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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Zur Geschichte von dem kranken Uönigssohne

Eine Episode, die von der Liebe der Sophonisbe, einer Verwandten und Be¬
gleiterin der Stratoniea, handelt, soll hier nur angedeutet werden. Als
Sophomsbe merkt, daß ihre Gefühle nicht erwidert werden, kehrt sie in die
Heimat zurück, wo sie einen plötzlichen Tod findet. Nntiochus, durch einen
zurückgelassenen Brief von ihrer heißen Liebe in Kenntnis gesetzt, wird tief
gerührt und antwortet in einem zärtlichen Schreiben, das jedoch zu spät
kommt. Nach dieser kleinen Unterbrechung erwacht seine Leidenschaft für die
Stiefmutter mit erneuter Heftigkeit. Stratoniea, unfähig, sich auszusprechen,
verzehrt sich in geheimem Gram. Da entdeckt ihre alte Amme und mütterliche
Freundin Lycophrvnia den Zustand ihres Gemütes und macht ihr die leb¬
haftesten Vorstellungen. Stratoniea ist völlig zerknirscht, und der Ausdruck
ihrer Neue ist ebenso überschwänglich wie die eben erst überwundne Leiden¬
schaft. "Und sollten meine Thränen auch ein Jahrhundert fließen -- sagt sie --,
es würde uicht Wasser genug sein, um mich rein zu waschen!" Sie ändert
nunmehr ihr Betragen gegen den Antiochus, sie ist kühl und zurückweisend und
meidet seinen Verkehr. Das bringt den Jüngling fast zur Verzweiflung. Er
sucht Zerstreuung im Lesen, im Spiel und in der Jagd. Er spielt, um zu ver¬
lieren. "Denn jeder Gewinn, der nicht in der Gunst der Königin besteht, dünkt
ihm ein Frevel zu sein." Jagend durchstreift er die Berge und Wälder und
sucht die Einsamkeit. Da legt er, unter einem schattigen Baum gelagert, sein
Haupt auf einen Stein, "der ohne Zweifel nicht so hart ist, als das Herz der
Stratoniea," und überläßt sich seinen Gedanken. Ein kühnes Jagdabenteuer
zeigt noch einmal seine Kraft und Geschicklichkeit in hellstem Lichte. Dann
wird er krank und schwach und verliert die Lust zu Speise und Trank. Man
hörte nur abgerissene Seufzer, "die wie schwache Kanonenschläge verkündigten,
daß der Tod schon Bresche gelegt hatte in die Burg seines Herzens." Er
wünscht den Hof zu verlassen, und schon sind alle Vorbereitungen zur Abreise
getroffen, als ihn ein plötzliches Fieber aufs Krankenlager wirft. Die Ärzte
sind ratlos und bekämpfen sich gegenseitig in erbittertem Streit. Da kommen
^ seltsam genug -- die Höflinge auf den Einfall, durch ein im Kranken¬
zimmer veranstaltetes Ballet die Lebensgeister des Antiochus zu wecken.
Während der Vorstellung wird plötzlich Seleukus von einer Ohnmacht ergriffen,
und nun enthüllt sich die schon besprochene Intrigue gegen das Leben des
Königs. Der Streit der Ärzte ist die Ursache des Anschlages. Der eine von
ehren, Hermogenes, durch seinen Nebenbuhler aus der Gunst des Königs ver¬
drängt, schreibt einen lügenhaften Brief an Demetrius, des Inhalts, daß
Seleukus ihm nach dem Leben trachte. Seleukus ist entschlossen, sich zu
wichen, und setzt sich in Verbindung mit Clitarchus, einem Anverwandten
des Seleneidenhcmses, der in heftiger Leidenschaft für die Stratoniea entbrannt
und, um diese zu gewinnen, den König aus dem Wege zu schaffen bereit ist.
^ni andres Werkzeug findet Demetrius in einem seiner Höflinge, dem Climeues,


Grenzboten I 1890 30
Zur Geschichte von dem kranken Uönigssohne

Eine Episode, die von der Liebe der Sophonisbe, einer Verwandten und Be¬
gleiterin der Stratoniea, handelt, soll hier nur angedeutet werden. Als
Sophomsbe merkt, daß ihre Gefühle nicht erwidert werden, kehrt sie in die
Heimat zurück, wo sie einen plötzlichen Tod findet. Nntiochus, durch einen
zurückgelassenen Brief von ihrer heißen Liebe in Kenntnis gesetzt, wird tief
gerührt und antwortet in einem zärtlichen Schreiben, das jedoch zu spät
kommt. Nach dieser kleinen Unterbrechung erwacht seine Leidenschaft für die
Stiefmutter mit erneuter Heftigkeit. Stratoniea, unfähig, sich auszusprechen,
verzehrt sich in geheimem Gram. Da entdeckt ihre alte Amme und mütterliche
Freundin Lycophrvnia den Zustand ihres Gemütes und macht ihr die leb¬
haftesten Vorstellungen. Stratoniea ist völlig zerknirscht, und der Ausdruck
ihrer Neue ist ebenso überschwänglich wie die eben erst überwundne Leiden¬
schaft. „Und sollten meine Thränen auch ein Jahrhundert fließen — sagt sie —,
es würde uicht Wasser genug sein, um mich rein zu waschen!" Sie ändert
nunmehr ihr Betragen gegen den Antiochus, sie ist kühl und zurückweisend und
meidet seinen Verkehr. Das bringt den Jüngling fast zur Verzweiflung. Er
sucht Zerstreuung im Lesen, im Spiel und in der Jagd. Er spielt, um zu ver¬
lieren. „Denn jeder Gewinn, der nicht in der Gunst der Königin besteht, dünkt
ihm ein Frevel zu sein." Jagend durchstreift er die Berge und Wälder und
sucht die Einsamkeit. Da legt er, unter einem schattigen Baum gelagert, sein
Haupt auf einen Stein, „der ohne Zweifel nicht so hart ist, als das Herz der
Stratoniea," und überläßt sich seinen Gedanken. Ein kühnes Jagdabenteuer
zeigt noch einmal seine Kraft und Geschicklichkeit in hellstem Lichte. Dann
wird er krank und schwach und verliert die Lust zu Speise und Trank. Man
hörte nur abgerissene Seufzer, „die wie schwache Kanonenschläge verkündigten,
daß der Tod schon Bresche gelegt hatte in die Burg seines Herzens." Er
wünscht den Hof zu verlassen, und schon sind alle Vorbereitungen zur Abreise
getroffen, als ihn ein plötzliches Fieber aufs Krankenlager wirft. Die Ärzte
sind ratlos und bekämpfen sich gegenseitig in erbittertem Streit. Da kommen
^ seltsam genug — die Höflinge auf den Einfall, durch ein im Kranken¬
zimmer veranstaltetes Ballet die Lebensgeister des Antiochus zu wecken.
Während der Vorstellung wird plötzlich Seleukus von einer Ohnmacht ergriffen,
und nun enthüllt sich die schon besprochene Intrigue gegen das Leben des
Königs. Der Streit der Ärzte ist die Ursache des Anschlages. Der eine von
ehren, Hermogenes, durch seinen Nebenbuhler aus der Gunst des Königs ver¬
drängt, schreibt einen lügenhaften Brief an Demetrius, des Inhalts, daß
Seleukus ihm nach dem Leben trachte. Seleukus ist entschlossen, sich zu
wichen, und setzt sich in Verbindung mit Clitarchus, einem Anverwandten
des Seleneidenhcmses, der in heftiger Leidenschaft für die Stratoniea entbrannt
und, um diese zu gewinnen, den König aus dem Wege zu schaffen bereit ist.
^ni andres Werkzeug findet Demetrius in einem seiner Höflinge, dem Climeues,


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[0241] Zur Geschichte von dem kranken Uönigssohne Eine Episode, die von der Liebe der Sophonisbe, einer Verwandten und Be¬ gleiterin der Stratoniea, handelt, soll hier nur angedeutet werden. Als Sophomsbe merkt, daß ihre Gefühle nicht erwidert werden, kehrt sie in die Heimat zurück, wo sie einen plötzlichen Tod findet. Nntiochus, durch einen zurückgelassenen Brief von ihrer heißen Liebe in Kenntnis gesetzt, wird tief gerührt und antwortet in einem zärtlichen Schreiben, das jedoch zu spät kommt. Nach dieser kleinen Unterbrechung erwacht seine Leidenschaft für die Stiefmutter mit erneuter Heftigkeit. Stratoniea, unfähig, sich auszusprechen, verzehrt sich in geheimem Gram. Da entdeckt ihre alte Amme und mütterliche Freundin Lycophrvnia den Zustand ihres Gemütes und macht ihr die leb¬ haftesten Vorstellungen. Stratoniea ist völlig zerknirscht, und der Ausdruck ihrer Neue ist ebenso überschwänglich wie die eben erst überwundne Leiden¬ schaft. „Und sollten meine Thränen auch ein Jahrhundert fließen — sagt sie —, es würde uicht Wasser genug sein, um mich rein zu waschen!" Sie ändert nunmehr ihr Betragen gegen den Antiochus, sie ist kühl und zurückweisend und meidet seinen Verkehr. Das bringt den Jüngling fast zur Verzweiflung. Er sucht Zerstreuung im Lesen, im Spiel und in der Jagd. Er spielt, um zu ver¬ lieren. „Denn jeder Gewinn, der nicht in der Gunst der Königin besteht, dünkt ihm ein Frevel zu sein." Jagend durchstreift er die Berge und Wälder und sucht die Einsamkeit. Da legt er, unter einem schattigen Baum gelagert, sein Haupt auf einen Stein, „der ohne Zweifel nicht so hart ist, als das Herz der Stratoniea," und überläßt sich seinen Gedanken. Ein kühnes Jagdabenteuer zeigt noch einmal seine Kraft und Geschicklichkeit in hellstem Lichte. Dann wird er krank und schwach und verliert die Lust zu Speise und Trank. Man hörte nur abgerissene Seufzer, „die wie schwache Kanonenschläge verkündigten, daß der Tod schon Bresche gelegt hatte in die Burg seines Herzens." Er wünscht den Hof zu verlassen, und schon sind alle Vorbereitungen zur Abreise getroffen, als ihn ein plötzliches Fieber aufs Krankenlager wirft. Die Ärzte sind ratlos und bekämpfen sich gegenseitig in erbittertem Streit. Da kommen ^ seltsam genug — die Höflinge auf den Einfall, durch ein im Kranken¬ zimmer veranstaltetes Ballet die Lebensgeister des Antiochus zu wecken. Während der Vorstellung wird plötzlich Seleukus von einer Ohnmacht ergriffen, und nun enthüllt sich die schon besprochene Intrigue gegen das Leben des Königs. Der Streit der Ärzte ist die Ursache des Anschlages. Der eine von ehren, Hermogenes, durch seinen Nebenbuhler aus der Gunst des Königs ver¬ drängt, schreibt einen lügenhaften Brief an Demetrius, des Inhalts, daß Seleukus ihm nach dem Leben trachte. Seleukus ist entschlossen, sich zu wichen, und setzt sich in Verbindung mit Clitarchus, einem Anverwandten des Seleneidenhcmses, der in heftiger Leidenschaft für die Stratoniea entbrannt und, um diese zu gewinnen, den König aus dem Wege zu schaffen bereit ist. ^ni andres Werkzeug findet Demetrius in einem seiner Höflinge, dem Climeues, Grenzboten I 1890 30

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/241>, abgerufen am 23.07.2024.