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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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^mu.zösische Abneigung gegen England

die Jahrzehnte auf, wo die Welle der Eroberung nach Frankreich zurückflutete
und es auf weite Strecken überschwemmte, die englischen Siege bei Crecy und
Agincourt, die Gestalten Eduards des Dritten, des schwarzen Prinzen, Talbots
"ut der Jungfrau von Orleans. Als zweiter Zug von Erinnerungen folgen
die vielfachen militärischen und finanziellen Hilfsleistungen, die den entthronten
Stuarts und der Partei der Jakvbitcn von französischen Königen zu teil wurden.
Dann sah die Zeit des spanischen Erbfolgekrieges England unter den Gegnern
Frankreichs mit wechselndem Glücke im Felde. Im siebenjährigen Kriege, wo
es in ähnlicher Weise Partei ergriff, nahm es den Franzosen Kanada und den
besten Teil seiner übrigen Kolonien weg, um sie für immer zu behalte".
Frankreich sah in dem Aufstande der Ucmkees gegen die britische Krone will¬
kommene Gelegenheit, sich für den Verlust zu rächen, und seine Unterstützung
der Aufständischen mit Truppen und Geld trug wesentlich dazu bei, daß diese
den Sieg erfochten. Die ganze Zeit der ersten französischen Revolution und
des ersten Napoleon war erfüllt von Kämpfen beider Nationen mit einander,
Stößen und Gegenstößen unmittelbarer und mittelbarer Art. Wir weisen nur
auf Bonaparte am Nil, auf Nelson bei Akubir, auf das Lager bei Boulogne,
auf die Kontinentalsperre und auf Wellington bei Waterloo hin, einem Orte, dessen
Name dann zwei Jahrzehnte lang die Kraft und Bedeutung eines Zauberworts
für beide Teile übte: dem einen eine Freude und ein Stolz in höchster Glorie,
dem andern eine tiefe Trauer und ein brennender Antrieb, die Niederlage wett¬
zumachen, hier wie dort der schärfste Ausdruck der Erbfeindschaft, die England
und Frankreich weiter aus einander hielt als der Meeresarm zwischen ihnen,
und die bis in die untersten Volksschichten hinabreichte. Mau sprach in Eng¬
land von den französischen Nachbarn geringschätzig als von "Fröschen" oder
"Froschfresfern," während die Franzosen entrüstet das "treulose Albion" ver¬
wünschten. Der Haß der Franzosen gegen den einen der Sieger von Waterloo,
der der Mehrzahl der Franzosen, wo nicht als der einzige, doch als der wichtigere
und widerwärtigere erschien, wurde dadurch gesteigert, daß dieser Sieger ihren
Nationalhelden in die Verbannung nach Se. Helena entführte und hier jahre¬
lang die Rolle eines grausamen Wächters dieses Gefangnen Europas spielte.
Mit der Ersetzung der Bourbonen durch die Dynastie der Orleans schienen
andre Zeiten gekommen. England versöhnte das Gefühl vieler seiner Gegner
in Frankreich, indem es der Bitte Ludwig Philipps um Herausgabe der Asche
Napoleons zu triumphirender Zurttckführung nach Paris entsprach, mit der
sich der Bürgerköuig der bonapartistischen Partei empfahl. Aber die streitenden
Interessen der beiden Staaten in der Südsee und noch mehr in Ägypten und
Syrien, wo Frankreich durch Begünstigung Mehemed Alis, des mächtigen
Gegners der von England beschützten Pforte, festen 'Fuß zu fassen strebte,
ließen sich nicht versöhnen, und zugleich mußte die Eroberung Algeriens durch
die Franzosen in England als Anfang zur Bedrohung der britischen Herrschaft


^mu.zösische Abneigung gegen England

die Jahrzehnte auf, wo die Welle der Eroberung nach Frankreich zurückflutete
und es auf weite Strecken überschwemmte, die englischen Siege bei Crecy und
Agincourt, die Gestalten Eduards des Dritten, des schwarzen Prinzen, Talbots
»ut der Jungfrau von Orleans. Als zweiter Zug von Erinnerungen folgen
die vielfachen militärischen und finanziellen Hilfsleistungen, die den entthronten
Stuarts und der Partei der Jakvbitcn von französischen Königen zu teil wurden.
Dann sah die Zeit des spanischen Erbfolgekrieges England unter den Gegnern
Frankreichs mit wechselndem Glücke im Felde. Im siebenjährigen Kriege, wo
es in ähnlicher Weise Partei ergriff, nahm es den Franzosen Kanada und den
besten Teil seiner übrigen Kolonien weg, um sie für immer zu behalte».
Frankreich sah in dem Aufstande der Ucmkees gegen die britische Krone will¬
kommene Gelegenheit, sich für den Verlust zu rächen, und seine Unterstützung
der Aufständischen mit Truppen und Geld trug wesentlich dazu bei, daß diese
den Sieg erfochten. Die ganze Zeit der ersten französischen Revolution und
des ersten Napoleon war erfüllt von Kämpfen beider Nationen mit einander,
Stößen und Gegenstößen unmittelbarer und mittelbarer Art. Wir weisen nur
auf Bonaparte am Nil, auf Nelson bei Akubir, auf das Lager bei Boulogne,
auf die Kontinentalsperre und auf Wellington bei Waterloo hin, einem Orte, dessen
Name dann zwei Jahrzehnte lang die Kraft und Bedeutung eines Zauberworts
für beide Teile übte: dem einen eine Freude und ein Stolz in höchster Glorie,
dem andern eine tiefe Trauer und ein brennender Antrieb, die Niederlage wett¬
zumachen, hier wie dort der schärfste Ausdruck der Erbfeindschaft, die England
und Frankreich weiter aus einander hielt als der Meeresarm zwischen ihnen,
und die bis in die untersten Volksschichten hinabreichte. Mau sprach in Eng¬
land von den französischen Nachbarn geringschätzig als von „Fröschen" oder
„Froschfresfern," während die Franzosen entrüstet das „treulose Albion" ver¬
wünschten. Der Haß der Franzosen gegen den einen der Sieger von Waterloo,
der der Mehrzahl der Franzosen, wo nicht als der einzige, doch als der wichtigere
und widerwärtigere erschien, wurde dadurch gesteigert, daß dieser Sieger ihren
Nationalhelden in die Verbannung nach Se. Helena entführte und hier jahre¬
lang die Rolle eines grausamen Wächters dieses Gefangnen Europas spielte.
Mit der Ersetzung der Bourbonen durch die Dynastie der Orleans schienen
andre Zeiten gekommen. England versöhnte das Gefühl vieler seiner Gegner
in Frankreich, indem es der Bitte Ludwig Philipps um Herausgabe der Asche
Napoleons zu triumphirender Zurttckführung nach Paris entsprach, mit der
sich der Bürgerköuig der bonapartistischen Partei empfahl. Aber die streitenden
Interessen der beiden Staaten in der Südsee und noch mehr in Ägypten und
Syrien, wo Frankreich durch Begünstigung Mehemed Alis, des mächtigen
Gegners der von England beschützten Pforte, festen 'Fuß zu fassen strebte,
ließen sich nicht versöhnen, und zugleich mußte die Eroberung Algeriens durch
die Franzosen in England als Anfang zur Bedrohung der britischen Herrschaft


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[0311] ^mu.zösische Abneigung gegen England die Jahrzehnte auf, wo die Welle der Eroberung nach Frankreich zurückflutete und es auf weite Strecken überschwemmte, die englischen Siege bei Crecy und Agincourt, die Gestalten Eduards des Dritten, des schwarzen Prinzen, Talbots »ut der Jungfrau von Orleans. Als zweiter Zug von Erinnerungen folgen die vielfachen militärischen und finanziellen Hilfsleistungen, die den entthronten Stuarts und der Partei der Jakvbitcn von französischen Königen zu teil wurden. Dann sah die Zeit des spanischen Erbfolgekrieges England unter den Gegnern Frankreichs mit wechselndem Glücke im Felde. Im siebenjährigen Kriege, wo es in ähnlicher Weise Partei ergriff, nahm es den Franzosen Kanada und den besten Teil seiner übrigen Kolonien weg, um sie für immer zu behalte». Frankreich sah in dem Aufstande der Ucmkees gegen die britische Krone will¬ kommene Gelegenheit, sich für den Verlust zu rächen, und seine Unterstützung der Aufständischen mit Truppen und Geld trug wesentlich dazu bei, daß diese den Sieg erfochten. Die ganze Zeit der ersten französischen Revolution und des ersten Napoleon war erfüllt von Kämpfen beider Nationen mit einander, Stößen und Gegenstößen unmittelbarer und mittelbarer Art. Wir weisen nur auf Bonaparte am Nil, auf Nelson bei Akubir, auf das Lager bei Boulogne, auf die Kontinentalsperre und auf Wellington bei Waterloo hin, einem Orte, dessen Name dann zwei Jahrzehnte lang die Kraft und Bedeutung eines Zauberworts für beide Teile übte: dem einen eine Freude und ein Stolz in höchster Glorie, dem andern eine tiefe Trauer und ein brennender Antrieb, die Niederlage wett¬ zumachen, hier wie dort der schärfste Ausdruck der Erbfeindschaft, die England und Frankreich weiter aus einander hielt als der Meeresarm zwischen ihnen, und die bis in die untersten Volksschichten hinabreichte. Mau sprach in Eng¬ land von den französischen Nachbarn geringschätzig als von „Fröschen" oder „Froschfresfern," während die Franzosen entrüstet das „treulose Albion" ver¬ wünschten. Der Haß der Franzosen gegen den einen der Sieger von Waterloo, der der Mehrzahl der Franzosen, wo nicht als der einzige, doch als der wichtigere und widerwärtigere erschien, wurde dadurch gesteigert, daß dieser Sieger ihren Nationalhelden in die Verbannung nach Se. Helena entführte und hier jahre¬ lang die Rolle eines grausamen Wächters dieses Gefangnen Europas spielte. Mit der Ersetzung der Bourbonen durch die Dynastie der Orleans schienen andre Zeiten gekommen. England versöhnte das Gefühl vieler seiner Gegner in Frankreich, indem es der Bitte Ludwig Philipps um Herausgabe der Asche Napoleons zu triumphirender Zurttckführung nach Paris entsprach, mit der sich der Bürgerköuig der bonapartistischen Partei empfahl. Aber die streitenden Interessen der beiden Staaten in der Südsee und noch mehr in Ägypten und Syrien, wo Frankreich durch Begünstigung Mehemed Alis, des mächtigen Gegners der von England beschützten Pforte, festen 'Fuß zu fassen strebte, ließen sich nicht versöhnen, und zugleich mußte die Eroberung Algeriens durch die Franzosen in England als Anfang zur Bedrohung der britischen Herrschaft

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/311>, abgerufen am 23.07.2024.