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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Sybel über die Grii>iduii>z dos Reiches

sie unerschütterlich in seinein Innern fest; kam er jedoch in den Fall, sie
praktisch durchzusetzen, so scheute er leicht vor Durchbrechung der Hindernisse
zurück, aber wenn er dann für den Augenblick zu verzichten schien, blieb er
doch bei seinem Sinne und nahm bei erster Gelegenheit den mißlungenen
Versuch wieder auf. Seine Willenskraft war mehr passiv als aktiv, mehr
zähe als energisch, fein Handeln stets weniger durch praktischen Verstand als
durch Herzenswärme und allgemeine Doktrinen bestimmt. Auffallend trat bei
ihm, dein Hohenzollern, der militärische Sinn zurück. Seine Generale klagten,
daß er bei Revuen und Paraden ohne rechte Liebe zur Sache sein kriegs¬
herrliches Geschäft erledige. Ritterlicher Sport galt ihm wenig, "er hat zu
viel Nerven, zu wenig Muskeln," meinte ein alter Reiteroberft. Dagegen ging
dem König das Herz auf, wenn er mit Meisterhand Zeichnungen von Land¬
schaften entwarf, Nisse von Bauwerken zu Papier brachte oder den Figuren
alter Kirchenmusik lauschte. Dann war er von einer Liebenswürdigkeit, die
die bedeutendsten Geister der Zeit unwiderstehlich an ihn fesselte. So Cor¬
nelius, so Rauch und so Humboldt. Ranke sagte einmal inmitten eines Kreises
berühmter Gelehrten von ihm zu dem Könige Max von Baiern: "Er ist mein
Meister, er ist Ihr Meister, er ist unser aller Meister." Die Vertrauten deS
Königs bei seinen politischen und kirchlichen Entwürfen, die Gerlach, Bunsen,
Radowitz, standen bis an ihr Ende unter der Herrschaft seiner bezaubernden
Persönlichkeit. Mit der bunten Fülle seiner Phantasie und dem unerschöpf¬
lichen Flusse seiner Gedanken war der .König ein Meister der Rede in Ernst
und Scherz, stets fand er für seine ästhetischen, religiösen oder politischen Be¬
trachtungen ein treffendes oder doch blendendes Wort, und verwunderlich
däuchte manchem die Leichtigkeit, mit der er gelegentlich aus dieser Sphäre
idealer Begeisterung Plötzlich in das Gebiet des Berliner Vvlkswitzes hinab-
sprnng und auch hier Talent entwickelte. Das ungefähr war das Wesen des
Königs, wenn mau von seiner politischen Stellung und Richtung absah. Von
dem Politiker sagt der Verfasser nicht weniger treffend: "Als Knabe vor dein
Kriegsfürsten der französische:? Revolution bis in den letzten Winkel des Staates
geflüchtet, hatte er den Abscheu gegen die Revolution und die Abneigung gegen
Frankreich für das Leben eingesogen. Wie viele seiner Zeitgenossen, hatte er
auch in dem Elende der Gegenwart den Blick auf eine schönere Vergangenheit
zurückgelenkt, auf die gewaltigen Kaiser, die ehrwürdigen Prälaten, die ritter¬
lichen Fürsten und Herren, vor deren Heldentum einst halb Europa gezittert
hatte. Als dann 1813 das Waffenbündnis zwischen Österreich und Preußen
die deutscheu Heere zum Siege und alle dentschen Fürsten zum neuen Bunde
führte, reifte bei ihm der Entschluß, Österreichs Bruderhand für immer fest¬
zuhalten und unter allen Umstünden treu und uneigennützig das Seine zu thun,
um des heiligen Reiches Glanz und Hoheit zu erneuern. Unbedenklich dürfen
wir annehmen, daß er damals die Wünsche Steins und Hardenbergs zur


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sie unerschütterlich in seinein Innern fest; kam er jedoch in den Fall, sie
praktisch durchzusetzen, so scheute er leicht vor Durchbrechung der Hindernisse
zurück, aber wenn er dann für den Augenblick zu verzichten schien, blieb er
doch bei seinem Sinne und nahm bei erster Gelegenheit den mißlungenen
Versuch wieder auf. Seine Willenskraft war mehr passiv als aktiv, mehr
zähe als energisch, fein Handeln stets weniger durch praktischen Verstand als
durch Herzenswärme und allgemeine Doktrinen bestimmt. Auffallend trat bei
ihm, dein Hohenzollern, der militärische Sinn zurück. Seine Generale klagten,
daß er bei Revuen und Paraden ohne rechte Liebe zur Sache sein kriegs¬
herrliches Geschäft erledige. Ritterlicher Sport galt ihm wenig, „er hat zu
viel Nerven, zu wenig Muskeln," meinte ein alter Reiteroberft. Dagegen ging
dem König das Herz auf, wenn er mit Meisterhand Zeichnungen von Land¬
schaften entwarf, Nisse von Bauwerken zu Papier brachte oder den Figuren
alter Kirchenmusik lauschte. Dann war er von einer Liebenswürdigkeit, die
die bedeutendsten Geister der Zeit unwiderstehlich an ihn fesselte. So Cor¬
nelius, so Rauch und so Humboldt. Ranke sagte einmal inmitten eines Kreises
berühmter Gelehrten von ihm zu dem Könige Max von Baiern: „Er ist mein
Meister, er ist Ihr Meister, er ist unser aller Meister." Die Vertrauten deS
Königs bei seinen politischen und kirchlichen Entwürfen, die Gerlach, Bunsen,
Radowitz, standen bis an ihr Ende unter der Herrschaft seiner bezaubernden
Persönlichkeit. Mit der bunten Fülle seiner Phantasie und dem unerschöpf¬
lichen Flusse seiner Gedanken war der .König ein Meister der Rede in Ernst
und Scherz, stets fand er für seine ästhetischen, religiösen oder politischen Be¬
trachtungen ein treffendes oder doch blendendes Wort, und verwunderlich
däuchte manchem die Leichtigkeit, mit der er gelegentlich aus dieser Sphäre
idealer Begeisterung Plötzlich in das Gebiet des Berliner Vvlkswitzes hinab-
sprnng und auch hier Talent entwickelte. Das ungefähr war das Wesen des
Königs, wenn mau von seiner politischen Stellung und Richtung absah. Von
dem Politiker sagt der Verfasser nicht weniger treffend: „Als Knabe vor dein
Kriegsfürsten der französische:? Revolution bis in den letzten Winkel des Staates
geflüchtet, hatte er den Abscheu gegen die Revolution und die Abneigung gegen
Frankreich für das Leben eingesogen. Wie viele seiner Zeitgenossen, hatte er
auch in dem Elende der Gegenwart den Blick auf eine schönere Vergangenheit
zurückgelenkt, auf die gewaltigen Kaiser, die ehrwürdigen Prälaten, die ritter¬
lichen Fürsten und Herren, vor deren Heldentum einst halb Europa gezittert
hatte. Als dann 1813 das Waffenbündnis zwischen Österreich und Preußen
die deutscheu Heere zum Siege und alle dentschen Fürsten zum neuen Bunde
führte, reifte bei ihm der Entschluß, Österreichs Bruderhand für immer fest¬
zuhalten und unter allen Umstünden treu und uneigennützig das Seine zu thun,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/230>, abgerufen am 23.07.2024.