Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Ansiedelung deutscher Landwirte in Lothringen

Herrschaften, Maranisaten, Grafschaften und Narvnien geschaffen, die meist
den neugeadelten Familien verliehen wurden, deren man 1680 900 zählte.
Aber mit dem Grundbesitze dieser Herrschcifteu war es meistens kläglich bestellt.
Die Standeserhöhung zog höchstens die Kosten der Errichtung eines Galgens
oder eines Taubenschlages nach sich; der Umfang der Hofgüter blieb derselbe;
es blieb meist bei der lorniv er-melts, die nach den lothringischen vontümes zu
jedem adlichen Sitze gehörte. Man sagte in Lothringen sprichwörtlich: Hui
s. xiFiioii, ü, Ulme^, -r olmlLÄu "zu I^orrmns. Daneben entstand etwa seit dem
sechzehnten Jahrhundert eine Reihe andrer Güter, indem aus den Rodungen,
die durch deu Holzbedarf der Salinen in Dieuzc, Vie, Moyenvic, Salvaux,
Chambrey, Marsal, Harraucourt, Salones, Haboudange, Chateau-Snlins u. s. w.
entstanden, sowie aus den Rodungen der wandernden, mit besondern Privi¬
legien ausgestatteten Glashüttenbesitzer Höfe gebildet wurden, von denen noch
eine große Anzahl besteht. Es läßt sich nur aus der ursprünglichen großen
Anzahl von Lehen, Stifts- und Klostergütern, sowie aus deu spätern Hvf-
bildnngen erklären, daß trotz der mannichfachen Zerstückelungen, die der Gro߬
grundbesitz erfuhr, hente doch noch in Lothringen weit mehr Mittelgüter von
50 bis 200 Hektaren sich finden als im Elsaß. Der große zusammenhängende
Besitz der alten lothringischen wulls llominos und die riesigen Lündereien der
großen Herren im Westrich, der Finstingen, der Nheingrafen, der Nixingen,
Kriechingeu, Leiningen, Saarwerden, Dhaun, Oberstein, Rollingen, Rodemachern,
Sierk, Warsberg u. s. w. und ihrer Erben sind seit Jahrhunderten in Fetzen
zerrissen, und nur einige größere Waldungen, meist in deu Händen des Staates,
erinnern noch an die alten Herrschaften. In Lothringen bestätigt sich die alte
Erfahrung, daß der Großgrundbesitz, wo er sich noch findet, feudalen Ursprungs
ist, daß dagegen in späterer Zeit größere Güter meist nur durch Rodungen,
selten durch Käufe entstanden sind. Wer also glaubt, daß in Lothringen große,
nach deutschen Begriffen große Güter zu haben wären, der würde sich irren,
und wenn der eben erwähnte Aufruf von der Erwerbung "großer Ländereien"
spricht, so ist das für den Landeskundigen einfach unverständlich. Wenn aber
noch obendrein von Gründung ganzer Dorfschaften die Rede ist, so kann man
darunter wohl nur verstehen, daß dabei an die Rodung vou Waldungen
"der die Trockenlegung einiger Weiher gedacht wird; denn wo sollte sonst noch
Platz für Dorfschaften sein? Im Laufe der letzten vier Jahrhunderte sind in
Lothringen über hundert Dörfer verschwunden, und die Verwaltung arbeitet
gleichwohl seit 1870 an Rückbildung der allzukleinen Gemeinden, die oft mit
'rußigen Gutsbezirken zusammenfallen. Wo soll da noch Platz für Neu-
gründungen sein?

Von dem Gedanken, daß in Lothringen ähnliche Verhältnisse vorlagen
nue in Posen, muß also ganz und gar abgesehen werden. Nur das ist wahr,
°aß in Lothringen noch mehr Mittelgüter als im Elsaß vorhanden sind. Es


Die Ansiedelung deutscher Landwirte in Lothringen

Herrschaften, Maranisaten, Grafschaften und Narvnien geschaffen, die meist
den neugeadelten Familien verliehen wurden, deren man 1680 900 zählte.
Aber mit dem Grundbesitze dieser Herrschcifteu war es meistens kläglich bestellt.
Die Standeserhöhung zog höchstens die Kosten der Errichtung eines Galgens
oder eines Taubenschlages nach sich; der Umfang der Hofgüter blieb derselbe;
es blieb meist bei der lorniv er-melts, die nach den lothringischen vontümes zu
jedem adlichen Sitze gehörte. Man sagte in Lothringen sprichwörtlich: Hui
s. xiFiioii, ü, Ulme^, -r olmlLÄu «zu I^orrmns. Daneben entstand etwa seit dem
sechzehnten Jahrhundert eine Reihe andrer Güter, indem aus den Rodungen,
die durch deu Holzbedarf der Salinen in Dieuzc, Vie, Moyenvic, Salvaux,
Chambrey, Marsal, Harraucourt, Salones, Haboudange, Chateau-Snlins u. s. w.
entstanden, sowie aus den Rodungen der wandernden, mit besondern Privi¬
legien ausgestatteten Glashüttenbesitzer Höfe gebildet wurden, von denen noch
eine große Anzahl besteht. Es läßt sich nur aus der ursprünglichen großen
Anzahl von Lehen, Stifts- und Klostergütern, sowie aus deu spätern Hvf-
bildnngen erklären, daß trotz der mannichfachen Zerstückelungen, die der Gro߬
grundbesitz erfuhr, hente doch noch in Lothringen weit mehr Mittelgüter von
50 bis 200 Hektaren sich finden als im Elsaß. Der große zusammenhängende
Besitz der alten lothringischen wulls llominos und die riesigen Lündereien der
großen Herren im Westrich, der Finstingen, der Nheingrafen, der Nixingen,
Kriechingeu, Leiningen, Saarwerden, Dhaun, Oberstein, Rollingen, Rodemachern,
Sierk, Warsberg u. s. w. und ihrer Erben sind seit Jahrhunderten in Fetzen
zerrissen, und nur einige größere Waldungen, meist in deu Händen des Staates,
erinnern noch an die alten Herrschaften. In Lothringen bestätigt sich die alte
Erfahrung, daß der Großgrundbesitz, wo er sich noch findet, feudalen Ursprungs
ist, daß dagegen in späterer Zeit größere Güter meist nur durch Rodungen,
selten durch Käufe entstanden sind. Wer also glaubt, daß in Lothringen große,
nach deutschen Begriffen große Güter zu haben wären, der würde sich irren,
und wenn der eben erwähnte Aufruf von der Erwerbung „großer Ländereien"
spricht, so ist das für den Landeskundigen einfach unverständlich. Wenn aber
noch obendrein von Gründung ganzer Dorfschaften die Rede ist, so kann man
darunter wohl nur verstehen, daß dabei an die Rodung vou Waldungen
"der die Trockenlegung einiger Weiher gedacht wird; denn wo sollte sonst noch
Platz für Dorfschaften sein? Im Laufe der letzten vier Jahrhunderte sind in
Lothringen über hundert Dörfer verschwunden, und die Verwaltung arbeitet
gleichwohl seit 1870 an Rückbildung der allzukleinen Gemeinden, die oft mit
'rußigen Gutsbezirken zusammenfallen. Wo soll da noch Platz für Neu-
gründungen sein?

Von dem Gedanken, daß in Lothringen ähnliche Verhältnisse vorlagen
nue in Posen, muß also ganz und gar abgesehen werden. Nur das ist wahr,
°aß in Lothringen noch mehr Mittelgüter als im Elsaß vorhanden sind. Es


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0219" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/206864"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Ansiedelung deutscher Landwirte in Lothringen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_587" prev="#ID_586"> Herrschaften, Maranisaten, Grafschaften und Narvnien geschaffen, die meist<lb/>
den neugeadelten Familien verliehen wurden, deren man 1680 900 zählte.<lb/>
Aber mit dem Grundbesitze dieser Herrschcifteu war es meistens kläglich bestellt.<lb/>
Die Standeserhöhung zog höchstens die Kosten der Errichtung eines Galgens<lb/>
oder eines Taubenschlages nach sich; der Umfang der Hofgüter blieb derselbe;<lb/>
es blieb meist bei der lorniv er-melts, die nach den lothringischen vontümes zu<lb/>
jedem adlichen Sitze gehörte. Man sagte in Lothringen sprichwörtlich: Hui<lb/>
s. xiFiioii, ü, Ulme^, -r olmlLÄu «zu I^orrmns. Daneben entstand etwa seit dem<lb/>
sechzehnten Jahrhundert eine Reihe andrer Güter, indem aus den Rodungen,<lb/>
die durch deu Holzbedarf der Salinen in Dieuzc, Vie, Moyenvic, Salvaux,<lb/>
Chambrey, Marsal, Harraucourt, Salones, Haboudange, Chateau-Snlins u. s. w.<lb/>
entstanden, sowie aus den Rodungen der wandernden, mit besondern Privi¬<lb/>
legien ausgestatteten Glashüttenbesitzer Höfe gebildet wurden, von denen noch<lb/>
eine große Anzahl besteht. Es läßt sich nur aus der ursprünglichen großen<lb/>
Anzahl von Lehen, Stifts- und Klostergütern, sowie aus deu spätern Hvf-<lb/>
bildnngen erklären, daß trotz der mannichfachen Zerstückelungen, die der Gro߬<lb/>
grundbesitz erfuhr, hente doch noch in Lothringen weit mehr Mittelgüter von<lb/>
50 bis 200 Hektaren sich finden als im Elsaß. Der große zusammenhängende<lb/>
Besitz der alten lothringischen wulls llominos und die riesigen Lündereien der<lb/>
großen Herren im Westrich, der Finstingen, der Nheingrafen, der Nixingen,<lb/>
Kriechingeu, Leiningen, Saarwerden, Dhaun, Oberstein, Rollingen, Rodemachern,<lb/>
Sierk, Warsberg u. s. w. und ihrer Erben sind seit Jahrhunderten in Fetzen<lb/>
zerrissen, und nur einige größere Waldungen, meist in deu Händen des Staates,<lb/>
erinnern noch an die alten Herrschaften. In Lothringen bestätigt sich die alte<lb/>
Erfahrung, daß der Großgrundbesitz, wo er sich noch findet, feudalen Ursprungs<lb/>
ist, daß dagegen in späterer Zeit größere Güter meist nur durch Rodungen,<lb/>
selten durch Käufe entstanden sind. Wer also glaubt, daß in Lothringen große,<lb/>
nach deutschen Begriffen große Güter zu haben wären, der würde sich irren,<lb/>
und wenn der eben erwähnte Aufruf von der Erwerbung &#x201E;großer Ländereien"<lb/>
spricht, so ist das für den Landeskundigen einfach unverständlich. Wenn aber<lb/>
noch obendrein von Gründung ganzer Dorfschaften die Rede ist, so kann man<lb/>
darunter wohl nur verstehen, daß dabei an die Rodung vou Waldungen<lb/>
"der die Trockenlegung einiger Weiher gedacht wird; denn wo sollte sonst noch<lb/>
Platz für Dorfschaften sein? Im Laufe der letzten vier Jahrhunderte sind in<lb/>
Lothringen über hundert Dörfer verschwunden, und die Verwaltung arbeitet<lb/>
gleichwohl seit 1870 an Rückbildung der allzukleinen Gemeinden, die oft mit<lb/>
'rußigen Gutsbezirken zusammenfallen. Wo soll da noch Platz für Neu-<lb/>
gründungen sein?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_588" next="#ID_589"> Von dem Gedanken, daß in Lothringen ähnliche Verhältnisse vorlagen<lb/>
nue in Posen, muß also ganz und gar abgesehen werden. Nur das ist wahr,<lb/>
°aß in Lothringen noch mehr Mittelgüter als im Elsaß vorhanden sind. Es</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0219] Die Ansiedelung deutscher Landwirte in Lothringen Herrschaften, Maranisaten, Grafschaften und Narvnien geschaffen, die meist den neugeadelten Familien verliehen wurden, deren man 1680 900 zählte. Aber mit dem Grundbesitze dieser Herrschcifteu war es meistens kläglich bestellt. Die Standeserhöhung zog höchstens die Kosten der Errichtung eines Galgens oder eines Taubenschlages nach sich; der Umfang der Hofgüter blieb derselbe; es blieb meist bei der lorniv er-melts, die nach den lothringischen vontümes zu jedem adlichen Sitze gehörte. Man sagte in Lothringen sprichwörtlich: Hui s. xiFiioii, ü, Ulme^, -r olmlLÄu «zu I^orrmns. Daneben entstand etwa seit dem sechzehnten Jahrhundert eine Reihe andrer Güter, indem aus den Rodungen, die durch deu Holzbedarf der Salinen in Dieuzc, Vie, Moyenvic, Salvaux, Chambrey, Marsal, Harraucourt, Salones, Haboudange, Chateau-Snlins u. s. w. entstanden, sowie aus den Rodungen der wandernden, mit besondern Privi¬ legien ausgestatteten Glashüttenbesitzer Höfe gebildet wurden, von denen noch eine große Anzahl besteht. Es läßt sich nur aus der ursprünglichen großen Anzahl von Lehen, Stifts- und Klostergütern, sowie aus deu spätern Hvf- bildnngen erklären, daß trotz der mannichfachen Zerstückelungen, die der Gro߬ grundbesitz erfuhr, hente doch noch in Lothringen weit mehr Mittelgüter von 50 bis 200 Hektaren sich finden als im Elsaß. Der große zusammenhängende Besitz der alten lothringischen wulls llominos und die riesigen Lündereien der großen Herren im Westrich, der Finstingen, der Nheingrafen, der Nixingen, Kriechingeu, Leiningen, Saarwerden, Dhaun, Oberstein, Rollingen, Rodemachern, Sierk, Warsberg u. s. w. und ihrer Erben sind seit Jahrhunderten in Fetzen zerrissen, und nur einige größere Waldungen, meist in deu Händen des Staates, erinnern noch an die alten Herrschaften. In Lothringen bestätigt sich die alte Erfahrung, daß der Großgrundbesitz, wo er sich noch findet, feudalen Ursprungs ist, daß dagegen in späterer Zeit größere Güter meist nur durch Rodungen, selten durch Käufe entstanden sind. Wer also glaubt, daß in Lothringen große, nach deutschen Begriffen große Güter zu haben wären, der würde sich irren, und wenn der eben erwähnte Aufruf von der Erwerbung „großer Ländereien" spricht, so ist das für den Landeskundigen einfach unverständlich. Wenn aber noch obendrein von Gründung ganzer Dorfschaften die Rede ist, so kann man darunter wohl nur verstehen, daß dabei an die Rodung vou Waldungen "der die Trockenlegung einiger Weiher gedacht wird; denn wo sollte sonst noch Platz für Dorfschaften sein? Im Laufe der letzten vier Jahrhunderte sind in Lothringen über hundert Dörfer verschwunden, und die Verwaltung arbeitet gleichwohl seit 1870 an Rückbildung der allzukleinen Gemeinden, die oft mit 'rußigen Gutsbezirken zusammenfallen. Wo soll da noch Platz für Neu- gründungen sein? Von dem Gedanken, daß in Lothringen ähnliche Verhältnisse vorlagen nue in Posen, muß also ganz und gar abgesehen werden. Nur das ist wahr, °aß in Lothringen noch mehr Mittelgüter als im Elsaß vorhanden sind. Es

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/219
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/219>, abgerufen am 23.07.2024.