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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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daß die Lehren und Zurechtweisungen der sprachkundigen, so unerläßlich sie
auch sein, und so nachdrücklich sie in Schule, Verein und Presse eingeschärft
werden mögen, für sich allein kaum imstande sein werden, eine durchgreifende
Besserung herbeizuführen. Einige jener Lebensverhältnisse, wie die der Zei¬
tungsschreiber, sind jn auch in den ,,Sprachdmnmheiten" erwähnt wurden,
Rückkehr zu einfachern und klarern Lebeusverhültnissen würde samt unsern so¬
zialen Leiden auch die Sprachpest heilen. Ob solche Rückkehr oder ein solcher
Fortschritt möglich ist, wissen wir so wenig, wie aus welchem Wege er herbei¬
geführt werden könnte. Aber Hoffen steht ja jedem frei, und Hoffnung läßt
nicht zu Schanden werden.




Zur Geschichte von dem kranken Königssohne
Von F. Kuntze (Schlich)

olchen Auswüchsen gegenüber macht dann freilich der ^rckivvlin"
des jüngern Corneille einen wohlthuenden Eindruck. Das Stück
ist erschienen im Jahre 1666, also fast zwanzig Jahre älter
als das eben besprochene Hallmanusche Trauer - Freudenspiel,
und trügt durchaus deu Stempel des französischen Klassizismus:
strenge Gebundenheit in der Führung der Handlung wie im Ausdruck. Corneille
hat den vorgefundnen Stoff in freiester Weise verwendet und umgestaltet.
Zunächst beseitigt er das Anstößige des Vorwurfs dadurch, daß er Stratonica
zur Verlobten, nicht zur Gemahlin des Königs macht. Sodann scheidet er,
wu die Handlung zu verengern und straffer zusammenzuziehen, die Person
des Erasistratus aus, erfindet aber dafür eine nicht ungeschickte Intrigue,
wodurch er dem Stosse dramatische Bewegung giebt. Die Urheberin der so
herbeigeführten Verwicklung übernimmt zugleich die Rolle des Erasistratus,
Alten sie den König schließlich über das Leiden des Prinzen aufklärt.

Antiochus und Strntvnien lieben sich, seitdem der Prinz am Hofe des
Demetrius erschienen ist und dessen Tochter, die aus Gründen der Politik
dem Seleucus verlobt worden ist, an den Hof des Vaters zur Vermählung
geführt hat. Aber beide wahren ihre Liebe als ein Geheimnis, und Stra-
toniea ist fest entschlossen, ihrem künftigen Gatten treu zu sein. Um den


daß die Lehren und Zurechtweisungen der sprachkundigen, so unerläßlich sie
auch sein, und so nachdrücklich sie in Schule, Verein und Presse eingeschärft
werden mögen, für sich allein kaum imstande sein werden, eine durchgreifende
Besserung herbeizuführen. Einige jener Lebensverhältnisse, wie die der Zei¬
tungsschreiber, sind jn auch in den ,,Sprachdmnmheiten" erwähnt wurden,
Rückkehr zu einfachern und klarern Lebeusverhültnissen würde samt unsern so¬
zialen Leiden auch die Sprachpest heilen. Ob solche Rückkehr oder ein solcher
Fortschritt möglich ist, wissen wir so wenig, wie aus welchem Wege er herbei¬
geführt werden könnte. Aber Hoffen steht ja jedem frei, und Hoffnung läßt
nicht zu Schanden werden.




Zur Geschichte von dem kranken Königssohne
Von F. Kuntze (Schlich)

olchen Auswüchsen gegenüber macht dann freilich der ^rckivvlin«
des jüngern Corneille einen wohlthuenden Eindruck. Das Stück
ist erschienen im Jahre 1666, also fast zwanzig Jahre älter
als das eben besprochene Hallmanusche Trauer - Freudenspiel,
und trügt durchaus deu Stempel des französischen Klassizismus:
strenge Gebundenheit in der Führung der Handlung wie im Ausdruck. Corneille
hat den vorgefundnen Stoff in freiester Weise verwendet und umgestaltet.
Zunächst beseitigt er das Anstößige des Vorwurfs dadurch, daß er Stratonica
zur Verlobten, nicht zur Gemahlin des Königs macht. Sodann scheidet er,
wu die Handlung zu verengern und straffer zusammenzuziehen, die Person
des Erasistratus aus, erfindet aber dafür eine nicht ungeschickte Intrigue,
wodurch er dem Stosse dramatische Bewegung giebt. Die Urheberin der so
herbeigeführten Verwicklung übernimmt zugleich die Rolle des Erasistratus,
Alten sie den König schließlich über das Leiden des Prinzen aufklärt.

Antiochus und Strntvnien lieben sich, seitdem der Prinz am Hofe des
Demetrius erschienen ist und dessen Tochter, die aus Gründen der Politik
dem Seleucus verlobt worden ist, an den Hof des Vaters zur Vermählung
geführt hat. Aber beide wahren ihre Liebe als ein Geheimnis, und Stra-
toniea ist fest entschlossen, ihrem künftigen Gatten treu zu sein. Um den


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[0295] daß die Lehren und Zurechtweisungen der sprachkundigen, so unerläßlich sie auch sein, und so nachdrücklich sie in Schule, Verein und Presse eingeschärft werden mögen, für sich allein kaum imstande sein werden, eine durchgreifende Besserung herbeizuführen. Einige jener Lebensverhältnisse, wie die der Zei¬ tungsschreiber, sind jn auch in den ,,Sprachdmnmheiten" erwähnt wurden, Rückkehr zu einfachern und klarern Lebeusverhültnissen würde samt unsern so¬ zialen Leiden auch die Sprachpest heilen. Ob solche Rückkehr oder ein solcher Fortschritt möglich ist, wissen wir so wenig, wie aus welchem Wege er herbei¬ geführt werden könnte. Aber Hoffen steht ja jedem frei, und Hoffnung läßt nicht zu Schanden werden. Zur Geschichte von dem kranken Königssohne Von F. Kuntze (Schlich) olchen Auswüchsen gegenüber macht dann freilich der ^rckivvlin« des jüngern Corneille einen wohlthuenden Eindruck. Das Stück ist erschienen im Jahre 1666, also fast zwanzig Jahre älter als das eben besprochene Hallmanusche Trauer - Freudenspiel, und trügt durchaus deu Stempel des französischen Klassizismus: strenge Gebundenheit in der Führung der Handlung wie im Ausdruck. Corneille hat den vorgefundnen Stoff in freiester Weise verwendet und umgestaltet. Zunächst beseitigt er das Anstößige des Vorwurfs dadurch, daß er Stratonica zur Verlobten, nicht zur Gemahlin des Königs macht. Sodann scheidet er, wu die Handlung zu verengern und straffer zusammenzuziehen, die Person des Erasistratus aus, erfindet aber dafür eine nicht ungeschickte Intrigue, wodurch er dem Stosse dramatische Bewegung giebt. Die Urheberin der so herbeigeführten Verwicklung übernimmt zugleich die Rolle des Erasistratus, Alten sie den König schließlich über das Leiden des Prinzen aufklärt. Antiochus und Strntvnien lieben sich, seitdem der Prinz am Hofe des Demetrius erschienen ist und dessen Tochter, die aus Gründen der Politik dem Seleucus verlobt worden ist, an den Hof des Vaters zur Vermählung geführt hat. Aber beide wahren ihre Liebe als ein Geheimnis, und Stra- toniea ist fest entschlossen, ihrem künftigen Gatten treu zu sein. Um den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/295>, abgerufen am 23.07.2024.