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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Die Ansiedelung deutscher Landwirte in Lothringen

diese Befürchtung Spekulanten fern hält, die sich nur rasch bereichern wollen,
so können wir dies nicht für ein Unglück ansehen.

Das zweite Bedenken aber, daß Lothringen ein gänzlich verwälschtes und
diesem Schicksale für immer verfallenes Land sei, können wir in keiner Weise
als zutreffend erachten. Lothringen ist nach Sprache und Sitte ein über¬
wiegend deutsches Land, und es ist in gewissen Gebietsteilen deutscher als das
Elsaß, da diese Landstriche teils 1769 vom österreichischen Luxemburg abge¬
trennt, teils durch den Frieden von Lunoville 1301 mit Frankreich vereinigt
wurden, während Elsaß thatsächlich seit 1648 oder 1680 französisch war.
Lothringen ist überdies nicht als ein Land zu betrachten, worin das deutsche
Wesen niemals den Vorrang gewinnen werde; im Gegenteile scheint Lothringen
dazu berufen und angelegt zu sein, durch Einwanderung nud Verschmelzung
rascher für Deutschland gewonnen zu werden, als das Elsaß, das seinen ale¬
mannischen Stammestrotz durch die Wahnvorstellung nährt, als sei das Land
von jeher Bestandteil der großen französischen Nation gewesen. Dem deutschen
oder gemischtem Sprachgebiete gehören in Lothringen etwa 75 Prozent der
Zivilbevölkerung, 56 Prozent der Gemeinden und 60 Prozent der Fläche an.
Es ist überdies eine merkwürdige Thatsache, daß sich die deutsche Einwande¬
rung mehr uach Lothringen wendet, als nach dem Elsaß.

Es sind gezählt worden Altdeutsche in der Zivilbevölkerung von:

1875
183N
1885
Unterelsaß..........148423087241911
Oberelsaß.........79661266219075
Lothringen.........159353348249386

Ziehen wir aber von den Ziffern für
deutschen in der Zivilbevölkerung der ti
Altdeutsche in der Zivilbevölkerung von:die drei Bez
'el größten ^irke die Anz
Ztüdte ab, sihl der Alt-
o finden wir

1880
187S
1885
Unterelsaß ohne Straßburg . . .4189795311901
Oberelsaß ohne Mülhausen ....429562008721
Lothringen ohne Metz.....100961929232250

Es ergiebt sich aus diesen Zahlen, daß der Zug aus Altdeutschland nach
Lothringen nicht nur nach Metz geht, wo heute schon die Mehrheit der Ge¬
burten und Eheschließungen der deutschen Einwanderung angehört, sondern auch
in die kleinern Orte und inS Land selbst.

Dieser Zug nach Lothringen besteht von alten Zeiten her und ist durch
die Ereignisse von 1870 nur stark gefördert worden. Der Zuzug kommt meist


Die Ansiedelung deutscher Landwirte in Lothringen

diese Befürchtung Spekulanten fern hält, die sich nur rasch bereichern wollen,
so können wir dies nicht für ein Unglück ansehen.

Das zweite Bedenken aber, daß Lothringen ein gänzlich verwälschtes und
diesem Schicksale für immer verfallenes Land sei, können wir in keiner Weise
als zutreffend erachten. Lothringen ist nach Sprache und Sitte ein über¬
wiegend deutsches Land, und es ist in gewissen Gebietsteilen deutscher als das
Elsaß, da diese Landstriche teils 1769 vom österreichischen Luxemburg abge¬
trennt, teils durch den Frieden von Lunoville 1301 mit Frankreich vereinigt
wurden, während Elsaß thatsächlich seit 1648 oder 1680 französisch war.
Lothringen ist überdies nicht als ein Land zu betrachten, worin das deutsche
Wesen niemals den Vorrang gewinnen werde; im Gegenteile scheint Lothringen
dazu berufen und angelegt zu sein, durch Einwanderung nud Verschmelzung
rascher für Deutschland gewonnen zu werden, als das Elsaß, das seinen ale¬
mannischen Stammestrotz durch die Wahnvorstellung nährt, als sei das Land
von jeher Bestandteil der großen französischen Nation gewesen. Dem deutschen
oder gemischtem Sprachgebiete gehören in Lothringen etwa 75 Prozent der
Zivilbevölkerung, 56 Prozent der Gemeinden und 60 Prozent der Fläche an.
Es ist überdies eine merkwürdige Thatsache, daß sich die deutsche Einwande¬
rung mehr uach Lothringen wendet, als nach dem Elsaß.

Es sind gezählt worden Altdeutsche in der Zivilbevölkerung von:

1875
183N
1885
Unterelsaß..........148423087241911
Oberelsaß.........79661266219075
Lothringen.........159353348249386

Ziehen wir aber von den Ziffern für
deutschen in der Zivilbevölkerung der ti
Altdeutsche in der Zivilbevölkerung von:die drei Bez
'el größten ^irke die Anz
Ztüdte ab, sihl der Alt-
o finden wir

1880
187S
1885
Unterelsaß ohne Straßburg . . .4189795311901
Oberelsaß ohne Mülhausen ....429562008721
Lothringen ohne Metz.....100961929232250

Es ergiebt sich aus diesen Zahlen, daß der Zug aus Altdeutschland nach
Lothringen nicht nur nach Metz geht, wo heute schon die Mehrheit der Ge¬
burten und Eheschließungen der deutschen Einwanderung angehört, sondern auch
in die kleinern Orte und inS Land selbst.

Dieser Zug nach Lothringen besteht von alten Zeiten her und ist durch
die Ereignisse von 1870 nur stark gefördert worden. Der Zuzug kommt meist


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[0222] Die Ansiedelung deutscher Landwirte in Lothringen diese Befürchtung Spekulanten fern hält, die sich nur rasch bereichern wollen, so können wir dies nicht für ein Unglück ansehen. Das zweite Bedenken aber, daß Lothringen ein gänzlich verwälschtes und diesem Schicksale für immer verfallenes Land sei, können wir in keiner Weise als zutreffend erachten. Lothringen ist nach Sprache und Sitte ein über¬ wiegend deutsches Land, und es ist in gewissen Gebietsteilen deutscher als das Elsaß, da diese Landstriche teils 1769 vom österreichischen Luxemburg abge¬ trennt, teils durch den Frieden von Lunoville 1301 mit Frankreich vereinigt wurden, während Elsaß thatsächlich seit 1648 oder 1680 französisch war. Lothringen ist überdies nicht als ein Land zu betrachten, worin das deutsche Wesen niemals den Vorrang gewinnen werde; im Gegenteile scheint Lothringen dazu berufen und angelegt zu sein, durch Einwanderung nud Verschmelzung rascher für Deutschland gewonnen zu werden, als das Elsaß, das seinen ale¬ mannischen Stammestrotz durch die Wahnvorstellung nährt, als sei das Land von jeher Bestandteil der großen französischen Nation gewesen. Dem deutschen oder gemischtem Sprachgebiete gehören in Lothringen etwa 75 Prozent der Zivilbevölkerung, 56 Prozent der Gemeinden und 60 Prozent der Fläche an. Es ist überdies eine merkwürdige Thatsache, daß sich die deutsche Einwande¬ rung mehr uach Lothringen wendet, als nach dem Elsaß. Es sind gezählt worden Altdeutsche in der Zivilbevölkerung von: 1875 183N 1885 Unterelsaß..........148423087241911 Oberelsaß.........79661266219075 Lothringen.........159353348249386 Ziehen wir aber von den Ziffern für deutschen in der Zivilbevölkerung der ti Altdeutsche in der Zivilbevölkerung von:die drei Bez 'el größten ^irke die Anz Ztüdte ab, sihl der Alt- o finden wir 1880 187S 1885 Unterelsaß ohne Straßburg . . .4189795311901 Oberelsaß ohne Mülhausen ....429562008721 Lothringen ohne Metz.....100961929232250 Es ergiebt sich aus diesen Zahlen, daß der Zug aus Altdeutschland nach Lothringen nicht nur nach Metz geht, wo heute schon die Mehrheit der Ge¬ burten und Eheschließungen der deutschen Einwanderung angehört, sondern auch in die kleinern Orte und inS Land selbst. Dieser Zug nach Lothringen besteht von alten Zeiten her und ist durch die Ereignisse von 1870 nur stark gefördert worden. Der Zuzug kommt meist

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/222>, abgerufen am 23.07.2024.