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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Sybel über die Gründung des Reiches

Kinn der Ausdruck unbeugsamen Willens, so erschien er damals den Zeit¬
genossen. In jedem Gespräche war er erfüllt von originellen. Gedanken,
farbigen Bildern, frappanten Wendungen, von gewinnender Liebenswürdigkeit
im geselligen, von schneidender Überlegenheit im geschäftlichen Verkehr. Sein
Bildungsgang war großenteils der eines Autodidakten gewesen. Schon als
Knabe hatte er eifrig Geographie getrieben, welche Wissenschaft sich damals
noch nicht zu dem modernen Konglomerate von Bruchstücken aller Natur¬
wissenschaften entfaltet hatte, sondern sich wesentlich mit der Verteilung und
den äußern Zuständen der Menschen in den verschiednen Ländern befaßte.
Vismnrck pflegte gern zu erzählen, wie früh ihm dnrch gründliches Studium
der Karte von Deutschland mit ihrem Farbenreichtum von 39 verschiednen
Landesgrenzen die Erkenntnis der Nnturwidrigkeit eines solchen Gebildes auf¬
gegangen sei. Vor allem aber widmete er sich, wie nach einem. Vorgefühle
des künftigen Wirkens, historischen Studien. Nach der eiguen weitern Erfah¬
rung sprach er den Grundsatz aus, für jeden Staatslenker sei ein richtig ge¬
leitetes Studium der Geschichte die wesentliche Grundlage des Wissens. Sein
ganzes späteres Leben bildet einen praktischen Kommentar zu diesem Satze.
Hier hat er sowohl die Kühnheit geschöpft, die Ziele seiner Aktion sich möglichst
hoch zu setzen, als die Besonnenheit, niemals im Siegesrausche über die Grenze
des Erreichbaren hinnuszuschweifen." Nach den Studenteujnhren widmete sich
Bismarck kurze Zeit dem Dienste in der Verwaltung, und als ihm hier die
Luft zu eng wurde, kehrte er ins Freie und Grüne, auf ein Gut seiner Familie
zurück, wo er sich als rüstigen Jäger, kühnen Reiter und mächtigen Zecher,
aber zugleich als tüchtigen Verwalter seines Landbesitzes zeigte und auf
dem Grunde einer ernsten Religiosität sein inneres Leben reicher, tiefer und
klarer gestaltete, bis ihn bewegtere Jahre der Politik zuführten. Im Vereinigten
Landtage von 1347 sehen wir ihn die königlichen Absichten verteidigen, und
zwar ließ er schon bei diesem ersten Auftreten auf parlamentarischem Felde
seine Beherrschung der Sprache und seine unversiegliche Schlngfertigteit in der
Erwiderung auf Einwürfe der Gegner bewundern und zeigte schon jetzt, daß
seine Gedanken über die Grenzen des Staates Hinansgingen und dessen Stellung
zum Auslande auch bei innern Fragen ins Auge faßten. "Als dann im fol¬
genden Jahre die Wogen der Revolution über Preußen zusammenschlugen und
eine wüste Anarchie Berlin erfüllte, wallte sein königstreues Blut heftig auf,
und er wurde einer der streitbarsten Genossen der Kreuzzeituugspartei." All¬
mählich bildete sich jetzt auch ein näheres persönliches Verhältnis zum Könige,
der seine frühern Landtagsreden über den christlichen Staat und das Königtum
von Gottes Gnaden mit Wohlgefallen bemerkt hatte und, obwohl Menschen¬
kenntnis sonst nicht seine starke Seite war, Bismarcks geniale Begabung empfand
und sich auf diese Wahrnehmung hin vorsetzte, ihn zu einer großen Rolle selbst
auszubilden. "Er hielt mich -- sagte Bismarck später -- für ein El, aus


Sybel über die Gründung des Reiches

Kinn der Ausdruck unbeugsamen Willens, so erschien er damals den Zeit¬
genossen. In jedem Gespräche war er erfüllt von originellen. Gedanken,
farbigen Bildern, frappanten Wendungen, von gewinnender Liebenswürdigkeit
im geselligen, von schneidender Überlegenheit im geschäftlichen Verkehr. Sein
Bildungsgang war großenteils der eines Autodidakten gewesen. Schon als
Knabe hatte er eifrig Geographie getrieben, welche Wissenschaft sich damals
noch nicht zu dem modernen Konglomerate von Bruchstücken aller Natur¬
wissenschaften entfaltet hatte, sondern sich wesentlich mit der Verteilung und
den äußern Zuständen der Menschen in den verschiednen Ländern befaßte.
Vismnrck pflegte gern zu erzählen, wie früh ihm dnrch gründliches Studium
der Karte von Deutschland mit ihrem Farbenreichtum von 39 verschiednen
Landesgrenzen die Erkenntnis der Nnturwidrigkeit eines solchen Gebildes auf¬
gegangen sei. Vor allem aber widmete er sich, wie nach einem. Vorgefühle
des künftigen Wirkens, historischen Studien. Nach der eiguen weitern Erfah¬
rung sprach er den Grundsatz aus, für jeden Staatslenker sei ein richtig ge¬
leitetes Studium der Geschichte die wesentliche Grundlage des Wissens. Sein
ganzes späteres Leben bildet einen praktischen Kommentar zu diesem Satze.
Hier hat er sowohl die Kühnheit geschöpft, die Ziele seiner Aktion sich möglichst
hoch zu setzen, als die Besonnenheit, niemals im Siegesrausche über die Grenze
des Erreichbaren hinnuszuschweifen." Nach den Studenteujnhren widmete sich
Bismarck kurze Zeit dem Dienste in der Verwaltung, und als ihm hier die
Luft zu eng wurde, kehrte er ins Freie und Grüne, auf ein Gut seiner Familie
zurück, wo er sich als rüstigen Jäger, kühnen Reiter und mächtigen Zecher,
aber zugleich als tüchtigen Verwalter seines Landbesitzes zeigte und auf
dem Grunde einer ernsten Religiosität sein inneres Leben reicher, tiefer und
klarer gestaltete, bis ihn bewegtere Jahre der Politik zuführten. Im Vereinigten
Landtage von 1347 sehen wir ihn die königlichen Absichten verteidigen, und
zwar ließ er schon bei diesem ersten Auftreten auf parlamentarischem Felde
seine Beherrschung der Sprache und seine unversiegliche Schlngfertigteit in der
Erwiderung auf Einwürfe der Gegner bewundern und zeigte schon jetzt, daß
seine Gedanken über die Grenzen des Staates Hinansgingen und dessen Stellung
zum Auslande auch bei innern Fragen ins Auge faßten. „Als dann im fol¬
genden Jahre die Wogen der Revolution über Preußen zusammenschlugen und
eine wüste Anarchie Berlin erfüllte, wallte sein königstreues Blut heftig auf,
und er wurde einer der streitbarsten Genossen der Kreuzzeituugspartei." All¬
mählich bildete sich jetzt auch ein näheres persönliches Verhältnis zum Könige,
der seine frühern Landtagsreden über den christlichen Staat und das Königtum
von Gottes Gnaden mit Wohlgefallen bemerkt hatte und, obwohl Menschen¬
kenntnis sonst nicht seine starke Seite war, Bismarcks geniale Begabung empfand
und sich auf diese Wahrnehmung hin vorsetzte, ihn zu einer großen Rolle selbst
auszubilden. „Er hielt mich — sagte Bismarck später — für ein El, aus


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[0272] Sybel über die Gründung des Reiches Kinn der Ausdruck unbeugsamen Willens, so erschien er damals den Zeit¬ genossen. In jedem Gespräche war er erfüllt von originellen. Gedanken, farbigen Bildern, frappanten Wendungen, von gewinnender Liebenswürdigkeit im geselligen, von schneidender Überlegenheit im geschäftlichen Verkehr. Sein Bildungsgang war großenteils der eines Autodidakten gewesen. Schon als Knabe hatte er eifrig Geographie getrieben, welche Wissenschaft sich damals noch nicht zu dem modernen Konglomerate von Bruchstücken aller Natur¬ wissenschaften entfaltet hatte, sondern sich wesentlich mit der Verteilung und den äußern Zuständen der Menschen in den verschiednen Ländern befaßte. Vismnrck pflegte gern zu erzählen, wie früh ihm dnrch gründliches Studium der Karte von Deutschland mit ihrem Farbenreichtum von 39 verschiednen Landesgrenzen die Erkenntnis der Nnturwidrigkeit eines solchen Gebildes auf¬ gegangen sei. Vor allem aber widmete er sich, wie nach einem. Vorgefühle des künftigen Wirkens, historischen Studien. Nach der eiguen weitern Erfah¬ rung sprach er den Grundsatz aus, für jeden Staatslenker sei ein richtig ge¬ leitetes Studium der Geschichte die wesentliche Grundlage des Wissens. Sein ganzes späteres Leben bildet einen praktischen Kommentar zu diesem Satze. Hier hat er sowohl die Kühnheit geschöpft, die Ziele seiner Aktion sich möglichst hoch zu setzen, als die Besonnenheit, niemals im Siegesrausche über die Grenze des Erreichbaren hinnuszuschweifen." Nach den Studenteujnhren widmete sich Bismarck kurze Zeit dem Dienste in der Verwaltung, und als ihm hier die Luft zu eng wurde, kehrte er ins Freie und Grüne, auf ein Gut seiner Familie zurück, wo er sich als rüstigen Jäger, kühnen Reiter und mächtigen Zecher, aber zugleich als tüchtigen Verwalter seines Landbesitzes zeigte und auf dem Grunde einer ernsten Religiosität sein inneres Leben reicher, tiefer und klarer gestaltete, bis ihn bewegtere Jahre der Politik zuführten. Im Vereinigten Landtage von 1347 sehen wir ihn die königlichen Absichten verteidigen, und zwar ließ er schon bei diesem ersten Auftreten auf parlamentarischem Felde seine Beherrschung der Sprache und seine unversiegliche Schlngfertigteit in der Erwiderung auf Einwürfe der Gegner bewundern und zeigte schon jetzt, daß seine Gedanken über die Grenzen des Staates Hinansgingen und dessen Stellung zum Auslande auch bei innern Fragen ins Auge faßten. „Als dann im fol¬ genden Jahre die Wogen der Revolution über Preußen zusammenschlugen und eine wüste Anarchie Berlin erfüllte, wallte sein königstreues Blut heftig auf, und er wurde einer der streitbarsten Genossen der Kreuzzeituugspartei." All¬ mählich bildete sich jetzt auch ein näheres persönliches Verhältnis zum Könige, der seine frühern Landtagsreden über den christlichen Staat und das Königtum von Gottes Gnaden mit Wohlgefallen bemerkt hatte und, obwohl Menschen¬ kenntnis sonst nicht seine starke Seite war, Bismarcks geniale Begabung empfand und sich auf diese Wahrnehmung hin vorsetzte, ihn zu einer großen Rolle selbst auszubilden. „Er hielt mich — sagte Bismarck später — für ein El, aus

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/272>, abgerufen am 23.07.2024.