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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Aphel über die Gründung des Reiches

Nachbarnj das Schauspiel einer Spaltung zwischen den beiden Großmächten
gegeben werde. Aber nur zu bald mußte er sich überzeugen, daß die wesent¬
liche Voraussetzung dieses Strebens, die Gegenseitigkeit, fehle, und daß auf eine An¬
erkennung der preußischen Gleichberechtigung durch Österreich bei der Stellung
der beiden Höfe nie zu hoffen sei. Damit war seine fernere Haltung ent¬
schieden. Er war zum Widerstand bis um die äußerste Grenze, ja über diese
hinaus, bis zum Bruche des Bundes, entschlossen, ehe er eine Schädigung der
Würde und des guten Rechtes Preußens gestatten wollte."

Die nächsten Seiten des Werkes zeigen, wie bald sich Gelegenheit zur
Bethätigung dieser Vorsätze fand. Dann erzählt uns der Verfasser, meist
wieder auf Grund amtlicher Schriftstücke und oft in neuen Mitteilungen, die
Geschichte des Krimkriegs, namentlich so weit er Deutschland in Mitleidenschaft
zu ziehen drohte. Von hohem Interesse ist hier besonders das, was über den
Widerstreit der Meinungen gesagt wird, der hinsichtlich Rußlands und seiner
Gegner in einflußreichen Kreisen und an den entscheidenden Stellen in Preußen
herrschte. Die Liberalen im Lande hofften, Rußland, den Vorkämpfer des
Despotismus, unter den Streichen des vereinten Europas erliegen zu sehen.
Die Gruppe von höhern Beamten, die ihr Organ im "Preußischen Wochen¬
blatte" hatte, befürwortete dringend ein Zusammenwirken mit den Westmächten.
Bunsen, Gesnudter in London, entwarf mit den dortigen Staatsmännern eine
Karte Europas, worauf die russischen Grenzen stark zurückgeschoben waren.
Der Kriegsminister Bonin sah keinen Grund, einem Bruche mit Rußland aus¬
zuweichen. Der Prinz von Preußen neigte auf diese Seite. Der leitende
Minister Manteuffel, der den Olmützer Vertrag durchaus nicht als Niederlage
betrachtete, erkannte zwar entschieden Rußlands schweres Unrecht an, "wünschte
aber nach seiner kühlen, oft apathischen Natur eine gefahrlose Politik zu
wachen," und so lag ihm der Gedanke nahe, daß eine feste Einmütigkeit Frank¬
reichs, Englands, Österreichs und Preußens auch ohne Kriegsdrohung schließlich
"en Zaren zum Nachgeben bestimmen und so die Herstellung des Friedens be¬
wirken würde. "In schneidendem Gegensatze zu dem allen stand die Ge¬
sinnung der persönlichen Umgebung des Königs, an erster Stelle des Generals
von Gerlach. Hier war man kurz und bestimmt russisch, erfüllt vou Verehrung
bor dem großen Zaren, der 1849 Österreich und 1850 Preußen vor dem
Dämon der Revolution beschirmt hätte, und der jetzt in den heiligen Kampf
Zöge, um das Kreuz wieder auf der Hagia Sofia zu erhöhen und Europa von
ber Besudelung durch deu Islam zu reinigen." Man wollte nicht gerade für
den Zaren in den Krieg stürmen, aber im übrigen alles thun, um Rußlands
Stellung zu verbessern; würde jedoch die Teilnahme am Kampfe unvermeidlich,
so gehöre Preußen an die Seite nicht des revolutionären Frankreich, sondern
konservativen Rußland. Bismarck stimmte mit Gerlach in dem Wunsche,
com Krieg mit Rußland zu vermeiden, durchaus überein, aber aus andern


Aphel über die Gründung des Reiches

Nachbarnj das Schauspiel einer Spaltung zwischen den beiden Großmächten
gegeben werde. Aber nur zu bald mußte er sich überzeugen, daß die wesent¬
liche Voraussetzung dieses Strebens, die Gegenseitigkeit, fehle, und daß auf eine An¬
erkennung der preußischen Gleichberechtigung durch Österreich bei der Stellung
der beiden Höfe nie zu hoffen sei. Damit war seine fernere Haltung ent¬
schieden. Er war zum Widerstand bis um die äußerste Grenze, ja über diese
hinaus, bis zum Bruche des Bundes, entschlossen, ehe er eine Schädigung der
Würde und des guten Rechtes Preußens gestatten wollte."

Die nächsten Seiten des Werkes zeigen, wie bald sich Gelegenheit zur
Bethätigung dieser Vorsätze fand. Dann erzählt uns der Verfasser, meist
wieder auf Grund amtlicher Schriftstücke und oft in neuen Mitteilungen, die
Geschichte des Krimkriegs, namentlich so weit er Deutschland in Mitleidenschaft
zu ziehen drohte. Von hohem Interesse ist hier besonders das, was über den
Widerstreit der Meinungen gesagt wird, der hinsichtlich Rußlands und seiner
Gegner in einflußreichen Kreisen und an den entscheidenden Stellen in Preußen
herrschte. Die Liberalen im Lande hofften, Rußland, den Vorkämpfer des
Despotismus, unter den Streichen des vereinten Europas erliegen zu sehen.
Die Gruppe von höhern Beamten, die ihr Organ im „Preußischen Wochen¬
blatte" hatte, befürwortete dringend ein Zusammenwirken mit den Westmächten.
Bunsen, Gesnudter in London, entwarf mit den dortigen Staatsmännern eine
Karte Europas, worauf die russischen Grenzen stark zurückgeschoben waren.
Der Kriegsminister Bonin sah keinen Grund, einem Bruche mit Rußland aus¬
zuweichen. Der Prinz von Preußen neigte auf diese Seite. Der leitende
Minister Manteuffel, der den Olmützer Vertrag durchaus nicht als Niederlage
betrachtete, erkannte zwar entschieden Rußlands schweres Unrecht an, „wünschte
aber nach seiner kühlen, oft apathischen Natur eine gefahrlose Politik zu
wachen," und so lag ihm der Gedanke nahe, daß eine feste Einmütigkeit Frank¬
reichs, Englands, Österreichs und Preußens auch ohne Kriegsdrohung schließlich
"en Zaren zum Nachgeben bestimmen und so die Herstellung des Friedens be¬
wirken würde. „In schneidendem Gegensatze zu dem allen stand die Ge¬
sinnung der persönlichen Umgebung des Königs, an erster Stelle des Generals
von Gerlach. Hier war man kurz und bestimmt russisch, erfüllt vou Verehrung
bor dem großen Zaren, der 1849 Österreich und 1850 Preußen vor dem
Dämon der Revolution beschirmt hätte, und der jetzt in den heiligen Kampf
Zöge, um das Kreuz wieder auf der Hagia Sofia zu erhöhen und Europa von
ber Besudelung durch deu Islam zu reinigen." Man wollte nicht gerade für
den Zaren in den Krieg stürmen, aber im übrigen alles thun, um Rußlands
Stellung zu verbessern; würde jedoch die Teilnahme am Kampfe unvermeidlich,
so gehöre Preußen an die Seite nicht des revolutionären Frankreich, sondern
konservativen Rußland. Bismarck stimmte mit Gerlach in dem Wunsche,
com Krieg mit Rußland zu vermeiden, durchaus überein, aber aus andern


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[0275] Aphel über die Gründung des Reiches Nachbarnj das Schauspiel einer Spaltung zwischen den beiden Großmächten gegeben werde. Aber nur zu bald mußte er sich überzeugen, daß die wesent¬ liche Voraussetzung dieses Strebens, die Gegenseitigkeit, fehle, und daß auf eine An¬ erkennung der preußischen Gleichberechtigung durch Österreich bei der Stellung der beiden Höfe nie zu hoffen sei. Damit war seine fernere Haltung ent¬ schieden. Er war zum Widerstand bis um die äußerste Grenze, ja über diese hinaus, bis zum Bruche des Bundes, entschlossen, ehe er eine Schädigung der Würde und des guten Rechtes Preußens gestatten wollte." Die nächsten Seiten des Werkes zeigen, wie bald sich Gelegenheit zur Bethätigung dieser Vorsätze fand. Dann erzählt uns der Verfasser, meist wieder auf Grund amtlicher Schriftstücke und oft in neuen Mitteilungen, die Geschichte des Krimkriegs, namentlich so weit er Deutschland in Mitleidenschaft zu ziehen drohte. Von hohem Interesse ist hier besonders das, was über den Widerstreit der Meinungen gesagt wird, der hinsichtlich Rußlands und seiner Gegner in einflußreichen Kreisen und an den entscheidenden Stellen in Preußen herrschte. Die Liberalen im Lande hofften, Rußland, den Vorkämpfer des Despotismus, unter den Streichen des vereinten Europas erliegen zu sehen. Die Gruppe von höhern Beamten, die ihr Organ im „Preußischen Wochen¬ blatte" hatte, befürwortete dringend ein Zusammenwirken mit den Westmächten. Bunsen, Gesnudter in London, entwarf mit den dortigen Staatsmännern eine Karte Europas, worauf die russischen Grenzen stark zurückgeschoben waren. Der Kriegsminister Bonin sah keinen Grund, einem Bruche mit Rußland aus¬ zuweichen. Der Prinz von Preußen neigte auf diese Seite. Der leitende Minister Manteuffel, der den Olmützer Vertrag durchaus nicht als Niederlage betrachtete, erkannte zwar entschieden Rußlands schweres Unrecht an, „wünschte aber nach seiner kühlen, oft apathischen Natur eine gefahrlose Politik zu wachen," und so lag ihm der Gedanke nahe, daß eine feste Einmütigkeit Frank¬ reichs, Englands, Österreichs und Preußens auch ohne Kriegsdrohung schließlich "en Zaren zum Nachgeben bestimmen und so die Herstellung des Friedens be¬ wirken würde. „In schneidendem Gegensatze zu dem allen stand die Ge¬ sinnung der persönlichen Umgebung des Königs, an erster Stelle des Generals von Gerlach. Hier war man kurz und bestimmt russisch, erfüllt vou Verehrung bor dem großen Zaren, der 1849 Österreich und 1850 Preußen vor dem Dämon der Revolution beschirmt hätte, und der jetzt in den heiligen Kampf Zöge, um das Kreuz wieder auf der Hagia Sofia zu erhöhen und Europa von ber Besudelung durch deu Islam zu reinigen." Man wollte nicht gerade für den Zaren in den Krieg stürmen, aber im übrigen alles thun, um Rußlands Stellung zu verbessern; würde jedoch die Teilnahme am Kampfe unvermeidlich, so gehöre Preußen an die Seite nicht des revolutionären Frankreich, sondern konservativen Rußland. Bismarck stimmte mit Gerlach in dem Wunsche, com Krieg mit Rußland zu vermeiden, durchaus überein, aber aus andern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/275>, abgerufen am 23.07.2024.