Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Das soziale Kaisertum

Da erhielt die Frage einen ganz unerwarteten Charakter, indem sich der
Kaiser ihr zuwandte. Für ihn war die Arbeitergesetzgebung noch nicht abge¬
schlossen; wenn er sich auf den Standpunkt seines Großvaters stellte, wie er
es oft und ausdrücklich ausgesprochen hatte, so durste er nicht ruhig zuwarten.
Der große Aufstand der Bergarbeiter im Frühjahr 1889 gab ihm den äußern
Anlaß, sich mit diesen wichtigsten Erscheinungen der Gegenwart eingehender zu
befassen. Die bequeme Regierungskunst. die darin besteht, das Mißvergnügen
zur Revolution anschwellen zu lassen, um dann die Aufständischen nieder-
zukartütscheu und der bedrängten Gesellschaft nach erfolgtem Aderlaß auf einige
Jahre Ruhe zu verschaffen, mag von den Republikanern an der Seine geübt
werden; sie ist eines Hohenzollern unwürdig. Sie hat auch niemals auch nur
den Gegenstand eines Gesprächs gebildet. Der Kaiser versuchte bei dem Berg¬
arbeiterausstand zu vermitteln; er versicherte die Arbeiter seines Wohlwollens,
so lange sie sich in den Grenzen der Gesetze hielten, und bewog die Arbeit¬
geber, so weit nachzugeben, als es im Interesse ihrer Industrie möglich war.
Aber dieses Mittel wirkte doch nnr vorübergehend; es galt, das Ding bei
der Wurzel anzufassen, und die Nachricht ist begründet, daß seit jener Zeit
Kaiser Wilhelm II. die Arbeiterfrage nicht wieder aus den Augen gelassen
habe. Sein jugendlicher Eifer rastete nicht, bis er von den verschiedensten
Seiten Erkundigungen eingezogen hatte, und bis es ihm gelungen war, seine
Minister zu überzeugen und vor allen Dingen seineu ersten Gehilfen als
Mitarbeiter zu gewinnen. Der Kanzler steht so hoch in der Dankbarkeit und
dem Ausehen des deutschen Volkes, daß es ihm nicht zur Unehre gereichen
kann, wenn er sich bei seiner ruhigen staatsmännischen Erwägung von dem
jugendlichen Feuereifer seines kaiserlichen Herrn hat mit fortreißen lassen. Dem
Kaiser aber gebührt nicht nur Anerkennung dafür, daß er die schwerste Frage
seiner Zeit zu lösen unternommen hat, sondern vor allen Dingen dafür, daß
er es verstanden hat, seine eignen Gründe mit Überzeugung zur Geltung zu
bringen. Gleichen Lohn aber verdienen Kaiser und Kanzler, daß sie nach red¬
lichen Mühen und reiflicher Erwägungen den gemeinsamen Boden gefunden
haben, auf dem sie beide zusammen für das Wohl des Vaterlandes wirken können.

Die beiden im Reichsanzeiger veröffentlichten Erlasse stehen auf dem Boden
der nüchternen Wirklichkeit. Eine Pnrteiregierung mag Versprechungen machen,
ohne Rücksicht darauf, ob sie erfüllt werden können. Der deutsche Kaiser, der
sein Wort einsetzt, kennt dessen Bedeutung und kaun deshalb nur das im Auge
haben, was nach menschlichen Begriffen und Möglichkeiten erreichbar ist. Es
zeigt sich das vor allen Dingen in der Erkenntnis, daß die Arbeiterschutzgesetz¬
gebung innerhalb der nationalen Grenzen eines Staates nicht in erschöpfender
Weise behandelt werden kann. Denn der Wettbewerb auf dem Weltmarkte
und die Verhältnisse des Verkehrs haben eine internationale Interessengemein¬
schaft hervorgerufen, die sich ebenso ans die Herstellung der Arbeitserzeugnisfe


Das soziale Kaisertum

Da erhielt die Frage einen ganz unerwarteten Charakter, indem sich der
Kaiser ihr zuwandte. Für ihn war die Arbeitergesetzgebung noch nicht abge¬
schlossen; wenn er sich auf den Standpunkt seines Großvaters stellte, wie er
es oft und ausdrücklich ausgesprochen hatte, so durste er nicht ruhig zuwarten.
Der große Aufstand der Bergarbeiter im Frühjahr 1889 gab ihm den äußern
Anlaß, sich mit diesen wichtigsten Erscheinungen der Gegenwart eingehender zu
befassen. Die bequeme Regierungskunst. die darin besteht, das Mißvergnügen
zur Revolution anschwellen zu lassen, um dann die Aufständischen nieder-
zukartütscheu und der bedrängten Gesellschaft nach erfolgtem Aderlaß auf einige
Jahre Ruhe zu verschaffen, mag von den Republikanern an der Seine geübt
werden; sie ist eines Hohenzollern unwürdig. Sie hat auch niemals auch nur
den Gegenstand eines Gesprächs gebildet. Der Kaiser versuchte bei dem Berg¬
arbeiterausstand zu vermitteln; er versicherte die Arbeiter seines Wohlwollens,
so lange sie sich in den Grenzen der Gesetze hielten, und bewog die Arbeit¬
geber, so weit nachzugeben, als es im Interesse ihrer Industrie möglich war.
Aber dieses Mittel wirkte doch nnr vorübergehend; es galt, das Ding bei
der Wurzel anzufassen, und die Nachricht ist begründet, daß seit jener Zeit
Kaiser Wilhelm II. die Arbeiterfrage nicht wieder aus den Augen gelassen
habe. Sein jugendlicher Eifer rastete nicht, bis er von den verschiedensten
Seiten Erkundigungen eingezogen hatte, und bis es ihm gelungen war, seine
Minister zu überzeugen und vor allen Dingen seineu ersten Gehilfen als
Mitarbeiter zu gewinnen. Der Kanzler steht so hoch in der Dankbarkeit und
dem Ausehen des deutschen Volkes, daß es ihm nicht zur Unehre gereichen
kann, wenn er sich bei seiner ruhigen staatsmännischen Erwägung von dem
jugendlichen Feuereifer seines kaiserlichen Herrn hat mit fortreißen lassen. Dem
Kaiser aber gebührt nicht nur Anerkennung dafür, daß er die schwerste Frage
seiner Zeit zu lösen unternommen hat, sondern vor allen Dingen dafür, daß
er es verstanden hat, seine eignen Gründe mit Überzeugung zur Geltung zu
bringen. Gleichen Lohn aber verdienen Kaiser und Kanzler, daß sie nach red¬
lichen Mühen und reiflicher Erwägungen den gemeinsamen Boden gefunden
haben, auf dem sie beide zusammen für das Wohl des Vaterlandes wirken können.

Die beiden im Reichsanzeiger veröffentlichten Erlasse stehen auf dem Boden
der nüchternen Wirklichkeit. Eine Pnrteiregierung mag Versprechungen machen,
ohne Rücksicht darauf, ob sie erfüllt werden können. Der deutsche Kaiser, der
sein Wort einsetzt, kennt dessen Bedeutung und kaun deshalb nur das im Auge
haben, was nach menschlichen Begriffen und Möglichkeiten erreichbar ist. Es
zeigt sich das vor allen Dingen in der Erkenntnis, daß die Arbeiterschutzgesetz¬
gebung innerhalb der nationalen Grenzen eines Staates nicht in erschöpfender
Weise behandelt werden kann. Denn der Wettbewerb auf dem Weltmarkte
und die Verhältnisse des Verkehrs haben eine internationale Interessengemein¬
schaft hervorgerufen, die sich ebenso ans die Herstellung der Arbeitserzeugnisfe


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0308" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/206953"/>
          <fw type="header" place="top"> Das soziale Kaisertum</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_819"> Da erhielt die Frage einen ganz unerwarteten Charakter, indem sich der<lb/>
Kaiser ihr zuwandte. Für ihn war die Arbeitergesetzgebung noch nicht abge¬<lb/>
schlossen; wenn er sich auf den Standpunkt seines Großvaters stellte, wie er<lb/>
es oft und ausdrücklich ausgesprochen hatte, so durste er nicht ruhig zuwarten.<lb/>
Der große Aufstand der Bergarbeiter im Frühjahr 1889 gab ihm den äußern<lb/>
Anlaß, sich mit diesen wichtigsten Erscheinungen der Gegenwart eingehender zu<lb/>
befassen. Die bequeme Regierungskunst. die darin besteht, das Mißvergnügen<lb/>
zur Revolution anschwellen zu lassen, um dann die Aufständischen nieder-<lb/>
zukartütscheu und der bedrängten Gesellschaft nach erfolgtem Aderlaß auf einige<lb/>
Jahre Ruhe zu verschaffen, mag von den Republikanern an der Seine geübt<lb/>
werden; sie ist eines Hohenzollern unwürdig. Sie hat auch niemals auch nur<lb/>
den Gegenstand eines Gesprächs gebildet. Der Kaiser versuchte bei dem Berg¬<lb/>
arbeiterausstand zu vermitteln; er versicherte die Arbeiter seines Wohlwollens,<lb/>
so lange sie sich in den Grenzen der Gesetze hielten, und bewog die Arbeit¬<lb/>
geber, so weit nachzugeben, als es im Interesse ihrer Industrie möglich war.<lb/>
Aber dieses Mittel wirkte doch nnr vorübergehend; es galt, das Ding bei<lb/>
der Wurzel anzufassen, und die Nachricht ist begründet, daß seit jener Zeit<lb/>
Kaiser Wilhelm II. die Arbeiterfrage nicht wieder aus den Augen gelassen<lb/>
habe. Sein jugendlicher Eifer rastete nicht, bis er von den verschiedensten<lb/>
Seiten Erkundigungen eingezogen hatte, und bis es ihm gelungen war, seine<lb/>
Minister zu überzeugen und vor allen Dingen seineu ersten Gehilfen als<lb/>
Mitarbeiter zu gewinnen. Der Kanzler steht so hoch in der Dankbarkeit und<lb/>
dem Ausehen des deutschen Volkes, daß es ihm nicht zur Unehre gereichen<lb/>
kann, wenn er sich bei seiner ruhigen staatsmännischen Erwägung von dem<lb/>
jugendlichen Feuereifer seines kaiserlichen Herrn hat mit fortreißen lassen. Dem<lb/>
Kaiser aber gebührt nicht nur Anerkennung dafür, daß er die schwerste Frage<lb/>
seiner Zeit zu lösen unternommen hat, sondern vor allen Dingen dafür, daß<lb/>
er es verstanden hat, seine eignen Gründe mit Überzeugung zur Geltung zu<lb/>
bringen. Gleichen Lohn aber verdienen Kaiser und Kanzler, daß sie nach red¬<lb/>
lichen Mühen und reiflicher Erwägungen den gemeinsamen Boden gefunden<lb/>
haben, auf dem sie beide zusammen für das Wohl des Vaterlandes wirken können.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_820" next="#ID_821"> Die beiden im Reichsanzeiger veröffentlichten Erlasse stehen auf dem Boden<lb/>
der nüchternen Wirklichkeit. Eine Pnrteiregierung mag Versprechungen machen,<lb/>
ohne Rücksicht darauf, ob sie erfüllt werden können. Der deutsche Kaiser, der<lb/>
sein Wort einsetzt, kennt dessen Bedeutung und kaun deshalb nur das im Auge<lb/>
haben, was nach menschlichen Begriffen und Möglichkeiten erreichbar ist. Es<lb/>
zeigt sich das vor allen Dingen in der Erkenntnis, daß die Arbeiterschutzgesetz¬<lb/>
gebung innerhalb der nationalen Grenzen eines Staates nicht in erschöpfender<lb/>
Weise behandelt werden kann. Denn der Wettbewerb auf dem Weltmarkte<lb/>
und die Verhältnisse des Verkehrs haben eine internationale Interessengemein¬<lb/>
schaft hervorgerufen, die sich ebenso ans die Herstellung der Arbeitserzeugnisfe</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0308] Das soziale Kaisertum Da erhielt die Frage einen ganz unerwarteten Charakter, indem sich der Kaiser ihr zuwandte. Für ihn war die Arbeitergesetzgebung noch nicht abge¬ schlossen; wenn er sich auf den Standpunkt seines Großvaters stellte, wie er es oft und ausdrücklich ausgesprochen hatte, so durste er nicht ruhig zuwarten. Der große Aufstand der Bergarbeiter im Frühjahr 1889 gab ihm den äußern Anlaß, sich mit diesen wichtigsten Erscheinungen der Gegenwart eingehender zu befassen. Die bequeme Regierungskunst. die darin besteht, das Mißvergnügen zur Revolution anschwellen zu lassen, um dann die Aufständischen nieder- zukartütscheu und der bedrängten Gesellschaft nach erfolgtem Aderlaß auf einige Jahre Ruhe zu verschaffen, mag von den Republikanern an der Seine geübt werden; sie ist eines Hohenzollern unwürdig. Sie hat auch niemals auch nur den Gegenstand eines Gesprächs gebildet. Der Kaiser versuchte bei dem Berg¬ arbeiterausstand zu vermitteln; er versicherte die Arbeiter seines Wohlwollens, so lange sie sich in den Grenzen der Gesetze hielten, und bewog die Arbeit¬ geber, so weit nachzugeben, als es im Interesse ihrer Industrie möglich war. Aber dieses Mittel wirkte doch nnr vorübergehend; es galt, das Ding bei der Wurzel anzufassen, und die Nachricht ist begründet, daß seit jener Zeit Kaiser Wilhelm II. die Arbeiterfrage nicht wieder aus den Augen gelassen habe. Sein jugendlicher Eifer rastete nicht, bis er von den verschiedensten Seiten Erkundigungen eingezogen hatte, und bis es ihm gelungen war, seine Minister zu überzeugen und vor allen Dingen seineu ersten Gehilfen als Mitarbeiter zu gewinnen. Der Kanzler steht so hoch in der Dankbarkeit und dem Ausehen des deutschen Volkes, daß es ihm nicht zur Unehre gereichen kann, wenn er sich bei seiner ruhigen staatsmännischen Erwägung von dem jugendlichen Feuereifer seines kaiserlichen Herrn hat mit fortreißen lassen. Dem Kaiser aber gebührt nicht nur Anerkennung dafür, daß er die schwerste Frage seiner Zeit zu lösen unternommen hat, sondern vor allen Dingen dafür, daß er es verstanden hat, seine eignen Gründe mit Überzeugung zur Geltung zu bringen. Gleichen Lohn aber verdienen Kaiser und Kanzler, daß sie nach red¬ lichen Mühen und reiflicher Erwägungen den gemeinsamen Boden gefunden haben, auf dem sie beide zusammen für das Wohl des Vaterlandes wirken können. Die beiden im Reichsanzeiger veröffentlichten Erlasse stehen auf dem Boden der nüchternen Wirklichkeit. Eine Pnrteiregierung mag Versprechungen machen, ohne Rücksicht darauf, ob sie erfüllt werden können. Der deutsche Kaiser, der sein Wort einsetzt, kennt dessen Bedeutung und kaun deshalb nur das im Auge haben, was nach menschlichen Begriffen und Möglichkeiten erreichbar ist. Es zeigt sich das vor allen Dingen in der Erkenntnis, daß die Arbeiterschutzgesetz¬ gebung innerhalb der nationalen Grenzen eines Staates nicht in erschöpfender Weise behandelt werden kann. Denn der Wettbewerb auf dem Weltmarkte und die Verhältnisse des Verkehrs haben eine internationale Interessengemein¬ schaft hervorgerufen, die sich ebenso ans die Herstellung der Arbeitserzeugnisfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/308
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/308>, abgerufen am 23.07.2024.