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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Französische Alnicignng gegen Lngland

auf dem Mittelmeere erscheinen. Mit dein dritten Napoleon nahm aber die
Annäherung der beiden Nationen wieder ihren Fortgang, und eine Zeit lang
hätte man sie für vollendet halten können. Obwohl Frankreichs Interesse ans
gutes Einvernehmen mit Rußland hinwies, während England in dieser Macht
am Bosporus und in Ostasien seinen gefährlichsten Feind zu erblicken hatte,
führten beide Staaten als Verbündete gegen den Zaren den Krimkrieg und
schritten beide gemeinsam diplomatisch zu Gunsten des polnischen Aufstandes
von 1863 ein. Ein Erstarken Italiens durch Einigung seiner Teile mußte
schließlich eiuen Bundesgenossen Englands gegen Frankreichs Plane ans und
an dem Mittelmeere erwachsen lassen, und gleichwohl begann Napoleon diese
Einigung dnrch Unterstützung der Piemontesen im Kriege von 185!), in dem
Osterreich den größten Teil seiner Besitzungen im Süden der Alpen und allen
seinen dortigen Einfluß verlor. England konnte in dieser Periode, in der
Frankreich ihm auch wirtschaftlich näher trat, indem es ihm durch Eingehen
auf einen freihündlerischen Zoll- und Handelsvertrag willkommene Vorteile
gewährte, sich kaum einen nützlichem Freund erwerben. Es war, soweit es
seine Interessen zuließen, 'dankbar dafür. Die Höfe von London und Paris
standen in herzlichem Einvernehmen mit einander, die Ministerien Palmerston
und Gladstone arbeiteten, soweit es irgend ging, den damaligen französischen
Kollegen in die Hände, auch die Bevölkerungen beider Staaten traten sich, nament¬
lich in der wohlhabenden Klasse und in den liberalen Kreisen Englands, von Jahr
zu Jahr näher, wozu beitrug, daß es in jener Klasse Mode geworden war, einen
guten Teil des üblichen Berweilens außerhalb des Heimatslandes in dem
schönern und vergnügungsreichern Paris zuzubringen. Die Regierungen gingen
noch in der mexikanischen Allgelegenheit eine Weile Hand in Hand, die englische
beobachtete noch während des Krieges zwischen Frankreich und Deutschland eine
Neutralität, die sehr zweifelhafter Natur war und den Franzosen mehr Gefällig¬
keiten erwies als ihren Gegnern. Die Königin Viktoria versuchte in Berlin
gegen die Beschießung von Paris zu wirken. Die öffentliche Meinung, soweit
sie durch die Londoner Presse vertreten wurde, neigte sich lauge Zeit mehr
den Franzosen als den Deutschen zu. Der Prinz von Wales und die eng¬
lischen Liberalen hielten die Losreißung Elsaß-Lothringens sür ein Unrecht und
ein Unheil, das im Interesse Großbritaniens ungeschehen zu machen sei, und
glaubten bis zum Tode Kaiser Friedrichs in dieser Richtung hoffen zu dürfen.
Gladstone teilte diese Anschauungen und hätte vielleicht darnach seine Politik
eingerichtet, wenn es die inzwischen veränderte Lage der Dinge erlaubt hätte.
Aber wieder waren die Interessen stärker als die Gefühle, die an maßgebender
oder einflußreicher Stelle vorherrschten. Wieder war es zunächst die ägyptische
Frage, die, mittlerweile durch die Vollendung des Suezkanals wichtiger als je
geworden, die Staaten trennte, und nachdem sie hier eine Zeit lang zusammen--
gegangen waren, wurden sie zu diplomatischen Gegnern, ein Verhältnis, das


Französische Alnicignng gegen Lngland

auf dem Mittelmeere erscheinen. Mit dein dritten Napoleon nahm aber die
Annäherung der beiden Nationen wieder ihren Fortgang, und eine Zeit lang
hätte man sie für vollendet halten können. Obwohl Frankreichs Interesse ans
gutes Einvernehmen mit Rußland hinwies, während England in dieser Macht
am Bosporus und in Ostasien seinen gefährlichsten Feind zu erblicken hatte,
führten beide Staaten als Verbündete gegen den Zaren den Krimkrieg und
schritten beide gemeinsam diplomatisch zu Gunsten des polnischen Aufstandes
von 1863 ein. Ein Erstarken Italiens durch Einigung seiner Teile mußte
schließlich eiuen Bundesgenossen Englands gegen Frankreichs Plane ans und
an dem Mittelmeere erwachsen lassen, und gleichwohl begann Napoleon diese
Einigung dnrch Unterstützung der Piemontesen im Kriege von 185!), in dem
Osterreich den größten Teil seiner Besitzungen im Süden der Alpen und allen
seinen dortigen Einfluß verlor. England konnte in dieser Periode, in der
Frankreich ihm auch wirtschaftlich näher trat, indem es ihm durch Eingehen
auf einen freihündlerischen Zoll- und Handelsvertrag willkommene Vorteile
gewährte, sich kaum einen nützlichem Freund erwerben. Es war, soweit es
seine Interessen zuließen, 'dankbar dafür. Die Höfe von London und Paris
standen in herzlichem Einvernehmen mit einander, die Ministerien Palmerston
und Gladstone arbeiteten, soweit es irgend ging, den damaligen französischen
Kollegen in die Hände, auch die Bevölkerungen beider Staaten traten sich, nament¬
lich in der wohlhabenden Klasse und in den liberalen Kreisen Englands, von Jahr
zu Jahr näher, wozu beitrug, daß es in jener Klasse Mode geworden war, einen
guten Teil des üblichen Berweilens außerhalb des Heimatslandes in dem
schönern und vergnügungsreichern Paris zuzubringen. Die Regierungen gingen
noch in der mexikanischen Allgelegenheit eine Weile Hand in Hand, die englische
beobachtete noch während des Krieges zwischen Frankreich und Deutschland eine
Neutralität, die sehr zweifelhafter Natur war und den Franzosen mehr Gefällig¬
keiten erwies als ihren Gegnern. Die Königin Viktoria versuchte in Berlin
gegen die Beschießung von Paris zu wirken. Die öffentliche Meinung, soweit
sie durch die Londoner Presse vertreten wurde, neigte sich lauge Zeit mehr
den Franzosen als den Deutschen zu. Der Prinz von Wales und die eng¬
lischen Liberalen hielten die Losreißung Elsaß-Lothringens sür ein Unrecht und
ein Unheil, das im Interesse Großbritaniens ungeschehen zu machen sei, und
glaubten bis zum Tode Kaiser Friedrichs in dieser Richtung hoffen zu dürfen.
Gladstone teilte diese Anschauungen und hätte vielleicht darnach seine Politik
eingerichtet, wenn es die inzwischen veränderte Lage der Dinge erlaubt hätte.
Aber wieder waren die Interessen stärker als die Gefühle, die an maßgebender
oder einflußreicher Stelle vorherrschten. Wieder war es zunächst die ägyptische
Frage, die, mittlerweile durch die Vollendung des Suezkanals wichtiger als je
geworden, die Staaten trennte, und nachdem sie hier eine Zeit lang zusammen--
gegangen waren, wurden sie zu diplomatischen Gegnern, ein Verhältnis, das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/312>, abgerufen am 23.07.2024.