des Königs und der unter ihm stehenden alten erfahrnen Truppen¬
führer erscheinen. Wenn Nur trotzdem einer Umgestaltung des Verfahrens
nach modernen Grundsätzen nicht zuwider sind, so thun wir dies in der
Hoffnung, daß die Umgestaltung unter Wahrung der bisherigen Rechte des
obersten Kriegsherrn und der unter ihm stehenden Gerichtsherrn wird erfolgen
könne". Wein hierbei die Folgerungen des modernen Verfahrens nicht überall
mit voller Energie und bis zur äußersten Grenze gezogen werden können, so
ist dies ein Nachteil nur in den Augen des scharfsinnigen Theoretikers, nicht
des gewöhnlichen Sterblichen, der nicht einem einzigen Ideal nachhängt, sondern
allen gegebnen Verhältnissen Rechnung trägt. Das Heer ist nun einmal nicht
dazu da, ein elegantes, bis in die äußersten Feinheiten durchdachtes und aus¬
gearbeitetes Prozeßverfahren vorzuführen, sondern Schlachten zu schlagen und
sich in angemessener Weise hierauf vorzubereiten. Das Strafverfahren ist nur
ein durch die menschlichen UnVollkommenheiten und Fehler notwendig gewordenes
nebensächliches Beiwerk.

Wird daher mit dein mündlichen Anklageverfahre" die Staatsanwaltschaft
als Anklagebehörde eingeführt, so muß sie unbedingt der Anordnung des be¬
treffenden Gerichtsherrn unterworfen werden. Die Einschiebung einer Zwischen-
instanz, die anf erhobene Anklage über etwaige Abweisung derselben oder


Zur Reform der Militärstrafprozeßordmmg

damit wenigstens in Friedenszeite» die Militärgerichte mit den ordentlichen
Strafgerichten und deren Rechtsanschauungen in einer gewissen Verbindung
bleiben. Je allgemeiner und ausgedehnter die gesetzliche Dienstpflicht wird,
desto inniger verwachsen die Interessen des Heeres mit denen des ganzen Volkes,
desto wttnschenswerter ist es, daß Heer und Volk mit ihren verschiednen
Lebensäußerungen, auch mit der Rechtspflege, Fühlung gewinnen.

An die Spitze der Erörterung über etwaige Änderungen in der Gliederung
des Verfahrens stellen wir die Frage, ob die jetzige Stellung des Gerichtsherr»
geändert werden darf, eine Frage, bei deren Beantwortung Wohl die Neichstags-
inehrheit vom 11. November zerfallen wird. Wie es scheint, wird die jetzige
Stellung des Gerichtsherrn vielfach nicht mit den Erfordernissen des mündlichen
Anklageverfahrens für vereinbar gehalten. Dem, gegenüber geben wir zur Erwä¬
gung, daß nach alter Überlieferung in Preußen der König als oberster Kriegsherr
bezüglich des Heeres in seinen Entschließungen nur durch die veröffentlichten
Gesetze beschränkt ist, sonst aber eine menschliche Autorität neben oder gar über
ihm für ihn nicht vorhanden ist, und daß die, die sein Vertrauen zu den höchsten
und höher» Koinmandvftellen im Heere berufen hat, abgesehen von der Verantwort¬
lichkeit vor dein Gesetz, nur ihrem König und obersten Kriegsherrn wegen ihrer
dienstlichen Entscheidungen verantwortlich sind. Wer sich anmaßt, hieran zu
rütteln, untergräbt eine der festesten Stützen unsrer bewährten Heeresverfasfnng.
Von diesem Standpunkt aus muß jeder Versuch, die Stellung des Gerichtsherrn
in dein Aiilitürstrafverfahren zu beseitige», als ein Angriff auf die militärische
Autorität des Königs und der unter ihm stehenden alten erfahrnen Truppen¬
führer erscheinen. Wenn Nur trotzdem einer Umgestaltung des Verfahrens
nach modernen Grundsätzen nicht zuwider sind, so thun wir dies in der
Hoffnung, daß die Umgestaltung unter Wahrung der bisherigen Rechte des
obersten Kriegsherrn und der unter ihm stehenden Gerichtsherrn wird erfolgen
könne». Wein hierbei die Folgerungen des modernen Verfahrens nicht überall
mit voller Energie und bis zur äußersten Grenze gezogen werden können, so
ist dies ein Nachteil nur in den Augen des scharfsinnigen Theoretikers, nicht
des gewöhnlichen Sterblichen, der nicht einem einzigen Ideal nachhängt, sondern
allen gegebnen Verhältnissen Rechnung trägt. Das Heer ist nun einmal nicht
dazu da, ein elegantes, bis in die äußersten Feinheiten durchdachtes und aus¬
gearbeitetes Prozeßverfahren vorzuführen, sondern Schlachten zu schlagen und
sich in angemessener Weise hierauf vorzubereiten. Das Strafverfahren ist nur
ein durch die menschlichen UnVollkommenheiten und Fehler notwendig gewordenes
nebensächliches Beiwerk.

Wird daher mit dein mündlichen Anklageverfahre» die Staatsanwaltschaft
als Anklagebehörde eingeführt, so muß sie unbedingt der Anordnung des be¬
treffenden Gerichtsherrn unterworfen werden. Die Einschiebung einer Zwischen-
instanz, die anf erhobene Anklage über etwaige Abweisung derselben oder


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[0320] Zur Reform der Militärstrafprozeßordmmg damit wenigstens in Friedenszeite» die Militärgerichte mit den ordentlichen Strafgerichten und deren Rechtsanschauungen in einer gewissen Verbindung bleiben. Je allgemeiner und ausgedehnter die gesetzliche Dienstpflicht wird, desto inniger verwachsen die Interessen des Heeres mit denen des ganzen Volkes, desto wttnschenswerter ist es, daß Heer und Volk mit ihren verschiednen Lebensäußerungen, auch mit der Rechtspflege, Fühlung gewinnen. An die Spitze der Erörterung über etwaige Änderungen in der Gliederung des Verfahrens stellen wir die Frage, ob die jetzige Stellung des Gerichtsherr» geändert werden darf, eine Frage, bei deren Beantwortung Wohl die Neichstags- inehrheit vom 11. November zerfallen wird. Wie es scheint, wird die jetzige Stellung des Gerichtsherrn vielfach nicht mit den Erfordernissen des mündlichen Anklageverfahrens für vereinbar gehalten. Dem, gegenüber geben wir zur Erwä¬ gung, daß nach alter Überlieferung in Preußen der König als oberster Kriegsherr bezüglich des Heeres in seinen Entschließungen nur durch die veröffentlichten Gesetze beschränkt ist, sonst aber eine menschliche Autorität neben oder gar über ihm für ihn nicht vorhanden ist, und daß die, die sein Vertrauen zu den höchsten und höher» Koinmandvftellen im Heere berufen hat, abgesehen von der Verantwort¬ lichkeit vor dein Gesetz, nur ihrem König und obersten Kriegsherrn wegen ihrer dienstlichen Entscheidungen verantwortlich sind. Wer sich anmaßt, hieran zu rütteln, untergräbt eine der festesten Stützen unsrer bewährten Heeresverfasfnng. Von diesem Standpunkt aus muß jeder Versuch, die Stellung des Gerichtsherrn in dein Aiilitürstrafverfahren zu beseitige», als ein Angriff auf die militärische Autorität des Königs und der unter ihm stehenden alten erfahrnen Truppen¬ führer erscheinen. Wenn Nur trotzdem einer Umgestaltung des Verfahrens nach modernen Grundsätzen nicht zuwider sind, so thun wir dies in der Hoffnung, daß die Umgestaltung unter Wahrung der bisherigen Rechte des obersten Kriegsherrn und der unter ihm stehenden Gerichtsherrn wird erfolgen könne». Wein hierbei die Folgerungen des modernen Verfahrens nicht überall mit voller Energie und bis zur äußersten Grenze gezogen werden können, so ist dies ein Nachteil nur in den Augen des scharfsinnigen Theoretikers, nicht des gewöhnlichen Sterblichen, der nicht einem einzigen Ideal nachhängt, sondern allen gegebnen Verhältnissen Rechnung trägt. Das Heer ist nun einmal nicht dazu da, ein elegantes, bis in die äußersten Feinheiten durchdachtes und aus¬ gearbeitetes Prozeßverfahren vorzuführen, sondern Schlachten zu schlagen und sich in angemessener Weise hierauf vorzubereiten. Das Strafverfahren ist nur ein durch die menschlichen UnVollkommenheiten und Fehler notwendig gewordenes nebensächliches Beiwerk. Wird daher mit dein mündlichen Anklageverfahre» die Staatsanwaltschaft als Anklagebehörde eingeführt, so muß sie unbedingt der Anordnung des be¬ treffenden Gerichtsherrn unterworfen werden. Die Einschiebung einer Zwischen- instanz, die anf erhobene Anklage über etwaige Abweisung derselben oder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/320>, abgerufen am 23.07.2024.