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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Zur Geschichte von dem kranken Aönigssohne

abu gestorben sei, ihn mit allen Ehren zu bestatten. Von Ailills
eignem Weibe ist dabei auffallenderweise nicht die Rede. Da bringt n"n
Etain eines Tages das Gespräch ans die Leiden des ihr anvertrauten Kranken
und erfahrt so ihren wirklichen Grund. Bon Mitleid bewegt, sagt sie it,in
die Erfüllung seiner Wünsche zu und ladet ihn zu eiuer heimlichen Zusammen-
kunft ein. Aber Ailill versäumt die verabredete Stunde, weil er gerade um
jene Zeit in einen tiefen Schlaf versunken ist. Etain aber erblickt an dem
Verabredeten Orte einen Mann, der Ailill gleich sieht und auch schwach und
krank ist wie jener. Gleichwohl erkennt sie, daß es nicht Ailill ist. Sie kehrt
daher um und teilt dem Kranken mit, was sich begeben hat, wogegen sie von
diesem den Grund seines Nichterscheinens erfährt. Sie bestellt ihn nnn auf
den nächsten Tag wieder, aber ihre Absicht wird in derselben Weise vereitelt,
und so auch das drittemal. Jetzt aber fragt sie den Unbekannten nach dem
Grunde seines Kommens und erführe von ihm, daß er Mider ist, der König
der Side von Brig Lund, dem Etain früher als Gattin angehört hat, bis sie
ihm durch Zauberkünste entrissen wurde. Er fragt sie, ob sie ihm folgen
wolle. Aber Etain lehnt dies ab mit dem seltsamen Grunde, daß sie nicht
den König von Erin zu Gunsten eines Mannes, dessen Namen und Geschlecht
sie gar nicht kenne, verlassen wolle. Mider ist darüber keineswegs erzürnt,
sondern eröffnet ihr weiter, daß er es sei, der die Leidenschaft in Ailills Seele
gelegt, ihn aber mich von der Zusammenkunft mit Etain abgehalten und so
deren Ehre gerettet habe. Ailill wird alsbald gesund, und der König dankt nach
seiner Rückkehr Etain für das, was sie an seinem Bruder gethan hat.

In der Fortsetzung der Geschichte wird berichtet, wie Etain später von
Mider geraubt wird und verschwindet. Da wendet sich Evchaid nu den weisen
Druiden Dalau, der ihm mittels eines Nnnenzanbcrs den Aufenthalt der Gattin
enthüllt und ihm den Rat giebt, ein Heer zu rüsten und in Midcrs Land
Anzufallen. Dies geschieht, und die Geraubte wird befreit.

Die Entstehung und Zusammensetzung dieser wunderlichen, schlecht mott¬
eten, lückenhaften, ja widerspruchsvollen Sage zu verfolgen ist hier nicht der
^t. Nur zweierlei mag bemerkt werden: erstens hat allem Anschein nach der
Streit um den Besitz Elams, jenes uralte, vielfach behandelte Thema des
Fraueuraubes, ursprünglich mit der Krankheitsgeschichte AilillS nichts zu
schaffen; sodann ist das Verhalten Miders, des Sidenkönigs, so widersinnig
und die Heilung Ailills so wenig begründet, das; man ans den Gedanken
kommen muß, der Schluß der Erzählung habe ursprünglich anders gelautet:
^drin habe dem Liebeskranken wirklich ihre Gunst gewährt und ihn so vom
Tode errettet.

Hier handelt sichs lediglich "in die Frage, ob die Geschichte von Ailills
',^arti>eit auf eignem Boden gewachsen oder ans der Fremde bezogen worden
'se- Nun ist ja Liebe und Liebeskraukheit etwas so Gewöhnliches, daß aus


Zur Geschichte von dem kranken Aönigssohne

abu gestorben sei, ihn mit allen Ehren zu bestatten. Von Ailills
eignem Weibe ist dabei auffallenderweise nicht die Rede. Da bringt n»n
Etain eines Tages das Gespräch ans die Leiden des ihr anvertrauten Kranken
und erfahrt so ihren wirklichen Grund. Bon Mitleid bewegt, sagt sie it,in
die Erfüllung seiner Wünsche zu und ladet ihn zu eiuer heimlichen Zusammen-
kunft ein. Aber Ailill versäumt die verabredete Stunde, weil er gerade um
jene Zeit in einen tiefen Schlaf versunken ist. Etain aber erblickt an dem
Verabredeten Orte einen Mann, der Ailill gleich sieht und auch schwach und
krank ist wie jener. Gleichwohl erkennt sie, daß es nicht Ailill ist. Sie kehrt
daher um und teilt dem Kranken mit, was sich begeben hat, wogegen sie von
diesem den Grund seines Nichterscheinens erfährt. Sie bestellt ihn nnn auf
den nächsten Tag wieder, aber ihre Absicht wird in derselben Weise vereitelt,
und so auch das drittemal. Jetzt aber fragt sie den Unbekannten nach dem
Grunde seines Kommens und erführe von ihm, daß er Mider ist, der König
der Side von Brig Lund, dem Etain früher als Gattin angehört hat, bis sie
ihm durch Zauberkünste entrissen wurde. Er fragt sie, ob sie ihm folgen
wolle. Aber Etain lehnt dies ab mit dem seltsamen Grunde, daß sie nicht
den König von Erin zu Gunsten eines Mannes, dessen Namen und Geschlecht
sie gar nicht kenne, verlassen wolle. Mider ist darüber keineswegs erzürnt,
sondern eröffnet ihr weiter, daß er es sei, der die Leidenschaft in Ailills Seele
gelegt, ihn aber mich von der Zusammenkunft mit Etain abgehalten und so
deren Ehre gerettet habe. Ailill wird alsbald gesund, und der König dankt nach
seiner Rückkehr Etain für das, was sie an seinem Bruder gethan hat.

In der Fortsetzung der Geschichte wird berichtet, wie Etain später von
Mider geraubt wird und verschwindet. Da wendet sich Evchaid nu den weisen
Druiden Dalau, der ihm mittels eines Nnnenzanbcrs den Aufenthalt der Gattin
enthüllt und ihm den Rat giebt, ein Heer zu rüsten und in Midcrs Land
Anzufallen. Dies geschieht, und die Geraubte wird befreit.

Die Entstehung und Zusammensetzung dieser wunderlichen, schlecht mott¬
eten, lückenhaften, ja widerspruchsvollen Sage zu verfolgen ist hier nicht der
^t. Nur zweierlei mag bemerkt werden: erstens hat allem Anschein nach der
Streit um den Besitz Elams, jenes uralte, vielfach behandelte Thema des
Fraueuraubes, ursprünglich mit der Krankheitsgeschichte AilillS nichts zu
schaffen; sodann ist das Verhalten Miders, des Sidenkönigs, so widersinnig
und die Heilung Ailills so wenig begründet, das; man ans den Gedanken
kommen muß, der Schluß der Erzählung habe ursprünglich anders gelautet:
^drin habe dem Liebeskranken wirklich ihre Gunst gewährt und ihn so vom
Tode errettet.

Hier handelt sichs lediglich »in die Frage, ob die Geschichte von Ailills
',^arti>eit auf eignem Boden gewachsen oder ans der Fremde bezogen worden
'se- Nun ist ja Liebe und Liebeskraukheit etwas so Gewöhnliches, daß aus


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[0237] Zur Geschichte von dem kranken Aönigssohne abu gestorben sei, ihn mit allen Ehren zu bestatten. Von Ailills eignem Weibe ist dabei auffallenderweise nicht die Rede. Da bringt n»n Etain eines Tages das Gespräch ans die Leiden des ihr anvertrauten Kranken und erfahrt so ihren wirklichen Grund. Bon Mitleid bewegt, sagt sie it,in die Erfüllung seiner Wünsche zu und ladet ihn zu eiuer heimlichen Zusammen- kunft ein. Aber Ailill versäumt die verabredete Stunde, weil er gerade um jene Zeit in einen tiefen Schlaf versunken ist. Etain aber erblickt an dem Verabredeten Orte einen Mann, der Ailill gleich sieht und auch schwach und krank ist wie jener. Gleichwohl erkennt sie, daß es nicht Ailill ist. Sie kehrt daher um und teilt dem Kranken mit, was sich begeben hat, wogegen sie von diesem den Grund seines Nichterscheinens erfährt. Sie bestellt ihn nnn auf den nächsten Tag wieder, aber ihre Absicht wird in derselben Weise vereitelt, und so auch das drittemal. Jetzt aber fragt sie den Unbekannten nach dem Grunde seines Kommens und erführe von ihm, daß er Mider ist, der König der Side von Brig Lund, dem Etain früher als Gattin angehört hat, bis sie ihm durch Zauberkünste entrissen wurde. Er fragt sie, ob sie ihm folgen wolle. Aber Etain lehnt dies ab mit dem seltsamen Grunde, daß sie nicht den König von Erin zu Gunsten eines Mannes, dessen Namen und Geschlecht sie gar nicht kenne, verlassen wolle. Mider ist darüber keineswegs erzürnt, sondern eröffnet ihr weiter, daß er es sei, der die Leidenschaft in Ailills Seele gelegt, ihn aber mich von der Zusammenkunft mit Etain abgehalten und so deren Ehre gerettet habe. Ailill wird alsbald gesund, und der König dankt nach seiner Rückkehr Etain für das, was sie an seinem Bruder gethan hat. In der Fortsetzung der Geschichte wird berichtet, wie Etain später von Mider geraubt wird und verschwindet. Da wendet sich Evchaid nu den weisen Druiden Dalau, der ihm mittels eines Nnnenzanbcrs den Aufenthalt der Gattin enthüllt und ihm den Rat giebt, ein Heer zu rüsten und in Midcrs Land Anzufallen. Dies geschieht, und die Geraubte wird befreit. Die Entstehung und Zusammensetzung dieser wunderlichen, schlecht mott¬ eten, lückenhaften, ja widerspruchsvollen Sage zu verfolgen ist hier nicht der ^t. Nur zweierlei mag bemerkt werden: erstens hat allem Anschein nach der Streit um den Besitz Elams, jenes uralte, vielfach behandelte Thema des Fraueuraubes, ursprünglich mit der Krankheitsgeschichte AilillS nichts zu schaffen; sodann ist das Verhalten Miders, des Sidenkönigs, so widersinnig und die Heilung Ailills so wenig begründet, das; man ans den Gedanken kommen muß, der Schluß der Erzählung habe ursprünglich anders gelautet: ^drin habe dem Liebeskranken wirklich ihre Gunst gewährt und ihn so vom Tode errettet. Hier handelt sichs lediglich »in die Frage, ob die Geschichte von Ailills ',^arti>eit auf eignem Boden gewachsen oder ans der Fremde bezogen worden 'se- Nun ist ja Liebe und Liebeskraukheit etwas so Gewöhnliches, daß aus

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/237>, abgerufen am 23.07.2024.