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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Sybel über die Gründung des Reiches

Männern. Statt der kolossalen, jedes andre Gefühl erdrückenden Selbstsucht
des korsischen Imperators zeigt sich bei dem preußischen Beamten die patrio¬
tische Hingebung an den Staat, die unbedingte Pflichttreue gegen König und
Vaterland. Seine Seele war erfüllt von dem Berufe, Preußen zu Macht und
Blüte zu erheben sunt, fügen wir hinzu, dadurch ganz Deutschlands, jeder
Schritt seines Wirkens war abhängig von dieser einzigen und beherrschenden
Aufgabe. War er früher Pcirteimanu gewesen, so wurde er jetzt im prägnan¬
testen Sinne des Wortes Diener des Staates. Gegen dessen Anforderungen trat
jede andre Rücksicht in den Hintergrund. Fragen von höchster Bedeutung,
Freihandel oder Schutzzoll, feudale oder demokratische Einrichtungen, Religions¬
freiheit oder Hierarchie, Fragen also, die für viele tausend Menschen als be¬
stimmende Prinzipien des ganzen Daseins gelten, waren für ihn nichts als je
nach den Umstünden gebrauchte Mittel sür Preußens ferneres Emporwachsen,
sodaß ihn nicht selten seine Gegner den grundsatzlvsesten Opportunisten aller
Zeiten schalten. Wenn ferner Friedrich der Große, der ein ganzes Leben dem
harten Dienste des Staatsinteresses widmete, im innersten Herzen der Über¬
zeugung war, daß der Staat nur ein Mittel zur Erhaltung und Pflege der
idealen Güter, der Schönheit und Wahrheit, der Kunst und der Wissenschaft
sei, so war unigekehrt Bismarck auch hier Utilitarier, und so sehr er jene Güter
zu schützen verstand, war doch immer seine erste und letzte Frage, inwieweit
diese Kunst oder jene Wissenschaft dem preußischen Staatszwecke nütze. Er,
der weiter als irgend ein Mensch vom religiösen Jndifferentismus entfernt
war, warnte wiederholt seine ehemaligen Parteigenossen vor der damals üb¬
lichen Verquickung von Politik und Kircheiitum. Ihr predigt damit, war sein
Wort, die Menschen nicht in die Kirche herein, sondern aus der Kirche hinaus
lind schadet dem Staate, indem ihr dem Volke seine Religion verleidet. Den
Widersachern Preußens im Bundestage war natürlich ein solcher Mann höchst
unbequem, ein Kollege, der alle Waffen der Polemik als Virtuose handhabte,
keine Überhebung des Gegners ungerügt, keine Blöße unbenutzt ließ und sehr
bald den Ruf gewann, es sei gefährlich, mit ihm den Kampf aufzunehmen.
Die korrekten Diplomaten, nicht bloß die in Frankfurt, klagten, daß er oft
so burschikos auftrete, oder wunderten sich, daß er höchst unbefangen die Hal¬
tung des künftigen Ministers schon jetzt annehme. Anfangs zwar zeigte er
sich den Amtsgenossen im Bundestage durchaus entgegenkommend und auf
gutes Einvernehmen bedacht. Denn nicht als grundsätzlicher Gegner Öster¬
reichs war er nach Frankfurt gekommen; im Gegenteil, bei seinem ganzen bis¬
herigen Verhalten war er von der Notwendigkeit eines festen Zusammengehens
Preußens mit der andern Großmacht im Bunde ausgegangen. Demzufolge
bemühte er sich auch im Bundestage, jede etwa auftauchende Meinungsver¬
schiedenheit durch vertrauliches Benehmen mit dem Präsidialgesandten, Grafen
Thun, auszugleichen, damit nicht den kleinen Staaten ^und den ausländischen


Sybel über die Gründung des Reiches

Männern. Statt der kolossalen, jedes andre Gefühl erdrückenden Selbstsucht
des korsischen Imperators zeigt sich bei dem preußischen Beamten die patrio¬
tische Hingebung an den Staat, die unbedingte Pflichttreue gegen König und
Vaterland. Seine Seele war erfüllt von dem Berufe, Preußen zu Macht und
Blüte zu erheben sunt, fügen wir hinzu, dadurch ganz Deutschlands, jeder
Schritt seines Wirkens war abhängig von dieser einzigen und beherrschenden
Aufgabe. War er früher Pcirteimanu gewesen, so wurde er jetzt im prägnan¬
testen Sinne des Wortes Diener des Staates. Gegen dessen Anforderungen trat
jede andre Rücksicht in den Hintergrund. Fragen von höchster Bedeutung,
Freihandel oder Schutzzoll, feudale oder demokratische Einrichtungen, Religions¬
freiheit oder Hierarchie, Fragen also, die für viele tausend Menschen als be¬
stimmende Prinzipien des ganzen Daseins gelten, waren für ihn nichts als je
nach den Umstünden gebrauchte Mittel sür Preußens ferneres Emporwachsen,
sodaß ihn nicht selten seine Gegner den grundsatzlvsesten Opportunisten aller
Zeiten schalten. Wenn ferner Friedrich der Große, der ein ganzes Leben dem
harten Dienste des Staatsinteresses widmete, im innersten Herzen der Über¬
zeugung war, daß der Staat nur ein Mittel zur Erhaltung und Pflege der
idealen Güter, der Schönheit und Wahrheit, der Kunst und der Wissenschaft
sei, so war unigekehrt Bismarck auch hier Utilitarier, und so sehr er jene Güter
zu schützen verstand, war doch immer seine erste und letzte Frage, inwieweit
diese Kunst oder jene Wissenschaft dem preußischen Staatszwecke nütze. Er,
der weiter als irgend ein Mensch vom religiösen Jndifferentismus entfernt
war, warnte wiederholt seine ehemaligen Parteigenossen vor der damals üb¬
lichen Verquickung von Politik und Kircheiitum. Ihr predigt damit, war sein
Wort, die Menschen nicht in die Kirche herein, sondern aus der Kirche hinaus
lind schadet dem Staate, indem ihr dem Volke seine Religion verleidet. Den
Widersachern Preußens im Bundestage war natürlich ein solcher Mann höchst
unbequem, ein Kollege, der alle Waffen der Polemik als Virtuose handhabte,
keine Überhebung des Gegners ungerügt, keine Blöße unbenutzt ließ und sehr
bald den Ruf gewann, es sei gefährlich, mit ihm den Kampf aufzunehmen.
Die korrekten Diplomaten, nicht bloß die in Frankfurt, klagten, daß er oft
so burschikos auftrete, oder wunderten sich, daß er höchst unbefangen die Hal¬
tung des künftigen Ministers schon jetzt annehme. Anfangs zwar zeigte er
sich den Amtsgenossen im Bundestage durchaus entgegenkommend und auf
gutes Einvernehmen bedacht. Denn nicht als grundsätzlicher Gegner Öster¬
reichs war er nach Frankfurt gekommen; im Gegenteil, bei seinem ganzen bis¬
herigen Verhalten war er von der Notwendigkeit eines festen Zusammengehens
Preußens mit der andern Großmacht im Bunde ausgegangen. Demzufolge
bemühte er sich auch im Bundestage, jede etwa auftauchende Meinungsver¬
schiedenheit durch vertrauliches Benehmen mit dem Präsidialgesandten, Grafen
Thun, auszugleichen, damit nicht den kleinen Staaten ^und den ausländischen


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[0274] Sybel über die Gründung des Reiches Männern. Statt der kolossalen, jedes andre Gefühl erdrückenden Selbstsucht des korsischen Imperators zeigt sich bei dem preußischen Beamten die patrio¬ tische Hingebung an den Staat, die unbedingte Pflichttreue gegen König und Vaterland. Seine Seele war erfüllt von dem Berufe, Preußen zu Macht und Blüte zu erheben sunt, fügen wir hinzu, dadurch ganz Deutschlands, jeder Schritt seines Wirkens war abhängig von dieser einzigen und beherrschenden Aufgabe. War er früher Pcirteimanu gewesen, so wurde er jetzt im prägnan¬ testen Sinne des Wortes Diener des Staates. Gegen dessen Anforderungen trat jede andre Rücksicht in den Hintergrund. Fragen von höchster Bedeutung, Freihandel oder Schutzzoll, feudale oder demokratische Einrichtungen, Religions¬ freiheit oder Hierarchie, Fragen also, die für viele tausend Menschen als be¬ stimmende Prinzipien des ganzen Daseins gelten, waren für ihn nichts als je nach den Umstünden gebrauchte Mittel sür Preußens ferneres Emporwachsen, sodaß ihn nicht selten seine Gegner den grundsatzlvsesten Opportunisten aller Zeiten schalten. Wenn ferner Friedrich der Große, der ein ganzes Leben dem harten Dienste des Staatsinteresses widmete, im innersten Herzen der Über¬ zeugung war, daß der Staat nur ein Mittel zur Erhaltung und Pflege der idealen Güter, der Schönheit und Wahrheit, der Kunst und der Wissenschaft sei, so war unigekehrt Bismarck auch hier Utilitarier, und so sehr er jene Güter zu schützen verstand, war doch immer seine erste und letzte Frage, inwieweit diese Kunst oder jene Wissenschaft dem preußischen Staatszwecke nütze. Er, der weiter als irgend ein Mensch vom religiösen Jndifferentismus entfernt war, warnte wiederholt seine ehemaligen Parteigenossen vor der damals üb¬ lichen Verquickung von Politik und Kircheiitum. Ihr predigt damit, war sein Wort, die Menschen nicht in die Kirche herein, sondern aus der Kirche hinaus lind schadet dem Staate, indem ihr dem Volke seine Religion verleidet. Den Widersachern Preußens im Bundestage war natürlich ein solcher Mann höchst unbequem, ein Kollege, der alle Waffen der Polemik als Virtuose handhabte, keine Überhebung des Gegners ungerügt, keine Blöße unbenutzt ließ und sehr bald den Ruf gewann, es sei gefährlich, mit ihm den Kampf aufzunehmen. Die korrekten Diplomaten, nicht bloß die in Frankfurt, klagten, daß er oft so burschikos auftrete, oder wunderten sich, daß er höchst unbefangen die Hal¬ tung des künftigen Ministers schon jetzt annehme. Anfangs zwar zeigte er sich den Amtsgenossen im Bundestage durchaus entgegenkommend und auf gutes Einvernehmen bedacht. Denn nicht als grundsätzlicher Gegner Öster¬ reichs war er nach Frankfurt gekommen; im Gegenteil, bei seinem ganzen bis¬ herigen Verhalten war er von der Notwendigkeit eines festen Zusammengehens Preußens mit der andern Großmacht im Bunde ausgegangen. Demzufolge bemühte er sich auch im Bundestage, jede etwa auftauchende Meinungsver¬ schiedenheit durch vertrauliches Benehmen mit dem Präsidialgesandten, Grafen Thun, auszugleichen, damit nicht den kleinen Staaten ^und den ausländischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/274>, abgerufen am 23.07.2024.