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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Die Nationalliboralen und die Sozialistengesetzvorlage

bezeichnet den Mann euers Vertrauens im Vereine mit den uns nahestehenden
Parteien, wirkt belehrend durch Wort und Schrift. Laßt euch leiten durch
die großen vaterländischen Gesichtspunkte, nicht durch kleine Meinungsver¬
schiedenheiten nud Interessengegensätze," diese herrlichen patriotischen Worte
wären erst recht am Platze gewesen, wen" die Partei auch den H 24 als eine
,,kleine Meinungsverschiedenheit" angesehen und unangerührt gelassen hätte.

Wir wünschen nicht, daß die nationalliberale Partei gemindert in den
neuen Reichstag trete, aber wir befürchten es. Wir wünschen es nicht, voraus¬
gesetzt, daß die Partei, wenn die Regierung aufs neue ihre Versicherung nb-
giebt, ohne den H 24 das Socialistengesetz nicht wirksam genug handhaben
zu können, ihr auch Glauben beimißt. Und wir haben diese gute Zuversicht.
Dann, wie gesagt, wünsche" wir keine Minderung der Partei, sondern lieber
ihre Stärkung. Den" dem Bestände unsers Staates dienen doch die Mittel¬
parteien am besten. Wie die Dinge liegen, würden bei Verminderung der
nationalliberalen Partei schwerlich die Deutschfreisinnigen, aber Wohl die Konser¬
vativen gewinnen. So weit nnn die konservative Partei nicht zugleich klerikal
ist, Hütte ja das nichts zu sagen. Aber sie ist nun einmal stark mit klerikalen
Elementen durchsetzt, und das ist vom Übel. Die Kirche ist nur segensreich,
wenn sie sich auch nur um kirchliche Dinge kümmert. Sobald sie sich in
staatliche Dinge mischt, wird sie unheilvoll. Wie sehr das auch von den
klerikalen Elementen in der protestantischen Kirche gilt, das geht deutlich aus
einer Broschüre Cremers vom vorigen Jahre hervor, worin dieser auch Stöcker
scharf angreift und unter anderm sagt: ,,So lange es sich vermeiden ließ, habe
ich alleu Angriffen zum Trotz darüber Silber die Feindseligkeiten des Stöcker-
schen Treibens gegen den Fürsten Vismarckl geschwiegen. Nachdem aber
längeres Vertuschen unmöglich geworden ist, trage ich kein Bedenken mehr, es
unumwunden auszusprechen, daß die Berliner Bewegung nnter der ausschlie߬
lichen Führung des Herrn Stöcker dazu ausersehen ist, ihre Spitze gegen den
Fürsten Bismarck zu richten. Auf das letztere laufe" die gesamte" Machen¬
schaften, wie sie schon längst und in letzter Zeit mit erhöhter" Eiser von der
bezeichneten Stelle her betriebe" worden sind, hauptsächlich Humus." Auch
was neuerdings an Intriguen gegen das Kartell aus deu Reihen der Kreuz-
zeitung bekannt worden ist, dient nur dazu, Cremers Angaben zu bestätige".
Zu verwundern ist da nicht viel. Hierarchen sind ihrer Natur nach überall
Gegner des modernen Staates, da er ihnen überall ihre Wege kreuzt und auf
sein Panier religiöse Duldung geschrieben hat, die ihnen allesamt ein Greuel
ist. Zwischen päpstlichen und nichtpäpstlichen Klerikalen ist mir der Unter¬
schied, daß die einen geradeaus nach Rom blicken, die andern dahin schielen,
selbst dann, wenn sie sich einmal gegen Rom stellen. Deshalb wünschen wir
die Nationalliberalen und die mit ihnen verwandten Freikonservativen als
Anhänger des modernen Staates, der auch die Kirche als ein Glied des Ganzen


Die Nationalliboralen und die Sozialistengesetzvorlage

bezeichnet den Mann euers Vertrauens im Vereine mit den uns nahestehenden
Parteien, wirkt belehrend durch Wort und Schrift. Laßt euch leiten durch
die großen vaterländischen Gesichtspunkte, nicht durch kleine Meinungsver¬
schiedenheiten nud Interessengegensätze," diese herrlichen patriotischen Worte
wären erst recht am Platze gewesen, wen» die Partei auch den H 24 als eine
,,kleine Meinungsverschiedenheit" angesehen und unangerührt gelassen hätte.

Wir wünschen nicht, daß die nationalliberale Partei gemindert in den
neuen Reichstag trete, aber wir befürchten es. Wir wünschen es nicht, voraus¬
gesetzt, daß die Partei, wenn die Regierung aufs neue ihre Versicherung nb-
giebt, ohne den H 24 das Socialistengesetz nicht wirksam genug handhaben
zu können, ihr auch Glauben beimißt. Und wir haben diese gute Zuversicht.
Dann, wie gesagt, wünsche» wir keine Minderung der Partei, sondern lieber
ihre Stärkung. Den» dem Bestände unsers Staates dienen doch die Mittel¬
parteien am besten. Wie die Dinge liegen, würden bei Verminderung der
nationalliberalen Partei schwerlich die Deutschfreisinnigen, aber Wohl die Konser¬
vativen gewinnen. So weit nnn die konservative Partei nicht zugleich klerikal
ist, Hütte ja das nichts zu sagen. Aber sie ist nun einmal stark mit klerikalen
Elementen durchsetzt, und das ist vom Übel. Die Kirche ist nur segensreich,
wenn sie sich auch nur um kirchliche Dinge kümmert. Sobald sie sich in
staatliche Dinge mischt, wird sie unheilvoll. Wie sehr das auch von den
klerikalen Elementen in der protestantischen Kirche gilt, das geht deutlich aus
einer Broschüre Cremers vom vorigen Jahre hervor, worin dieser auch Stöcker
scharf angreift und unter anderm sagt: ,,So lange es sich vermeiden ließ, habe
ich alleu Angriffen zum Trotz darüber Silber die Feindseligkeiten des Stöcker-
schen Treibens gegen den Fürsten Vismarckl geschwiegen. Nachdem aber
längeres Vertuschen unmöglich geworden ist, trage ich kein Bedenken mehr, es
unumwunden auszusprechen, daß die Berliner Bewegung nnter der ausschlie߬
lichen Führung des Herrn Stöcker dazu ausersehen ist, ihre Spitze gegen den
Fürsten Bismarck zu richten. Auf das letztere laufe» die gesamte» Machen¬
schaften, wie sie schon längst und in letzter Zeit mit erhöhter» Eiser von der
bezeichneten Stelle her betriebe« worden sind, hauptsächlich Humus." Auch
was neuerdings an Intriguen gegen das Kartell aus deu Reihen der Kreuz-
zeitung bekannt worden ist, dient nur dazu, Cremers Angaben zu bestätige».
Zu verwundern ist da nicht viel. Hierarchen sind ihrer Natur nach überall
Gegner des modernen Staates, da er ihnen überall ihre Wege kreuzt und auf
sein Panier religiöse Duldung geschrieben hat, die ihnen allesamt ein Greuel
ist. Zwischen päpstlichen und nichtpäpstlichen Klerikalen ist mir der Unter¬
schied, daß die einen geradeaus nach Rom blicken, die andern dahin schielen,
selbst dann, wenn sie sich einmal gegen Rom stellen. Deshalb wünschen wir
die Nationalliberalen und die mit ihnen verwandten Freikonservativen als
Anhänger des modernen Staates, der auch die Kirche als ein Glied des Ganzen


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[0260] Die Nationalliboralen und die Sozialistengesetzvorlage bezeichnet den Mann euers Vertrauens im Vereine mit den uns nahestehenden Parteien, wirkt belehrend durch Wort und Schrift. Laßt euch leiten durch die großen vaterländischen Gesichtspunkte, nicht durch kleine Meinungsver¬ schiedenheiten nud Interessengegensätze," diese herrlichen patriotischen Worte wären erst recht am Platze gewesen, wen» die Partei auch den H 24 als eine ,,kleine Meinungsverschiedenheit" angesehen und unangerührt gelassen hätte. Wir wünschen nicht, daß die nationalliberale Partei gemindert in den neuen Reichstag trete, aber wir befürchten es. Wir wünschen es nicht, voraus¬ gesetzt, daß die Partei, wenn die Regierung aufs neue ihre Versicherung nb- giebt, ohne den H 24 das Socialistengesetz nicht wirksam genug handhaben zu können, ihr auch Glauben beimißt. Und wir haben diese gute Zuversicht. Dann, wie gesagt, wünsche» wir keine Minderung der Partei, sondern lieber ihre Stärkung. Den» dem Bestände unsers Staates dienen doch die Mittel¬ parteien am besten. Wie die Dinge liegen, würden bei Verminderung der nationalliberalen Partei schwerlich die Deutschfreisinnigen, aber Wohl die Konser¬ vativen gewinnen. So weit nnn die konservative Partei nicht zugleich klerikal ist, Hütte ja das nichts zu sagen. Aber sie ist nun einmal stark mit klerikalen Elementen durchsetzt, und das ist vom Übel. Die Kirche ist nur segensreich, wenn sie sich auch nur um kirchliche Dinge kümmert. Sobald sie sich in staatliche Dinge mischt, wird sie unheilvoll. Wie sehr das auch von den klerikalen Elementen in der protestantischen Kirche gilt, das geht deutlich aus einer Broschüre Cremers vom vorigen Jahre hervor, worin dieser auch Stöcker scharf angreift und unter anderm sagt: ,,So lange es sich vermeiden ließ, habe ich alleu Angriffen zum Trotz darüber Silber die Feindseligkeiten des Stöcker- schen Treibens gegen den Fürsten Vismarckl geschwiegen. Nachdem aber längeres Vertuschen unmöglich geworden ist, trage ich kein Bedenken mehr, es unumwunden auszusprechen, daß die Berliner Bewegung nnter der ausschlie߬ lichen Führung des Herrn Stöcker dazu ausersehen ist, ihre Spitze gegen den Fürsten Bismarck zu richten. Auf das letztere laufe» die gesamte» Machen¬ schaften, wie sie schon längst und in letzter Zeit mit erhöhter» Eiser von der bezeichneten Stelle her betriebe« worden sind, hauptsächlich Humus." Auch was neuerdings an Intriguen gegen das Kartell aus deu Reihen der Kreuz- zeitung bekannt worden ist, dient nur dazu, Cremers Angaben zu bestätige». Zu verwundern ist da nicht viel. Hierarchen sind ihrer Natur nach überall Gegner des modernen Staates, da er ihnen überall ihre Wege kreuzt und auf sein Panier religiöse Duldung geschrieben hat, die ihnen allesamt ein Greuel ist. Zwischen päpstlichen und nichtpäpstlichen Klerikalen ist mir der Unter¬ schied, daß die einen geradeaus nach Rom blicken, die andern dahin schielen, selbst dann, wenn sie sich einmal gegen Rom stellen. Deshalb wünschen wir die Nationalliberalen und die mit ihnen verwandten Freikonservativen als Anhänger des modernen Staates, der auch die Kirche als ein Glied des Ganzen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/260>, abgerufen am 01.10.2024.