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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Die Ansiedelung deutscher Landwirte in Lothringen

durch die Abschaffung aller Lehensrechte in freies Eigen übergegangen. Im
Elsaß bestanden daneben noch die Landsiedelei und die dinghöflichen Rechte
(Volvos), in Lothringen war die Vergebung der Güter gegen Zahlung einer
grundherrlichen Bodenrenke (vous) die Regel. Für Elsaß aber wie für Lothringen
galt in dieser Weise der Ausspruch eines französischen Rechtsgelehrten, wonach
zu Ende des achtzehnten Jahrhunderts in ganz Frankreich kaum ein Fleck Land
gefunden werden konnte, der freies Eigen im Sinne des römischen oder des
heutigen Rechtes und durch freien Vertrag geschaffen gewesen wäre. Nur zwei
Rechtsnormen haben die Stürme der Revolution überdauert, weil sie ältern
Ursprungs waren als das Lehenrecht: die Zeitpacht und die Emphyteuse (ver¬
äußerliches Erbpachtrecht). Die Verhältnisse, wie sie zur Zeit der Revolution
bestanden, entsprechen aber nicht nur dem herrschenden Lehnrechte, sondern
auch den wirtschaftlichen Gewöhnungen und Anschauungen. Diese bestehen aber
heute noch wie früher. Die Revolution hatte die vertragsmäßigen Bodenrenten
nicht vernichtet, aber für ablösbar erklärt. Sie sind aber keineswegs sämtlich
zurückgekauft worden, und heute noch zinst der Bauer an Stiftungen, Körper¬
schaften und Private aus uralten oder neuern Verträgen. Auch andre Neste
hinterließ die Gesetzgebung der Revolution. Die Vergebung der sogenannten
Gemeindelose erinnert noch häufig an alte Rechtsnormen, und die Leute halten
am Herkommen mit echt bäuerlicher Zähigkeit fest; in einer Reihe von Ge¬
meinden, die zum ehemals städtischen oder bischöflichen Gebiet von Metz ge¬
hören, werden die Gemcindelose heute noch auf Grund eines Edikts des Par¬
laments von 1769 im Mannesstamme vererbt, und zwar nur in gerader Linie;
ähnlich vererben sich heute noch die Hvlzrechte der Rechtsnachfolger der zu
Beginn des siebzehnten Jahrhunderts in der Grafschaft Dagsburg angesiedelten
Kolvnen ans Grund einer von den Grafen von Leinigen 1616 erlassenen Wald-
vrdunng. Auch nach der Revolution blieb die Gewöhnung der Eigentümer,
ihr Laud in längere Zeitpacht zu vergeben; neben den größeren Eigentümern,
die den Grunderwerb als eine Art von Vermögensanlage betrachteten, find
die Eigentümer kleinerer "ut der kleinsten Parzellen, die auf dem Wege des
Erbganges und der üblichen Teilung in den Besitz winziger Stücke gelangten,
u> der Lage, der Not und nicht dem eignen Triebe folgend ihren Besitz in
Pacht zu geben. So entstand die eigentümliche Mischung von Eigen- und
Pachtbetrieb, die wir in Lothringen allenthalben finden. Jeder hat Gelegenheit,
neben den eignen Grundstücken noch fremden, gepachteten Boden zu bewirt¬
schaften, und weil der eigne Besitz meist zu klein ist, wird diese Gelegenheit
dielfach benutzt, um die Wirtschaft zu erweitern. Diese Mischung von Eigen-
tt"d Pachtwirtschaft ist jedoch im Elsaß noch stärker vertreten als in Lothringen,
wo etwa ^.6 Prozent der Wirtschaften ans diesem gemischten Systeme gegründet
sind, 8 Prozent ausschließliche Pachtwirtschaften, 56 Prozent Eigenwirtschaften
sind. Nehmen wir aber aus der Gesamtzahl, die auch die kleinsten Besitze


Die Ansiedelung deutscher Landwirte in Lothringen

durch die Abschaffung aller Lehensrechte in freies Eigen übergegangen. Im
Elsaß bestanden daneben noch die Landsiedelei und die dinghöflichen Rechte
(Volvos), in Lothringen war die Vergebung der Güter gegen Zahlung einer
grundherrlichen Bodenrenke (vous) die Regel. Für Elsaß aber wie für Lothringen
galt in dieser Weise der Ausspruch eines französischen Rechtsgelehrten, wonach
zu Ende des achtzehnten Jahrhunderts in ganz Frankreich kaum ein Fleck Land
gefunden werden konnte, der freies Eigen im Sinne des römischen oder des
heutigen Rechtes und durch freien Vertrag geschaffen gewesen wäre. Nur zwei
Rechtsnormen haben die Stürme der Revolution überdauert, weil sie ältern
Ursprungs waren als das Lehenrecht: die Zeitpacht und die Emphyteuse (ver¬
äußerliches Erbpachtrecht). Die Verhältnisse, wie sie zur Zeit der Revolution
bestanden, entsprechen aber nicht nur dem herrschenden Lehnrechte, sondern
auch den wirtschaftlichen Gewöhnungen und Anschauungen. Diese bestehen aber
heute noch wie früher. Die Revolution hatte die vertragsmäßigen Bodenrenten
nicht vernichtet, aber für ablösbar erklärt. Sie sind aber keineswegs sämtlich
zurückgekauft worden, und heute noch zinst der Bauer an Stiftungen, Körper¬
schaften und Private aus uralten oder neuern Verträgen. Auch andre Neste
hinterließ die Gesetzgebung der Revolution. Die Vergebung der sogenannten
Gemeindelose erinnert noch häufig an alte Rechtsnormen, und die Leute halten
am Herkommen mit echt bäuerlicher Zähigkeit fest; in einer Reihe von Ge¬
meinden, die zum ehemals städtischen oder bischöflichen Gebiet von Metz ge¬
hören, werden die Gemcindelose heute noch auf Grund eines Edikts des Par¬
laments von 1769 im Mannesstamme vererbt, und zwar nur in gerader Linie;
ähnlich vererben sich heute noch die Hvlzrechte der Rechtsnachfolger der zu
Beginn des siebzehnten Jahrhunderts in der Grafschaft Dagsburg angesiedelten
Kolvnen ans Grund einer von den Grafen von Leinigen 1616 erlassenen Wald-
vrdunng. Auch nach der Revolution blieb die Gewöhnung der Eigentümer,
ihr Laud in längere Zeitpacht zu vergeben; neben den größeren Eigentümern,
die den Grunderwerb als eine Art von Vermögensanlage betrachteten, find
die Eigentümer kleinerer »ut der kleinsten Parzellen, die auf dem Wege des
Erbganges und der üblichen Teilung in den Besitz winziger Stücke gelangten,
u> der Lage, der Not und nicht dem eignen Triebe folgend ihren Besitz in
Pacht zu geben. So entstand die eigentümliche Mischung von Eigen- und
Pachtbetrieb, die wir in Lothringen allenthalben finden. Jeder hat Gelegenheit,
neben den eignen Grundstücken noch fremden, gepachteten Boden zu bewirt¬
schaften, und weil der eigne Besitz meist zu klein ist, wird diese Gelegenheit
dielfach benutzt, um die Wirtschaft zu erweitern. Diese Mischung von Eigen-
tt»d Pachtwirtschaft ist jedoch im Elsaß noch stärker vertreten als in Lothringen,
wo etwa ^.6 Prozent der Wirtschaften ans diesem gemischten Systeme gegründet
sind, 8 Prozent ausschließliche Pachtwirtschaften, 56 Prozent Eigenwirtschaften
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[0267] Die Ansiedelung deutscher Landwirte in Lothringen durch die Abschaffung aller Lehensrechte in freies Eigen übergegangen. Im Elsaß bestanden daneben noch die Landsiedelei und die dinghöflichen Rechte (Volvos), in Lothringen war die Vergebung der Güter gegen Zahlung einer grundherrlichen Bodenrenke (vous) die Regel. Für Elsaß aber wie für Lothringen galt in dieser Weise der Ausspruch eines französischen Rechtsgelehrten, wonach zu Ende des achtzehnten Jahrhunderts in ganz Frankreich kaum ein Fleck Land gefunden werden konnte, der freies Eigen im Sinne des römischen oder des heutigen Rechtes und durch freien Vertrag geschaffen gewesen wäre. Nur zwei Rechtsnormen haben die Stürme der Revolution überdauert, weil sie ältern Ursprungs waren als das Lehenrecht: die Zeitpacht und die Emphyteuse (ver¬ äußerliches Erbpachtrecht). Die Verhältnisse, wie sie zur Zeit der Revolution bestanden, entsprechen aber nicht nur dem herrschenden Lehnrechte, sondern auch den wirtschaftlichen Gewöhnungen und Anschauungen. Diese bestehen aber heute noch wie früher. Die Revolution hatte die vertragsmäßigen Bodenrenten nicht vernichtet, aber für ablösbar erklärt. Sie sind aber keineswegs sämtlich zurückgekauft worden, und heute noch zinst der Bauer an Stiftungen, Körper¬ schaften und Private aus uralten oder neuern Verträgen. Auch andre Neste hinterließ die Gesetzgebung der Revolution. Die Vergebung der sogenannten Gemeindelose erinnert noch häufig an alte Rechtsnormen, und die Leute halten am Herkommen mit echt bäuerlicher Zähigkeit fest; in einer Reihe von Ge¬ meinden, die zum ehemals städtischen oder bischöflichen Gebiet von Metz ge¬ hören, werden die Gemcindelose heute noch auf Grund eines Edikts des Par¬ laments von 1769 im Mannesstamme vererbt, und zwar nur in gerader Linie; ähnlich vererben sich heute noch die Hvlzrechte der Rechtsnachfolger der zu Beginn des siebzehnten Jahrhunderts in der Grafschaft Dagsburg angesiedelten Kolvnen ans Grund einer von den Grafen von Leinigen 1616 erlassenen Wald- vrdunng. Auch nach der Revolution blieb die Gewöhnung der Eigentümer, ihr Laud in längere Zeitpacht zu vergeben; neben den größeren Eigentümern, die den Grunderwerb als eine Art von Vermögensanlage betrachteten, find die Eigentümer kleinerer »ut der kleinsten Parzellen, die auf dem Wege des Erbganges und der üblichen Teilung in den Besitz winziger Stücke gelangten, u> der Lage, der Not und nicht dem eignen Triebe folgend ihren Besitz in Pacht zu geben. So entstand die eigentümliche Mischung von Eigen- und Pachtbetrieb, die wir in Lothringen allenthalben finden. Jeder hat Gelegenheit, neben den eignen Grundstücken noch fremden, gepachteten Boden zu bewirt¬ schaften, und weil der eigne Besitz meist zu klein ist, wird diese Gelegenheit dielfach benutzt, um die Wirtschaft zu erweitern. Diese Mischung von Eigen- tt»d Pachtwirtschaft ist jedoch im Elsaß noch stärker vertreten als in Lothringen, wo etwa ^.6 Prozent der Wirtschaften ans diesem gemischten Systeme gegründet sind, 8 Prozent ausschließliche Pachtwirtschaften, 56 Prozent Eigenwirtschaften sind. Nehmen wir aber aus der Gesamtzahl, die auch die kleinsten Besitze

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/267>, abgerufen am 23.07.2024.