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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Sybel über die Gründung des Reiches

ist Verruchter als der der deutschen Einheit, sagte Buol ebenso bestimmt wie
einst Metternich. Genug, Bismarcks oben kurz wiederholte Gründe schließen
jeden Zweifel an der Richtigkeit der Neutralität aus. Das Gepolter der
französischen und mehr noch der englischen Zeitungen, daß Preußen damit auf
deu Rang einer Großmacht verzichte, war zwar kindisch; denn welche Gro߬
macht würde sich anders als nach den eignen Interessen entschließen, aber
allerdings begreiflich genug, dn man gar zu gern die Hauptlast des Krieges
auf Preußens Schultern abgeladen hätte. Wäre mau nnr in Berlin dem weiter",
von Bismarck unaufhörlich wiederholten Rate gefolgt, trotz alles Schmähens
und Droheus die Neutralität in ruhigem Mute und stolzer Gelassenheit auf¬
recht zu erhalten. Dort aber ließ das Bild des "Tigersprunges von Westen
her" den Gemütern keine Ruhe, und General von Gerlach drängte, da man
bei England keine Stütze gefunden, sich jetzt, um uicht völlig vereinzelt der
Gefahr gegenüberzustehen, an Österreich zu wenden." Dies geschah durch einen
Brief des Königs an den Kaiser Franz Josef, der die Sendung des Feldzcug-
meisters von Heß zur Folge hatte. Doch darüber sowie über den weitern
Verlauf der Sache wolle mau wieder Sybel selbst nachlesen.

Das siebente Buch, das die ersten Regierungsjahre Wilhelms des Erstell
mit ihren deutscheu und preußischen Fragen und Konflikten behandelt und
daneben den italienischen Krieg von 1859 mit feiner Einwirkung auf Deutsch¬
land schildert, beansprucht zunächst durch die Charakteristik des Prinzregeuteu,
mit der sie beginnt, und die wenig zu wünschen übrig läßt, besondre Beach¬
tung. Interessant und großenteils neu ist dann, was über den kurhessischen
Streit und die Stellung Preußens und des Bundestages zu ihm gesagt wird;
auch die Darstellung der Versuche Napoleons, sich Preußen zu nähern, und
die Mitteilungen über die Fürstenversammlung in Baden, die Konferenz de
großdeutschen Fürsten und das Gespräch des Königs von Baiern mit dem
Prinzregenten, sowie über die Zusammenkunft des letzter" mit dem Kaiser
Franz Josef sind hervorzuheben. Namentlich aber fesselt die lichtvolle Ent¬
wicklung der ersten Phasen des Streites über die preußische Heeresreform, die
im vierten Kapitel enthalten ist und im ersten Abschnitte des achten neben
Rückblicke!, auf deu Fortgang des hessischen Verfassungsstreites und auf die
Geschichte des Zollvertrags mit Frankreich fortgesetzt wird. Vortrefflich ist
hier dargestellt, wie Bismarck, der neue Ministerpräsident, dein Abgeordneten¬
hause gegenüber die Frage auffaßte, die sich unter ihm zum Verfassuugs-
konflikte gestaltete. Shbel giebt zunächst diese Auffassung in einigen Sätzen
wieder und spricht dann sein Urteil darüber aus. Bismarck sah die Sache
folgendermaßen um: "In England hat allerdings infolge einer langen histo¬
rischen Entwicklung allein das Unterhaus die Entscheidung, ob irgend eine
Einnahme oder Ausgabe stattfinden darf, lind daraus hat sich die weitver¬
breitete Doktrin gebildet, dieses Budgetrecht des Unterhauses sei ein notwendiger


Sybel über die Gründung des Reiches

ist Verruchter als der der deutschen Einheit, sagte Buol ebenso bestimmt wie
einst Metternich. Genug, Bismarcks oben kurz wiederholte Gründe schließen
jeden Zweifel an der Richtigkeit der Neutralität aus. Das Gepolter der
französischen und mehr noch der englischen Zeitungen, daß Preußen damit auf
deu Rang einer Großmacht verzichte, war zwar kindisch; denn welche Gro߬
macht würde sich anders als nach den eignen Interessen entschließen, aber
allerdings begreiflich genug, dn man gar zu gern die Hauptlast des Krieges
auf Preußens Schultern abgeladen hätte. Wäre mau nnr in Berlin dem weiter»,
von Bismarck unaufhörlich wiederholten Rate gefolgt, trotz alles Schmähens
und Droheus die Neutralität in ruhigem Mute und stolzer Gelassenheit auf¬
recht zu erhalten. Dort aber ließ das Bild des »Tigersprunges von Westen
her« den Gemütern keine Ruhe, und General von Gerlach drängte, da man
bei England keine Stütze gefunden, sich jetzt, um uicht völlig vereinzelt der
Gefahr gegenüberzustehen, an Österreich zu wenden." Dies geschah durch einen
Brief des Königs an den Kaiser Franz Josef, der die Sendung des Feldzcug-
meisters von Heß zur Folge hatte. Doch darüber sowie über den weitern
Verlauf der Sache wolle mau wieder Sybel selbst nachlesen.

Das siebente Buch, das die ersten Regierungsjahre Wilhelms des Erstell
mit ihren deutscheu und preußischen Fragen und Konflikten behandelt und
daneben den italienischen Krieg von 1859 mit feiner Einwirkung auf Deutsch¬
land schildert, beansprucht zunächst durch die Charakteristik des Prinzregeuteu,
mit der sie beginnt, und die wenig zu wünschen übrig läßt, besondre Beach¬
tung. Interessant und großenteils neu ist dann, was über den kurhessischen
Streit und die Stellung Preußens und des Bundestages zu ihm gesagt wird;
auch die Darstellung der Versuche Napoleons, sich Preußen zu nähern, und
die Mitteilungen über die Fürstenversammlung in Baden, die Konferenz de
großdeutschen Fürsten und das Gespräch des Königs von Baiern mit dem
Prinzregenten, sowie über die Zusammenkunft des letzter» mit dem Kaiser
Franz Josef sind hervorzuheben. Namentlich aber fesselt die lichtvolle Ent¬
wicklung der ersten Phasen des Streites über die preußische Heeresreform, die
im vierten Kapitel enthalten ist und im ersten Abschnitte des achten neben
Rückblicke!, auf deu Fortgang des hessischen Verfassungsstreites und auf die
Geschichte des Zollvertrags mit Frankreich fortgesetzt wird. Vortrefflich ist
hier dargestellt, wie Bismarck, der neue Ministerpräsident, dein Abgeordneten¬
hause gegenüber die Frage auffaßte, die sich unter ihm zum Verfassuugs-
konflikte gestaltete. Shbel giebt zunächst diese Auffassung in einigen Sätzen
wieder und spricht dann sein Urteil darüber aus. Bismarck sah die Sache
folgendermaßen um: „In England hat allerdings infolge einer langen histo¬
rischen Entwicklung allein das Unterhaus die Entscheidung, ob irgend eine
Einnahme oder Ausgabe stattfinden darf, lind daraus hat sich die weitver¬
breitete Doktrin gebildet, dieses Budgetrecht des Unterhauses sei ein notwendiger


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/278>, abgerufen am 23.07.2024.