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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Inr Geschichte von dem kranken Kd'nigssohne

dichterische" Schöpfungen giebt. Den Reigen eröffnet der Italiener LueaAssarino,
der in Sevilla geboren und im Jahre 1662 in Turin gestorben ist") Sein
1635 in Venedig erschienener, aus drei Büchern bestehender Roman 8trg.toni"a
hat seinerzeit großen Beifall gefunden und ist auch ins Französische und Deutsche
übersetzt worden. Das Werk ist ein klassisches Denkmal jener Geschmacksrichtung,
die von Spanien ausgehend sich im siebzehnten Jahrhundert über ganz Europa
verbreitete und nach einem ihrer Hauptvertreter Marinismus genannt oder auch
schechtweg als Schwulst bezeichnet wird. Es ist der Stil der Unnatur, die sich
in der Erfindung und namentlich auch im Ausdrucke kundgiebt und sich in
maßloser Übertreibung, sei es nach der Seite einer süßlichen Geziertheit oder
einer Vorliebe für das Häßliche und Abschreckende, äußert. Assarino neigt in
seiner 3trg.touioÄ mehr zu dem ersten dieser Fehler. Er schwelgt in der Aus¬
malung glänzender Feste und behängt vor den Augen seiner Leser die Körper
seiner unvergleichlich schönen Damen mit der wunderbarsten Kleiderpracht. Er
wendet die kühusten Steigerungen an, um den Eindruck weiblicher Schönheit
"der gnr die Gefühle vou Liebenden deutlich zu macheu, und er gefällt sich in
gesuchten Vergleichen, eindrucksvoller Betrachtungen, hochtrabenden Ausdrücken,
gelehrten Anspielungen, überschwänglichen Apostrophen und Ausrufen, kurz, seine
Schreibart ist die "kostbare," die sich auch bei Nichtigkeiten spreizt und aufbläht
und um jeden Preis geistreich sein will. Durch solche Mittel weiß er seinen
dürftigen Stoff zu einer ansehnlichen Breite aufzubauschen. Gleichwohl würde
ihm nicht gelungen sein, drei Bücher zu füllen, wenn er nicht durch eigne
Erfindungen verschiedner Güte die magere Überlieferung bereichert hätte. Von
diesen ist die ausführlichste die, die von einem Anschlage auf das Leben des
^eleukus handelt, und die in Bezug auf Anlage und Durchführung gar nicht
übel ist, aber leider weitab vom Ziele führt und deutlich verrät, daß es dem
dichter nnr um die Erweiterung seiner Fabel zu thun war. Viel übler steht
^ um die Charnkterzeichuuug. Seleutus, Antiochus. Stratouiea sind Schatten
"hre Fleisch und Blut, Modesiguren nach dem Geiste jeuer Zeit, die beiden
^'htgenannten ebenso verliebt wie tugendhaft und in jeder Hinsicht die Muster
ihres Geschlechtes, Selenkus von einer grenzenlosen Zärtlichkeit und einem
grenzenlosen Edelmute, der tarin einmal durch den Schatte" einer aufsteigenden
^espotenlaune getrübt wird. Nur einigen Nebenfiguren, besonders dem weit-
^fahrenen, ebenso energischen wie verschlagenen Climenes, hat der Dichter in¬
dividuelle Züge zu geben verstanden. Eine kurze Übersicht wird wenigstens
com Teil des Gesagten bestätigen.

Stratoniea, des Demetrius Tochter, hat die ganze Welt mit dem Ruf



Die obenstehenden Angaben sind der Uonvollg IZinN'-rxliis Milvi-lUs entnommen, wo
""es ein Verzeichnis der zahlreichen Werke des Dichters zu finden ist. Derselben Quelle zu-
!"lge hat er zeitweilig um Hofe zu Mantua gelebt. Unerwähnt geblieben ist sein Anfenhalt
" Genua, wo er doch unes eigener Angabe die Antonio-,, vollendet hat.
Inr Geschichte von dem kranken Kd'nigssohne

dichterische» Schöpfungen giebt. Den Reigen eröffnet der Italiener LueaAssarino,
der in Sevilla geboren und im Jahre 1662 in Turin gestorben ist") Sein
1635 in Venedig erschienener, aus drei Büchern bestehender Roman 8trg.toni«a
hat seinerzeit großen Beifall gefunden und ist auch ins Französische und Deutsche
übersetzt worden. Das Werk ist ein klassisches Denkmal jener Geschmacksrichtung,
die von Spanien ausgehend sich im siebzehnten Jahrhundert über ganz Europa
verbreitete und nach einem ihrer Hauptvertreter Marinismus genannt oder auch
schechtweg als Schwulst bezeichnet wird. Es ist der Stil der Unnatur, die sich
in der Erfindung und namentlich auch im Ausdrucke kundgiebt und sich in
maßloser Übertreibung, sei es nach der Seite einer süßlichen Geziertheit oder
einer Vorliebe für das Häßliche und Abschreckende, äußert. Assarino neigt in
seiner 3trg.touioÄ mehr zu dem ersten dieser Fehler. Er schwelgt in der Aus¬
malung glänzender Feste und behängt vor den Augen seiner Leser die Körper
seiner unvergleichlich schönen Damen mit der wunderbarsten Kleiderpracht. Er
wendet die kühusten Steigerungen an, um den Eindruck weiblicher Schönheit
"der gnr die Gefühle vou Liebenden deutlich zu macheu, und er gefällt sich in
gesuchten Vergleichen, eindrucksvoller Betrachtungen, hochtrabenden Ausdrücken,
gelehrten Anspielungen, überschwänglichen Apostrophen und Ausrufen, kurz, seine
Schreibart ist die „kostbare," die sich auch bei Nichtigkeiten spreizt und aufbläht
und um jeden Preis geistreich sein will. Durch solche Mittel weiß er seinen
dürftigen Stoff zu einer ansehnlichen Breite aufzubauschen. Gleichwohl würde
ihm nicht gelungen sein, drei Bücher zu füllen, wenn er nicht durch eigne
Erfindungen verschiedner Güte die magere Überlieferung bereichert hätte. Von
diesen ist die ausführlichste die, die von einem Anschlage auf das Leben des
^eleukus handelt, und die in Bezug auf Anlage und Durchführung gar nicht
übel ist, aber leider weitab vom Ziele führt und deutlich verrät, daß es dem
dichter nnr um die Erweiterung seiner Fabel zu thun war. Viel übler steht
^ um die Charnkterzeichuuug. Seleutus, Antiochus. Stratouiea sind Schatten
"hre Fleisch und Blut, Modesiguren nach dem Geiste jeuer Zeit, die beiden
^'htgenannten ebenso verliebt wie tugendhaft und in jeder Hinsicht die Muster
ihres Geschlechtes, Selenkus von einer grenzenlosen Zärtlichkeit und einem
grenzenlosen Edelmute, der tarin einmal durch den Schatte» einer aufsteigenden
^espotenlaune getrübt wird. Nur einigen Nebenfiguren, besonders dem weit-
^fahrenen, ebenso energischen wie verschlagenen Climenes, hat der Dichter in¬
dividuelle Züge zu geben verstanden. Eine kurze Übersicht wird wenigstens
com Teil des Gesagten bestätigen.

Stratoniea, des Demetrius Tochter, hat die ganze Welt mit dem Ruf



Die obenstehenden Angaben sind der Uonvollg IZinN'-rxliis Milvi-lUs entnommen, wo
""es ein Verzeichnis der zahlreichen Werke des Dichters zu finden ist. Derselben Quelle zu-
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" Genua, wo er doch unes eigener Angabe die Antonio-,, vollendet hat.
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[0239] Inr Geschichte von dem kranken Kd'nigssohne dichterische» Schöpfungen giebt. Den Reigen eröffnet der Italiener LueaAssarino, der in Sevilla geboren und im Jahre 1662 in Turin gestorben ist") Sein 1635 in Venedig erschienener, aus drei Büchern bestehender Roman 8trg.toni«a hat seinerzeit großen Beifall gefunden und ist auch ins Französische und Deutsche übersetzt worden. Das Werk ist ein klassisches Denkmal jener Geschmacksrichtung, die von Spanien ausgehend sich im siebzehnten Jahrhundert über ganz Europa verbreitete und nach einem ihrer Hauptvertreter Marinismus genannt oder auch schechtweg als Schwulst bezeichnet wird. Es ist der Stil der Unnatur, die sich in der Erfindung und namentlich auch im Ausdrucke kundgiebt und sich in maßloser Übertreibung, sei es nach der Seite einer süßlichen Geziertheit oder einer Vorliebe für das Häßliche und Abschreckende, äußert. Assarino neigt in seiner 3trg.touioÄ mehr zu dem ersten dieser Fehler. Er schwelgt in der Aus¬ malung glänzender Feste und behängt vor den Augen seiner Leser die Körper seiner unvergleichlich schönen Damen mit der wunderbarsten Kleiderpracht. Er wendet die kühusten Steigerungen an, um den Eindruck weiblicher Schönheit "der gnr die Gefühle vou Liebenden deutlich zu macheu, und er gefällt sich in gesuchten Vergleichen, eindrucksvoller Betrachtungen, hochtrabenden Ausdrücken, gelehrten Anspielungen, überschwänglichen Apostrophen und Ausrufen, kurz, seine Schreibart ist die „kostbare," die sich auch bei Nichtigkeiten spreizt und aufbläht und um jeden Preis geistreich sein will. Durch solche Mittel weiß er seinen dürftigen Stoff zu einer ansehnlichen Breite aufzubauschen. Gleichwohl würde ihm nicht gelungen sein, drei Bücher zu füllen, wenn er nicht durch eigne Erfindungen verschiedner Güte die magere Überlieferung bereichert hätte. Von diesen ist die ausführlichste die, die von einem Anschlage auf das Leben des ^eleukus handelt, und die in Bezug auf Anlage und Durchführung gar nicht übel ist, aber leider weitab vom Ziele führt und deutlich verrät, daß es dem dichter nnr um die Erweiterung seiner Fabel zu thun war. Viel übler steht ^ um die Charnkterzeichuuug. Seleutus, Antiochus. Stratouiea sind Schatten "hre Fleisch und Blut, Modesiguren nach dem Geiste jeuer Zeit, die beiden ^'htgenannten ebenso verliebt wie tugendhaft und in jeder Hinsicht die Muster ihres Geschlechtes, Selenkus von einer grenzenlosen Zärtlichkeit und einem grenzenlosen Edelmute, der tarin einmal durch den Schatte» einer aufsteigenden ^espotenlaune getrübt wird. Nur einigen Nebenfiguren, besonders dem weit- ^fahrenen, ebenso energischen wie verschlagenen Climenes, hat der Dichter in¬ dividuelle Züge zu geben verstanden. Eine kurze Übersicht wird wenigstens com Teil des Gesagten bestätigen. Stratoniea, des Demetrius Tochter, hat die ganze Welt mit dem Ruf Die obenstehenden Angaben sind der Uonvollg IZinN'-rxliis Milvi-lUs entnommen, wo ""es ein Verzeichnis der zahlreichen Werke des Dichters zu finden ist. Derselben Quelle zu- !"lge hat er zeitweilig um Hofe zu Mantua gelebt. Unerwähnt geblieben ist sein Anfenhalt " Genua, wo er doch unes eigener Angabe die Antonio-,, vollendet hat.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/239>, abgerufen am 23.07.2024.