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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Sybel über die Gründung des Reiches

er irren konnte und geirrt hat.j Allerdings leuchtet ein, daß bei einem solchen
System die Macht des Unterhauses über den Staatshaushalt und damit über
die Staatsregierung sehr viel beschränkter als in England ist. Eine böswillige
Regierung kann damit das Budgetrecht des Unterhauses zum leeren Schein
machen. Dieser Satz ist ebenso wahr, wie der entgegengesetzte, daß das eng¬
lische Unterhaus Krone und Oberhaus jedem seiner Befehle zu unterwerfen
vermag. Die Bürgschaft gegen solche Extreme liegt in der wachsenden Ein¬
sicht aller Teile, daß für einen jeden verständiges Zusammenwirken heilsamer
ist als herrschsüchtiger Eigenwille. Es war Preußens und Deutschlands Glück,
daß diese Einsicht nicht in den heißesten Augenblicken des Konflikts und nicht
im Vollgenusse der glänzendsten Siege aus dem Geiste des Königs und seines
großen Ministers verschwand. Beide waren unerschütterlich in dem Ent¬
schlüsse, sowohl die Heeresreform als die Verfassung aufrecht zu erhalten."

Sehr lehrreich ist auch das nächste Kapitel des achten und letzten Buches,
worin wir ein Bild der politischen Wirren, die dem polnischen Aufstände von l.863
vorausgingen, erhalten, und das im folgenden Abschnitte fortgesetzt wird. Ein¬
gehend werden Napoleons Sympathien für die Polen, das Wohlwollen des
Zaren für sie, die polnischen Zustände und Parteien, Wielvpolski im Gegen-
satze gegen die Radikalen, die Pläne des Großfürsten .Konstantin und das
Nationalkomitee geschildert. Dann folgen Mitteilungen über die Sendung
Alvenslebens nach Petersburg und den vielbesprochenen preußisch-russischen
Vertrag, woran sich Rückblicke auf den damaligen Plan Frankreichs, Preußen an¬
zugreifen, auf Gvrtschakofss Umtriebe gegen Preußen, auf den höchst unverständigen
Sturm des preußischen Abgeordnetenhauses gegen Bismarcks Verfahren in der
polnischen Angelegenheit und auf die Noten der Westmnchte und Österreichs
in dieser Sache schließen. Das letzte Kapitel endlich ist vorzüglich dem Frank¬
furter Fürstentage gewidmet, über den es jedoch nichts Neues bringt, es müßte
denn folgender Zug sein. Es war uach dem Versuche des Königs von Sachsen,
König Wilhelm zum Erscheinen in Frankfurt zu überreden, Bismarck hatte
seinein Herrn mit schwerer Mühe eiuen ablehnenden Brief abgerungen und
diesen den abreisenden Sachsen übergeben. "In Bismarcks Herzen -- erzählt
Sybel weiter -- kochte der Zorn über die lange Schonung; als hinter den
Sachsen sich die Thüre geschlossen, zerschlug er eiuen auf dem Tische stehenden
Teller mit Gläsern. Ich mußte etwas zerstören, sagte er, jetzt habe ich wieder
Atem." Das ist äußerst unwahrscheinlich, fast unglaublich. Viel wahrscheinlicher
ist eine andre Erzählung des Vorfalls, wonach er in seiner erwähnten Auf¬
regung beim Verlassen des Zimmers draußen die Klinke der Thür abriß und
auf die Frage des Adjutanten, ob er unwohl sei, erwiderte, jetzt sei ihm wieder
wohl. So erzählte er wenigstens selbst, und zwar wenige Jahre, nach dein
Vorfalle, wo die Erinnerung daran noch frisch und deutlich war")





") Vgl. Busch, Graf Bismarck und seine Leute. 7. Auflage. S. 124.
Sybel über die Gründung des Reiches

er irren konnte und geirrt hat.j Allerdings leuchtet ein, daß bei einem solchen
System die Macht des Unterhauses über den Staatshaushalt und damit über
die Staatsregierung sehr viel beschränkter als in England ist. Eine böswillige
Regierung kann damit das Budgetrecht des Unterhauses zum leeren Schein
machen. Dieser Satz ist ebenso wahr, wie der entgegengesetzte, daß das eng¬
lische Unterhaus Krone und Oberhaus jedem seiner Befehle zu unterwerfen
vermag. Die Bürgschaft gegen solche Extreme liegt in der wachsenden Ein¬
sicht aller Teile, daß für einen jeden verständiges Zusammenwirken heilsamer
ist als herrschsüchtiger Eigenwille. Es war Preußens und Deutschlands Glück,
daß diese Einsicht nicht in den heißesten Augenblicken des Konflikts und nicht
im Vollgenusse der glänzendsten Siege aus dem Geiste des Königs und seines
großen Ministers verschwand. Beide waren unerschütterlich in dem Ent¬
schlüsse, sowohl die Heeresreform als die Verfassung aufrecht zu erhalten."

Sehr lehrreich ist auch das nächste Kapitel des achten und letzten Buches,
worin wir ein Bild der politischen Wirren, die dem polnischen Aufstände von l.863
vorausgingen, erhalten, und das im folgenden Abschnitte fortgesetzt wird. Ein¬
gehend werden Napoleons Sympathien für die Polen, das Wohlwollen des
Zaren für sie, die polnischen Zustände und Parteien, Wielvpolski im Gegen-
satze gegen die Radikalen, die Pläne des Großfürsten .Konstantin und das
Nationalkomitee geschildert. Dann folgen Mitteilungen über die Sendung
Alvenslebens nach Petersburg und den vielbesprochenen preußisch-russischen
Vertrag, woran sich Rückblicke auf den damaligen Plan Frankreichs, Preußen an¬
zugreifen, auf Gvrtschakofss Umtriebe gegen Preußen, auf den höchst unverständigen
Sturm des preußischen Abgeordnetenhauses gegen Bismarcks Verfahren in der
polnischen Angelegenheit und auf die Noten der Westmnchte und Österreichs
in dieser Sache schließen. Das letzte Kapitel endlich ist vorzüglich dem Frank¬
furter Fürstentage gewidmet, über den es jedoch nichts Neues bringt, es müßte
denn folgender Zug sein. Es war uach dem Versuche des Königs von Sachsen,
König Wilhelm zum Erscheinen in Frankfurt zu überreden, Bismarck hatte
seinein Herrn mit schwerer Mühe eiuen ablehnenden Brief abgerungen und
diesen den abreisenden Sachsen übergeben. „In Bismarcks Herzen — erzählt
Sybel weiter — kochte der Zorn über die lange Schonung; als hinter den
Sachsen sich die Thüre geschlossen, zerschlug er eiuen auf dem Tische stehenden
Teller mit Gläsern. Ich mußte etwas zerstören, sagte er, jetzt habe ich wieder
Atem." Das ist äußerst unwahrscheinlich, fast unglaublich. Viel wahrscheinlicher
ist eine andre Erzählung des Vorfalls, wonach er in seiner erwähnten Auf¬
regung beim Verlassen des Zimmers draußen die Klinke der Thür abriß und
auf die Frage des Adjutanten, ob er unwohl sei, erwiderte, jetzt sei ihm wieder
wohl. So erzählte er wenigstens selbst, und zwar wenige Jahre, nach dein
Vorfalle, wo die Erinnerung daran noch frisch und deutlich war")





") Vgl. Busch, Graf Bismarck und seine Leute. 7. Auflage. S. 124.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/280>, abgerufen am 03.07.2024.