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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Zur Geschichte von dem kranken Rönigssohne

dem Sohne der Lycophronia, der die schon erwähnte Sophonisbe liebt, von
der es heißt, sie sei ans Befehl des Seleukus vergiftet worden, damit sie nicht
die Gemahlin des Antiochus werde. Ungekannt begiebt sich dieser nach Da¬
maskus und weiß bald nicht nur die Gunst der Hofgesellschaft, sondern auch
das Vertrauen des Antiochus zu gewinnen. Die beiden Verschwornen bestechen
den Arzt Hermogenes, daß er es unternimmt, den König zu vergiften, und
als der Versuch fehlschlägt, wird der ungeschickte Helfershelfer von Climenes
getötet. Aber noch in seinem Blute schwimmend vermag er einem Priester,
der ihn aufgefunden hat, ein Bekenntnis abzulegen. So kommt der ganze
Handel ans Licht, Climenes wird, nachdem er alles gestanden und auch seine
Herkunft enthüllt hat, enthauptet, Clitarch dagegen begnadigt. Dann söhnt
sich auch Seleukus wieder mit dein Demetrius aus.

Und nun lenkt die Geschichte wieder in die Bahn der Überlieferung ein.
Antiochus verfüllt immer mehr und enthält sich absichtlich der Speise, um
feinen Tod zu beschleunigen. Seleukus begiebt sich oft in den mitten im
Walde gelegnen Tempel eines unbekannten Gottes, um dort zu opfern. Als
er einmal während der Nacht an den Stufen des Altars eingeschlafen ist, hört
er eine Stimme, die ihm zuruft: "Selcukus, laß den Erasistratus suchen! wenn
er deinen Sohn nicht heilt, ist dessen Tod unvermeidlich." Der Gesuchte findet
sich bald unter deu Einwohnern von Damaskus, und er wird samt seinem
jungen Weibe Polybia, "die alle andern an Schönheit ebenso übertrifft, wie
sie selbst von der Stratonica übertroffen wird," an den Hof des Königs be¬
schicken. Das weitere brauche ich nicht zu erzählen; die Kur des Erasitratus
ist dieselbe, wie sie aus den griechischen Berichten bekannt geworden ist.

Aber der Roman des Assarino hat noch ein Nachspiel. LatAstroto üsllu,
8trg.tenia;g,. Ilidro <ing.re>c> -- so lautet der Titel einer Erzählung, als deren
Verfasser sich Giovanni Battista Cartolari nennt und die 1641 in Ferrara er¬
schienen ist. Es ist ein fratzenhaftes Werk, das im Gegensatze zu Assarinvs
Roman die andre Seite des Marinismus, das Wohlgefallen am Häßlichen und
Schrecklichen, zeigt. Der Verfasser ist entrüstet über den glücklichen Ausgang
eines so ärgerlichen Liebeshandels und läßt in seiner Darstellung über das
blutschänderische Paar wie über den schwachen Seleukus die gerechte Strafe
hereinbrechen. Dabei leistet er an grotesker Erfindung und schwülstiger Schreib¬
art das Menschenmögliche. Natürlich müssen auch die Hauptpersonen in ver¬
änderter Beleuchtung erscheinen. Grobe Sinnlichkeit ist die Triebfeder ihrer
Neigung, die der Verfasser gehörig auszumalen bemüht ist, und der edelmütige
Verzicht des Selenkus wird als thörichte, greisenhafte Schwäche bezeichnet.
Das elende Machwerk beginnt mit einer ins unglaubliche übertriebnen'
Darstellung der Festlichkeiten, die bei der Vermählung des Antiochus und der
Stratonica veranstaltet werden. Aber inmitten des Freudenrausches naht
bereits das Verderben. Wie dies wirkungsvoll dargestellt werden kann, zeigt


Zur Geschichte von dem kranken Rönigssohne

dem Sohne der Lycophronia, der die schon erwähnte Sophonisbe liebt, von
der es heißt, sie sei ans Befehl des Seleukus vergiftet worden, damit sie nicht
die Gemahlin des Antiochus werde. Ungekannt begiebt sich dieser nach Da¬
maskus und weiß bald nicht nur die Gunst der Hofgesellschaft, sondern auch
das Vertrauen des Antiochus zu gewinnen. Die beiden Verschwornen bestechen
den Arzt Hermogenes, daß er es unternimmt, den König zu vergiften, und
als der Versuch fehlschlägt, wird der ungeschickte Helfershelfer von Climenes
getötet. Aber noch in seinem Blute schwimmend vermag er einem Priester,
der ihn aufgefunden hat, ein Bekenntnis abzulegen. So kommt der ganze
Handel ans Licht, Climenes wird, nachdem er alles gestanden und auch seine
Herkunft enthüllt hat, enthauptet, Clitarch dagegen begnadigt. Dann söhnt
sich auch Seleukus wieder mit dein Demetrius aus.

Und nun lenkt die Geschichte wieder in die Bahn der Überlieferung ein.
Antiochus verfüllt immer mehr und enthält sich absichtlich der Speise, um
feinen Tod zu beschleunigen. Seleukus begiebt sich oft in den mitten im
Walde gelegnen Tempel eines unbekannten Gottes, um dort zu opfern. Als
er einmal während der Nacht an den Stufen des Altars eingeschlafen ist, hört
er eine Stimme, die ihm zuruft: „Selcukus, laß den Erasistratus suchen! wenn
er deinen Sohn nicht heilt, ist dessen Tod unvermeidlich." Der Gesuchte findet
sich bald unter deu Einwohnern von Damaskus, und er wird samt seinem
jungen Weibe Polybia, „die alle andern an Schönheit ebenso übertrifft, wie
sie selbst von der Stratonica übertroffen wird," an den Hof des Königs be¬
schicken. Das weitere brauche ich nicht zu erzählen; die Kur des Erasitratus
ist dieselbe, wie sie aus den griechischen Berichten bekannt geworden ist.

Aber der Roman des Assarino hat noch ein Nachspiel. LatAstroto üsllu,
8trg.tenia;g,. Ilidro <ing.re>c> — so lautet der Titel einer Erzählung, als deren
Verfasser sich Giovanni Battista Cartolari nennt und die 1641 in Ferrara er¬
schienen ist. Es ist ein fratzenhaftes Werk, das im Gegensatze zu Assarinvs
Roman die andre Seite des Marinismus, das Wohlgefallen am Häßlichen und
Schrecklichen, zeigt. Der Verfasser ist entrüstet über den glücklichen Ausgang
eines so ärgerlichen Liebeshandels und läßt in seiner Darstellung über das
blutschänderische Paar wie über den schwachen Seleukus die gerechte Strafe
hereinbrechen. Dabei leistet er an grotesker Erfindung und schwülstiger Schreib¬
art das Menschenmögliche. Natürlich müssen auch die Hauptpersonen in ver¬
änderter Beleuchtung erscheinen. Grobe Sinnlichkeit ist die Triebfeder ihrer
Neigung, die der Verfasser gehörig auszumalen bemüht ist, und der edelmütige
Verzicht des Selenkus wird als thörichte, greisenhafte Schwäche bezeichnet.
Das elende Machwerk beginnt mit einer ins unglaubliche übertriebnen'
Darstellung der Festlichkeiten, die bei der Vermählung des Antiochus und der
Stratonica veranstaltet werden. Aber inmitten des Freudenrausches naht
bereits das Verderben. Wie dies wirkungsvoll dargestellt werden kann, zeigt


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[0242] Zur Geschichte von dem kranken Rönigssohne dem Sohne der Lycophronia, der die schon erwähnte Sophonisbe liebt, von der es heißt, sie sei ans Befehl des Seleukus vergiftet worden, damit sie nicht die Gemahlin des Antiochus werde. Ungekannt begiebt sich dieser nach Da¬ maskus und weiß bald nicht nur die Gunst der Hofgesellschaft, sondern auch das Vertrauen des Antiochus zu gewinnen. Die beiden Verschwornen bestechen den Arzt Hermogenes, daß er es unternimmt, den König zu vergiften, und als der Versuch fehlschlägt, wird der ungeschickte Helfershelfer von Climenes getötet. Aber noch in seinem Blute schwimmend vermag er einem Priester, der ihn aufgefunden hat, ein Bekenntnis abzulegen. So kommt der ganze Handel ans Licht, Climenes wird, nachdem er alles gestanden und auch seine Herkunft enthüllt hat, enthauptet, Clitarch dagegen begnadigt. Dann söhnt sich auch Seleukus wieder mit dein Demetrius aus. Und nun lenkt die Geschichte wieder in die Bahn der Überlieferung ein. Antiochus verfüllt immer mehr und enthält sich absichtlich der Speise, um feinen Tod zu beschleunigen. Seleukus begiebt sich oft in den mitten im Walde gelegnen Tempel eines unbekannten Gottes, um dort zu opfern. Als er einmal während der Nacht an den Stufen des Altars eingeschlafen ist, hört er eine Stimme, die ihm zuruft: „Selcukus, laß den Erasistratus suchen! wenn er deinen Sohn nicht heilt, ist dessen Tod unvermeidlich." Der Gesuchte findet sich bald unter deu Einwohnern von Damaskus, und er wird samt seinem jungen Weibe Polybia, „die alle andern an Schönheit ebenso übertrifft, wie sie selbst von der Stratonica übertroffen wird," an den Hof des Königs be¬ schicken. Das weitere brauche ich nicht zu erzählen; die Kur des Erasitratus ist dieselbe, wie sie aus den griechischen Berichten bekannt geworden ist. Aber der Roman des Assarino hat noch ein Nachspiel. LatAstroto üsllu, 8trg.tenia;g,. Ilidro <ing.re>c> — so lautet der Titel einer Erzählung, als deren Verfasser sich Giovanni Battista Cartolari nennt und die 1641 in Ferrara er¬ schienen ist. Es ist ein fratzenhaftes Werk, das im Gegensatze zu Assarinvs Roman die andre Seite des Marinismus, das Wohlgefallen am Häßlichen und Schrecklichen, zeigt. Der Verfasser ist entrüstet über den glücklichen Ausgang eines so ärgerlichen Liebeshandels und läßt in seiner Darstellung über das blutschänderische Paar wie über den schwachen Seleukus die gerechte Strafe hereinbrechen. Dabei leistet er an grotesker Erfindung und schwülstiger Schreib¬ art das Menschenmögliche. Natürlich müssen auch die Hauptpersonen in ver¬ änderter Beleuchtung erscheinen. Grobe Sinnlichkeit ist die Triebfeder ihrer Neigung, die der Verfasser gehörig auszumalen bemüht ist, und der edelmütige Verzicht des Selenkus wird als thörichte, greisenhafte Schwäche bezeichnet. Das elende Machwerk beginnt mit einer ins unglaubliche übertriebnen' Darstellung der Festlichkeiten, die bei der Vermählung des Antiochus und der Stratonica veranstaltet werden. Aber inmitten des Freudenrausches naht bereits das Verderben. Wie dies wirkungsvoll dargestellt werden kann, zeigt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/242>, abgerufen am 23.07.2024.