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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Sybel über die Gründung des Reiches

dem er einen Minister ausbrüten wollte." Er überraschte ihn also durch die
Sendung nach Frankfurt, als ans eine hohe Schule der Diplomatie, wo damals
alle Fäden der deutschen Politik zusammenliefen. "Ganz im Sinne Friedrich
Wilhelms hat man oft von Bismarcks Frankfurter Lehrjahren geredet, ungefähr
ebenso passend (eine feine Bemerkung Sybels!), wie wenn man von der
Schwimmschule eines jungen Fisches sprechen wollte. Gewiß, er, der bisher
niemals im diplomatischen Dienste sich geübt hatte, trat hier in eine ihm fremde
Welt und hatte manche Kenntnis von Personen und Sache" sich erst anzueignen.
Aber nachdem er sich binnen wenigen Wochen auf dem neuen Boden orientirt
hatte, entwickelte er seit den ersten Schritten seine politische Meisterschaft. Er
war ein Staatsmann von Geburt. Eine freigebige Natur hatte ihn mit allen
Erfordernissen des Herrscherberufs ausgestattet, mit rascher und durchdringender
Auffassung aller Verhältnisse, mit scharfer Erkenntnis der Stärken und Schwächen
jeder Position, mit sicherm Blicke für die Brauchbarkeit der verschiedensten
Menschen zur Förderung seiner Zwecke. Mit einer unerschütterlichen Willens¬
kraft in der Verfolgung seiner Absichten verband er eine niemals versagende
Elastizität des Geistes in der wechselnden Anwendung des jedesmal zweck¬
mäßigen Verfahrens. Ohne jemals einen systematischen Unterricht durchgemacht
zu haben, besaß er die Fähigkeit, welche Thukhdides von Themistokles
rühmt, durch die Macht seiner Natur das Erforderliche sofort zu treffen.
Alle diese Züge werden bereits in seiner Frankfurter Korrespondenz ^vou der
wir sehr wichtige Teile durch Poschingers Abdrücke kennen, während andre
bedeutende, z.B. die Briefe um Leopold von Gerlach, auch Sybel wohl nicht zu¬
gänglich gewesen sind, da sie von der Familie des Empfängers verwahrt Werdens
gleich deutlich wie in feinem spätern Wirken auf höherer Stufe sichtbar. Überall
bewundert mau die Umsicht der jede Frage allseitig beleuchtende" Erörterung,
den Mut in der Aufstellung des anzustrebenden Zieles, die unerschöpfliche
Fülle immer neuer, den Gegner überraschender und verwirrender Evolutionen
und dabei den festen Pulsschlag einer stets vom Verstände geleiteten Energie. Noch
befand er sich nicht in der leitenden Stellung, sondern hatte den Befehlen der
vorgesetzten Behörde zu gehorchen; aber stets traf der Gang seiner Berichte
in thatsächlicher Begründung und zwingender Logik so unwiderstehlich zum s?j
i!weck, daß sich nur in seltenen Fällen dem Minister die Möglichkeit einer ab¬
weichenden Auffassung darbot. Herr von Manteuffel brummte wohl in auf¬
atmender Eifersucht: Der junge Schönhäuser scheint ja feiner Sache sehr
^wiß zu sein, schrieb aber dann sein "Einverstanden" unter den Bericht."

Wieder sehr feine und wahre Bemerkungen sind es, wenn der Verfasser
seiner Charakterschilderung fortfährt: "Durch die Frühreife des Talents
und die indirekte Beherrschung des Vorgesetzten erinnert Bismarck lebhaft an das
Auftreten des Generals Bonaparte im Jahre 1796. Ju allem übrigen aber
^'scheint neben der Ä brunsten der tiefste Gegensatz der Charaktere zwischen den beiden


^renzbvten I 1890 !!4
Sybel über die Gründung des Reiches

dem er einen Minister ausbrüten wollte." Er überraschte ihn also durch die
Sendung nach Frankfurt, als ans eine hohe Schule der Diplomatie, wo damals
alle Fäden der deutschen Politik zusammenliefen. „Ganz im Sinne Friedrich
Wilhelms hat man oft von Bismarcks Frankfurter Lehrjahren geredet, ungefähr
ebenso passend (eine feine Bemerkung Sybels!), wie wenn man von der
Schwimmschule eines jungen Fisches sprechen wollte. Gewiß, er, der bisher
niemals im diplomatischen Dienste sich geübt hatte, trat hier in eine ihm fremde
Welt und hatte manche Kenntnis von Personen und Sache» sich erst anzueignen.
Aber nachdem er sich binnen wenigen Wochen auf dem neuen Boden orientirt
hatte, entwickelte er seit den ersten Schritten seine politische Meisterschaft. Er
war ein Staatsmann von Geburt. Eine freigebige Natur hatte ihn mit allen
Erfordernissen des Herrscherberufs ausgestattet, mit rascher und durchdringender
Auffassung aller Verhältnisse, mit scharfer Erkenntnis der Stärken und Schwächen
jeder Position, mit sicherm Blicke für die Brauchbarkeit der verschiedensten
Menschen zur Förderung seiner Zwecke. Mit einer unerschütterlichen Willens¬
kraft in der Verfolgung seiner Absichten verband er eine niemals versagende
Elastizität des Geistes in der wechselnden Anwendung des jedesmal zweck¬
mäßigen Verfahrens. Ohne jemals einen systematischen Unterricht durchgemacht
zu haben, besaß er die Fähigkeit, welche Thukhdides von Themistokles
rühmt, durch die Macht seiner Natur das Erforderliche sofort zu treffen.
Alle diese Züge werden bereits in seiner Frankfurter Korrespondenz ^vou der
wir sehr wichtige Teile durch Poschingers Abdrücke kennen, während andre
bedeutende, z.B. die Briefe um Leopold von Gerlach, auch Sybel wohl nicht zu¬
gänglich gewesen sind, da sie von der Familie des Empfängers verwahrt Werdens
gleich deutlich wie in feinem spätern Wirken auf höherer Stufe sichtbar. Überall
bewundert mau die Umsicht der jede Frage allseitig beleuchtende» Erörterung,
den Mut in der Aufstellung des anzustrebenden Zieles, die unerschöpfliche
Fülle immer neuer, den Gegner überraschender und verwirrender Evolutionen
und dabei den festen Pulsschlag einer stets vom Verstände geleiteten Energie. Noch
befand er sich nicht in der leitenden Stellung, sondern hatte den Befehlen der
vorgesetzten Behörde zu gehorchen; aber stets traf der Gang seiner Berichte
in thatsächlicher Begründung und zwingender Logik so unwiderstehlich zum s?j
i!weck, daß sich nur in seltenen Fällen dem Minister die Möglichkeit einer ab¬
weichenden Auffassung darbot. Herr von Manteuffel brummte wohl in auf¬
atmender Eifersucht: Der junge Schönhäuser scheint ja feiner Sache sehr
^wiß zu sein, schrieb aber dann sein »Einverstanden« unter den Bericht."

Wieder sehr feine und wahre Bemerkungen sind es, wenn der Verfasser
seiner Charakterschilderung fortfährt: „Durch die Frühreife des Talents
und die indirekte Beherrschung des Vorgesetzten erinnert Bismarck lebhaft an das
Auftreten des Generals Bonaparte im Jahre 1796. Ju allem übrigen aber
^'scheint neben der Ä brunsten der tiefste Gegensatz der Charaktere zwischen den beiden


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[0273] Sybel über die Gründung des Reiches dem er einen Minister ausbrüten wollte." Er überraschte ihn also durch die Sendung nach Frankfurt, als ans eine hohe Schule der Diplomatie, wo damals alle Fäden der deutschen Politik zusammenliefen. „Ganz im Sinne Friedrich Wilhelms hat man oft von Bismarcks Frankfurter Lehrjahren geredet, ungefähr ebenso passend (eine feine Bemerkung Sybels!), wie wenn man von der Schwimmschule eines jungen Fisches sprechen wollte. Gewiß, er, der bisher niemals im diplomatischen Dienste sich geübt hatte, trat hier in eine ihm fremde Welt und hatte manche Kenntnis von Personen und Sache» sich erst anzueignen. Aber nachdem er sich binnen wenigen Wochen auf dem neuen Boden orientirt hatte, entwickelte er seit den ersten Schritten seine politische Meisterschaft. Er war ein Staatsmann von Geburt. Eine freigebige Natur hatte ihn mit allen Erfordernissen des Herrscherberufs ausgestattet, mit rascher und durchdringender Auffassung aller Verhältnisse, mit scharfer Erkenntnis der Stärken und Schwächen jeder Position, mit sicherm Blicke für die Brauchbarkeit der verschiedensten Menschen zur Förderung seiner Zwecke. Mit einer unerschütterlichen Willens¬ kraft in der Verfolgung seiner Absichten verband er eine niemals versagende Elastizität des Geistes in der wechselnden Anwendung des jedesmal zweck¬ mäßigen Verfahrens. Ohne jemals einen systematischen Unterricht durchgemacht zu haben, besaß er die Fähigkeit, welche Thukhdides von Themistokles rühmt, durch die Macht seiner Natur das Erforderliche sofort zu treffen. Alle diese Züge werden bereits in seiner Frankfurter Korrespondenz ^vou der wir sehr wichtige Teile durch Poschingers Abdrücke kennen, während andre bedeutende, z.B. die Briefe um Leopold von Gerlach, auch Sybel wohl nicht zu¬ gänglich gewesen sind, da sie von der Familie des Empfängers verwahrt Werdens gleich deutlich wie in feinem spätern Wirken auf höherer Stufe sichtbar. Überall bewundert mau die Umsicht der jede Frage allseitig beleuchtende» Erörterung, den Mut in der Aufstellung des anzustrebenden Zieles, die unerschöpfliche Fülle immer neuer, den Gegner überraschender und verwirrender Evolutionen und dabei den festen Pulsschlag einer stets vom Verstände geleiteten Energie. Noch befand er sich nicht in der leitenden Stellung, sondern hatte den Befehlen der vorgesetzten Behörde zu gehorchen; aber stets traf der Gang seiner Berichte in thatsächlicher Begründung und zwingender Logik so unwiderstehlich zum s?j i!weck, daß sich nur in seltenen Fällen dem Minister die Möglichkeit einer ab¬ weichenden Auffassung darbot. Herr von Manteuffel brummte wohl in auf¬ atmender Eifersucht: Der junge Schönhäuser scheint ja feiner Sache sehr ^wiß zu sein, schrieb aber dann sein »Einverstanden« unter den Bericht." Wieder sehr feine und wahre Bemerkungen sind es, wenn der Verfasser seiner Charakterschilderung fortfährt: „Durch die Frühreife des Talents und die indirekte Beherrschung des Vorgesetzten erinnert Bismarck lebhaft an das Auftreten des Generals Bonaparte im Jahre 1796. Ju allem übrigen aber ^'scheint neben der Ä brunsten der tiefste Gegensatz der Charaktere zwischen den beiden ^renzbvten I 1890 !!4

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/273>, abgerufen am 23.07.2024.