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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Das soziale Kaisertum

dreißigjährigen Krieg verarmten Volkes gethan hat, ist erst vor kurzem in
diesen Blättern in einer Besprechung der Kolonialpläne dieses Fürsten mit
Wärme geschildert worden. König Friedrich Wilhelm I., dessen gerechte Würdi¬
gung erst einer dankbaren Nachwelt vorbehalten war, hatte mit eiserner Strenge
sein Beamtentum daran gewöhnt, für die Armen und Niedern gerecht und
milde zu sein. Noch war er nicht imstande, in seinen Staaten die Leibeigen¬
schaft abzuschaffen, aber auf seinen eignen und auf den fiskalischen Gütern
begann er bereits den Grund zu der Gesetzgebung zu legen, die später in
den Stein-Hardenbergischcn Reformen ihren Höhepunkt erreicht hat und für die
deutschen Nachbarstaaten mustergiltig und beispielgebend geworden ist. Von
Friedrich dem Großen aber weiß jeder, daß er sich mit Stolz den König der
Armen, rot clss guoux, genannt hat. Seine Schlachtpläne, seine kriegerischen
Erfolge, seine philosophischen Studien sichern ihm im Gedenken der Menschen
keinen ruhmvolleren Platz, als die bis in die kleinste Einzelheit gehende Sorge
für seine Bürger und Bauern und für das Wohl der kleinen Leute, die man
anderwärts damals kaum noch als Menschen bezeichnet und behandelt hat.
In seinem Sinne wirkte Friedrich Wilhelm III,, dessen königliches in Erfüllung
gegangenes Wort "Vom Martinstage 1810 giebt es nur noch freie Leute in
meinen Staaten" der schönste Ruhmeskrauz in der laugen Regierungszeit dieses
Fürsten ist. Auch der Begründer des Reichs, Kaiser Wilhelm I., den die Lieder
als Helden feiern und dessen Regierung selbst dem mitlebenden Geschlecht wie
ein Sagenkreis aus den Nibelungen erscheint, hat seine vornehmste Mühe noch
in den letzten Lebensjahren den Armen und Mühseligen zugewandt. Die
große Arbeiterversichcrungsgesetzgebung, die Millionen von Deutschen gegen
Krankheit und Unfall, gegen die herbste Not im Alter und bei Invalidität
schützt, ist im Begriff die Runde um die Welt zu machen. Wie einst die
Römer durch ihr Zivilgesetzbuch, das Liorxus M-is, auf Jahrhunderte und
Jahrtausende hinaus den Völkern ihre Vorschriften auferlegten, teils durch
Zwang, teils durch die Macht des innern Werth, so wird die deutsche soziale
Gesetzgebung durch den letztern und allein durch ihn dem Erdkreis ihr Merk¬
zeichen aufdrücken. Das neue deutsche Kaisertum ist ein soziales Kaisertum
geworden, und der preußische roi clss Zusux hat in dem deutschen Arbeiter¬
kaiser seinen würdigen und erhabnen Nachfolger gefunden.

Die Arbeiterversicherungsgesetzgebung ist ein Werk von solchem Umfange,
daß ein Menschenalter kaum zu genügen schien, um sie durchzuführen. Sie
hat aber kaum ein Jahrzehnt gebraucht, und daß sie in dieser kurzen Zeit
verwirklicht werden konnte, ist das Verdienst des Staatsmannes, dem Preußen
seine Größe und Deutschland seine Einheit verdankt. Ohne die mächtige
Persönlichkeit des Fürsten Bismarck, die selbst da noch wirkt, wo sie nicht
selbstthätig eingreift, wäre es unmöglich gewesen, ein so großes Werk zu voll¬
enden, und es darf uns nicht verwundern, wenn der Reichskanzler, nachdem


Das soziale Kaisertum

dreißigjährigen Krieg verarmten Volkes gethan hat, ist erst vor kurzem in
diesen Blättern in einer Besprechung der Kolonialpläne dieses Fürsten mit
Wärme geschildert worden. König Friedrich Wilhelm I., dessen gerechte Würdi¬
gung erst einer dankbaren Nachwelt vorbehalten war, hatte mit eiserner Strenge
sein Beamtentum daran gewöhnt, für die Armen und Niedern gerecht und
milde zu sein. Noch war er nicht imstande, in seinen Staaten die Leibeigen¬
schaft abzuschaffen, aber auf seinen eignen und auf den fiskalischen Gütern
begann er bereits den Grund zu der Gesetzgebung zu legen, die später in
den Stein-Hardenbergischcn Reformen ihren Höhepunkt erreicht hat und für die
deutschen Nachbarstaaten mustergiltig und beispielgebend geworden ist. Von
Friedrich dem Großen aber weiß jeder, daß er sich mit Stolz den König der
Armen, rot clss guoux, genannt hat. Seine Schlachtpläne, seine kriegerischen
Erfolge, seine philosophischen Studien sichern ihm im Gedenken der Menschen
keinen ruhmvolleren Platz, als die bis in die kleinste Einzelheit gehende Sorge
für seine Bürger und Bauern und für das Wohl der kleinen Leute, die man
anderwärts damals kaum noch als Menschen bezeichnet und behandelt hat.
In seinem Sinne wirkte Friedrich Wilhelm III,, dessen königliches in Erfüllung
gegangenes Wort „Vom Martinstage 1810 giebt es nur noch freie Leute in
meinen Staaten" der schönste Ruhmeskrauz in der laugen Regierungszeit dieses
Fürsten ist. Auch der Begründer des Reichs, Kaiser Wilhelm I., den die Lieder
als Helden feiern und dessen Regierung selbst dem mitlebenden Geschlecht wie
ein Sagenkreis aus den Nibelungen erscheint, hat seine vornehmste Mühe noch
in den letzten Lebensjahren den Armen und Mühseligen zugewandt. Die
große Arbeiterversichcrungsgesetzgebung, die Millionen von Deutschen gegen
Krankheit und Unfall, gegen die herbste Not im Alter und bei Invalidität
schützt, ist im Begriff die Runde um die Welt zu machen. Wie einst die
Römer durch ihr Zivilgesetzbuch, das Liorxus M-is, auf Jahrhunderte und
Jahrtausende hinaus den Völkern ihre Vorschriften auferlegten, teils durch
Zwang, teils durch die Macht des innern Werth, so wird die deutsche soziale
Gesetzgebung durch den letztern und allein durch ihn dem Erdkreis ihr Merk¬
zeichen aufdrücken. Das neue deutsche Kaisertum ist ein soziales Kaisertum
geworden, und der preußische roi clss Zusux hat in dem deutschen Arbeiter¬
kaiser seinen würdigen und erhabnen Nachfolger gefunden.

Die Arbeiterversicherungsgesetzgebung ist ein Werk von solchem Umfange,
daß ein Menschenalter kaum zu genügen schien, um sie durchzuführen. Sie
hat aber kaum ein Jahrzehnt gebraucht, und daß sie in dieser kurzen Zeit
verwirklicht werden konnte, ist das Verdienst des Staatsmannes, dem Preußen
seine Größe und Deutschland seine Einheit verdankt. Ohne die mächtige
Persönlichkeit des Fürsten Bismarck, die selbst da noch wirkt, wo sie nicht
selbstthätig eingreift, wäre es unmöglich gewesen, ein so großes Werk zu voll¬
enden, und es darf uns nicht verwundern, wenn der Reichskanzler, nachdem


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[0306] Das soziale Kaisertum dreißigjährigen Krieg verarmten Volkes gethan hat, ist erst vor kurzem in diesen Blättern in einer Besprechung der Kolonialpläne dieses Fürsten mit Wärme geschildert worden. König Friedrich Wilhelm I., dessen gerechte Würdi¬ gung erst einer dankbaren Nachwelt vorbehalten war, hatte mit eiserner Strenge sein Beamtentum daran gewöhnt, für die Armen und Niedern gerecht und milde zu sein. Noch war er nicht imstande, in seinen Staaten die Leibeigen¬ schaft abzuschaffen, aber auf seinen eignen und auf den fiskalischen Gütern begann er bereits den Grund zu der Gesetzgebung zu legen, die später in den Stein-Hardenbergischcn Reformen ihren Höhepunkt erreicht hat und für die deutschen Nachbarstaaten mustergiltig und beispielgebend geworden ist. Von Friedrich dem Großen aber weiß jeder, daß er sich mit Stolz den König der Armen, rot clss guoux, genannt hat. Seine Schlachtpläne, seine kriegerischen Erfolge, seine philosophischen Studien sichern ihm im Gedenken der Menschen keinen ruhmvolleren Platz, als die bis in die kleinste Einzelheit gehende Sorge für seine Bürger und Bauern und für das Wohl der kleinen Leute, die man anderwärts damals kaum noch als Menschen bezeichnet und behandelt hat. In seinem Sinne wirkte Friedrich Wilhelm III,, dessen königliches in Erfüllung gegangenes Wort „Vom Martinstage 1810 giebt es nur noch freie Leute in meinen Staaten" der schönste Ruhmeskrauz in der laugen Regierungszeit dieses Fürsten ist. Auch der Begründer des Reichs, Kaiser Wilhelm I., den die Lieder als Helden feiern und dessen Regierung selbst dem mitlebenden Geschlecht wie ein Sagenkreis aus den Nibelungen erscheint, hat seine vornehmste Mühe noch in den letzten Lebensjahren den Armen und Mühseligen zugewandt. Die große Arbeiterversichcrungsgesetzgebung, die Millionen von Deutschen gegen Krankheit und Unfall, gegen die herbste Not im Alter und bei Invalidität schützt, ist im Begriff die Runde um die Welt zu machen. Wie einst die Römer durch ihr Zivilgesetzbuch, das Liorxus M-is, auf Jahrhunderte und Jahrtausende hinaus den Völkern ihre Vorschriften auferlegten, teils durch Zwang, teils durch die Macht des innern Werth, so wird die deutsche soziale Gesetzgebung durch den letztern und allein durch ihn dem Erdkreis ihr Merk¬ zeichen aufdrücken. Das neue deutsche Kaisertum ist ein soziales Kaisertum geworden, und der preußische roi clss Zusux hat in dem deutschen Arbeiter¬ kaiser seinen würdigen und erhabnen Nachfolger gefunden. Die Arbeiterversicherungsgesetzgebung ist ein Werk von solchem Umfange, daß ein Menschenalter kaum zu genügen schien, um sie durchzuführen. Sie hat aber kaum ein Jahrzehnt gebraucht, und daß sie in dieser kurzen Zeit verwirklicht werden konnte, ist das Verdienst des Staatsmannes, dem Preußen seine Größe und Deutschland seine Einheit verdankt. Ohne die mächtige Persönlichkeit des Fürsten Bismarck, die selbst da noch wirkt, wo sie nicht selbstthätig eingreift, wäre es unmöglich gewesen, ein so großes Werk zu voll¬ enden, und es darf uns nicht verwundern, wenn der Reichskanzler, nachdem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/306>, abgerufen am 25.08.2024.