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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Sybel über die Gründung des Reiches

Gründen. Er erwog als Realpolitiker die Folgen eines solchen Krieges und
fand, "für die Westmächte bringe der Krieg keine erhebliche Gefahr, der Sieg
höchst fruchtbaren Gewinn. Ans Preußen wurde die Hauptlast des Kampfes
drücken, aber auch nach dem glorreichsten Siege biete sich ihm kein Vorteil.
Was hätten wir im Orient zu suchen? Umso mehr hätten wir Grund, unsre
freundlichen Beziehungen zu Rußland zu schonen, die in Zukunft uns vielleicht
äußerst wertvoll, ja unentbehrlich werden könnten. Unser einziger Gegner und
zugleich die einzige Macht, deren Einschränkung uus wirklichen Nutzen bringen
könne, sei Österreich. Müßte durchaus gekümpft werden, so hätten wir auf
die Österreich feindliche Seite zu treten, es wäre denn, daß der Wiener Hof
uns tüchtige Einräumungen in den deutschen Angelegenheiten machte. Einst¬
weilen aber sei eine festbewehrte Neutralität das beste, zumal sie auch dem
Wunsche aller andern deutschen Staaten entspreche." Jede von diesen An¬
sichten fand bei dem Könige "Anklang in seiner allen Eindrücken weit geöffneten
Brust. Wie immer aber, wirkten auch hier auf ihn die religiösen Anschauungen
noch stärker als die politischen ein. Von jeher war ihm wegen des gemein¬
samen protestantischen Bekenntnisses England als der werteste Bundesgenosse
erschienen, aber von demselben Standpunkte ans war es ihm ein empörender
Gedanke, in der Türkei viele Millionen Christen unter heidnischer Herrschaft
zu erblicken, und ein göttliches Strafgericht sah er sür jeden voraus, der für
den Halbmond gegen das Kreuz das Schwert ziehen würde. So konnte es
für ihn keine traurigere und ratlosere Wendung geben, als daß England Schritt
für Schritt in ein Bündnis zugleich mit der Türkei und mit Napoleon, in den
Incest, wie er sagte, mit dem Heidentum und der Revolution hineingezogen
wurde, ohne daß er imstande gewesen wäre, Rußlands Verfahren als die
Quelle des ganzen Unheils zu rechtfertigen. Zunächst that er, was er konnte,
den offnen Bruch zu verhüten. Schon im Juni 1853 hatte er einen Ver¬
mittelungsversuch gemacht, der aber wie gewöhnlich das Unglück hatte, allen
Parteien zu mißfallen. Dann stimmte er den Beschlüssen der Wiener Kon¬
ferenzen zu und befürwortete sie in Petersburg. Als dies aber fehlschlug, kam
er in dem Wirbel der in ihm tnmpsenden Gefühle zu Entschlüssen von ganz
besondrer Art. Daß er in diesem "scheußlichen" Kriege neutral bleiben wolle,
stand bei ihm fest; denn mit Rußland konnte er nicht gehen, weil es Unrecht
hatte, und gegen Rußland nicht, weil dies ein Kampf für Muhammed gegen
Christus war. Dann aber zweifelte er nicht, daß Napoleon gegen das neutrale
Preußen alle Bluthunde der Revolution loslassen und leider dafür in
Deutschland nur zu viele Helfer finden würde. Um diese Gefahr zu beschwören,
beschloß er, sich noch einmal in vertraulicher Weise an England zu wenden."
Er schickte den Grafen Albert Pourtales, einen russenfeindlich gesinnten Diplo¬
maten, dorthin und empfahl ihn dem Prinzen Albert durch ein Schreiben, in
dem es u. a. hieß: "Ich werde alles thun, was Preußen vermag, um dem


Sybel über die Gründung des Reiches

Gründen. Er erwog als Realpolitiker die Folgen eines solchen Krieges und
fand, „für die Westmächte bringe der Krieg keine erhebliche Gefahr, der Sieg
höchst fruchtbaren Gewinn. Ans Preußen wurde die Hauptlast des Kampfes
drücken, aber auch nach dem glorreichsten Siege biete sich ihm kein Vorteil.
Was hätten wir im Orient zu suchen? Umso mehr hätten wir Grund, unsre
freundlichen Beziehungen zu Rußland zu schonen, die in Zukunft uns vielleicht
äußerst wertvoll, ja unentbehrlich werden könnten. Unser einziger Gegner und
zugleich die einzige Macht, deren Einschränkung uus wirklichen Nutzen bringen
könne, sei Österreich. Müßte durchaus gekümpft werden, so hätten wir auf
die Österreich feindliche Seite zu treten, es wäre denn, daß der Wiener Hof
uns tüchtige Einräumungen in den deutschen Angelegenheiten machte. Einst¬
weilen aber sei eine festbewehrte Neutralität das beste, zumal sie auch dem
Wunsche aller andern deutschen Staaten entspreche." Jede von diesen An¬
sichten fand bei dem Könige „Anklang in seiner allen Eindrücken weit geöffneten
Brust. Wie immer aber, wirkten auch hier auf ihn die religiösen Anschauungen
noch stärker als die politischen ein. Von jeher war ihm wegen des gemein¬
samen protestantischen Bekenntnisses England als der werteste Bundesgenosse
erschienen, aber von demselben Standpunkte ans war es ihm ein empörender
Gedanke, in der Türkei viele Millionen Christen unter heidnischer Herrschaft
zu erblicken, und ein göttliches Strafgericht sah er sür jeden voraus, der für
den Halbmond gegen das Kreuz das Schwert ziehen würde. So konnte es
für ihn keine traurigere und ratlosere Wendung geben, als daß England Schritt
für Schritt in ein Bündnis zugleich mit der Türkei und mit Napoleon, in den
Incest, wie er sagte, mit dem Heidentum und der Revolution hineingezogen
wurde, ohne daß er imstande gewesen wäre, Rußlands Verfahren als die
Quelle des ganzen Unheils zu rechtfertigen. Zunächst that er, was er konnte,
den offnen Bruch zu verhüten. Schon im Juni 1853 hatte er einen Ver¬
mittelungsversuch gemacht, der aber wie gewöhnlich das Unglück hatte, allen
Parteien zu mißfallen. Dann stimmte er den Beschlüssen der Wiener Kon¬
ferenzen zu und befürwortete sie in Petersburg. Als dies aber fehlschlug, kam
er in dem Wirbel der in ihm tnmpsenden Gefühle zu Entschlüssen von ganz
besondrer Art. Daß er in diesem »scheußlichen« Kriege neutral bleiben wolle,
stand bei ihm fest; denn mit Rußland konnte er nicht gehen, weil es Unrecht
hatte, und gegen Rußland nicht, weil dies ein Kampf für Muhammed gegen
Christus war. Dann aber zweifelte er nicht, daß Napoleon gegen das neutrale
Preußen alle Bluthunde der Revolution loslassen und leider dafür in
Deutschland nur zu viele Helfer finden würde. Um diese Gefahr zu beschwören,
beschloß er, sich noch einmal in vertraulicher Weise an England zu wenden."
Er schickte den Grafen Albert Pourtales, einen russenfeindlich gesinnten Diplo¬
maten, dorthin und empfahl ihn dem Prinzen Albert durch ein Schreiben, in
dem es u. a. hieß: „Ich werde alles thun, was Preußen vermag, um dem


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[0276] Sybel über die Gründung des Reiches Gründen. Er erwog als Realpolitiker die Folgen eines solchen Krieges und fand, „für die Westmächte bringe der Krieg keine erhebliche Gefahr, der Sieg höchst fruchtbaren Gewinn. Ans Preußen wurde die Hauptlast des Kampfes drücken, aber auch nach dem glorreichsten Siege biete sich ihm kein Vorteil. Was hätten wir im Orient zu suchen? Umso mehr hätten wir Grund, unsre freundlichen Beziehungen zu Rußland zu schonen, die in Zukunft uns vielleicht äußerst wertvoll, ja unentbehrlich werden könnten. Unser einziger Gegner und zugleich die einzige Macht, deren Einschränkung uus wirklichen Nutzen bringen könne, sei Österreich. Müßte durchaus gekümpft werden, so hätten wir auf die Österreich feindliche Seite zu treten, es wäre denn, daß der Wiener Hof uns tüchtige Einräumungen in den deutschen Angelegenheiten machte. Einst¬ weilen aber sei eine festbewehrte Neutralität das beste, zumal sie auch dem Wunsche aller andern deutschen Staaten entspreche." Jede von diesen An¬ sichten fand bei dem Könige „Anklang in seiner allen Eindrücken weit geöffneten Brust. Wie immer aber, wirkten auch hier auf ihn die religiösen Anschauungen noch stärker als die politischen ein. Von jeher war ihm wegen des gemein¬ samen protestantischen Bekenntnisses England als der werteste Bundesgenosse erschienen, aber von demselben Standpunkte ans war es ihm ein empörender Gedanke, in der Türkei viele Millionen Christen unter heidnischer Herrschaft zu erblicken, und ein göttliches Strafgericht sah er sür jeden voraus, der für den Halbmond gegen das Kreuz das Schwert ziehen würde. So konnte es für ihn keine traurigere und ratlosere Wendung geben, als daß England Schritt für Schritt in ein Bündnis zugleich mit der Türkei und mit Napoleon, in den Incest, wie er sagte, mit dem Heidentum und der Revolution hineingezogen wurde, ohne daß er imstande gewesen wäre, Rußlands Verfahren als die Quelle des ganzen Unheils zu rechtfertigen. Zunächst that er, was er konnte, den offnen Bruch zu verhüten. Schon im Juni 1853 hatte er einen Ver¬ mittelungsversuch gemacht, der aber wie gewöhnlich das Unglück hatte, allen Parteien zu mißfallen. Dann stimmte er den Beschlüssen der Wiener Kon¬ ferenzen zu und befürwortete sie in Petersburg. Als dies aber fehlschlug, kam er in dem Wirbel der in ihm tnmpsenden Gefühle zu Entschlüssen von ganz besondrer Art. Daß er in diesem »scheußlichen« Kriege neutral bleiben wolle, stand bei ihm fest; denn mit Rußland konnte er nicht gehen, weil es Unrecht hatte, und gegen Rußland nicht, weil dies ein Kampf für Muhammed gegen Christus war. Dann aber zweifelte er nicht, daß Napoleon gegen das neutrale Preußen alle Bluthunde der Revolution loslassen und leider dafür in Deutschland nur zu viele Helfer finden würde. Um diese Gefahr zu beschwören, beschloß er, sich noch einmal in vertraulicher Weise an England zu wenden." Er schickte den Grafen Albert Pourtales, einen russenfeindlich gesinnten Diplo¬ maten, dorthin und empfahl ihn dem Prinzen Albert durch ein Schreiben, in dem es u. a. hieß: „Ich werde alles thun, was Preußen vermag, um dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/276>, abgerufen am 23.07.2024.